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Ein wunderschöner Tag

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30.01.2021
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Ein wunderschöner Tag

Rob legte den Brief aus der Hand und strich mit seinen Fingerspitzen gedankenversunken über das braune Holzkästchen, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand. Er spürte dabei die Maserung des Holzes mit ihren Unebenheiten als seine Finger stoisch über die Oberfläche glitten. Sein Blick fiel dabei durch das offene Fenster nach draußen. „Was für ein wunderschöner Tag“, dachte Rob. Er saß am Schreibtisch seines Lieblingszimmers im 1. Stock, in dem er schon so viel Zeit verbracht hatte und spürte die leichte Brise des beginnenden Sommers, die noch frisch und klar Einzug in sein Haus hielt. Den Großteil seines Lebens hatte er hier verbracht, hatte eine Familie gegründet zusammen mit ihr – Ellie - seiner Frau, seiner Liebe!
Mit ihr hatte er dieses Haus ausgesucht, viele Jahre war das jetzt her. Es war ein einfaches Haus und viel Geld hatten sie nie besessen. Aber er war geschickt, konnte seine Hände benutzen und war fleißig. So haben sie es in vielen Jahren Stück für Stück nach ihren Vorstellungen verändert. Haben das alte Fachwerk freigelegt und dem Haus den Charme und Charakter zurückgegeben, den es verdient hatte. Nun war er fast 70 Jahre alt und sie war nicht mehr da.

„Was für ein wunderschöner Tag“, dachte Rob als er die grüne Wiese sah, die sich direkt hinter seinem Haus in die Unendlichkeit erstreckte. Rob liebte den Blick durch genau dieses Fenster nach draußen, es war sein Lieblingsplatz. Hier hatte er oft gesessen, anfangs um zu arbeiten, später um seiner Leidenschaft, der Fotographie, nachzugehen. Er ließ den Blick schweifen, alles war hier noch natürlich und hatte seinen ursprünglichen Charakter bewahrt. Gleich links neben dem Haus standen drei Birken, die eine natürliche Grenze zum Nachbargrundstück bildeten und deren Äste bei dem leichten Wind in einstimmiger Harmonie hin und her wogen. Neben den Birken standen vereinzelt ein paar Büsche, die sich bis zur Grundstücksgrenze erstreckten. Gleich rechts dahinter waren Koppeln abgeteilt, die Schafe und ein paar Pferde von einander trennten. Das Bild strahlte Harmonie und Frieden aus und Frieden war es auch, der sich auf seine Seele legte als Rob das alles mit seinen Augen einfing und den Vogelstimmen lauschte, die an sein Ohr drangen.
Die Pfähle der Koppeln waren aus Eichenstämmen gehauen und standen hier seit Rob denken konnte. Sie waren einfach da und es schien, als ob die Zeit ihnen nichts anhaben könnte. Verwittert waren sie, aufgerissen und grau waren sie und mit einer Patina aus Moosen und Flechten überzogen. Aber sie standen da als wären sie für die Ewigkeit gemacht. Für die Ewigkeit! Rob wusste, dass sie ihn überdauern würden. - Hinter den Koppeln schlossen sich Rapsfelder an, die mit ihrer dominanten gelben Allmacht allem Blühenden die Krone aufsetzten. Schließlich bildete der Wald die natürliche Grenze am Horizont und rahmte Koppeln und Felder ein, ähnlich wie ein schöner Bilderrahmen das mit einem Bild tut und ihm damit erst einen würdigen Abschluss verleiht. „Norddeutschland – diese Landschaft findet man nur in Norddeutschland“, dachte Rob.

