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Ein Sprung in die Tiefe

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20.05.2006
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Ein Sprung in die Tiefe

Meinen ersten erfolglosen Selbstmordversuch unternahm ich vor zwei Jahren in Los Angeles. In diesem Augenblick kann ich mich wieder genau daran erinnern. Der Grund, warum ich in einer fremden Stadt auf das Dach eines Hochhauses kletterte, um herunterzuspringen war lapidar, einfach, simpel: Ich war fertig mit dem Leben.
Das klingt für Sie wahrscheinlich so, als ob jemand bei McDoof einen Hamburger bestellt. Mit extra viel Käse, einer Portion Pommes und einer Coke. Das Natürlichste auf der Welt. Aber so war es nun einmal. Ich hatte keine schlechte Kindheit vorzuweisen, im Gegenteil, diese verlief sogar relativ gut. Meine Eltern besaßen nun kein Schloss oder eine Yacht, aber immerhin einen großen Hof, wo man sich austoben konnte und seiner Phantasie freien Lauf ließ. Die Schule beendete ich ebenfalls mit einem guten Ergebnis, also wo lag das Problem? Vielleicht könnte ich sagen, dass ich so ziemlich alle meine Träume und Lebenswünsche auf der persönlichen Liste abgearbeitet hatte. Es gab nichts Neues mehr in meinem Leben und somit entschied ich mich für den Sprung. Wie erwähnt: Ich war fertig mit dem Leben.
Mittlerweile weht ein frostiger Wind hier oben auf dem Dach und meine Zehennägel biegen sich nach hinten. Der Trouble unten auf der Straße macht mich leicht nervös. Ist schon unglaublich, wieviel Schaulustige sich mit einem Mal für einen interessieren, wenn man vorhat, sich auf den harten Asphaltboden der Realität zu werfen. Aber sollte sich das auch komisch anhören – ich bin immer noch bereit zu springen. Es geht hier um kein Medienereignis, mit dem ich mir meine Rente sichern möchte. Talkshows bei Jauch und Kerner oder Harald Schmidt. Bloß nicht Raab! Der ist zu kindisch, genau wie Pocher – ein kleiner Popelfresser. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber etwas harmloseres ist mir nicht eingefallen. Wenn ich hier über die Dachkante einen Blick werfe, kribbelt es verdächtig in meinen Beinen. Ich glaube, das ist Höhenangst und in so einem Fall hätte ich wohl eine andere Methode des Ablebens wählen sollen.
Gift wäre nicht gegangen – man weiß nie, ob die Menge ausreichend ist. Nachher pumpen sie dir den Magen aus. Da bist du wieder im Leben, das selbe Rattenloch, in dem du wohnst und die Probleme werden auch nicht weniger. Versicherungen bomben dich mit Angeboten im Sterbefall zu und der letzte Ausweg wäre zwar wieder der Tod, aber dummerweise hat dir der Richter einen Sozialhelfer an die Backe gehaftet, der aufpasst, dass du an solche Dinge wie Selbstmord nicht mehr denkst.
Der Strick als altmodische Methode wäre auch nicht gegangen. Da kann soviel passieren. Zum Beispiel reißt das Ding nachdem man sich eine halbe Stunde lang den Hals aufgescheuert hat. Zum Schluss keucht man so nach Luft und muss den Rest des Lebens mit Schal oder Rollkragenpullover rumrennen, damit man nicht andauernd auf die Würgemahle angesprochen wird. Und so einen dicken Rollkragenpullover im heißesten Sommer – Nein, da bekomme ich schon jetzt `ne Hitzeattacke. Fällt also ebenfalls aus der Wahl.
Kopf abhacken ist schon problematisch, weil man dazu zwei braucht. Jedes Gericht spricht deinen Axtschwinger doch wegen Mordes schuldig. Man selbst kann ja nicht mehr sagen: „Hallo, hört mal. Ich wollte, dass er mir hilft. Ich spreche ihn von jeder Schuld frei.“ Und selbst das Beil schwingen, um den Kopf zu verlieren – geht nicht wirklich.
Das bringt uns aber zu den Samurais. Die schwangen zwar weniger Äxte, als vielmehr ihre Schwerter, aber um ihr Gesicht nach einer Schmach oder einer Niederlage nicht zu verlieren, wurde ihnen der ehrenvolle Tod durchs eigene Messer erlaubt, welches sie sich in den Bauch rammten. Damit die Qualen des Todes nicht zu lange andauerten, schlug ein Nebenstehender anschließend den Kopf ab. Aber das würde auch auf das Köpfen hinaus laufen – außerdem hätte ich ein schlechtes Gewissen, da mein Tod nicht im Geringsten etwas mit Ehre zu tun hat. Also auch keine Möglichkeit.
