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Sorry für die nervigen "Absatz - Striche", ich überlege die Geschichte nem Selfpublisher Verlag zu geben. Nur für mich, damit ich den Spaß als gebundene Novelle habe.
Da bin ich allerdings an ein Format gebunden, dass die Seiten- und Kapiteltrennung schwierig gestaltet.
Möchte einfach sehen ob es doll nervt.
Eine Örnopie
Teil 1
Drei Tage mit Örnie
Prolog
Kelle ist ein alter Freund der Familie, er rief mich gestern komplett aufgeregt an. Er hat eine Bahnbrechende Erfindung in seiner Küche stehen. "Örnie, ich kann dir das nicht erklären, das musst du sehen."
Hier stehen wir nun, meine Nichte und ich. Wilhelmsburg, Hamburg.
"Wie lange bist du nicht mehr hier gewesen Nichte?", frage ich.
"Seit der Scheidung gar nicht. Ist er denn noch immer nicht darüber hinweg?", antwortet sie.
"Spreche ihn bloß nicht auf Tönnies, Fußball oder generell Sport an", warne ich sie, "nachdem er die Scheidung weinend mit einem DAB in der Hand vollzogen hat, kann er nicht zurück. Ein Schalker, der in der gelben Wand ein Dortmunder Aktiengeplör trinkt, kann nicht mehr Fan sein, sagt er."
Wir klopfen an die Tür. "Wer da?", fragt eine vertraute Stimme.
"Guten Abend! Könnte ich hier eine Weile unterkommen? Das Wetter draußen ist unerbittlich."
"Ha, Glück Auf, der Örnie", lacht Kelle und reißt die Tür auf, "Setzt euch nur, Herr. So ein Wetter kennt man hier - der Wind kommt vom Meer, und er meint es nicht gut mit uns." Meine Nichte geht kopfschüttelnd an uns vorbei: "Der Schimmelreiter, ihr seid so peinlich, ey."
"Hallo Mademoiselle Bemlaida, klar, lass die Schuhe ruhig an."
"Einfach Nichte, bitte Kelle. Du weißt, ich hasse diesen Namen."
"Gut okay, aber frisch bitte meine Erinnerung auf, was hat der noch gerade für eine Bedeutung?"
"Die mystische Heilerin und Wächterin des verborgenen Wissens und jetzt bitte Themawechsel. Was bitte ist hier los?"
Kelle nimmt Haltung an und spricht stolz: "Ich habe euch auf die Insel gebeten, um euch meine neueste Erfindung zu präsentieren. Folgt mir in die Brauerei."
Bemlaida steht vor Stapelweise Hopfen und Gerste in Säcken, kratzt sich irritiert am Kopf, dreht sich im Kreis und blickt sich in der Wohnung um. "Kelle man kann dein Badezimmer nicht betreten."
"Das ist kein Badezimmer, das ist die Gär- und Lagerküche", erklärt er. Im Badezimmer steht tatsächlich ein raumfüllender Gärtank.
"Du musst hier auf dem Klo sitzend duschen und Zähne putzen", schallt es von meiner Nichte aus dem Bad.
Kelle aber lässt sich nicht beirren und schickt mich in die Küche. Mit weit geöffneten Armen steht er da: "Herzlich willkommen im Sudhaus Örnie."
"Geht es dir gut?", frage ich ehrlich besorgt.
Kelle antwortet: "Besser denn je. Fußball, Politik und Kriege, das ist doch alles scheißegal. Ich braue hier mein eigenes Bier mit diesem Ding." Er zeigt auf einen Gulaschkessel: "Hiermit produziere ich jede Woche dreißig Liter. Ich habe vier Thermomixer TM 21 zusammengeschaltet, das Rührwerk in den Pott eingebaut und das Programm gehackt, voll automatisch wird mir hier Bier gebraut. Reproduzierbar und vor allem knallt es ordentlich."
"Okay, find' ich geil", sag' ich.
"Kommt mit in den Schankraum, das erste Fass habe ich schon angestochen."
