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- 06.06.2005
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Ein Tag im Leben eines Langschläfers
Das Aufstehen fällt mir von Tag zu Tag schwerer.
Der Timer erweckt wie immer um 6.30 Uhr meine Anlage zum Leben. Roni Size schmettert sein „Feel the heat“ aus den Boxen und lässt mich aus dem Deckenknäuel aufschrecken.
Der automatische Griff zum Lautstärkeregler bleibt aus, gestern erst habe ich um zwei Stunden verschlafen, oder war das vorgestern, oder am Tag davor…
“Teardrop on the fire...", das ist nicht Roni Size.
„Scheiße!“
7.52 Uhr.
Ich springe aus den aufgewühlten Laken und zerre die alte Boxershort über meine Beine.
„Telefon, wo ist das scheiß Telefon?“
Die Nummer des Büros tippen meine Finger automatisch, zu oft musste ich sie in den letzten Wochen wählen.
„Quazi Designs Burschels“, sagt Olli am anderen Ende der Leitung.
„Ja, ich bins Jo.“
„Hey Jo, was is Ambach?“
“Jau Mann bin voll Phase, hab verpennt.”
„Das wird den Alten aus der Boxe hauen Mann!“
„Sag, ich mach quick.“
„Alles klar“, Olli ist ein guter Kumpel.
Ich hetze ins Badezimmer.
„Scheiße!“, Kissenfalten auf meiner rechten Gesichtshälfte.
So kann ich nicht los, also hab ich einen kleinen Spielraum.
Ich greife zum Toiletten-Papier um mir die Nase zu putzen.
„Rolle leer, Mist!“
Zum Glück liegt ein Paket Tempos auf der Ablage, muss Marion hier vergessen haben. Ich zerre eins heraus und presse den Dreck aus meiner Nase. Ein komisches Quietschen ertönt in meinem Gehörgang und aus dem Augenwinkel sehe ich mein verstörtes, ungebügeltes Gesicht im Spiegel.
Ein Blick ins Taschentuch sagt eine Menge über den gestrigen Abend. Blutkrusten, ich muss mal wieder vom Gas gehen.
Ich atme tief ein, um mein Riechorgan zu testen.
„Johannes.“
„Hä?“
Nichts ist zu hören.
Noch einmal ziehe ich die Luft durch meine Nase.
„Johannes“, so nennt mich eigentlich nur meine Mutter wenn sie sauer auf mich ist, alle anderen nennen mich Jo.
„Wer ist da?“
Ich werfe einen Blick aus der Badezimmertür, Marion ist doch gestern Abend zur Schicht gegangen.
Ich blicke in den Spiegel, atme aus, atme ein.
„Nichts.“
Atme aus, zieh die Luft durch die Nase.
„Sei vorsichtig!“
„Was soll der Mist?“, mit wem rede ich hier?
„Du musst mal wieder vom Gas!“
„Das habe ich doch gerade gedacht!“
„Da hattest Du Recht“
„Ich muss ins Büro, keine Zeit für Gespräche“
„Ich denke, die Zeit solltest Du Dir nehmen!“
„Ich unterhalte mich doch nicht mit meiner Nase“
„Ich bin nicht deine Nase, ich bin der Wind der durch deine Tunnel weht“
„Dann atme ich halt durch den Mund“
Ich habe beim besten Willen keine Lust auf moralische Gespräche am frühen Morgen.
„Du wirst schon sehen.“
Ich reisse eines der Taschentücher in zwei Teile und verschließe den Windkanal.
„So!“
Das Klingeln des Telefons lässt mich aufschrecken.
„Ja?“
„Johannes, sieh zu dass du deinen Arsch hierher bewegst!“, das ist der Alte.
„Die ganze Woche kommst Du schon zu spät und hier kriegst du auch nichts auf die Kette, für den Scheiß bezahle ich dich nicht, verstehst Du? “
Ich entferne den Hörer von meiner Ohrmuschel um mein Trommelfell zu schonen. Die leisen Sprachfetzen dringen nur partiell zu mir durch.
Ich stecke die obere Seite des Telefons in meinem Mund, da gibt es einen so lustigen Höhleneffekt…
Ein Schlüssel dreht sich im Schlüsselloch und Marion betritt die Wohnung.
Aus meinem Mund ertönt das leise Tuten des Besetztzeichens. Ich muss eingeschlafen sein. Die CD ist bei Portishead gesprungen.
Marions lächelndes Gesicht erscheint im Türrahmen, ich reiße überstürzt den Telefonhörer aus meinem Mund.
Ihr Lächeln weicht Verwirrtheit.
Was hat sie da nur für einen Freund, der da in Boxershort hockt, in seinen Nasenlöchern Tempofetzen und sich das Telefon aus dem Mund reißt.
„Musst Du nicht arbeiten heute?“, fragt sie nüchtern.
„Du glaubst gar nicht was mir gerade passiert ist.“