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Ein Schlüpfer, ein Mädchen, eine Peitsche

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27.01.2019
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Ein Schlüpfer, ein Mädchen, eine Peitsche

Das tiefe Dunkelblau der Nacht wurde gerade von den ersten Flammen eines gigantischen, orangenen Feuerballs vom Himmel vertrieben, als das kleine Dorf zum Leben erwachte. Mit dem Hahnenschrei begann der Geräuschpegel stetig zu steigen. Zuerst fingen nur einige Vögel an zu zwitschern und die einfachen Holzhütten knarzten unter den Füßen ihrer Bewohner. Wenig später kamen die ersten aus ihren Hütten und rannten den Strand hinunter ans Meer. Vollkommen nackt ließen sie ihre braunen Leiber in das kühle Nass gleiten, tauchten einmal unter und kehrten in ihre Hütten zurück. Immer öfter durchbrach jetzt das Wasser, das von den Badenden vertrieben wurde, die Stille. Platschen und das Tosen der Wellen übertönte fast die ängstlichen Unterhaltungen der Dorfbewohner. Niemand traute sich zu laut zu sein, denn wenn erst einmal der Hauptmann auftauchte, würde er jeden strafen, der es wagte, nur den Mund auf zu machen. Bisher war alles noch relativ ruhig gewesen, doch es brauchte nur ein Geräusch, um jegliche Ruhe aus den dunklen Köpfen der Dorfbewohner zu vertreiben. Es erklang, als gerade die meisten von ihnen badeten. Es war ein gleichmäßiges Stampfen. In dem Moment, wo es die dunklen Leute hörten, sprangen sie aus dem Wasser und flohen zurück in ihre Hütten. Die nächste Stimme die das daraufhin entstandene Schweigen brach, war fern und ging in dem Trampeln fast unter. „Links, zwo, drei, vier“, wiederholte sie immer wieder. Ein Schwall aus Vögeln stob immer mal wieder aus den Bäumen hervor, während sich das Trappeln weiter näherte. Die, die für diese unangenehme Geräuschkulisse sorgten, wurden bisher noch von dem Wald verdeckt, der das gesamte Landschaftsbild dominierte. Die Bäume waren riesig und an ihre Stämme klammerten sich allerlei Pflanzen und Tiere. Obwohl die Bäume uralt waren, hatten die bleichen Männer sie bezwungen. Gefällt, zersägt und verbaut. Dies war der Leidensweg für sogar die stolzesten und anmutigsten der alten Riesen gewesen. Zurückgeblieben war nur eine Straße, die sich durch den Urwald schlängelte. Die Bleichgesichter hätten viel lieber eine schnurgerade Straße gebaut, doch mächtige Felsen, hatten das zu verhindern gewusst. Jetzt rückte das Grauen persönlich auf diesem Weg an. Sie nannten sich „die Deutschen“ und angeführt wurden sie von einem unglaublich stolzen, älteren Mann. Sein Name war Wilhelm, benannt nach seinem Kaiser, auf das er ihm gut dienen möge. Und das tat er auch. Heute war Wilhelm, wie jeden Morgen in dieser Woche, übel gelaunt. Diese armseligen Schwächlinge hatten doch tatsächlich einen Schlüpfer seiner Tochter von der Wäscheleine geklaut. Seit Montag versuchte er jetzt schon den Schuldigen zu finden, seine Suche blieb allerdings bis jetzt erfolglos. An diesem und damit fünften Morgen erhob sich allerdings der rote Feuerball mit einer solchen Anmut aus dem Meer, dass dies nur ein Zeichen Gottes sein konnte. Wilhelm ballte seine Hand zur Faust und küsste sie. Heute würde er diesen Schlüpfer finden und wenn er es aus diesen Idioten eigenhändig herausprügeln müsste. Das würde aber dennoch nicht nötig sein, denn vor und hinter ihm marschierten jeweils sechs Mann, um diese Aufgabe zu übernehmen.

Währenddessen versuchte ein dunkelheutiger Junge sich ungeschickt den obersten Knopf seiner Uniform zuzuknöpfen. Dies war in der Dunkelheit des Schlafzimmers gar nicht so leicht.

