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Ein turbulenter Nachmittag
Vor einigen Wochen war ich bei meiner Bekannten Sabine eingeladen.
Sabine ist allein erziehend und wohnt mit ihrer siebenjährigen Tochter Annika in einem Vorort nahe Köln. An dem Tag sollten auch ihr Freund Thorsten sowie dessen Sohn Jakob anwesend sein.
Sabine habe ich vor zwei Jahren in einem jener zahlreichen Tagebuchforen kennen gelernt, die es im Internet gibt. Ihr gefielen meine Texte, die sich oft in einer fast schon philosophischen Art mit den Ereignissen des Lebens auseinandersetzten; ich wiederum fand Gefallen an ihrem bewegten Leben, das sie mit ihren Einträgen zum Besten gab.
Jedenfalls hatten wir irgendwann beschlossen, uns auch einmal persönlich kennen zu lernen.
Mit der Zeit hatte sich so eine Freundschaft entwickelt: Wir telefonieren manches Mal miteinander und ich freue mich immer wieder, wenn ich sie und ihre nette Tochter besuchen darf.
Wie üblich wurde ich auch heute herzlich von Sabine und Annika begrüßt; auch Thorsten begrüßte mich freundlich, während sich der fünfjährige Jakob zunächst von seiner schüchternen Seite zeigte. Dies wunderte mich nicht; schließlich sahen wir zwei uns das erste Mal.
Nachdem wir uns alle zum „Small-Talk“ ins Wohnzimmer gesetzt hatten, dauerte es nicht lange, bis es Annika und Jakob langweilig wurde und sie mich ins Kinderzimmer „abschleppen“ wollten. Mein Widerstand war nur halbherzig, da ich die Beschäftigung mit Kindern einer gesitteten aber bisweilen
langweiligen Konversation mit Erwachsenen eher vorziehe.
Im Kinderzimmer angekommen, wurde ich sofort mit den neuesten Postern, Interviews und anderen Zeitschriftenartikeln von „Tokio Hotel“ konfrontiert, die ich mir bei der Hintergrundmusik der gleichnamigen Musikgruppe ansehen musste…ich meine natürlich…durfte (!). Eine ganz besondere Ehre war es für mich, auf dem Bett von Annika Platz nehmen zu dürfen, das, wie konnte es anders sein, mit einer Bettwäsche bezogen war, welches das Konterfei der Mitglieder dieser Band als Motiv hatte.
Ich setzte mich auf Bill…
Mir fiel auf, dass es kleine Eifersüchteleien zwischen Annika und Jakob gab. Ich hatte den Eindruck, dass jeder der Beiden manchmal Sorge hatte, nicht genug Beachtung durch mich zu finden.
Nach einer Zeit kamen wir zu einem weiteren Lieblingsthema von Annika:
Die Modenschau.
Schnell hatten Annika und Jakob beschlossen, dass sie mich als „Model“ ausstaffieren wollten. Eine Modenschau im Wohnschau sollte der krönende Abschluss sein.
Zunächst suchten die Kinder aus dem Kleiderschrank sowie zahlreichen Pappschachteln diverse Bekleidungsutensilien.
Am Ende hatten sie einen zugegebenermaßen etwas extravaganten Hut sowie eine modische Stola für mich ausgesucht. "Leider" war kein passender Rock für mich dabei, so dass mir diese Peinlichkeit erspart blieb.
Das sicher etwas außergewöhnliche „Outfit“ wurde durch einen breiten, mit perlenähnlichen Applikationen versehenen Gürtel abgerundet.
Aber die entscheidende Phase der Vorbereitungen hatte ich noch vor mir: Jetzt ging es ans Schminken!
Hierzu holte Annika ihre ganzen Cremes, Puder und „Glitzer“ hervor. Fachgerecht trug sie zunächst eine Grundierung im Gesicht auf, worauf mit entsprechenden Schminkfarben Betonungen der einzelnen Gesichtspartien folgten. Jakob betrachtete kritisch den Fortschritt und schlug von Zeit zu Zeit Ergänzungen oder Änderungen vor. Zu guter Letzt durfte natürlich die Parfümcreme nicht fehlen;
schließlich wirkt nichts betörender auf den Betrachter, als wenn die Vorstellung einer neuen Bekleidungskollektion durch eine dezente Duftnote unterstrichen wird.
Abschließend sollte das Ergebnis den anderen Erwachsenen im Wohnzimmer vorgeführt werden. Zuvor jedoch mussten noch die angemessenen Bewegungen sowie der Gang eines Models eingeübt werden. Nach zahlreichen „Probeläufen“ im Flur, der uns als Laufsteg diente, konnte dann endlich die Präsentation im Wohnzimmer stattfinden.
Ich muss zugeben, dass ich bereits einige Identitätsprobleme hatte und froh darüber war, kurz danach wieder zu meinem eigenen „ich“ zurückzukehren.
Abschließend tranken wir noch gemeinsam Kaffee und es war auch bald Zeit für mich, wieder nach hause zu fahren. Annika begleitete mich noch die Treppe hinunter zur Haustür und ich ging, mit Freude im Herzen zum Bahnhof.
Dass meine Frau die halbe Nacht im Wohnzimmer schlief, weil ich trotz intensiven Waschens immer noch nach Parfümcreme roch, war sicher ein Wermutstropfen, der aber die Freude über diesen schönen Nachmittag nicht allzu sehr trübte.