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Ein Traum
Schweißgebadet erwachte ich. Es war stockfinster, durch das Fenster im Dach sah ich den Mond, eine winzig kleine Sichel, viel zu weit weg um mein düsteres Zimmer zu erleuchten. Ich hatte wieder einmal denselben Traum gehabt, der mich seit Jahren heimsuchte.
Ich befand mich auf einer weißen Ebene, die kein Ende zu haben schien. Ich war geblendet, konnte weder Konturen noch Muster im endlosen, kalten Weiß ausmachen. Erst nach und nach gewöhnten sich meine Augen an die quälende Helle. Ich begann, die Beschaffenheit des weißen Untergrunds zu erkennen, er war von Rissen und unregelmäßigen Linien durchzogen. Langsam konnte ich den Himmel ausmachen, ein etwas schmutzigeres Weiß als das des Bodens. Dann begann ich zu gehen, ziellos, in die gleißende Helle hinein. Meine Gedanken drehten sich, ich begann zu überlegen wo ich mich befand. Erstaunlich dachte ich später, wie präzise meine Gedanken im Traum waren. Dennoch war es mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass ich träumte. Als ich mich bückte und den Boden berührte fühlte ich Kälte, harte, helle Kälte. Ich erkannte, dass ich auf einer endlos scheinenden Eisfläche stand und begann mich zu fragen, wo das Licht herrührte, dass alles in diese unerträgliche Helle stürzte. Es war keine Sonne am Himmel zu erkennen. Erst nach und nach wurde mir bewusst, dass der Untergrund von selbst zu leuchten schien, ein fahler weiß-blauer Schimmer direkt aus dem halb-durchsichtigen Boden. Mich packte das Entsetzen. Wo war ich hier? Wie kam ich hierher? Wie sollte ich diesen unerträglichen Ort des personifizierten Schmerzes jemals wieder verlassen? Durch ein leises Grollen, dass aus dem Eis zu kommen schien und die bis dahin lastende Stille durchbrach, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich begann zu laufen, schnell, immer schneller, meine Gedanken drehten sich in Panik um sich selbst. Ich spürte ein Zittern, das den unsäglichen Boden durchlief, erst schwach, dann immer stärker, je schneller ich lief. Das Grollen des Eises schwoll wellenförmig an, schien sich zu Stimmen zu formen, schwoll wieder ab, aber steigerte sich unweigerlich. Es wurde lauter, immer lauter, der Boden schwankte stärker und stärker, bis ich das Gleichgewicht verlor und fiel. Aber zu meinem eigenen Erstaunen und Entsetzen schlug ich nicht auf, denn vor mir hatte sich eine Kluft aufgetan, wie das Maul eines entsetzlichen Raubtieres, das mich mit Gebrüll verschluckt. Ich fiel, scheinbar endlos, durch eine Welt aus Eis. Die Stimmen wurden deutlicher, je tiefer ich fiel, ich konnte sie beinah verstehen, doch immer wenn ich dachte ich hätte ein bekanntes Wort, ja nur eine bekannte Silbe aufgeschnappt, ging es unverständlicher denn je weiter. Ich hörte die Stimmen vieler Menschen, Männer, Frauen, Kinder, und alle hatten eins gemein: sie klagten, schrien, heulten, kreischten in einer unverständlichen Sprache voller Schmerz, es klang wie das Sterben eines ganzen Volkes, das in unendlicher Qual jammerte, dem Untergang geweiht. Mit einem Mal verstummte das Jammergeschrei. Ich blickte nach unten und das was ich kurz vor dem Aufschlag sah schockierte mich mehr als alles andere: Eine Stadt, konserviert im Eis, eine Metropole, begraben unter der kalten Last der Antarktis.
Schweißgebadet erwachte ich...