„Tiki komm jetzt. Die Deutschen werden bald hier sein“, zischte sein Vater von unten. Und es stimmte. Das Getrampel war schon sehr nahe gekommen, dass musste sogar Tiki zugeben, aber dieser verdammte Knopf wollte einfach nicht zugehen. Wütend schlug er mit der Faust gegen die Holzbretter, die die Wand darstellten.

„Geh hoch und hilf ihm“, hörte Tiki daraufhin seine Mutter sagen. Eine Sekunde später tauchte sein Vater in dem kleinen Loch im Boden auf. Im Licht der unteren Etage konnte Tiki den Schnurrbart seines Vaters leicht beben sehen. Das hatte er von den Deutschen kopiert. Fast alle von ihnen trugen Schnurrbärte und wenn sie wütend waren, ließen sie ihn erbeben, so wie die Götter die Erde. Doch nicht nur das hatte sein Vater sich von den Weißhäuptern abgeguckt. Tiki war sehr selbständig für sein Alter gewesen, bevor diese Schnurrbartträge auf die Insel kamen. Aber mit einem Mal, schien alles was Tiki nicht alleine machte seinen Vater zu erzürnen. Tiki glaubte, es läge daran, dass sein Vater ihn unbedingt zu einem dieser Deutschen machen wollte und sie deshalb nur das Beste von ihm sehen sollten.

Sein Vater war jetzt die Leiter hinaufgestiegen und packte seinen Sohn grob am Kragen, um ihn zu sich heran zu ziehen. Mit einer geschickten Bewegung drückte er den Holzknopf durch den kleinen Schlitz in dem hellblauen Stoff. Trotz der Dunkelheit sah Tiki, wie sich Wut und Enttäuschung im Gesicht seines Vaters mischten. Die Wut rührte laut Tiki daher, dass sein Vater extra wieder die Leiter heraufsteigen musste, nur um ihm zu helfen. Enttäuscht war er, weil sein Sohn ein einer solch einfachen Sache gescheitert war. Sein Vater wandte sich ab und verließ die Schlafkammer nach unten. Tiki folgte ihm. Unten hatte ihre Mutter Haferbrei aus dem gemacht, was ihnen die Deutschen gaben. Also Hafer, Wasser und ein paar Beeren. Tiki freute sich trotzdem darüber, denn er wusste, dass alle anderen noch weniger bekamen. Seine Familie hatte eine Sonderstellung bei den Bleichen, denn sie konnten Deutsch. Irgendwie waren er und sein Vater schnell darin gewesen, die Sprache des Schnurrbarts, wie Tiki sie nannte, zu lernen. Deshalb wurden sie als Dolmetscher eingesetzt und mussten nicht auf dem Feld arbeiten. Ohne sie, würde in der Kolonie fast nichts funktionieren und das bedeutete, dass sie auch gut bezahlt wurden. Diese Sonderstellung würde Tiki aber nicht vor einer Strafe retten, wenn rauskam, was er vor kurzem getan hatte. Es war schon ca. eine Woche her. Der Morgen war nebelverhangen gewesen, doch langsam hatte sich die Sonne gezeigt. Tiki musste gerade von der Plantage, wo er einige Befehle übersetzt hatte, zum Verwaltungsgebäude laufen. Er nutzte eine Abkürzung, die durch den Garten des Hauptmannes Wilhelm führte. Er hatte diesen Weg schon oft genommen, aber dieses Mal sollte es anders verlaufen. Wilhelms Frau Angela hatte gerade die Wäsche zu Trocknen aufgehängt, als Tiki über den Gartenzaun kletterte. Darunter war auch die Unterwäsche ihre Tochter gewesen, in die sich der junge Bengel ein wenig verguckt hatte. Als die Mutter wieder ins Haus gegangen war, hatte Tiki einen Schlüpfer geklaut. Er hatte so wunderschön geduftet. Später am Tag wollte Tiki den Schlüpfer zurückbringen, doch der Diebstahl war längst aufgefallen. Deswegen vergrub er ihn im Urwald. Von da an, hatte sich jeden Tag die gleiche Prozedur abgespielt. So auch heute. Der Hauptmann brüllte draußen auf der Straße: „Antreten.“ Dies war das einzige deutsche Wort, das wirklich jeder verstand und alle reagierten darauf gleich. Die Türen der Hütten flogen auf. Alle Bewohner verließen ihre Häuser, die meisten in ihrer Schlichten braunen Arbeitertracht, Tiki und sein Vater in der hellblauen Uniform des Übersetzers. Der nächtliche Regen hatte die Erde zu einem braunen Brei werden lassen, der Tiki an seinen Haferbrei erinnerte. Bei allen anderen löste er bereits Vorfreude auf das abendliche Stiefelputzen aus. In geraden Reihen standen jeweils die Männer links und die Frauen rechts ihres Hauses, so gerade als wär ihre Wirbelsäule durch einen Besenstil ersetzt worden. Der Blick war auf den Boden gerichtet, um dem Hauptmann Respekt zu zollen. Wilhelm brüllte weitere Befehle und die Soldaten schwärmten aus. Es verschwanden immer zwei in einem Haus. Innerhalb weniger Sekunden hörte es sich an, als wäre in jedem Haus eine Waschbär Familie eingesperrt. Schränke wurden ausgeräumt und Betten umgeworfen. Und das alles diente nur einem Zweck, den Schlüpfer zu finden, der gerade im Regenwald verrottete.