Würde ich Wasser in eine Badewanne lassen, dann hineinsteigen und einen Fön hinterher, oder ein Radio. Strom wird gern im Fernsehen als versehentliche Todesursache genommen. Aber das klappt nicht, da meine Wohnung nur eine Dusche besitzt und in einem anderen Privathaushalt möchte ich nicht sterben. Im Übrigen lief neulich ein Bericht, dass eine Sperre in den Geräten eintritt, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen. Und meinen Fön wollte ich sowieso verschenken.
Die gute, alte Schusswaffe blieb also noch zur Entscheidung. Doch wo sollte ich so ein Ding herbekommen? Gewehre bekäme ich nur, wenn ich die Mitgliedschaft in einem Jagdverein oder Sportschützenverband nachweisen könnte. Stellen Sie sich mich einmal in grüner Jagdmontur vor! Man würde mich doch als Persiflage von Robin Hood halten. Nur ohne Bogen, Schwert und Bart, versteht sich. Und im Wald würde ich solchen Krach erzeugen, dass das Wild schon einen Kilometer vorher wissen würde, wann Gefahr droht und es verschwinden muss. Und das Ding als Sportschütze fällt auch flach, da ich zum Einen total unsportlich bin – Sie können es auch faul oder bequem nennen. Mich stört das nicht, denn in wenigen Augenblicken lieg ich dort unten und ein illegaler Einwanderer aus den Oststaaten muss als Ein-Euro-Jobber meine Körperteile zusammen suchen und die Innereien vom Bürgersteig kratzen. – Zum anderen haben meine Augen bedächtliche Probleme mit der Weitsicht. Unter der Plastikschutzbrille ein normales Nasenfahrrad zu tragen würde den Komfort und damit die Konzentration erheblich beeinträchtigen. Bei nur einem Versuch ins Schwarze zu treffen scheint dies schon sehr bedenklich. Sie könnten jetzt argumentieren, dass Kontaktlinsen doch auch gingen und somit der Komfort und die Konzentration sicher wären, aber ich habe diese Experimente schon hinter mir. Irgendwie reagieren meine Augen, genaugenommen die Netzhaut, abweisend auf die Linsen. Also vergessen Sie den Sportschützen und auch das Gewehr als solches. Wäre sowieso unhandlich gewesen mit so einer riesigen Kawumme den eigenen Schädel wegzupusten. Nicht zu vergessen die vielen roten Flecken und Spritzer an den Wänden und Einrichtungsgegenständen, sprich Möbel. Sonst heißt es noch, ich wäre ein Drecksschwein gewesen. Das nur, weil ich mein Blut nicht reinigungstechnisch entfernt habe – aber: „Hallo, ich bin tot.“ Der letzte Aspekt trifft auch auf die Handschusswaffe, dem Revolver, zu. Handlich ist so ein Schießeisen, wie die Cowboys das in den Western nennen, ja schon. Doch Krach macht es genauso wie eine große Pumpgun oder Winschester, um beim Thema Western zu bleiben. Und das Letzte, was ich bei meinem Tod hören will, ist nicht das Klicken der Trommel und wie sich die Kugel in den Lauf vorschiebt, um dann durch den Druck in meinem Kopf zu explodieren, sondern Menschen, die über mich reden. Sie können also nachvollziehen, dass der Sprung von einem Gebäude in die tödliche Tiefe für mich die passende Form des Abgangs ist. Sollten trotzdem noch einzelne Stimmen laut werden mit Einwänden oder anderen Formen des Selbstmordes, kann ich ihnen nur sagen: „Zum Einen ist das mein Selbstmord und wenn Sie denken, ihre Form übertrifft meinen Sprung vom Dach, dann probieren Sie es doch an sich selber aus.“
Der Entschluss stand also fest. Ich wartete nur noch auf den passenden Moment. Sie wissen schon, so eine Art innere Eingebung, wie: „Jetzt ist die Zeit gekommen! Ich bin Superman und kann fliegen!“ Oder etwas in dieser Art.
Der Wind blies stärker als zu Beginn und mir sträubte sich das Nackenhaar bei diesen Temperaturen. Mein Blick wanderte über die Köpfe der Passanten, die neugierig, zuweilen ängstlich zu mir hinauf sahen. Ich stellte mir vor, wie sie alle durcheinander ein Frage-Antwort-Spiel spielten. Der 140-Kilo-Bomber, dem die letzten Reste der Salamipizza in den Mundwinkeln hangen und der noch bei Mama wohnte. Oder die fünfköpfige Gruppe von Japanern mit ihren Fotoapparaten. KLICK!
“Was ist denn dort oben los“, fragt eine rüstige Oma; das Haar bedeckt mit einem fliederfarbenen Kopftuch und die Brille von der verschwitzten Nase rutschend.
„Das kann ich ihnen sagen“, brüllt ein muskelbepacktes Zwei-Meter-Monster über alle Köpfe hinweg. „Da will sich so ein gottverdammtes Arschloch seine fünfzehn Minuten Ruhm holen.“
Als ob ich nach so etwas scharf wäre. Ich wollte doch bloß in Ruhe springen. Die da unten waren mir gleichgültig und eingeladen hatte ich sie auch nicht.
„Glaubt ihr, dass es passiert“, mampft der 140-Kilo-Bomber und seine Stimme klingt so, als hätte er gerade ein Stück Kreide zerkaut.
