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Ein Weihnachtsgeschenk für Lisa
Die fünfte Runde die Moritz durch das Einkaufszentrum drehte begleitet vom fünfzigsten Weihnachtslied. Leise rieselt der Schnee, Jingle Bells, Last Christmas, er konnte es nicht mehr hören, nicht zuletzt weil ihn das Wort Weihnachten oder Christmas jedes Mal unter Druck setzte, begleitet von Schweißausbrüchen und Kurzatmigkeit. Weihnachten war noch nie sein Ding, und Geschenke besorgte er grundsätzlich am 23. Dezember. Anders seine Frau Lisa, die Weihnachten als die schönste Zeit des Jahres betitelt und stets gut durchdachte Geschenke unter den Baum legt.
Warum konnte er sich einfach nicht an die Gespräche erinnern, in denen seine Frau ihm einen Wink gegeben hatte? So wie in den Filmen, wenn ein Paar vor der Auslage eines Juweliers steht, sie mit glänzenden Augen den glänzenden Ring betrachtet und er käsebleich wird beim Anblick des darunter befindlichen Preisschildes. Geld hin, Geld her, dieser Mann hatte das richtige Weihnachtsgeschenk gefunden, das er seiner Liebsten unter die Tanne legen konnte und ihm drei zicken- und migränefreie Tage versicherte. So sehr Moritz auch nachdachte, er musste sich eingestehen, dass er Lisa meistens nicht zuhörte. Warum auch, Lisa spricht einen Satz auf den sie neun folgen lässt, die das Gleiche aussagen wie der erste. Das erkannte Moritz beim zweiten Date vor sechs Jahren, seit dem er nur ungefähr jeden elften Satz den Lisa spricht mit Aufmerksamkeit anhört. Die Zeit dazwischen, schaut er ihr ins Gesicht und beobachtet fasziniert, wie sie es fertigbringt ihre Lippen in einem derartigen Tempo zu bewegen, ohne dass sich der Unterkiefer dabei aushängt. Manchmal hat er das Bedürfnis sich hinter sie zu stellen, um sie auffangen zu können, falls ihr die Luft beim sprechen ausgeht, da er Pausen des Luftholens zur Gänze vermisst.
In den letzen Jahren hat er zumindest gelernt, was eine Frau nicht unter dem Christbaum vorfinden möchte: Staubsauger, Gutschein für einen Weightwatcher Schnupperkurs und keine Pflegeserie für reife Haut. Es war jedes Jahr das gleiche. Die Familie versammelt sich um den Weihnachtsbaum, Oma Trude teilt die Päckchen aus und Lisa hält es mit Begeisterung in Händen. Dann fühlt sie vorsichtig, was unter dem Papier sein könnte. Bis dahin ist noch Spannung und Vorfreude in ihren blauen Augen zu erkennen, doch dann, wenn sie die Goldschleife vorsichtig öffnet und sie durch das mit Sternchen bedruckte Papier vordringt bis zum Inhalt, der darüber entscheidet, ob Weihnachten harmonisch oder eine richtig Stille Zeit wird, kann Moritz sofort erkennen, ob er daneben lag oder nicht. In den Fällen Staubsauger, Gutschein und Faltencreme spielte sich jedes Mal dasselbe Szenario ab. Lisa packte aus, das Funkeln ihrer Augen wich einem zusammengekniffenen Blick, sie presste kurz ihre Lippen aneinander und bemühte sich in der nächsten Sekunde ein erfreutes Gesicht zu machen um Moritz nicht gleich zu zeigen, dass sie sein Geschenk absolut daneben und vollkommen für den Müll fand. Von dem Weightwatchers-Gutschein hat sie sich bis heute nicht ganz erholt. Jedes Mal wenn sie gemeinsam ein Dessert essen, kommen Bemerkungen wie: „Nur keine Angst, Schatz, ich geh dann aufs Laufband“, oder „darf ich mir das erlauben, oder bin ich dir schon wieder zu fett?“ Dabei fand Moritz seine Frau schön, wie sie war und ihre ständige Unzufriedenheit mit ihrer Figur unverständlich.
Moritz setzte sich in ein Café im Einkaufszentrum, er brauchte Koffein das ihn die nächsten Stunden fit halten sollte. Gegenüber dem Café war eine Palmers-Filiale. Ob er ihr ein Nachthemd kaufen sollte, oder gar eine hübsche Unterwäsche, ein Hauch von nichts mit Spitze dran? Keine Frau konnte Unterwäsche schlecht finden, auch nicht seine Lisa, und schon gar nicht Moritz selbst. „Zahlen bitte!“, rief er der Kellnerin zu, die an ihm vorbeilief. Er wollte keine Zeit verlieren, diesmal sollte das Weihnachtsgeschenk kein Fehlgriff werden, dieses Mal würde Lise überrascht sein – positiv überrascht.