Später am Tag lief Tiki gerade wieder in Richtung des Verwaltungsgebäudes, als ihm eine Welle von Schuldgefühlen überkam. Alle Frauen des Dorfes saßen gerade zuhause und räumten das Durcheinander von heute Morgen auf. Und warum? Nur weil er einen Schlüpfer geklaut hatte. Aber er konnte ihn ja schlecht einfach so zurückgeben. Oder doch. Die Idee schoss wie ein Blitz durch seinen Kopf. Ein Plan. Eigentlich relativ simpel, aber er musste die richtige Gelegenheit abwarten. Und er wartete. Verhielt sich wie bereits die letzten Tage unauffällig und ging seinen Aufgaben als Übersetzter nach. Drei Tage dauerte es, bis sich endlich eine Möglichkeit ergab. Der Hauptmann war am Vormittag in die Berge hinaufgezogen und die Soldaten nutzten dies aus. Auf den Plantagen war kein einziger Wachposten zu finden, sie hatten sich alle in die Kneipe verdrückt. Und wo keine Wache war, konnte auch niemand etwas falsch machen. Somit musste auch Tiki nichts übersetzen. Das so entstandene Zeitfenster war perfekt für seinen Plan. Wenn er jedoch zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, was bis zum Ende des Tages alles passieren würde, hätte er den verdammten Schlüpfer in dem Erdloch vermodern lassen. Aber unwissend wie Tiki jetzt noch war, ging er in den Wald um den Stofffetzen zu suchen, der alle in so große Aufregung versetzt hatte. Es dauerte nicht lange, bis er den kleinen Gang gefunden hatte, den irgendein Tier dort mal hineingebuddelt hatte. Er langte mit der Hand hinein und zog die weiße Unterhose heraus. Nur war sie nicht mehr weiß. Das Erdreich hatte ihr seine Farbe aufgezwungen und jetzt war sie so dunkel wie Tikis Haut. Aber das spielte keine Rolle mehr. Das Ding musste einfach nur noch zurückgebracht werden und niemand würde mehr eine Hütte verwüsten müssen, um es zu suchen. Leider war dieser Teil des Plans am wenigsten ausgereift. Eigentlich bestand er nur aus zur Veranda laufen, Schlüpfer hinlegen und wegrennen. Wie er das unbemerkt machen sollte, blieb offen. Mit jedem Schritt mit dem er der Ausführung dieses Teils näher kam, kamen mehr Zweifel. Tiki versuchte sie alle mit dem Spruch „du hast es geschafft ihn zu klauen, also kannst du ihn verdammt nochmal auch zurückbringen“ niederzumachen. Dennoch fühlte er sich in dem Moment, wo er den kleinen Zaun zum Garten des Hauses überwand, wie als würde pures Adrenalin in seinen Adern pumpen und dazu auch noch kochen. Den Sprint der darauf folgte, war schneller, als jeder, denn Tiki je zuvor hingelegt hatte. Trotzdem kam er ihm viel zu langsam vor. Er umlief die letzte Hecke, jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Veranda war leer und auch an den Fenstern ließ sich niemand blicken. Tiki hatte die Unterhose gerade auf die Holzbohlen, aus denen der Boden der Veranda gefertigt war, gelegt, da umspielte ein Windzug seine Haare. Er konnte sie nicht einfach hier hinlegen. Was wenn sie wegwehte? Sein Blick wanderte panisch herum und suchte etwas woran er den Schlüpfer befestigen konnte. In seiner Eile übersah er dabei die Pfähle des Verandazauns, somit blieb nur noch die Türklinke. Mit drei großen Schritten hechtete Tiki zur Hintertür des Hauses. Die Bohlen bellten lauter als die besten Wachhunde, während sie unter seinen Schritten erbebten. Er hielt die Luft an, als er den Schlüpfer ganz behutsam über das rostige Metall schob. Gerade wollte er aufatmen, da senkte sich die Türklinke unter Tikis Hand ab. Schockstarre. Kein Muskel bewegte sich in dem jungen Körper. Die Tür zog sich langsam nach hinten und ließ den Wind ins Haus eintreten. Zumindest so lange, bis ihm eine Gestalt im Innern den Weg versperrte. Es waren die zarten Umrisse von Wilhelms Tochter. Sie hieß Mathilda. Ihr blondes Haar wehte in dem Luftstrom, der sich durch den Türspalt quetschte. Sie rümpfte ihre Nase als sie die dreckverschmierte Unterhose an der Klinke betrachtete, dann blickte sie auf und sah sich Tiki an. Dieser hielt den Atem an und wartete auf eine Reaktion, die über sein Schicksal entscheiden würde. Derweil gingen ihn viele Gedanken durch den Kopf:

„Sollte ich weglaufen? Aber wohin. Sie würden mich überall suchen.“ Gerade als er zu dem Schluss kam, dass es für alles zu spät war, fing Mathilda an zu lächeln. Es war ein wissendes Lächeln. Nicht viele Menschen, die Tiki kannte, hatten ein solches. Die meisten sagten stattdessen so etwas wie: Ich hab es doch gewusst. Das Mathilda den Mund so verzog, machte sie noch anzüglicher und gefährlicher zugleich, denn Tiki wusste immer noch nicht, was sie jetzt gleich tun würde. Sie könnte die Wachen rufen und ihn damit den Löwen zum Fraß vorwerfen, oder sie wäre glücklich ihre Unterwäsche wieder zu haben und ließ ihn gehen. Nichts von dem geschah. Zuerst kamen ein paar deutsche Worte aus ihrem Mund hervorgeschossen. Aber sie schienen von eine Wand aus Wasser ausgebremst werden, weshalb Tiki ihren Sinn noch nicht erfasst hatte, als Mathilda bereits einen weiteren Schritt machte. Sie packte ihn an seinem etwas schmächtigen Arm und zog seinen Körper, der aus der Starre in einen Lappen übergewechselt war, ins Haus. Der Junge hatte die Worte immer noch nicht verstanden, als ihn das Mädchen bereits durch das gesamte kunstvoll verzierte Haus in ihr Zimmer gezerrt hatte. Erst mit dem Schupser aufs Bett, offenbarte sich ihm die Bedeutung der Worte. „Ich hatte gehofft, dass du ihn hast.“ Auch wenn Tiki nun wusste, was Mathilda gesagt hatte, ergab das alles hier immer noch keinen Sinn. Sie musste seinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn es breitete sich wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

„Mein Vater will mich an irgendeinen alten Sack verheiraten, aber ich hätte viel lieber dich.“

