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Ein Pokerabend mit Schrödinger

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07.09.2003
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Ein Pokerabend mit Schrödinger

"Das Universum ist ein blödes Miststück!"

Diese Quintessenz eines langen, verqualmten und feuchtphilosophischen Pokerabends stammte von Peter, unserem angehenden Diplomphysiker. Das Gespräch hatte ich absichtlich auf sein Fachgebiet gelenkt. Die Theorie war, soviel wie möglich seiner mentalen Energie mit Poker-irrelevanten Dingen zu binden. Ich hatte schon viel verloren an diesem Abend.
"Ich mein", fuhr Peter fort, "was soll das?" Er hielt inne und starrte mich an, die Hände vor sich in einer Geste absoluter Ratlosig- und gleichzeitig erfreulicher Offenherzigkeit, was seine Karten betraf.
"Naja...", machte ich nachdenklich. Der Trick bestand natürlich darin, dass er unaufmerksam war, nicht ich. Also ließ ich ihn die meiste Zeit über reden, machte mein Spiel und warf nur gelegentlich ein "Einstein hatte schon recht!" oder "Die Gravitation bringt alles durcheinander" ein.
"Was naja?", hakte Peter überraschend nach. Tatsächlich ahnte ich nur vage, was ihn zuletzt beschäftigt hatte.
"Ich vermute, du hast da schon recht. Obwohl..."
"Nix obwohl, das ist so!" Peter griff nach seinem Glas Jack Daniels und kippte den Rest. "Pass auf! Zuerst war alles einfach, richtig? Da waren die 'lektronen, die Potronen und die Neutronen." Die Neutronen artikulierte Peter perfekt. "Und alles war klar und einfach und wunderwunderschön."
"Ich nehme zwei", antwortete ich und schob Peter eine Sieben und eine Zehn verdeckt rüber. Er griff zum Stapel und zählte zwei Neue für mich ab.
"Und was passiert? Hmm?" Diesmal waren es meine Karten, mit denen er seine Argumentation unterstützte. Eine Neun, ein Bube. Damit hätte ich einen Drilling, käme ich an die Karten ran.
"Kaum ist man in der Lage, das zu überprüfen, da schüttelt sich das Universum mal kurz. Und plötzlich gibts da jede Menge neuer Gizmos. Und das..." Er beugte sich verschwörerisch zu mir rüber. Ich nutzte den günstigen Moment und pflückte die Karten aus seiner Hand.
"Das ist noch lange nicht alles!", fuhr er fort. "Unschärfe!" Er lehnte sich zurück und sah mich erwartungsvoll und unscharf an.
"Unschärfe?", wiederholte ich clever.
"Genau. Du guckst dir also diese Dinger an. Und dann kannst du sehn, wo sie sind oder wo sie hinwollen, aber nich beides!"
Meiner Reaktion schien es Peter an Enthusiasmus zu mangeln.
"Beides.Geht.Nich!", machte sein Zeigefinger der Tischplatte ganz klar.
"Tauschst du auch, Peter?", fragte Thorsten von links. Er hatte nur eine Karte gewechselt, was mich beunruhigte.
Peter betrachtete stirnrunzelnd sein Blatt, sortierte kreativ mittels eines für mindestens zwei Mitspieler nicht durchschaubaren Systems und legte dann drei Karten weg.
"Ist das nicht verrückt? Das ist so, als ob... als ob..." Peter suchte hilflos den Tisch ab. "Thorsten!", rief er schließlich und deutete vage in seine Richtung.
Thorsten erschrak. "Was ist?"
"Das is so ähnlich, als wenn wir Thorsten angucken und auf einmal bewegt er sich!"
"Haha, sehr witzig." Thorsten war etwas empfindlich, was Anspielungen auf sein beachtliches Körpergewicht betraf.
"Nimmst du auch neue, Peter?", fragte ich geduldig.
Er begann, seine zwei Karten zu sortieren, stutzte und füllte sein Blatt dann vom Stapel auf.
"Ich setze fünf", begann ich und schob einen Schein in die Tischmitte.
"Aber der allerfieseste Trick von diesem Scheißkerl is die Sache mit den Quanten! Ich mein, da hat man sich so halbwegs wieder mit dem Universum angefreundet, ja ok, muss ich halt vorher wissen, was ich messen will."
"Ich geh mit", warf Thorsten ein.
"Und genau in dem Moment, als man sich die Hände schüttelt und 'Nix für ungut' und sowas sagt: Zack! Is die Katze tot und lebendig gleichzeitig, solang man nich hinguckt!"
"Katzen haben sieben Leben, heißt es", trieb Thorsten die Diskussion voran.
"Gehst du mit, Peter? Fünf sind angesagt." Ich war ziemlich sicher, dass Thorsten höchstens zwei Pärchen hatte, sonst hätte er gleich erhöht.
Peter schob ungeduldig einen Zehner in die Tischmitte.
"War'n echt schwerer Brocken, sag ich euch. Hatten die Leute schwer dran zu schlucken. 'n paar kluge Köpfe haben sich überlegt, was man damit jetzt wieder anfangen soll."
"Ich gehe mit und erhöhe um fünf", erklärte ich und warf einen Zehner rüber.
Thorsten zögerte. Er hätte mir sein Blatt auch vor die Nase halten können. Schließlich ging er mit.
"Einige warn da wohl ziemlich stinkig und haben sich gedacht: So nich! Verpassen wir dem Typen einen Tritt in den Hintern. Schlagen wir ihn mit den eigenen Waffen!"
"Fünf für dich, Peter. Gehst du mit?"
"Was... ahso, klar." Peter fügte dem Pott einen Fünfer hinzu. "Viele-Welten-Theorie. Schon ma gehört?"
"Nein, worum gehts da, Peter?" Nicht schlecht, Fünfundvierzig im Pott, und ich mit einem Drilling. Erhöhen oder weiter, das war jetzt die Frage.
"Passt auf! Passt ihr auf?" Ich bestätigte ihm unsere Aufmerksamkeit. "Also, das Glas hier, ja? Das ist voll, kapiert?"
"Nein, es ist leer, Peter."
"Genau! Ne, eben nicht!" Er starrte mich unsicher an. Ich stellte mir vor, wie er heroisch seine Idee zu packen versuchte, die wie ein glitschiger Fisch immer wieder seinen mentalen Händen entfluppte.
"Ich will sehen", erklärte ich und erhöhte den Pott auf fünfzig.
"Hier ist das Glas leer, genau, so wars. Aber ständig ploppen neue Welten auf. Da passiert alles, was passiern kann. Kapiert?"
"Trotzdem ist dein Glas leer, Peter."
"Klar, aber nur, weil ich es leergetrunken hab!"
Thorsten sah genauso verblüfft auf wie ich. Die zwingende innere Logik traf uns völlig unvorbereitet.
"In andern Welten hab ich es nicht getrunken, da bin ich stocknüchern!"
Diese Vorstellung gefiel mir allerdings weniger. Was war mit mir in den anderen Welten, war ich da schon pleite?
Ich deckte meinen Drilling auf. Thorsten rief nur "Mist" und warf seine zwei Pärchen auf den Tisch.
"Genauso isses mit dem Spiel hier. Gibt unzählige Welten, und da kann alles passiern. Mal gewinnt der eine, dann der andere. Kapiert?"