Kelles Schankraum ist sein Wohnzimmer. Ein absolutes Highlight. Dort sitzt man auf rustikalen Eichenbänken, über Eck am edlen Kirschbaumteak. Ein tief hängender Kronleuchter aus angelaufenem Rotkupfer strahlt für einen Billardtisch, der den Rest des Raumes einnimmt. Dort, wo einst auf einem Schrein der Uefa-Pokal von 1997 präsentiert war, steht nur noch ein verwaschenes Bild von Kelle, Arm in Arm mit Rudi Assauer.
Er schenkt uns aus dem Fass ein und prostet Rudi zu: "Wenn du doch gesund geblieben wärest, du hättest niemals zugelassen, dass Schalke von so einem je regiert wird."
"Es ist doch Jahre her mein Freund", hebe ich mein Glas und proste ebenfalls in Richtung Rudi.
"Pah, die sollen mehr Kohlekraftwerke bauen hat der Tönnies gesagt, damit sie im Dunkeln nicht mehr so viele Kinder zeugen. Nein, Örnie, Schalke und ich sind geschiedene Leute, nur Rudi ist mir geblieben. Und jetzt trinkt meinen Götterpunsch, eines Tages wird er unser Leben verändern."
Wir trinken das Bier und ja, es schmeckt einfach gut. Kein Ale Punsch, sondern ein gutes Pils, süffig und leichter Hopfen im Abgang. Kelle sieht uns direkt an, dass wir an seinem Bier gefallen haben. "Ah, was habe ich gesagt, mit meinem Beer-Predator 5000 ist so einiges möglich. Wollt ihr noch Aal oder Zander dazu? Ich räucher gerade so allerhand im Garten." Er wartet unsere Antwort gar nicht erst ab, steht auf, zieht Handschuhe und Lederschürze an und verschwindet nach draussen.
"Örnie, Beirut ist gerade in die Luft geflogen. Da waren wohl Feuerwerkskörper im Hafen gelagert, da kam es zu einer Kettenreaktion."
"Was? Zeig mal Nichte", sie startet ein Video und reicht mir ihr Smartphone. "Was ist das für ein Pilz? Ach, du scheiße! Beirut ist komplett zerstört!"
Der Ofen - Tag 1
Es ist Ende März, die Terrasse ist wieder eröffnet. Die Professoren von nebenan kommen in den Genuss vom Tageslicht und die Nachbarschaft darf wieder teilhaben an Holsten Edel, Zigaretten und nur dem HSV.
"Der Dorsch ist der atlantische Kabeljau, wenn ich es dir doch sage", höre ich jemanden übertrieben wichtig sagen: "Verarsch mich nicht, ich hab Kabeljau gegessen und Dorsch gibt es gefühlt jeden Dienstag. Das schmeckt anders, das sieht anders aus, das'n anderer Fisch", entrüstet sich sein gegenüber. "Genau, und außerdem ist da Panade an dem Kabeljau. Den frittierst du. Das würd ich mit nem Dorsch ja nie machen" ,mischt sich der Tisch von nebenan ein. "Nein, nein. Was seid ihr denn für Trinkwassermatrosen alle zusammen", springt Vogel Nummer Eins wieder ein, "Das ist ein und derselbe Fisch, genau wie Deutschland im Ausland ja auch nicht Deutschland heißt. Da heißen wir ja auch Germanie oder El Alleman."
Diese Unterhaltung ist gold, denke ich. Sitze wunderbar unter meinem Sonnenschirm und trinke einen Kaffee, auf meiner Terrasse. Vom Ofen trennt mich nur eine 1,50 Meter hohe dichte Hecke.
"Los komm wir trinken noch einen.", sagt die neue Stimme. "Wie alt bist geworden fremder Mann?", ah ja, Manni ist auch wieder da.
"So, bitte die Herren. Zwei edle Biere, wohl gefällt's", das ist Ralf, die Stimme kenne ich. "Weißt du Ralf, du bist mir im Leben der zweitliebste Wirt", spricht Manni euphorisch. "So so, der zweitliebste also", entrüstet sich Ralf. "Der erste ist im Zuchthaus gestorben." Und alle lachen los.
