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Ein trauriges Geständnis
Ein trauriges Geständnis
Wir saßen zu dritt auf der Couch und starrten gebannt auf die Leinwand. Mit unseren Fingern hatten wir die Macht über Leben und Tot. Flatsch. Der Kopf meines Spielers wurde mal wieder zur Zielscheibe der beiden Mörder.
„Der wievielte Kopfschuss war das jetzt schon?“, fragte ich meine gegnerischen Freunde.
„Ich hab mit dem Zählen aufgehört. Mein Gedächtnis hat nicht so viele Kapazitäten um mir solch eine große Zahl einprägen zu können", beantwortete Michael meine rhetorische Frage.
Er versuchte mit diesem lustig bösen Unterton mir verständlich zu machen, dass es ihm nicht wichtig ist, zu gewinnen. Aber ich wusste es besser. Jedes einzelne Wort meinte er so, wie er es sagte. Es gab nur einen Besten und das musste immer er sein. Ein trauriger Kompensationsversuch, der ihm das Gefühl von Anerkennung und Stärke vermittelte. Dabei kann man diese Leistung, die in einem Computerspiel vollbracht wurde nicht auf sein ganzes Leben übertragen. Wenn es darum ging Unterhaltungen zu führen, wirkte er desinteressiert. Die Angst bot ihm eine Maske an, die er dankend aufsetzte. Er versteckte sich hinter seiner Interessenslosigkeit um sein Nichtssagen zu rechtfertigen. Könnte er sich jemals eingestehen, dass sein Selbstwertgefühl löchrig wie ein Schweizer Käse war? Vermutlich nicht. Es war eben einfacher sich vor der Wahrheit zu verstecken und so zu leben, wie ihn seiner Meinung nach die anderen Menschen sehen wollten.
„Stimmt. Es ist sicherlich verdammt schwierig, sich die Zahl fünf einzuprägen, weil sie wahnsinnig groß ist“, entgegnete ich ihm sarkastisch.
Er zahlte es mir mit einem weiteren Kopfschuss heim und fühlte sich wie der Sieger.
Abends flohen wir alle in unsere Traumwelt. Zuerst gab es ein paar Flaschen Bier. Michael trank die ersten zwei 0,5 Liter Flaschen auf Ex. Herausfordernd hatte er es vorher angekündigt. Er lachte über René und mich, weil wir den Geschmack des Bieres genießen wollten.
„Weicheier“, drang es in unsere Ohren.
Gluck Gluck Gluck.
Mit einem dröhnenden Rölpser feierte er seinen Erfolg.
Zwei Wodka und weitere 3 Flaschen Bier später war alles perfekt. Ich wusste plötzlich wieder, weshalb ich hier war. Da versank in einem See von Erinnerungen.
„Thomas“, schrie Michael mir zu. „Ich bin frei, hier herüber „.
Ich flankte den Ball mit sanfter Präzision in den Strafraum. Er sprang hoch und ihn in den rechten oberen Torwinkel. Freude. Glück. Emotion. Wir liefen aufeinander zu und umarmten uns. Eine Wärme durchdrang meinen Körper, die sich nachher unter der Dusche zu einer Hitze entwickelte. Mein Über-Ich leistete zu diesem Zeitpunkt akkurate Arbeit und ließ den entstehenden Gedanken nicht in mein Bewußtsein vordringen. Es war mehr als Freundschaft das ich für Michael empfand.
Ich wurde unsanft aus meiner Träumerei geweckt als das Geräusch der Türklingel ertönte. Michael tokelte durch die Zimmertür und die Treppenstufen litten knarrend. Als er wieder in das Zimmer eintrat, klebte Jasmin an ihm. Wie sehr ich dieses Mädchen hasste. Sie hat mir Michael weggenommen und ist auch an seiner Verfassung schuld. Nichts erlaubte sie ihm und da sie wußte, dass Micha sich nicht durchsetzten konnte, hatte sie leichtes Spiel. Ich habe schon so oft versucht, ihm dies zu verdeutlichen, aber der Arme ist bis über beide Ohren in diese Hexe verliebt.