Er deckte sein Blatt auf.

Scheißwelt.

 

Juhu, flash sei Dank steht diese Perle endlich wieder ganz weit oben in Humor. Endlich hab ich auch mal wieder was zu Lachen hier (auch wenn ich das Ding damals schon ziemlich oft gelesen hab).

Gefällt mir nach wie vor super, empfohlen isses eh schon, darum beschränke ich mich hier mal auf ein wenig Kleinkram:

Die Theorie war, soviel wie möglich seiner mentalen Energie mit Poker-irrelevanten Dingen zu binden.
Besser vielleicht Taktik statt Theorie
"Gibst du mir zwei Neue?", antwortete ich und schob Peter zwei meiner Karten rüber. Er griff zum Stapel und zählte zwei Karten ab.
Das ist wiederholungstechnisch unglücklich.
Er hatte nur eine Karte gewechselt, was mich beunruhigte. Peter betrachtete stirnrunzelnd seine Karten, sortierte sie kreativ und legte dann drei Karten weg.
und nochmal das gleiche. Aus den zweiten Karten könnte man evtl ein Blatt machen.

 

Huhu Gnoebel :)

Danke dir für das erneute Lob. Deine Anmerkungen waren berechtigt, das ist eine meiner Schwächen, diese Wortwiederholungen. Hab mal versucht, es zu verbessern. Die "Theorie" möchte ich aber lieber drinlassen, ist halt seine Theorie und in der Geschichte sieht man, wie es in der Praxis klappt.

@Tserk

Die korrekten Pokerregeln wollte ich auch einbauen, aber das ist etwas aufwendiger, da der Dialog am Ende stark betroffen ist. Ich ändere das mal irgendwann klammheimlich ab :)

Gruß
Heinz

 

Hallo Rainman,
Gut. Besonders die Dialoge.Ebenso das timing.Die Figuren sind sehr plastisch dargestellt.(sehr gut)
Für den Schluss hätte ich mir gewünscht, dass Peter, weiterhin über das Universum sprechend, das Geld nebenbei wie selbstverständlich genommen hätte und ein neues Spiel vorgeschlagen hätte. Das hätte den Protagonisten noch fertiger gemacht.
Das hätte die Geschichte runder gemacht.
Schade, deshalb nur eine -1.;-)

Gruß
Froschpayama

 

Hallo Froschpyama,

danke auch dir fürs Lesen und das Lob. Was den Schluss betrifft, bin ich nicht so recht davon überzeugt, dass die Geschichte gewinnt, wenn man da noch etwas ausschweifender wird.

Gruß
Heinz

 

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