Ich verstehe es bis heute nicht. Manni macht diesen Witz einfach jedes Mal, zugegeben, er schafft es, ihn wie einen nie gehörten wirken zu lassen, aber das Level an Humor erschließt sich mir einfach nicht.
Gedanklich bin ich gerade eigentlich eher bei den aktuellen Nachrichten. Ich frage mich tatsächlich, worauf die USA als Nächstes ihr Augenmerk legen, nachdem sie sich aus Europa zurückgezogen haben werden, denn Trump erzählt doch Quatsch, wenn er behauptet, die USA würde sich ab sofort mehr auf sich konzentrieren. Die haben Waffen! Ne Menge Waffen, und die werden von den Staaten auch benutzt. So war es immer und Trump ist nicht derjenige, der diesen riesigen Militärapparat still liegen lässt. Die USA werden, genau wie Israel, ein starkes Interesse am syrischen Luftraum haben. Taiwan, China könnte es sein. Oder das Nordpolarmeer?
Deutschland schaut derweil in Richtung Jerusalem und verurteilt die Siedlungspolitik im Westjordanland öffentlich. Politische Kritik an Israel ist verdammt selten, aber es ergibt insofern Sinn, dass sich Deutschland, bzw. Europa, mehr auf sich und die Ukraine konzentrieren. Mit dem Nahen Osten will Europa nichts zu tun haben.
Ich habe keine Ahnung ..., vielleicht stell' ich die Frage im Ofen.
"Der Trump bringt uns den Frieden, der macht auf Kumpel mit Putin und fickt die Ukraine!", sagt so'n Typ am Tresen sitzend, mit drei schwarzen Stumpen im Maul, die nach vorne stechen, als er redet, sein verwaschenes Cap trägt er zielsicher nach hinten und trinkt genüsslich an seinem Bacardi Cola. "Der übernimmt die ganzen Kernkraftwerke, ...", noch ein Schluck, "der wird die Ukraine besetzen, sich alle Bodenschätze in die Taschen stecken und dann wird der Trump schön alles nach und nach dem Russen geben. Damit der Putin dem Chinesen auf den Sack geht", philosophiert er weiter.
"Ich hab Geburtstag", stellt sein Bier neben den Deckel ab, "darum sag' ich da jetzt auch mal was!", viel zu laut, "Wir sind genau eine Wahl hinter Trump und diese Wahl kommt schon bald. Diese ganze scheiße da, die pumpen tausend Milliarden in irgendwelche", Pause ...", ich nehme noch 'n Helbing, ...", den er auch prompt eingeschenkt bekommt, "... Kriegs-scheiße!".
"Bald zahlen wir mit unseren Zigaretten", zischt es zwischen den Stumpen her. "Darauf Prost", sagt der Geburtstagsidiot, kippt den Helbing und verschwindet wieder nach draußen. Dort geht das Gespräch ohne jedweden roten Faden weiter. Ich jedenfalls habe meine Antwort bekommen und biete mein auf Wiedersehen an, denn ich will mich noch ein wenig frisch machen.
Pauli gegen Bayern im Dschungel. Ich glaube, in der Atmosphäre gönne ich mir drei Bier.
"Alter! Das heißt St. Pauli!", schreit Malena gegen die Menge und die Glotze an, "Oh fick dich einfach Malena, echt jetzt. Warum müssen alle Fußballfans in Hamburg so nervig sein?", schreie ich zurück.
Malena ist schwer in Ordnung, auch wenn sie so ihre Ecken und Kanten hat, aber wer hat die nicht. "Die sollen mich in Ruhe lassen, mit ihren First World Problems, klar gehört das Wort verboten, aber wie oft unterhält man sich im Jahr über Schaumküsse? Zweimal vielleicht? Jetzt reden ständig alle über Schaumküsse. Weiß ja nicht, ob das besser funktioniert." Hans-Christian erhebt sein Glas. "So! Bevor wir hier herausfliegen oder so ein Quatsch. Prost! Forza St. Pauli!"