Es war ein Tag im Mai mit strahlendblauem Himmel. Draußen wurde es zunehmend wärmer und Rob sah die ersten Schmetterlinge in diesem Jahr an seinem Fenster vorbeifliegen. Für ihn war es jedes Jahr ein besonderer Moment den ersten Schmetterling zu sehen. Waren sie doch die Frühlingsboten in seinem Leben. Für ihn standen sie symbolisch für das Erwachen des Lebens, für die Wiederkehr alles Lebendigen, das im Winter verstummt war. Und dann Mai – alles wurde wieder auf Anfang gesetzt, begann von Neuem. Das Gras auf der Wiese seines Gartens, auf den Koppeln und die Blätter an den Bäumen standen in dem saftigsten Grün, das das Jahr für uns bereit hält. „Ein Paradoxon“, dachte er. Die Ruhe und der Frieden wirkten in dieser Welt aus Hektik, Lärm, Stress fast unnatürlich, weil alles andere um uns herum genau so nicht ist. Es ist ein Widerspruch zu all dem, was unser Leben sonst bestimmt. – Rob versank in seinen Gedanken.
Noch immer glitten seine Finger über die Holzschatulle, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch befand, ohne dass er sie ansah. Es war eine einfache Holzschachtel. Genau so hatte er sie an sich genommen, vor vielen Jahren als sein Vater verstorben war. Er hatte sie aufbewahrt und versteckt, falls er sie brauchen würde. Heute brauchte er sie. Er öffnete den Deckel und nahm etwas heraus, das in einem alten, braunen, abgegriffenen Stück Leder eingeschlagen war. Die Holzschatulle schob er beiseite und legte es vor sich auf den Schreibtisch.
Nachdem er einen Moment inne hielt und es betrachtete, drehte er den Kopf langsam und ließ die Augen durch den Raum wandern. Es war bereits Mittag, sodass die Sonne im Süden stand. Die beiden Sprossenfenster zu seiner rechten fächerten die Sonnenstrahlen auf bis diese den Boden erreichten und ihren Weg nicht weiter fortsetzen konnten. Rob‘s Schreibtisch hingegen befand sich auf der Ostseite. Von hier aus hatte er oft das Erwachen des Tages miterlebt, hatte die glutrote Sonne des Sommers emporsteigen sehen und ihr im Herbst zugesehen, wenn sie die Nebelschwaden auf den Wiesen vertrieb.

„Was für ein wunderschöner Tag“, dachte Rob als er die Bilder seiner Kinder betrachtete. Zwei Tagen waren sie bei ihm gewesen. Christian und Caroline. Caroline und Christian. Seine Frau hatte die Namen ausgesucht und er war sofort einverstanden. Schließlich hatte er damals andere Sachen zu tun, musste schauen, dass er die Familie durchbringt, dass die Bank rechtzeitig ihr Geld bekommt und das Haus fertig wurde. Caroline und Christian waren schon gute Namen. Und Opa war er nun auch schon. Heute Morgen waren sie wieder abgereist, nachdem sie kurz Tage zu Besuch geblieben waren. Es kam nicht mehr oft vor, dass beide Kinder gleichzeitig zu Besuch bei ihm waren. Vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr. Sie waren schon seit einigen Jahren ausgezogen. Beide führten ihr eigenes Leben und Christian hatte bereits selber zwei Kinder.
Er hatte zunächst Jura studiert, war Fachanwalt für Handels- und Wirtschaftsrecht und hatte anschließend noch eine Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer abgeschlossen. Als Partner in einer großen Wirtschaftskanzlei in München zählte er Unternehmer, Manager und vermögende Privatpersonen zu seinen Klienten. Seine Frau Jessica und er hatten vor 4 Jahren eine großzügige Stadtvilla in Harlaching gebaut, einem der besten Viertel von München. 14 Stunden-Tage gehörten für Christian zum normalen Alltag und seine Kinder sah er höchstens abends nochmal kurz, wenn sie nicht schon im Bett waren. Das war der Preis, den er zahlen musste. Jessica hatte erfolgreich als Industriedesignerin gearbeitet bevor die Kinder kamen und begleitet nun einzelne Projekte selbstständig von zuhause.
Rob’s Tochter Caroline war Medizinerin und seit Kurzem Teilhaberin einer orthopädischen Gemeinschaftspraxis in Berlin. Den Schichtdienst und die langen Arbeitszeiten im Krankenhaus war sie leid und wollte wieder mehr Zeit und Lebensqualität haben. Sie hatte sich auf die Endoprothetik spezialisiert und war mit Leib und Seele Ärztin. Mit ihrem Lebenspartner Andreas war sie seit einigen Jahren zusammen, die beiden waren aber nicht verheiratet und hatten auch keine Kinder.
Er war stolz auf seine Kinder, hatten sie doch beide etwas aus ihrem Leben gemacht, waren beruflich erfolgreich und wirkten mit ihrem Leben zufrieden. Aber seine Kinder standen sich nicht besonders nahe und hatten nur unregelmäßig Kontakt zu einander. Dafür waren sie zu verschieden. Während Caroline temperamentvoll, laut und leicht aufbrausend war, war Christian eher sachlich und analytisch. Kam es zu Diskussionen konnte der eine dem anderen oft nicht folgen und sie vertraten unterschiedliche Ansichten. Hingegen verstanden sich Jessica und Andreas gut und bildeten den eigentlichen Kitt zwischen den beiden.
Rob überlegte, ob er ein guter Vater gewesen war. Er hatte nie viel Zeit für sie gehabt, aber er hatte versucht ihnen das Wichtigste zu geben, dass Kinder im Leben brauchen: Liebe! Diese Liebe trug er bis heute in seinem Herzen, auch wenn sich der Umgang verändert hatte. Die Distanz war größer geworden, nicht nur räumlich, und er wusste, dass er an ihrem Leben nur noch am Rande teilnahm. Zwar meldeten sie sich regelmäßig, aber sie brauchten ihn nicht mehr. Früher brauchten sie ihn und er war für sie da.