„Na Jungs, wieder am saufen, begrüßte sie uns verachtend.
Ich beantwortete ihre Frage mit einem scheppernden Rölpser.
„Schwein“, drang es aus ihrem Mund.
„Hört mal Jungs, könnt ihr mich mal kurz mit dem Micha alleine lassen?“
René und ich schauten uns kurz an und verschwanden kurze Zeit später aus dem Zimmer. Wir gingen ins Wohnzimmer und warteten dort. Micha´s Eltern waren für zwei Tage zu Bekannten gefahren und somit konnten wir uns frei bewegen.
„Hör mal René, findest du nicht auch, dass Micha in letzter Zeit richtig komisch ist?“, fragte ich den introvertierten Jungen.
„Hmmm, ja schon. Es ist doch offensichtlich, dass das mit ihr zusammenhängt...“, stellte er fest.
„Da liegt auf der Hand. Stimmt. Aber ich hab mich ja schon mit ihm zusammengesetzt um eben dieses Thema mal zu konkretisieren. Er ist nicht zugänglich. Die Liebe versperrt ihm den Weg zu seinem Verstand. Das ist wirklich dramatisch, René. Einerseits ist es natürlich toll, dass ein Mensch solche starken Gefühle empfinden kann. Andererseits sind diese Gefühle sehr oft die Ursache einer starken Depression. Wenn Micha seinen Engel nicht sieht, leidet er sehnsüchtig und verkriecht sich in die Welt, wo Jasmin immer an seiner Seite ist. Wir müssen jetzt eingreifen, damit wir ihn nicht verlieren. Damit er sich nicht selber verliert.“
„Und was schlägst du vor?“
„Hmmm, ich weiß es nicht. Keine Ahnung.“
Mir wurde langsam bewusst, dass mir nicht der Verlust eines Freundes bevorstand, sondern die Möglichkeit ihm meine Liebe zu gestehen schwand, solange er mit dieser egoistischen Göre zusammen war. Wären sie nicht zusammen, würde ich es ihm gestehen. Es musste einfach raus. So langsam fraß es mich von innen her auf. Diese Umarmung beim Fussballspiel, das anschließende Duschen, die Abende, die wir zu zweit verbrachten. Ich war mir sicher, ganz tief in ihm drin, loderte das Feuer, dass durch mich entzündet wurde. Es fehlte ihm lediglich an innere Wahrnehmung um dies spüren zu können. Hmmm, war ich dessen wirklich sicher, oder versuchte ich es mir einzureden um einen gewissen Mut aufbringen zu können? René und ich wechselten das Thema und quatschen über sämtliche Sachen.
Als Micha runter kam war Jasmin wohl schon fort. Kurz bevor er im Wohnzimmer erschien, hörten wir die Wohnungstür zufallen. Ein undefinierbarer Blick durchdrang mich. Micha schaute mit toten Augen durch uns hindurch. Hatte sie ihn etwa wieder fertig gemacht und ihm gesagt, dass er nichts tauge, wenn er mit uns zusammen ist? Warum liebte er diese Schlampe verflucht noch mal? WARUM?
„Hey Micha, alles klar“, fragte ich ihn besorgt.
„Sie.....Ihr..... Ihr seid an allem schuld. IHR SCHWEINE“, schrie er während Tränen über seine roten Wangen kullerten.
„Was habt ihr Jasmin gesagt? Redet!“
„Hey Micha, was ist denn los? Was hat sie gesagt. Erzähl...“
„Sie hat mich verlassen. Sie sagte, dass sie mich nie wiedersehen wolle. Deine Freunde und der Alkohol sind dir doch sowieso viel wichtiger als ich. Versuch dich drüber zu freuen.“
Mit aufgerissenen Augen und offenem Mund musterte ich ihn. Äußerlich war ich geschockt, innerlich witterte ich meine Chance. Es war vielleicht egoistisch von mir diesen Gefühlen Vorrang zu lassen, aber wie lange habe ich sie im Schatten versteckt und einen auf guter Freund gemacht. Ich wollte aber diesem Moment ehrlich zu mir und zu meinen Mitmenschen sein. Natürlich würde ich noch etwas mit dem Geständnis warten. Der Schock muss sicherlich erst mal Micha´s Herz verlassen, damit er sich wieder auf etwas neues einlassen konnte.