Die zwei sind irgendwie ein Paar oder auch nicht. Beide leben in polygamen Beziehungen, nur trennen sie sich deswegen auch ständig. Da ich mit beiden befreundet bin und die zwei auch miteinander abhängen, wenn sie gerade getrennt leben, habe ich mir abgewöhnt nach dem Beziehungsstatus zu fragen.
Malena hat gerade eine Umschulung zur Kauffrau abgeschlossen. Daher kennen wir uns. Prüfung glatte eins. Aber da sie über 50 Jahre alt ist, und in der Branche allgemein bekannt ist, wie schlecht die Schulen in der Erwachsenenbildung arbeiten, hat sie keine Chance auf einen Job. Über 60 Bewerbungen in zwei Monaten sind herausgegangen. Nun ist sie zum Handeln gezwungen, das Arbeitslosengeld läuft aus.
"Was machst du denn jetzt? Jobben? Gastro?", frag' ich? Etwas verlegen spricht sie, "... ähm, tatsächlich direkt die nächste Ausbildung. Ich werde Schaffner."
"Ha! Wie geil ist das denn? Zugbegleiterin?", frag' ich.
"Ja, zwei Monate durchpowern und fertig! Montag geht es los. Und vor allem das Beste, ich werde übernommen!" , spricht sie schon wieder stolz. "Wie wenn aus kacke Gold wird", sag' ich und hebe das Glas.
Das Spiel gerät mehr und mehr in den Hintergrund, zu angeregt sind unsere Bierseeligen Gespräche.
"Der Goldpreis steigt und steigt", sagt Hans-Christian. "Ja, scheiße!", stimme ich nickend zu: "Vor einem Jahr habe ich meine Unze mit Gewinn verkauft. Ging alles für die Ausbildung drauf. Was in diesem Jahr passiert, ist schon krass. Heute hätte ich noch einmal Tausend Euro mehr für die Unze bekommen."
"Nichts hättest du mehr bekommen!", entgegnet Malena. "Gold hat immer die gleiche Kaufkraft. Die Dinge, die du dir mit deiner Unze geleistet hast, kosten heute Tausend Euro mehr."
"Das war schon Quatsch vor der Wahl und ist jetzt noch Quätscher!" prostet Hans-Christian. "Genosse Arschloch", prosten wir zurück.
"Was soll das hier? Was Genosse Arschloch? Seit hier falsch, oder was?", zickt es vom Nebentisch. "Hör mal zu, Karen!", zischt Malena zurück. "Das ist der Wehner! Der hat mehr im Kampf gegen die Nazis geopfert als du in deinem ganzen Leben gegen die AfD irgendwo posten und liken könntest!" Karen, matt. Malena, sehr zufrieden.
Das Spiel hält leider keine Überraschung parat. Das 3:2 am Ende sieht spannend vom Ergebnis aus, war es aber nicht.
Auf dem Heimweg schau' ich noch im Ofen vorbei.
Als ich die Tür aufreiße, kommt mir der Sound von Andrea Berg entgegen, genau wie Ralf.
Sein Oberteil zeugt von einem harten Abend. Das Shirt vom Hals bis zum Dekolleté nass. Er fällt mir um den Hals. "Du musst mit mir Tanzen! Niemand tanzt hier mit mir", schreit er mir ins Ohr. "Ich, äh ... was?" Nun gut, tanz' ich also mit ihm. Stepp links, Stepp rechts, den Ralf drehen lassen, nochmal drehen, kurzer Stepp, zu mir eindrehen, einen Kreis tanzen und Drehung. "Ralf, ich wollte eigentlich ein Bier!", schrei' ich gegen die Musik an und lass ihn sich noch einmal drehen. Er stoppt und bleibt schwankend stehen. "Wow, du kannst das ja richtig, aber mir ist schwindelig. Großes?", haucht er und ein beißend süßlicher Geruch von erbrochenem kommt mir entgegen. "Ja, bitte", wünsche ich mir und trete einen Schritt zurück.
"Den Höcke kann ich ja auch nicht leiden, aber die Weidel find' ich klasse, die hätte hier einen Tag nach der Wahl direkt aufgeräumt", sagt er völlig ausgewechselt hinter dem Tresen angekommen. Ist wohl einer der Abende, wo man sich nur schämen kann, hier ein und aus zugehen. Nur was soll man machen, Familie und Nachbarschaft kann man sich nicht aussuchen.