Langsam und bedächtig wickelte Rob das Leder ab und betrachtete nun, was da vor ihm lag. Es war eine Walther P 38, die Waffe der Wehrmacht. Sein Vater hatte sie nach Kriegsende beiseite geschafft und Rob hatte sie nach seinem Tod an sich genommen. Als Jugendlicher hatte er ihm das Schießen beigebracht und gezeigt, wie man die Waffe zerlegt, reinigt und wieder zusammensetzt. Obwohl es schon viele Jahrzehnte her war und er es nicht mehr oft tat, kannte er jeden dieser Handgriffe. Er hielt sie immer gut geölt, damit sie keinen Rost ansetzt und einwandfrei funktioniert. „Man weiß ja nie“, hatte er sich gedacht. In größeren Zeitabständen holte er sie hervor und stellte jedes Mal fest, dass ihn das Zerlegen und Zusammenbauen der Waffe entspannte. Es waren routinierte Handgriffe, die er geschickt ausübte und dann faszinierte es ihn, wie präzise diese alte Waffe gebaut war.
Unten am Griff war die Verriegelung des Magazins. Rob drückte sie nach hinten und zog das Magazin heraus. Es war komplett mit 9mm Patronen gefüllt. Er hielt es zunächst prüfend in der Hand als würde er das Gewicht abschätzen, dann ließ er es spielerisch durch seine Finger gleiten. Schließlich steckte es wieder zurück in die dafür vorgesehene Öffnung bis es eingerastet war. Nun legte er die Waffe in seine offenen Hände, die auf dem Schreibtisch abgestützt waren und betrachtet die linke Seite der Walther. Hier waren der Schlittenfanghebel, die Flügelsicherung und der Ausschwenkerknopf zum Zerlegen der Waffe zu sehen. „Sie liegt perfekt in der Hand“, dachte Rob. Der Schlittenfanghebel und die Flügelsicherung waren beide gut mit dem Daumen erreichbar und ließen sich leicht bewegen. Rob begann mit der Flügelsicherung zu spielen, bewegte sie hoch und runter, immer wieder und ließ seinen Gedanken dabei freien Lauf.
„Ellie, meine Ellie“, seine Blicke wanderten durch den Raum und blieben am Bild seiner Frau hängen. 45 Jahre waren sie verheiratet bis sie schließlich vor 4 Jahren gestorben war und ihn alleine zurückgelassen hatte. „Einer von beiden ist immer der Letzte“, dachte er. „Weißt du eigentlich wie sehr ich dich geliebt habe, mein Ellie? Das ist nicht fair. Das ist einfach nicht fair“, sprach er leise vor sich hin. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er stand auf, sah sich um und ging dann langsam, fast zögerlich, durch den Raum hinüber zu einem kleinen Ecktisch auf dem ein Plattenspieler stand. Der alte Dielenboden knarrte bei jedem seiner Schritte. Vor einem Regal blieb er dann stehen und suchte mit den Augen die Plattensammlung ab. Schließlich zog er das Album „Help!“ von den Beatles heraus, betrachtete kurz das Cover und legte die Platte anschließend mit der Rückseite nach oben vorsichtig auf den Plattenteller. Er schaltete das Gerät ein und als die Platte sich zu drehen begann, nahm er ein kleines Staubtuch und drückte es vorsichtig gegen die Oberfläche. Behutsam nahm er den Tonarm und führte ihn zum vorletzten Song des Albums - es war das Lied „Yesterday“. „Für dich, meine Ellie, weil du es so geliebt hast“, flüsterte er. Als die ersten Töne erklangen nahm er die Waffe wieder in die Hand, die er vorher auf dem rundgewölbten Deckel einer alten Holzkiste abgelegt hatte. Langsam ging er durch den Raum, dem die braunen, freiliegenden Fachwerkbalken einen ebenso rustikalen wie gemütlichen Charme verliehen. Er blieb vor ihrem Hochzeitsfoto stehen. „Robert und Elisabeth Bergmann – 18. Mai 1974“ stand darunter. Das war heute vor 45 Jahren. – Rob begann sich zu den Klängen der Musik zu bewegen, erst ganz langsam, dann mehr und mehr. „Dieser Song ist der meistgecoverte Song auf der Welt, aber keiner singt ihn so wie Paul McCartney“, dachte Rob. Die Walther hielt er immer noch in seiner Hand und bewegte sie wie einen Taktstock auf und nieder, während sich sein Körper in harmonischem Einklag mit den Rhythmen der Musik befand. „Why she had to go, I don’t know, she wouldn’t say…“, sang er leise zusammen mit Paul McCartney.