„Darauf kannste aber wetten“, und schon wedelt das Zwei-Meter-Monster mit einem Fünfer herum.
„Ich glaube, die Polizei wird alles verderben.“ Bomber und ein Fünfer Einsatz.
„Nein, nein“, fährt ein ausgewachsener Harry-Potter-Verschnitt in feinstem Adelsdeutsch dazwischen. „Ich für meinen Teil würde die Vermutung äußern, dass der gesunde Menschenverstand die Person zum Umkehren lenkt.“
„Sie wollen also sagen, dass gekniffen wird, richtig?“ Sagt das Zwei-Meter-Monster und greift nach dem Einsatz. KLICK!
„So könnte man es auch einfach ausdrücken, ja.“ Harry Potter.
„Ach, die jungen Leute haben doch gar keinen Mumm mehr in den Knochen“, tattert die Oma los. „Früher hätten sie sich vor einen Zug geworfen und dann gut. Aber heute? Warum wird so lange gewartet? Kein Mumm, sag ich“, und einen Fünfer Einsatz. KLICK!
Ein weiterer Polizeiwagen rast mit Blaulicht durch die Straßen, ehe er vor meinem Hochhaus zum Stehen kommt. Zwei Männer steigen aus, reden mit dem Einsatzleiter, der mit seinem Trupp das Gebäude abriegelte. Während mir hier oben der Wind und die Kälte am Nervenkostüm knappern, gibt es unten heißen Kaffee und Donuts. Meine Beine baumeln jetzt über der Dachkante und in sechzig Sekunden schlägt Big Ben zwölf Uhr. Mitternacht. Der Augenblick der Wahrheit. Von unten ruft mir ein Polizist durch die Flüstertüte, dem Megaphone, etwas zu, aber alles verblasst und mein Herz schlägt zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig. Schon seltsam, dass ein Leben so enden kann. Einunddreißig, zweiunddreißig, dreiunddreißig. Die letzten Atemzüge auf festem Boden. Vierundvierzig, fünfundvierzig, sechsundvierzig. Die letzten freien Gedanken. Einundfünfzig, zweiundfünfzig, dreiundfünfzig. Die letzten –
„Willst du wirklich springen, Marie?“ Die sanfte, warme Stimme durchschnitt die dunkle Nacht. Mit einem Mal stoppte mein persönlicher Countdown und Big Ben schlug zwölf; aber ich sprang nicht. Ich konnte nicht mehr. Er hatte meine Konzentration gestört und den perfekten Moment ruiniert. Ich wusste nicht, ob dieser Augenblick jemals zurück kehren würde in mein Leben. Doch oben auf dem Dach drehte ich mich um, stieg von der Kante weg und kämmte mir das Haar aus dem Gesicht. An diesem Tag würde niemand springen, besonders ich nicht. So weit klar, aber vielleicht hatte ich vergessen, dass ich doch noch nicht ganz mit dem Leben fertig war. „Du kommst spät, David“, sagte ich im Schein des Mondes. Er nickte verständnisvoll: „Ja, das tut mir leid.“ Eine Weile herrschte daraufhin bedrücktes Schweigen, bis ich wieder begann: „Und was willst du hier?“
David erschien mir zum ersten Mal seit wir uns kannten verändert. Erwachsen wirkte er in seinem Anzug. Sein jugendlicher Leichtsinn war einem fürsorglichem Ausdruck in seinem Gesicht gewichen. Mein Herz begann heftig zu schlagen und in meinem Bauch kribbelte es leicht. Um davon abzulenken wiederholte ich: „Was willst du hier, David?“ Und darauf sagte er etwas, dass in meinem Bauch Schmetterlinge fliegen ließ. „Ich will Dich retten, Marie.“
Mir schossen mit einem Mal die Tränen ins Gesicht. Ich rannte zu David, der noch immer am Treppenhäuschen stand, umschlang seinen durchtrainierten Körper, küsste ihn leidenschaftlich. Dann flüsterte ich: „Ich liebe Dich. Ich liebe Dich.“
So endete also mein erster erfolgloser Selbstmordversuch. Die Presse berichtete eine Woche davon, dann verdrängte mich Prinz Harry mit seinem Hitlerkostüm. Ein Richter wollte mir den Besuch bei einem Psychiater als sträfliche Maßnahme auferlegen, sah davon aber ab, als David erklärte, er wolle mich heiraten, um immer auf mich aufzupassen. Einen Monat später hielt David dann tatsächlich ganz romantisch um meine Hand an und wir heirateten kirchlich mit Kutsche und weißem Schimmel. In den Flitterwochen liebten wir uns drei Wochen lang auf einem Hotelzimmer auf Hawaii. Anschließend drei Wochen in Paris, der Stadt der Liebe. Wir blieben bis zum heutigen Tag ein glückliches Paar, bekamen zwei Mädchen als Nachwuchs und siedelten aufs Land über. Aber bei all der Fröhlichkeit in der Familie, fehlt mir doch etwas. Ich bin mir nicht ganz sicher, vielleicht war es dieses belebende Kribbeln, als ich vom Dach hinunter in die Tiefe blickte. Auf jeden Fall kommt mir in den Sinn, es wieder zu versuchen. Den Sprung in die Tiefe. Der perfekte Moment.