"Ich komme aus Thüringen", sagt ein Gast. "Ist ja klasse, dass ich hier so offen reden kann. Man traut sich ja nicht mehr seine Meinung irgendwo öffentlich zu äußern." "Doch, doch ...", fährt Ralf fort," und wir werden immer mehr, und nicht nur Deutsche, mehr und mehr Ausländer finden selbst das es zu viele von ihnen gibt. Jeder 4. will uns wählen!"
"Bitte schön.", grinst und stellt mir mein Bier hin. "Nein Danke", sag' ich. "Ist mir heute eine Spur zu 33 hier." Und bin auch schon wieder weg. Der Wecker klingelt eh früh.
Im Klinikum - Tag 2
"Hey Ocho, Mäusezahn." Was freu' ich mich nach Hause zu kommen. Der Hund blickt kurz hoch, gähnt, schwänzelt einmal links rechts mit dem Schwanz - er freut sich auch. Kurz leg' mich zu ihm auf den Boden. War kein harter Tag heute, aber ich bin seit fünf Uhr früh auf den Beinen.
Nach zehn Minuten nappen muss ich los. Ocho schaut wie jedes Mal, wenn ich gehe, vorwurfsvoll aus dem Fenster. Sorry, mein Hund. Ich kann dich nicht mit in das Krankenhaus nehmen.
"Moinsen, ich bin der Termin zur Thrombo-Spende um 14:30 Uhr", erkläre ich mich. "Bitte ausfüllen und direkt in Raum eins oder drei durch", erklärt sie.
Ich habe wenig Lust auf die nächsten 90 Minuten, aber irgendwie fühlt man sich gut nach der Spende. Schon ein wenig Heldenhaft.
Das Anti-Gerinnungsmittel, damit mein Blut nicht in der Maschine stockt, lässt meine Zunge, meine Lippen und die Fingerspitzen eigenartig kribbeln. Als stände das High kurz bevor, nur da kommt keins. "Dass doch Blödsinn!", sagt so ein Typ neben mir. "Ja, sind ja alle nett und freundlich, aber die haben einfach keine Zeit mehr für einen", antwortet eine ältere Dame neben ihm. Sie spendet nicht, begleitet den Typen nur. Ist das ihr Sohn? "Ich habe das Karpaltunnelsyndrom", fährt sie fort. "... muss operiert werden. Spüre meine Finger nicht mehr."
"Ach, Gundel. Wir waren doch schon durch mit dem Thema." und wendet sich an die Schwester. "Könnte ich noch Calcium bekommen?"
"Wir müssen noch den Kohl kaufen, das weiß ich.", sie bringt damit das Gespräch in eine neue Richtung. "Weißkohl oder Spitzkohl?", fragt er sichtlich gelangweilt nach. "Weißkohl; und Mayonnaise, Möhren brauchen wir auch."
"Super Gundel, dies noch und das noch", regt er sich auf," am Ende heißt es doch nur, das ganze Geld hier, geht direkt wieder für den Einkauf drauf. Für den Kohl - 7 €, die Möhren noch ..., 10 €."
"Lieber für Gemüse Mark, als dass du wieder direkt in die Kneipe läufst."
"Ja, ist ja gut. Nervt mich halt tierisch. Ich sitz' hier ewig mit dieser scheiß Nadel im Arm und kann uns nicht einmal dafür belohnen."
"Wir haben auch noch Pfand zu Hause.", sagt sie beschwichtigend.
"Pfff, für den Einkauf reicht das längst nicht."
"Warte Mark, du hast da was." und streicht ihm zärtlich etwas von der Schulter. "Vielleicht sollten wir dieses Jahr auf Fuerte bleiben, länger als die drei Wochen, einfach dortbleiben.", säuselt sie sich selbst etwas verträumt zu.
Da kommt die Schwester zurück.