Schnell drückte Mathilda ihre Lippen auf seine, sodass Tiki gar nicht erst antworteten konnte. Nicht das er eine Antwort gehabt hätte. Aber zumindest begann er langsam zu begreifen. Mathilda mochte ihn genauso sehr wie er sie. Ihre Zungen berührten sich jetzt und mit einem Mal war jede Angst verschwunden. Es fühlte sich so richtig an, hier auf Mathildas Bett einander zu küssen, dass er nicht an den Preis dachte, den er bald schon dafür bezahlen würde. Das Unheil nahm seinen Lauf, nachdem Mathilda und Tiki schon einige Zeit in ihrem Zimmer verbracht hatten. Irgendwann hatten sie aufgehört zu knutschen, sich zusammengekuschelt und Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Tiki fühlte sich dabei geborgen, bis die Spitze eines Gewehres die feine Wolke durchstach, auf der die beiden schwebten. Sie war ganz plötzlich einfach da. Jenseits des Fensters. Der Junge erblickte sie, als er seinen Blick vollkommen unbekümmert in Richtung Berge richtete. Sofort sprang er auf. Panik breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Er musste zur Hintertür. Gerade wollte er aus durch die Tür in den Hausflur fliehen, da viel ihm auf, dass die Lage aussichtslos war. Denn im Stehen konnte er noch viel mehr Gewehre erkennen, überall um das Haus herum. Und zu den Gewehren gehörten Soldaten, die jeden Ausgang und jedes Fenster bewachten. Was sollte er jetzt machen. Verzweifelt ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb an Mathilda kleben, die die Männer vor dem Fenster jetzt auch bemerkt hatte. Alle die Farbe war aus ihrem Gesicht gesogen, so sehr, dass ihre tiefroten Lippen fast wie Blut auf frischem Schnee aussahen. Als Tiki sie so sah, wusste er, dass dieses Mädchen genau so wenig Ahnung hatte, was jetzt zu tun war, wie er selbst. Deshalb entschied er sich einfach aufzugeben. Es war vorbei. Sein ganzes Leben war zu Ende. Der Hauptmann würde ihn dafür hinrichten, dass er sich an seiner Tochter vergriffen hatte. Sein Vater würde enttäuscht und vor allem schweigend zusehen, wie er von Wilhelm zerfleischt wird. Diesen Tatsachen ins Auge blickend, gaben seine Beine nach und Tiki rutschte wie ein nasser Sack die Wand entlang zu Boden. Dort verharrte er für ein paar Augenblicke. Es war okay. Was wäre schon aus ihm geworden? Ein schwarzer Soldat, wie sein Vater es wollte. Lächerlich. Vermutlich wäre er für immer Übersetzer geblieben. Gerade als er glaubte, dass er sich mit dem Ende seines Lebens abgefunden hatte, ließ die Angst auch diese letzte Hoffnung zerplatzen. Ausgelöst wurde diese von dem Stampfen, das gerade im Flur erklang. Es ließ den Boden beben, immer und immer stärker, bis schließlich auch die Tür in ihren Angeln ein Zitteranfall bekam. Tiki hatte sich an der Wand zusammen gekauert und jeden Muskel angespannt. Bum. Die Tür knallte mit voller Wucht gegen die Wand und ließ den Putz absplittern. Im Türrahmen offenbarte sich ein Schnurrbart, der zu der hasserfüllten Miene Wilhelms gehörte. Sein Kopf war hoch rot, vermutlich wegen den ganzen Beschimpfungen, die sich darin angesammelt hatten: „Wie kannst du es wagen, dich an meiner lieben Tochter zu vergreifen. Du kleines Stück Dreck hast nicht einmal das Recht, auch nur einen Fuß auf mein Grundstück zu setzen. Aber nicht mal das ist einem Bastard wie dir genug, natürlich geht er gleich aufs Ganze und pflanzt meiner armen Mathilda auch noch einen Klumpen Dreck in den Bauch. Wie lange hätte es gedauert, bis du dich auch noch an meiner Frau vergriffen hättest, du schwarzer Abschaum. Eines schwöre ich dir, der heutige Tag ist dein letzter. Am besten bringe ich den Rest deiner Sorte gleich mit um.“ Sein Redeschwall stoppte nur, weil eine neue Person die Bühne betrat. Als sie in Tikis Blickfeld kam, war er sicher, dass sie einen grausamen Tod für ihn fordern würde. Es war Mathildas Mutter. Doch das, was sich jetzt abspielen sollte, hätte nicht einmal ein Gott heraufbeschwören können. Wilhelms Gattin musterte ihren Mann und dann den restlichen Raum. Langsam schien sie zu verstehen, was hier vorging und wandte sich dann an ihren Gatten: „Was tust du den Kindern für ein Unrecht. Wir alle waren einmal jung und haben Dinge ausprobiert. Oder willst du mir erzählen, dass du in unserer Hochzeitsnacht noch Jungfrau warst.“

„Nein, aber dieser Abschaum kann das an Menschen seines Gleichen ausprobieren und nicht an meiner Tochter.“