Als die letzten Klänge von Paul‘s Gitarre schließlich verstummten, blieb er vor dem Schreibtisch stehen. Sein Blick fiel dabei auf den Brief, der neben der Holzschatulle auf der Schreibunterlage lag. „Dr. med. Michael von Dercks“ war darauf zu lesen sowie „Befund“. Rob ließ sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl fallen und betrachtet das Schriftstück. Dann hob er die rechte Hand, in der sich die Walther befand und setzte sie an seine Schläfe. Er spürte das kühle Metall des Laufes. „Ich komme, Ellie“, sprach er kaum hörbar. Sein Griff wurde nun fester und langsam, ganz langsam begann er den Abzug durchzuziehen. Er hatte den Schlitten der Waffe vorher nicht gespannt, ihn nicht zurückgezogen und wieder nach vorne gleiten lassen, sonst wäre bereits eine Kugel im Lauf gewesen. Das musste er nun über den Abzug machen. Es war der längere Weg, den der Zeigefinger zurücklegen musste, da die Patrone erst aus dem Magazin in den Lauf überführt werden musste. So wurden Sekunden zur Ewigkeit. Ruhe breitete sich in seinem Körper aus und sein Atem ging tief und gleichmäßig. Seine Gedanken suchten nicht mehr, fragten nicht, ob er alles richtig gemacht hatte, ob er es nochmal so machen würde, bohrten nicht nach einem „warum“ oder „warum nicht“. Seine Gedanken waren frei und ließen ihm seine Ruhe. Er blickte nicht auf sein Leben zurück, auf all die Stationen, die er durchlaufen hatte, die guten und die schlechten Dinge in seinem Leben. Es war kein Film, der sein Leben noch einmal wie eine Kinovorführung ablaufen ließ. Er war nur bei sich selbst, spürte noch einmal intensiv seinen Körper, spannte seine Muskulatur kurz an und ließ die Spannung wieder gehen. Seine Gesichtszüge entspannten sich und seine Mundwinkel ließen ein natürliches Lächeln erkennen.
Als die Kugel sich löste und seine Schädeldecke durchschlug, sah er aus dem offenen Fenster nach draußen - wie er es immer geliebt hatte - und während der Knall noch verhallte, sackte sein lebloser Körper über dem Schreibtisch zusammen. Blut sickerte aus seiner Schläfe und breitete sich auf der Schreibtischplatte aus bis es schließlich den Brief erreichte und seinen Rand in ein tiefes Rot tauchte.