"Bitte schön, ihr Cocktail." Sie reicht den Calciumdrink und er stürzt ihn mit einem Zug hinunter. "Dieses Kribbeln", sagt Mark, "hoffentlich hilft es."
"Trump haut die Zölle rauf, die Länder werden sich auf Rüstung konzentrieren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.", höre ich mich laut sagen als die Nachricht auf meinem Handy erscheint.
"Die Autoindustrie hat da bald eine Menge Kapazitäten frei.", antwortet mir Gundel. Ich schau' zu ihr rüber und muss lachen. Obwohl sie weiß, dass es hier keinen Anlass zur Freude gibt, lacht sie mit.
"In Frankreich spricht man vom l'avant-guerre, dem Vorkrieg.", meint Mark
"Und mit wem? Mit Trump?", entgegnet Gundel.
"Kein Plan, kann ich mir nicht vorstellen. Wir schaffen uns gerade überall Feinde, vielleicht sind wir tatsächlich nach Corona so am Arsch, dass nur noch Rüstung hilft.", überlegt Mark und ich füge hinzu, "die Idee, den Klimawandel zu nutzen und die Wirtschaft so zu pushen kam ja nicht so gut an."
"Wie meinst du das?"
"War ja Habecks großer Traum. Den Karren mit extremen Investitionen in den Klimawandel aus dem Dreck zu ziehen."
"Der Habeck ist mir tierisch auf die Nerven gegangen", sagt Gundel augenrollend, "wenn der im Fernsehen war, habe ich sofort auf Durchzug gestellt."
"Ja ...", sage ich," schwer erträglich, aber recht hat er leider."
Der Rest ist Schweigen. Sind aber auch nur noch zwölf Minuten. 30 Sekunden Entnahme und den Ball kneten, 30 Sekunden Rückfluss. Das wiederhole ich zwei Dutzend Male, dann stöpselt mich die Krankenschwester ab.
"Auf Wiedersehen", verabschiede ich mich in die Runde. "Bis in vier Wochen Mister GalacticSuperstarPrasidentMcHammergeil!". Hat sie nicht gesagt, aber so fühle ich mich gerade.
Osterstraße U2
Ich sitze in der U-Bahn. "Manchmal muss man Medizin nehmen, um etwas zu reparieren", spricht mich ein ganz in Orange gekleideter Mann an. "Bitte?", sag' ich und mach die Musik leiser.
"Niemand kennt das System besser als ich. Deshalb kann nur ich es reparieren. Für einen Euro."
"Okay, das ja günstig. Nimmst du ne Anzahlung?".
"Ungern", sagt er und hält mir seinen Becher hin. Ich schmeiß' mein Kleingeld hinein, "... reicht nicht ganz, um das System zu reparieren.", und schau ihn achselzuckend an. "Macht nichts", höre ich ihn noch im Drehen, "komm schon noch auf den Euro.", und verschwindet aus der Tür.
Viel Glück im nächsten Abteil denk' ich.
Zurück auf der Terrasse
"Entschuldigung, darf ich einmal zu ihnen kommen?"
"Worum gehts denn?"
"Firma AON. Es geht um die Strom- und Gasversorgung."
"Kein Interesse. Danke."
"Trotz der steigenden Kosten?"
"Kein Interesse! Danke!"
"Wie war das?", fragt meine Nichte.
"Penetrant, äußerst nervig und dein rotes Kostüm schmerzt in meinen Augen", antworte ich ihr.
"Die Klamotte ist Kacke stimmt, aber penetrant muss ich sein! Kein nein ist zu akzeptieren", schnippt sie mir entgegen, "und jetzt unterschreibe das. Ich brauche die Provision."
Entgeistert schau' ich sie an. "Nein heißt nicht mehr, nein? Denkst du nicht Nichte ...", und muss schmunzeln, "..., dass es der Welt schon beschissen genug geht. Ich unterschreibe bestimmt nicht bei diesem Atomverein."
"Atom, Wind, Sonne, Gas..., das ist mir doch komplett scheißegal!", schimpft sie, "ey, ich zahl' vierstellig Miete für mein verkacktes WG-Zimmer! Mein Kater hat ne appe Pfote und ich sitz' auf der Rechnung vom Tierarzt, die auf ewig bleibt, scheiße, ich bekomme ja kaum was in den Kühlschrank."