„Oh mann, das tut mir leid Micha. Komm her, dann trinken wir einen zusammen.“ schlug ich vor.
„Nein, dem Teufelsgesöff und euch habe ich es zu verdanken, dass mein Herz jetzt wie ein Puzzle neu zusammengefügt werden muss.“
Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Langsam kehrte Leben in die toten Augen zurück. Sie blitzten regelgerecht. Es wurde mir ein wenig unwohl, als ich dies beobachtete. Michael bewegte einen Arm langsam in unsere Richtung. Eine Pistole schaute uns düster an. Ich erschrak, als ich begriff was hier los war. Die Freude über das baldige Geständnis verwandelte sich in Todesangst. Eine unangenehme Gänsehaut überkam mich, die sich wie tausend Nadelstiche anfühlte.
„MICHA, bist du wahnsinnig? Dein Leben ist dadurch nicht vorbei. Natürlich tut sowas höllisch weh. Aber es geht vorbei. Wer hat so etwas nicht schon mal durchlebt? Wir helfen dir dabei“, schrie ich ihn verzweifelt an.
„Ihr versteht das nicht. Ich hab jetzt nichts mehr. All meine Liebe hab ich dieser Frau geschenkt. Leer bin ich. Verzweifelt, Gekränkt... Hach...“, die Tränen liefen immer schneller.“
Ich wollte mich bewegen. Einfach weglaufen. Aber der Impuls drang nicht bis zu meinen Beinen durch. Wie versteinert saß ich auf der Couch. Welch ein ambivalentes Gefühl machte sich nun in mir breit. Derjenige Mensch, den ich liebte, stand vor mir und würde mein Leben kurzerhand auslöschen und ich konnte nichts dagegen tun. Die Verzweiflung hatte den Wahnsinn aus seinem Tiefschlaf geweckt und dieser trieb Micha nun an. Allerdings wollte ich nicht einfach so Adieu sagen. Nicht ohne das auszusprechen, was ich schon so lange empfand.
„Micha, du hast nicht ganz unrecht, wenn du sagst, dass ich die Beziehung nicht gut für dich fand. Diese Frau hat dich nicht verdient. Du verdienst es genau so geliebt zu werden, wie du zu lieben vermagst. Michael, schon so lange wollte ich dir das sagen, was jetzt gleich meine Lippen verlässt. Wenn ich schon sterben muss, will ich wenigstens meine Seele reinigen, damit sie in Frieden ruhen kann. Seit unserer ersten innigen Berührung beim Fussballspiel empfinde ich sowas wie Liebe für dich. Ja Michael, viel zu lange hab ich das hinter dem Berg gehalten. Viel zu lange war ich unehrlich zu dir, zu mir und zu der ganzen Welt. Aus diesem Grund wollte ich, dass du die Beziehung zu Jasmin beendest. Nur aus diesem! Jetzt ist es raus!“
Michael schaute uns ungläubig an. Die Augen verfinsterten sich noch mehr. Die weiße Farbe wich einer Schwarzen. Es brodelte in ihm. Ich habe insgeheim mit solch einer Reaktion gerechnet. Aber was hatte ich denn noch zu verlieren? Der Vulkan war kurz davor zu explodieren. Ich schaute mich zu René um und dieser schenkte mir einen angewiderten Blick. Entweder war er angewidert, weil er mir glaubte und es ekelhaft fand oder weil er nicht verstand mit welcher Taktik ich Michael von dem Todesschluß abbringen wollte. Da richtete Michael die Pistole langsam an seine Schläfe. Bevor er abdrückte, sagte er : „ Wenn ich dich jetzt umbringen würde, könntest du nie nachempfinden, wie ich mich jetzt fühle. Daher werde ich mich erlösen und dich in ein salziges Tal der Tränen befördern. Wenn du dann so reagierst wie ich, kannst du wenigstens auch kurz behaupten, richtig zu lieben.“