Draußen bewegte der Wind die Äste der Birken mit ihren frischgrünen Blättern sanft im Wind und eine Sommerbrise zog ins Haus. Die Schmetterlinge tanzten in der Luft und umschwärmten den Sommerflieder vor seinem Haus. Es war Mai - der Himmel war strahlendblau und draußen war es angenehm warm. Alles war zu neuem Leben erwacht - es war ein wunderschöner Tag.

 
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Hola @Mr.B.,

die Idee, an einem wunderschönen Tag 'bye-bye' zu sagen, ist klasse. Die Einsicht ins Unvermeidliche erfordert einen ganzen Kerl (oder Frau, wegen dem Gendergedöns).
Hättest beinahe den 'Philosophisches'-tag nehmen können.

Erst einmal Dehnungsübungen:

Er ließ den Blick schweifen …
Diese Floskel lese ich seit gefühlt hundert Jahren. Gäb‘s da nicht etwas Originelleres?

Hier hatte er oft gesessen, … … um seiner Leidenschaft, der Fotographie, nachzugehen.
Fotografie oder Photographie
Ich kann mir schlecht vorstellen, wie er da sitzt und fotografiert. Das Motiv ist ja unveränderlich, okay, Jahreszeiten und Lichtverhältnisse können verblüffen, doch mit Fotografieren verbinde ich automatisch Beweglichkeit.

in einstimmiger Harmonie
weißer Schimmel :sconf:

… auf seine Seele legte K als Rob das alles mit seinen Augen einfing und den Vogelstimmen lauschte, die an sein Ohr drangen.
Das Kursive würde ich weglassen, schließlich ist es Voraussetzung, dass er lauschen kann.

Hinter den Koppeln schlossen sich Rapsfelder an, die mit ihrer dominanten gelben Allmacht allem Blühenden die Krone aufsetzten.
Schön und kreativ, gefällt mir.

„Norddeutschland – diese Landschaft findet man nur in Norddeutschland“, dachte Rob.
Mir ist das zu pauschal – zu groß sind die Unterschiede zwischen dem Land an Ost- oder Nordsee. Rob würde mMn den Landstrich genauer benennen, sich mit ihm identifizieren wollen, nach all den Jahren.

Für ihn war es jedes Jahr ein besonderer Moment K den ersten Schmetterling zu sehen. Waren sie doch die Frühlingsboten in seinem Leben. Für ihn standen sie symbolisch für das Erwachen des Lebens, für die Wiederkehr alles Lebendigen, das im Winter verstummt war.
Das Fette will das Allgemeine für Rob exklusiv machen. Aber das ist unangebracht – jedermann empfindet das so.

Und dann Mai – alles wurde wieder auf Anfang gesetzt, begann von Neuem. Das Gras auf der Wiese seines Gartens, auf den Koppeln und die Blätter an den Bäumen standen in dem saftigsten Grün, das das Jahr für uns bereit hält.
Lieber Mr.B. – das ist um Gottes Willen keine Kritik, allerdings könntest Du den Mai farbiger und intensiver schildern. Grünes Gras und ebensolche Blätter sind etwas mager für diesen Prachtmonat, wo alles, wirklich alles blüht. Natürlich geht‘s um den Hauch Philosophie, den Gehen und Werden so an sich haben:Pfeif:.

