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Ein Zeichen

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21.01.2009
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Ein Zeichen

Irgendwann steht Schröder auf, nimmt sich einen Spaten und beginnt ein Loch in den Rasen zu graben.
Kalle und ich bleiben auf der Terrasse sitzen und sehen ihm dabei zu.
„Was machst du da?!“, fragt Kalle nach einigen Minuten.
„Ich grabe ein Loch!“
„Das sehe ich! Aber warum?!“
„Nur so!“
Kalle steht auf, geht ins Haus und holt zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Es ist ein heißer Tag. 28 Grad im Schatten. Kein Wind. Unerträglich. Ich öffne die Flaschen mit einem Feuerzeug und proste Kalle zu.
„Schon gehört, dem Meier ist seine Frau weggelaufen“, sagt Kalle, nachdem er getrunken hat.
„Klempner-Meier?“
„Nee, meinem Nachbarn. Der mit dem Ford-Mustang.“
„Ach …“
Wir sehen zu Schröder hinüber. „Was, um Himmels Willen, machst du da?!“
„Loch graben!“, ächzt Schröder, der mit puterrotem Kopf Grassoden aus dem Boden hebt.
„Willst du einen Baum pflanzen, oder was?!“
Schröder antwortet nicht.
„Jedenfalls ist Meiers Frau mit ihrem Tanzlehrer durchgebrannt“, fährt Kalle fort.
„Na klasse …“
„Einem argentinischen Tangotänzer.“
„Nach Argentinien?“
„Nach Bottrop“, sagt Kalle.
„Ach …“
Kalle steht auf und spannt den zweiten Sonnenschirm auf. Schröder hat mittlerweile eine kreisrunde Fläche von der Größe eines aufblasbaren Planschbeckens ausgehoben und arbeitet sich nun in die Tiefe.
„Naja, Meier und sein Schichtdienst … und seine Freizeit verbringt er sowieso nur in oder am oder unter dem Mustang. Kein Wunder also.“
„Tja“, sage ich.
„War der Caro immer ein Dorn im Auge“, sagt Kalle.
„Wem?“
„Meiers Frau.“
„Ach so.“
Schröders Haare kleben an seinem Schädel. Auf seinem grauen T-Shirt haben sich große Schweißflecken gebildet. Er arbeitet schnell und ohne Unterlass, steht knietief im geschaufelten Loch.
„Weißt du, was er da macht?“, fragt Kalle nach einer Weile.
Ich hebe die Schultern. „Keine Ahnung.“
„Jedenfalls ist die Caro letzten Samstag mit ihrem argentinischen Tanzlehrer durchgebrannt. Nach Bottrop.“
„Was, um Himmels Willen, will sie in Bottrop?“, frage ich.
„Keine Ahnung.“
Wir sitzen da und sehen Schröder beim graben zu. Die Erde fliegt im Sekundentakt auf einen schnell höher werdenden Hügel. Ich nehme meine Bierflasche und gehe zu ihm. Die Sonne brennt erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel. Schröder keucht, während er die Kanten des Lochs mit kraftvollen Spatenstichen vertieft. Der Schweiß rinnt ihm in Bächen über das glutrote Gesicht. Die Adern an seinem Hals drängen wie prallgefüllte Wasserschläuche nach außen.
„Was soll das werden, Schröder?“
„Loch graben“, schnauft er.
„Das seh ich, Mann. Aber wozu Loch graben?“
„Zeichen setzen“, schnauft Schröder.
„Zeichen setzen? Was für`n Zeichen?“
Er reagiert nicht, schaufelt weiter, schnell, als gehe es um sein Leben.
„Schröder?“
Er ignoriert mich. Ich zucke mit den Achseln und setze mich zurück in den Schatten. Kalle hat frisches Bier geholt.
„Und …? Was macht Schröder da?“, will er wissen.
„Er setzt ein Zeichen.“
„Was für`n Zeichen?“
„Keine Ahnung.“
