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Ein Tag in einem Bonner Studentenwohnheim
Ich fliege über eine saftig, grüne Wiese an einem sonnigen Frühlingstag. Ich rieche den ästhetischen Duft sprießender Blüten und fühle die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres auf der Haut. Ich fliege und fliege und genieße die Natur mit all ihren auf mich wirkenden Reizen. Ich bin zufrieden, ich fühle mich wohl, ich fühle mich frei.
RRRRING! RRRRING!
Mit schlagartig in die Höhe gegangenem Puls – die Augen noch geschlossen – versuche ich den „Alarm-Reset“ Knopf meines abscheulich klingelnden Weckers zu treffen. Weg sind sie, die idyllischen Gedanken, die mich noch vor einer Minute verzauberten. Stattdessen sehe ich mich mit der Realität konfrontiert. Ich fühle mich noch schlapp und sehr müde, treffe aber immerhin den Knopf, woraufhin sich der penetrante Weckton ausstellt. Ich versuche mit verschmierten Augen die Uhrzeit auf dem Weckerdisplay abzulesen. Es ist 7 Uhr 18. Jetzt bloß nicht wieder einschlafen. Zu meiner Sicherheit schalte ich das große Energiesparlicht an der Decke ein, indem ich mein rechtes Bein unter der Bettdecke vorbeischiebe, es anhebe und gegen den Lichtschalter an der Wand trete. TREFFER! Dann beginnt die Energiesparlampe an der Zimmerdecke, die von einem Ikea-Schirm umgeben ist, immer heller zu werden. Erbarmungsloses Licht! Grell und brennend schmerzt es in den noch an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Und das um 7 Uhr 19.
Meine Augen vor dem fürchterlichen Licht schützend, ziehe ich die warme Bettdecke über meinen Kopf und merke wie die Gedanken wieder abschweifen. Weg vom ungemütlich beleuchteten Studentenwohnheimszimmer, hin zur verzaubernden Naturidylle…
Die Minuten verrinnen wie Sekunden. Einige Zeit genieße ich diesen Zustand, ehe ich erneut auf den Wecker schaue. SCHOCK!! 7 Uhr 44!! Jetzt bin ich plötzlich hellwach. Ich denke klar und rational. Schnell stelle ich fest, dass in 24 Minuten mein Bus zur Uni fährt. Die Linie 638. Ach was, ich fahre einfach mit dem Fahrrad. Also: Aufspringen, dunkelgrüne Vorhänge zurückziehen (grau verhangenen Himmel und Regen nicht beachten; sehr wohl aber registrieren, dass man das Fahrrad besser nicht benutzt), Fenster öffnen, Müsli essen (bzw. sweet flakes aus dem Comet), Zähne putzen, wenn noch Zeit ist duschen (sonst halt nicht) und schließlich zum Aufzug hechten, aber vorher noch die Tür abschließen und zwar mit zwei Umdrehungen, weil sonst jeder Unbefugte mit Leichtigkeit gegen Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetztes verstoßen kann, wenn er über diverse Werkzeuge verfügt.
Ich stehe in meiner Etage und warte – unter Zeitdruck stehend – auf einen der beiden Aufzüge. Der Große gefällt mir besser. Ist halt großräumiger. Fast so groß wie mein Zimmer denke ich dann immer. Zumindest wenn ich allein drin stehe. Leider scheint er auch öfter defekt zu sein, wie scheinbar auch an diesem Morgen. Ich warte und warte und sehe, wie sich die rechte der beiden Aufzugstüren nach einiger Zeit öffnet. Leider ist es nur der kleine Aufzug, der sich mir zur Verfügung stellt, aber immerhin muss ich nicht das Treppenhaus benutzen. Darin fühle ich mich immer wie im Parkhaus. Nichts als Beton und ab und zu die Nummern, die die unterschiedlichen Stockwerke anzeigen. „Und? Wo steht mein Auto? P3?“
Ich steige also in den Aufzug und siehe da: Da steht schon wer drin. Scheint irgendwo über mir zu wohnen und nicht verschlafen zu haben, denn während ich ein müdes „Moin“ herausmurmle kommt mir ein energisches „Hallo“ entgegen. Gut, dann fahren wir gemeinsam bis ‚E’. Der Aufzug fährt an und ein komisches Gefühl in der Bauchgegend macht sich breit. Das tritt auf, seitdem ich hier wohne und die Aufzüge benutze. Manchmal knicken meine Knie dabei etwas ein, manchmal fällt mir was runter. So wie heute: Ich trug einen Mp3-Player in der Hand, der jetzt auf dem Boden liegt. Netterweise kommt mir die andere Person zuvor und hebt ihn für mich auf. Dabei jedoch kann ich mir ein schmunzeln nicht verkneifen während ich innerlich ausgelassen lache, denn wer sich bückt, um einen Mp3-Player aufzuheben und dabei den Blick auf haarige Waden freigibt, trägt wahrscheinlich zu kurze Hosen.
Endlich hält der Aufzug in ‚E’. Ich renne zum Bus und erreiche ihn noch…
Einen halben Tag später, es ist jetzt 18 Uhr 35, komme ich wieder und stehe schon wieder wartend vor den Aufzügen. Diesmal soll es nach oben gehen. Ich freue mich, als sich die linke Tür öffnet und der große Fahrstuhl für mich bereit steht. Leider folgt hier die Ernüchterung schneller als erhofft, als ich bemerke, dass sich schon zwei Personen im Aufzug befinden. „Die kommen dann wohl aus ‚K’“ denke ich!
Ich steige also ein, murmele mein obligatorisches „Hallo“ und schweige. Wie alle anderen auch. Im Fahrstuhl ist das meist so, man schaut sich an, schweigt sich an, denkt sich an. Nur in den seltensten Fällen sagt mal einer einen Ton. Zum Beispiel, dass es stinkt. Ich rieche es nicht, bin es demzufolge anscheinend selbst. Das ist mir aber egal. Ich bin erschöpft und will nicht reden.
Kurz bevor ich aussteige fällt mir auf, dass die Aufzüge von innen gar nicht beschmiert sind. Nicht einen Eddingstrich kann ich auf die schnelle erkennen. Vielen Dank an die disziplinierten Bewohner dieses Hauses!
Dann hält der Aufzug in '9'. Endlich angekommen. Ich verabschiede mich standesgemäß mit einem „Ciao“, das jetzt weder genervt noch müde klag. Es erklang voller Vorfreude. Vorfreude auf mein Zimmer, auf meine Musik, auf mein Essen, auf meinen Abend.
Bon(n)soir!