„Ein Paradoxon“, dachte er.
Das allerdings sehe ich nicht in diesen ewig wiederkehrenden Abläufen.

Die Ruhe und der Frieden wirkten in dieser Welt aus Hektik, Lärm, Stress fast unnatürlich, weil alles andere um uns herum genau so nicht ist.
Das hat alles seine Richtigkeit, so ist es nun einmal. Aber: Der Rob ist schon länger in ruhigerem Fahrwasser, er hat sich ausgeklinkt, kennt den Trouble der Welt mehr aus den Medien, als dass ihm das ganze Gehetze um Geld und Anerkennung die Ruhe nehmen könnte.
Er hat seine ruhige grüne Ecke gefunden und weiß, dass es noch Millionen weiterer gibt und er keinen Sonderstatus hat.

Es ist ein Widerspruch zu all dem, was unser Leben sonst bestimmt.
Das kommt mir wie eine etwas simple Klassifizierung des Lebens und der Welt vor – dem Rob würde ich mehr Einsicht zutrauen, der kennt doch die Welt.

… fächerten die Sonnenstrahlen auf K bis diese den Boden erreichten und ihren Weg nicht weiter fortsetzen konnten.
Das Kursive wäre entbehrlich.

Zwei Tagen waren sie …
Er hatte zunächst Jura studiert, war Fachanwalt für Handels- und Wirtschaftsrecht …
Bei dieser Rückblende allerdings verlor ich den Spaß am Text, es wird zu geschwätzig.
Ich lese Banales, von Harlaching (!), von Industriedesignerin, Medizinerin, Endoprothetik (!),
Kinder hier, keine Kinder dort.
Tja, das ist viel Text, der mir – dem Leser – kein Leseerlebnis vermittelt. Allerweltszeugs eben, austauschbar; könnte ich auch beim Friseur lesen, (oder hören:D)pardon.

Ganz anders wirkt auf mich die sehr ausführliche Beschreibung der Pistole. Nicht, dass mich dieses Thema interessierte, doch die hat eine Funktion in der Geschichte und die distanzierte Sachlichkeit dazu hilft Robs Entscheidung zu verstehen.
Jedoch:

… und betrachtet die linke Seite der Walther. Hier waren der Schlittenfanghebel, die Flügelsicherung und der Ausschwenkerknopf zum Zerlegen der Waffe zu sehen. „Sie liegt perfekt in der Hand“, dachte Rob. Der Schlittenfanghebel und die Flügelsicherung
Oh, das habe ich nicht kommen sehen – jetzt strapazierst Du den Leser! So viele Details sind überflüssig. Du verhedderst Dich und ich werde säuerlich.

Doch jetzt werde ich echt sauer:

Einer von beiden ist immer der Letzte“, dachte er.
Das, finde ich, solltest Du Deinen Lesern nicht zumuten.

Ich scrolle, um zu erfahren, wie viel ich noch lesen müsste, um das Ende zu erreichen.
Leider geht es in dieser für meinen Geschmack überzogenen Kleinteiligkeit weiter und weiter …

Kein Problem. Ich hatte Deinen Text bereits mittags überflogen, und schon da fand ich Deine Art zu schreiben sehr angenehm – ein Greenhorn bist Du jedenfalls nicht.
Du formulierst prima, der Text fließt. Das ist auch der Grund, solange weiterzulesen, trotz der akribischen Beschreibungen. Doch, wie schon gesagt, Du solltest kürzen und straffen, mMn.

Es fehlt der Plot, der eine Entwicklung erfordert, und damit das Interesse des Lesers kitzelt. Dass Du jedoch Deine Geschichte sozusagen rückwärts erzählst, ist auch kein Problem, nur müsste dann statt des üblichen Ablaufs in den Rückblenden Interessantes aus Robs Leben (aber wirklich Interessantes:eek:!) erzählt werden, damit der Leser auf seine Kosten kommt.

Dieses Mal bin ich das leider nicht. Aber was heißt das schon?
Viele Grüße!

José

 

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