Wir trinken schweigend. Ich sehe auf meine Uhr. Viertel vor 4.
„Meier hat jedenfalls dicke Backen gemacht, als seine Frau die Koffer packte und abrauschte“, sagt Kalle irgendwann.
„Kann ich mir vorstellen.“
„Aber er hat ja seinen Mustang.“
„Immerhin etwas“, sage ich.
„Der Argentinier ist angeblich so ein sechsundzwanzigjähriger Latino-Typ. Hat wahrscheinlich einen Schwanz wie ein Stier.“
„Hm“, mache ich.
„Naja, warum sollte Caro sonst mit dem durchbrennen“, sagt Kalle.
„Keine Ahnung.“
Schröder steht unterdessen bis zu den Hüften im Erdreich. Ich frage mich, wann er wohl an einem Hitzschlag stirbt, und ob er es merkt, oder ob er einfach weitergräbt, obwohl er bereits tot ist. Zuzutrauen ist ihm alles.
„Frage mich nur, was er mit Caro will?“, sagt Kalle jetzt.
„Wer?“
„Na, der Latino.“
„Ach so.“
„Naja“, sagt Kalle, „die Caro sieht zwar ganz passabel aus, doch sie ist auch schon Mitte vierzig. Und großartig Kohle hat sie nicht und bei Meier ist auch nichts zu holen.“
„Tja.“
„Aber vielleicht stehen die Latinos ja drauf“, überlegt er.
„Keine Ahnung.“
Schröder ist plötzlich verschwunden, was mir seltsam vorkommt. Ich habe ihn nicht weggehen sehen. Ich lasse meinen Blick durch den Schrebergarten schweifen, kann ihn jedoch nirgends entdecken. Kalle sieht mich fragend an. Wir erheben uns gleichzeitig und treten an das Loch heran. Schröder liegt auf dem Rücken und starrt in den Himmel. Zumindest lebt er.
„Alles klar mit dir?“, fragt Kalle ein wenig irritiert.
Schröder antwortet nicht.
„Was machst du da?“, will ich wissen.
„Ich warte“, sagt Schröder.
„Worauf? Auf schlechteres Wetter.“
Schröder schweigt.
Wir stehen da und starren ihn an. Er hat die Arme seitlich ausgestreckt und die Füße übereinander gelegt. Er erinnert mich an einen Jesus in einem Erdloch.
„Der spinnt“, sagt Kalle nach einer Weile.
Wir setzen uns wieder auf die Terrasse und zünden Zigaretten an.
Wir rauchen schweigend.
„Vielleicht kann sie gut tanzen“, sage ich schließlich.
„Wer?“
„Meiers Frau.“
„Noch`n Bier?“
Ich nicke.

 

Hallo machaczek

und willkommen auf kg.de :)
Herrlich absurd das ganze. Allerdings kopierst du hier im Prinzip die Dialogidee von "Trallala".
AUf jeden Fall gehört diese Geshcichte nicht in die Rubrik "Alltag".
Ich schlage dir "seltsam" oder "sonstige" vor.
Wohin soll ich die Geshcichte verschieben?

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

ich bin mir nicht immer sicher, in welche Rubriken die jeweiligen Geschichten gehören. Mag sein, dass das ganze ein wenig absurd ist, aber ist es das wirklich? Ist es nicht auch alltäglich? Im Grunde genommen habe ich grundsätzlich Probleme mit dem Kathegorisiere. Aber wenn du meinst, dann verschiebe diese Geschichte in die Rubrik "seltsam". Da passt sie dann wohl eher hin als in die Rubrik "sonstige".
Ob es sich bei den Dialogen um die Kopie der Dialoge von "Trallala" handelt, mag ich so nicht ganz stehen lassen. Es ist vielmehr so, dass ich diese Art von Dialogen liebe und dass sie sich im Laufe der Jahre immer mehr als eines meiner Stilmittel herauskristallisiert haben. Ich mag es lakonisch.

Gruß Machaczek

 

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