"Du kommst gleich sowas von mit", sag' ich, "in der Baracke spielen die Oi Angels und du brauchst dringend einen guten Abend!"
Da schaut Ralf über die Hecke. "Aber vorher kommt ihr noch auf ein Bier rüber und dann reden wir, was ich zahlen muss, dass du bei mir arbeitest."
"Meine Nichte wählt aber nicht die AFD", beantworte ich als onkeliger Beschützer.
"Oh was? Jetzt wegen die Tage, oder was?"
"Das war gestern", sag' ich.
"Weißt du", fährt Ralf fort ", was der an Trinkgeld dagelassen hat? Hör ma kleine, du redest den Leuten ein bisschen nach dem Mund und allein vom Tipp kommst du über die Runden." "Ja, ne danke. Ich habe keine Lust auf ne Nazi-Brown-Nose." Gute Antwort denke ich stolz. "Ach komm, ist doch dein Onkel, der immer von der Kooperative spricht. Kooperatisten dieser Welt vereinigt euch!"
"Hab ich ja auch recht mit", sag' ich. "Mit Nazis macht man keine gemeinsame Sache. Das ist auch keine Kooperation, wenn die ihren Hass bei dir abladen dürfen und du dafür fürstlich entlohnt wirst."
"Ach? Ist es nicht?" und lacht, "Ich muss wieder rein, Mädchen, überlege es dir. Besser in der Bar arbeiten, als wie ein Ampelmännchen durch die Stadt laufen." "Ja, aber muss ja nicht deine sein", und wendet sich mir zu. "Alles klar Onkel, ich werde noch arbeiten. Wir sehen uns später."
Da knallt es die Treppe runter und ein Hundenapf rollt durch die Haustür. Der Hund steht bellend am oberen Ende der Treppe. Gut, denk' ich, den Hund füttern und ab zum Oppa bringen.
"Örnie ich hab kein Bock auf den Köter." und wendet sich Ocho zu. Nimmt ihren Kopf sanft in die Hände, krault sie unter beiden Ohren. "Ich freu' mich ja auch, du kleine du, der Oppa wollt nur gleich noch in den Ofen rüber."
"Ja nimm sie mit. Da ist nichts los heute."
"Machst du Witze? Da ist später noch Karaoke, ich sing' die Internationale' und Meine Söhne bekommt ihr nicht'."
"Okay" lege ein charmant schelmisches Grinsen auf und lasse Ocho los. Sie huscht sofort an ihrem Oppa vorbei. "Sing im Ofen so laut, dass sie dich in Berlin hören können und bring den Köt vorher in die Wohnung hoch."
Ocho dreht sich auf dem Teppich im Flur dreimal im Kreis und macht es sich gemütlich.
Der Oppa nickt, "Hat sie gekackt?"
"Danke dir." und wende mich ab.
"Hat sie gekackt?", ruft er mir ein zweites Mal hinterher.
Ich laufe noch ein paar Stufen. "Nein, gerade erst gegessen, Tchüsseldorf!"
Das Konzert
"Dass ja Quatsch", sagt Hans-Christian. "Eine Band, die den neunziger Kram nehmen, der schon immer scheiße, war, und da jetzt Punk raus-machen."
"Du musst das mit der gewissen Ironie nehmen", sag' ich als die Band die Bühne betritt. Der Schlagzeuger ist lang und schlaksig, angezogen wie ein Tennisspieler. Noch zwei Typen kommen dazu. Der eine als Schlumpf, der andere als eine Artischocke verkleidet. Der Sänger sieht seltsam bodenständig aus, irgendwie so im Pädagogen Leherschick und dann ist da noch diese Frau an der Gitarre, ..."ihretwegen sind wir hier, oder?", wirft meine Nichte ein, ... Leopadenlegings, ein rosa Tütü und zwischen ihren Beinen ein dicker hängender Lederschwengel. Warum weiß ich nicht.