„Ach und du glaubst Mathilda wäre ganz unschuldig. Du verschleppst uns in dieses Drecksloch und willst sie an einen alten Sack verheiraten. Mit wem hätte sie den echte Erfahrungen sammeln sollen, wenn nicht mit einem von denen?“

In diesem Moment ließ Wilhelm seiner Wut freien Lauf. Er schlug seine Frau und brüllte nach den Wachen, die draußen gewartet hatten. Während sich Wilhelms Gattin zu ihrer Tochter aufs Bett gesellte, beide gleich hilflos und verängstigt, tauchten die Wachen auf. Tiki wehrte sich nicht als sie ihn grob an den Armen packten und zwischen sich her schleiften. Von dort an war es, als wär Tiki umterwasser. Alle Geräusche verschwammen zu einem Brei, der ihm unglaublich laut vor kam und seine Sicht wurde unklar. Irgendwann meinte er die Hauptstraße zu erkennen, was schwer war, denn sie bestand genauso wie alle anderen Straßen hier aus plattgetrampelter Erde. Tiki hatte früher schon mal von einem Freund gehört, der ausgepeitscht wurde, dass sein ganzer Kopf voller Gedanken gewesen seien soll. Auf Tiki traf das nicht zu. Er hatte nur einen Gedanken und zwar: Jetzt bin ich tot. Nichts und niemand konnte ihn von dieser Sache ablenken. Nicht einmal als sie den Pfahl erreichten, woran die Auspeitschungen stattfanden, konnte er sich von der Gewissheit des Todes ablenken. Wie bei jeder Auspeitschung versammelten sich um den Pfahl unglaublich viele Menschen. Tikis Arme wurden oben an den Pfahl gekettet, so dass er davon gerade herunterhing. Die eisernen Handschellen schnitten ihm das Blut ab und seine Hände wurden taub. Irgendwie filterten seine Ohren aus dem Tonbrei die Stimme Wilhelms heraus: „Bringt mit meine Peitsche!“ Reflexartig zuckte Tiki in den Handschellen. Er wollte sich umdrehen, um die Peitsche zu sehen. Aber er wusste eh schon, dass die siebenschwänzige Katze verwendet werden würde. Dieses Monstrum einer Peitsche besaß sieben einzelne Riemen, die sich bei jedem Schlag gleichzeitig in den Rücken ihrer Opfer fraßen. Sie wurde sogar als zu grausam für die Plantagenarbeiter angesehen, weshalb sie nur gegen die schlimmsten Feinde der Deutschen eingesetzt wurde. Der siebenfache Schmerz der sich auf Tikis Rücken ausbreitete, lehrte ihn, dass er nun auch unter diese Kategorie zählte. Obwohl der Schmerz so sehr brannte, als würde ihm die Haut bis auf die Knochen abgezogen, gab Tiki keinen Laut von sich. Stattdessen baumelte er nur von der Wucht des Schlages am Pfahl und fixierte sich auf ein dunkles Loch, welches ein Holzwurm in den Eichenstamm gefressen hatte. Der zweite Schlag ließ nicht lange auf sich warten. Er versetzte Tiki so in Schwung, das er mit voller Wucht gegen das Holz schlug. Eine kleine Träne verließ sein rechtes Auge, aber er bis die Zähne zusammen um nicht zu weinen. Fast unmerklich hatten sich die lauten Geräusche der Umgebung in ein verwirrtes Schweigen gewandelt. Noch nie war einer der Dolmetscher ausgepeitscht worden. Dennoch würde niemand dagegen wiedersprechen, wenn der Hauptmann persönlich die Bestrafung ausführte. Das Knallen, das den nächsten Hieb verkündete, brachte den Schmerz auf ein ganz anderes Level. Noch nie hatte Tiki so etwas Zermürbendes gespürt und war sich gleichzeitig so sicher, dass es bis ans Ende seines Lebens andauern wird. Die darauffolgenden Schläge, ließen den Schmerz immer wieder auflodern und Tiki entwich jedes Mal ein wimmern. Die Haut seines Rückens hing in Fetzen herab, aber die Hiebe prügelten unermüdlich auf ihn ein. Er hatte längst aufgehört die Schläge zu zählen, als sich ein Flimmern vor seinen Augen ausbreitete und eine unglaubliche Müdigkeit seinen Kopf einnebelte. Daraufhin entstand ein Kreislauf, der für einige Schläge anhielt. Knallen, Schmerzen, der Müdigkeit verfallen und von vorne. Nach jedem Hieb, sank Tiki weiter in die wunderbar erlösende Traumwelt hinab und irgendwann kam er nicht mehr zurück an die Oberfläche der Realität. Er träumte von Mathilda, wie sie hilflos und verängstigt neben ihrer Mutter auf dem Bett gesessen hatte. Aber diesmal lief die Szene anders ab. Die Wachen kamen und holten Tiki. Im letzten Moment erhaschte er dieses Mal jedoch, noch einen Blick auf Mathilda. Ihre hilflose Miene war verschwunden. Stattdessen prangte ein Lachen auf ihrem Gesicht. Teuflisch und grausam. Tiki vernahm jetzt auch den Ton ihrer Lache. Er ging in Mark und Bein, als würde der Teufel persönlich Lachen. Der Traum war wie erstarrt, keiner bewegte sich außer Mathilda, deren Augen jetzt anfingen feurig rot zu leuchten. Dann schälte sich ihr Gesicht von ihrem Kopf und legte etwas frei, das Lava gleichkam. Aus den Augenhöhlen und dem Mund stiegen Flammen empor, während der Rest des Gesichts tiefrot glühte. Nach kurzer Zeit wurde das Glühen heller. Es wechselte von rot zu orange und dann zu gelb. Je heller Mathildas Teufelsfratze wurde, desto größer wurde sie auch. Nach wenigen Sekunden war das jetzt fast schon weiße Glühen das einzige, was Tiki noch sah. Das Gelb wurde vollständig an den Rand seines Sichtfeldes gedrängt und ein komplett weißer Lichtschein breitete sich aus. Als dieser beinahe das Gelb vollständig verdrängt hatte, wachte Tiki auf.