Er betrat das Geschäft in dem vom Neglischee -Männertraum bis zum Mieder-Albtraum alles verkauft wurde. Die Leute tummelten sich, die meisten um die Kassa herum, um Gutscheine zu kaufen. Moritz blickte sich vorsichtig um. Er ging zu einer Kleiderstange an der er etwas für seinen Geschmack vermutete und sah sich die Teile einzeln an. „Kann ich Ihnen helfen“, kam einen junge Verkäuferin in grünem Rock und weißer grün-gepunkteten Bluse auf ihn zu und lächelte freundlich.
„Ja, ich suche ein Weihnachtsgeschenk“.
„Ah, für Ihre Frau?“
„Ja, für meine Frau. Ich weiß nicht recht was, und welche Größe.“
„Hier hätte ich ein schönes Nachthemd. Edel, angenehm zu tragen, und sieht supersexy aus. Da können Sie die Größe sicher leichter einschätzen als bei Höschen und BH.“ Die Verkäuferin hielt ihm ein lila Teil aus Seide mit leichten Spitzeneinsätzen vor die Nase.
„Ja, ein Nachthemd, auch keine schlecht Idee“.
„Wie ist sie denn gebaut, ihre Frau? Schlank, groß, klein?“
„Ahm, ja sie ist, nicht ganz groß, auch nicht ganz klein. Sie ist nicht ganz dünn, aber dick ist sie auch nicht.“
„Hm. Das ist nicht ganz einfach. Sehen sie vielleicht eine Dame, die ihr von der Figur ähnlich ist?“
„Ja, die da drüben.“ Moritz zeigte auf eine blonde kurvige junge Frau, die gerade auf dem Weg zur Umkleidekabine war. Eigentlich zeigte er auf sie, weil er sie toll fand, und er sich gerne das Nachthemd an ihr vorstellte.
„Gut, das wäre dann am ehesten Größe 38, hier.“
„Geben Sie mal her, das Nachthemd“, Moritz nahm es der Verkäuferin aus der Hand und ging damit zur Umkleidekabine, wo sich die blonde Frau umzog. Sie öffnete gerade den Vorhang, um sich weiter weg im Spiegel besser betrachten zu können und erschrak kurz, als Moritz hinter ihr stand.
„Entschuldigen Sie, sagte er höflich. Würden Sie mir einen Gefallen tun?“
Etwas unsicher griff die Frau schnell nach dem Bademantel den Sie auch zum Probieren mit in die Umkleidekabine genommen hatte und fragte: „ Was für einen Gefallen? Sind Sie ein Spanner?“
„Nein, ich bin kein Spanner. Ich suche ein Weihnachtsgeschenk für meine Frau. Ich habe jedoch keine Ahnung welche Größe. Wenn Sie das für mich probieren könnten, dann kann ich einschätzen ob es ihr passt oder nicht.“ Selbstbewusst, so als sei es nichts Außergewöhnliches, stellte er ihr die Frage und hielt ihr das lila Nachthemd hin.
„Ahm. Sie sind nicht ganz dicht, oder?“
„Gut, aber wenn ich die falsche Größe erwische, und das Weihnachtsgeschenk wieder daneben geht, und mein Haussegen wieder schief hängt, dann sind Sie schuld.“ Selbst erschrocken über den Blödsinn den Moritz gerade von sich gegeben hatte drehte er um, und wollte schnell aus dem Geschäft verschwinden.
„Warten Sie. Ich mach´s“ rief ihm die blonde Frau hinterher.
Lächelnd drehte Moritz wieder um. „Danke, das ist wirklich nett von Ihnen.“
Kurz verschwand die Frau hinter dem Vorhang und kam im lila Seidennachthemd wieder heraus.
„Moment, warten Sie hier, ich hol die Verkäuferin.“ Moritz eilte zur Verkäuferin die ihn bedient hatte.
Mit ihr gemeinsam kam er zurück. Moritz schaute sich das Prachtweib in lila genau an, von vorne, von hinten und bemerkte: „Na, bei der Figur sieht ja sogar der Sack vom Weihnachtsmann gut aus“. Dann teilte er der Verkäuferin mit: „Gut, dieses Nachthemd, nur zwei Größen größer, dann müsste es auch meiner Frau passen.“
„Also doch Größe 42“ meinte die Verkäuferin.
Kreidebleich stand Moritz plötzlich da und wollte im Erdboden versinken. So knapp war er dran am perfekten Weihnachtsgeschenk, bis jetzt. Als er Lisa hinter sich im Spiegel sah, die alles mit angehört hatte. Sie war selbst in dem Geschäft, um sich etwas zu kaufen, eine schöne Unterwäsche, weil sie sich freute, dass sie in den letzen Tagen zwei Kilo abgenommen hatte.