 

Hallöle,

also ich fürchte, ich muss mich Angua anschließen.
Überzeugen konnte die Geschichte nicht.
Der Abschnitt, wo David plötzlich auftaucht, reißt die gesamte Story ins lächerliche.
Mit keinem Wort wurde erzuvor in ihre Welt eingebaut, nihct mal eine entfernte Andeutung. Das passt schlichtweg nicht.
War diese Passage von Anfang an geplant? Liest sich zumindest nicht so.

Ansonsten finde ich deinen Schreibstil eigentlich ganz angenehm. Zwar noch mit einigen Holpersteinen, aber dafür recht locker.

grüßlichst
weltenläufer

 

Ja, danke für deine ausführliche Antwort. Mir ist es lieber, die schlechten Dinge der Geschichte präsentiert zu bekommen, denn daran kann ich erkennen, woran ich noch arbeiten muss. Das Ding mit L.A. und Big Ben ist klar mein Fehler, da ich da noch mitten im Korrigieren war. (God save the queen!) Die Sache mit David (und restliche Beantwortungen der offenstehenden Fragen) ist die, dass ich da eigentlich eine längere Geschichte schreiben wollte, aber diese bis jetzt noch nicht fertig ist und so musste "leider" erstmal das Ende herhalten. Aber keine Angst, ich versuche mich stetig zu verbessern, um irgendwann einmal vor meinen Freunden angeben zu können: "Seht mal, ich bin jetzt ein berühmter Schriftsteller." (Wunschträume, die platzen können)
Schöne Grüße, auf weitere hilfreiche Kritik

 

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