Tiki lag auf dem Tisch in der unteren Etage seiner Hütte. Sein Rücken brannte zwar immer noch, aber etwas Kühlendes war darüber, was den Schmerz linderte. Als er den Raum genauer betrachtete, vielen ihm drei Personen auf. Die ersten beiden waren seine Eltern. Schlaflosigkeit und Sorge hatten tiefe Furchen auf ihren Gesichtern hinterlassen. Neben ihnen stand eine Frau. Sie trug einen abgetragenen Mantel und alte Stiefel. Erst bei genauerem Hinsehen, sah Tiki die feinen Kleider, die von dem Mantel verdeckt wurden. Es war die Gattin des Hauptmanns. Was machte sie den hier und warum verbarg sie ihre Kleider? Die drei unterhielten sich leise. „Und der Hauptmann hält immer noch daran fest“, fragte seine Mutter.

„Ja, leider. Wilhelm kennt da kein Erbarmen“, antwortete die Frau. Tiki entschied, dass es Zeit war, sich bemerkbar zu machen. Er wollte aufstehen, kam allerdings nicht weiter als die Brust anzuheben. In dem Moment, wo sich sein Rücken leicht krümmte, schossen wieder unglaubliche Schmerzen in ihn hinein. Ein Stöhnen verkündete das Ende des Versuchs und sein Oberkörper viel wieder schlaf auf den Tisch. Dies reichte jedoch, um sein Erwachen zu verkünden und seine Mutter stürzte überglücklich zu ihm.

„Mein Junge, du bist endlich wach.“ Freudentränen schossen in ihre Augen. Ihr Mann nahm sie in den Arm und legte gleichzeitig seine Hand auf den Arm seines Sohnes. Wilhelms Gattin hielt ein wenig Abstand, kam jedoch auch einige Schritte näher zum Tische. Eine ganze Weile schwiegen einfach alle und genossen den Moment, bis Tiki die Stille durchbrach. Mit einem schwachen Krächzen entließ er die Frage in den Raum, die ihn seit seinem Erwachen beschäftigte: „Warum hat der Hauptmann mich nicht umgebracht?“

Seine Mutter entglitt der Umarmung ihres Mannes und ließ sich auf die Augenhöhe Tikis hinuntergleiten. Ihre Stimme schlängelte sich leise und stolz in die Ohren ihres Sohnes: „Es war dein Vater. Er hat sich zwischen dich und den Hauptmann gestellt. Als dieser ihm befahl beiseite zu treten, hat er nur gesagt, er würde eher selber sterben, als seinem Sohn dabei zuzusehen. Der Hauptmann hatte schon zu Schlag ausgeholt, um deinen Vater auch zu peinigen, da stoppte ihn sein Berater. Er gab ihn zu bedenken, dass ohne dich und deinen Vater so gut wie keiner ihre Sprache spricht.“

„Und da hat er aufgegeben“, fragte Tiki ungläubig.

„Nein“, sagte sein Vater, „er stellte eine Bedingung. Du musst…“ In diesem Moment klopfte es an der Tür. Tikis Mutter öffnete die Tür nur einen ganz kleinen Spalt, lugte hindurch und öffnete sie dann ganz. Hinein kam eine Person. Sie war klein und trug einen ähnlichen Mantel wie Wilhelms Gattin. Erst erkannte Tiki sie nicht, doch als sie die Kapuze zurück schlug und ihr blondes Haar offenbarte, erkannte er sie. Es war Mathilda. Ihr Gesicht war diesmal aber normal.

„Ist er wach“, fragte sie aufgeregt und das grässliche Lachen aus dem Traum dröhnte gleichzeitig in Tikis Kopf. Alle nickten und Mathilda durchschritt den Raum. Je näher sie dem Tisch kam, desto klarer wurde auch Tikis Erinnerung an das glühende Traumgesicht. Irgendwann konnte er nicht mehr unterscheiden, was Wirklichkeit und was Traum war.

„Verschwinde“, stöhnte er ängstlich hervor. „Verschwinde“, Angst die in ihm aufstieg, gab ihm neue Kraft, „verschwinde“, brüllte er nochmal. Mathildas Gesichtsausdruck wechselte binnen weniger Sekunden mehrere Male. Es begann mit Freude über Tikis Erwachen und wechselte mit den ersten Worten die aus seinem Mund kamen über in Bestürztheit. Als Tiki sie schließlich anbrüllte kullerte eine kleine Träne über ihre Wange. So stand sie mitten im Raum, auf halbem Wege zum Tisch erstarrt. Irgendwann erbarmte sich ihre Mutter, kam zu ihr und drückte sie an ihre Brust.

„Ich glaube wir gehen jetzt lieber“, sagte die Frau des Hauptmannes fürsorglich. Während sie sich mit ihrer Tochter zum Gehen wandte, sagt Tikis Mutter: „Er ist bestimmt ordentlich erschöpft. Aber danke nochmal für die Salbe, sie wird ihm bestimmt helfen.“ Mathilda nickte traurig und verließ dann mit ihrer Mutter die Hütte. Als sie draußen waren, erinnerte sich Tiki an das Gespräch, was sie vor Mathildas Besuch geführt hatten. Er hatte zwar Angst vor der Antwort, dennoch stellte er die Frage: „Was war die Bedingung, die der Hauptmann gestellt hat?“

Die Gesichter seiner Eltern formten eine vor Mitleid triefender Miene.

„Es gab wirklich keinen anderen Weg“, fing seine Mutter an zu erklären.

„Was war die Bedingung“, brüllte Tiki zornerfüllt. Der stechende Schmerz in seinem Rücken und die entgeisterte Miene seiner Mutter ließen ihn das direkt bereuen.

„Du wirst dein Leben von nun an der Kirche widmen, mein Sohn“, sagte sein Vater so einfühlsam, wie es nur ging, „bald schon wird in unserem Dorf ein Kloster gegründet. Du wirst der erste Mönch dort sein.“

 

Hi @textonym

Währenddessen versuchte ein dunkelheutiger Junge sich ungeschickt den obersten Knopf seiner Uniform zuzuknöpfen.
Ab hier hab ich mal quer gelesen und erkannt, dass du nicht wirklich an Textarbeit interessiert bist. Denn du hast keinen einzigen Ratschlag aus den Kritiken unter deinen anderen Texten umgesetzt, sondern einfach erneut einen langatmigen - show, don't tell - mit Flüchtigkeitsfehlern gespickten Text eingestellt.
Wenn du schon, wie in deinem Profil gewünscht, "ernsthafte und konstruktive Kritik" geliefert bekommst, darf man wohl erwarten, dass du dich auch ernsthaft und konstruktiv damit auseinandersetzt.
Denk mal drüber nach.
Gruss dot

 

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