"Das ist Maria", fahr' ich fort und wende mich wieder an Hans-Christian, "Damals hast du bei Robbie nicht mitgesungen, weil alle Mädels auf Robbie standen und nicht auf dich. Aber heute! Wenn du hier aus voller Inbrunst I'm loving angels instead mitsingst, dann bist du der Mann, der heute da ist, und versteht, was die Mädels von damals gefühlt haben."
"Der Frauenanteil hier ist tatsächlich sehr hoch,", bemerkt Hans-Christian, "lierum larum, lass uns feiern!"
Ich quetsche mich zur Theke durch. Es ist brechend voll und die Band fängt gerade an. Ein Transparent mit zig gemalten Brüsten wird entrollt. So wie man früher Vögel gemalt hat. Nur auf dem Kopf und mit Punkten auf den Flügeln.
"TITTEN!", schreit die Frau voller Stolz in das Mikro. "WHOOOOOO ...!", kommt es aus der Menge zurück.
Wenn ich nur immerzu Augenkontakt mit dem Thekenpersonal halte, denke ich mir, bemerken die mich am ehesten.
"Ey, du schaust so creapy. Was möchst du?", na super, "Drei Bier, bitte."
Ich muss mich von der Menge mitnehmen lassen, schwimm nach und nach in Richtung Bühne und steh da nun mit meinen drei Bieren.
Da Springt mir eine Frau, die mir bis zur Brustwarze reicht, Ellenbogen voraus in die Seite. "Du musst Tanzen Junge! Sonst spring' ich dir noch mal rein!".
"Oh, Fuck mein Bier, ey!" und rette alle Biere.
"Ich find' dich scheiße! So scheiße! So richtig, schschschschsch scheiße!"
Da springt Maria mit Gitarre auf dem Rücken, bäuchlings in die Menge. Ich greif' mit dem linken Arm nach oben, mit dem rechten balanciere ich die Biere. Und fuck! Habe ich gerade ihre Brust gesqueezt?
Maria zieht ihr Knie nach vorne und donnert gegen meine Stirn. Ich Torkel zur Seite, da steht sie vor mir und zieht mir ihren Schwengel quer übers Gesicht. Stolpernd falle ich auf den Rücken. Lass die Augen zu, denk' ich, wie unangenehm ist das hier.
"Ey digga, der ist doch safe Tod!"..., um mich herum bildet sich eine Traube, "Nimm ihm ma' einer die Biere ab." ... "So hart hab ich den Grabscher nun auch nicht geswoffelt", geht so denk' ich, öffne die Augen und sage, "Du bist unglaublich schnell! Gerade noch war ich von mir selbst überrascht und schon habe ich dein Knie im Gesicht."
Sie reicht mir ihre Hand. "Haste auch verdammt verdient!".
"Ja sorry", sag' ich, "War ein reiner Reflex, ich bin tatsächlich ein ziemlicher Idiot. Kann ich dir ein Bier anbieten?"
"Später vielleicht. Ich bin Maria. Wie heißt du?"
"Örnie, mein Name ist Örnie."
"Alles klar Leute. Es geht weiter! Geben wir Örnie eine zweite Chance, aber passt mir auf, dass er seine Hände bei sich behält!"
Ich für meinen Teil muss an die frische Luft.
"Oh Gott, Onkel. Wie peinlich war das denn?", meine Nichte zieht am Joint und reicht ihn mir weiter. "Auf einer Skala Eins bis Zehn? Zwölf!", sage ich.
Da kommt Hans-Christian dazu. "Du brauchst jetzt kein Gras. Du brauchst Schnaps! Viel Schnaps!"
"Schnaps, Gras ... alles! Gib mal deinen Flachmann her."
"Aber vorsichtig.", warnt Hans-Christian, "Das ist Prima Feinsprit. Der löscht nicht nur Erinnerungen, zu viel davon und der Feinsprit löscht dich."
Ich setze an und nehme einen großen Schluck. Das Zeugs brennt wie Feuer. Ich muss würgen und aufpassen, dass mir nichts hochkommt, doch unten angekommen, setzt ein herrliches scheiß-egal-Gefühl ein. "Widerlich! Scheiß drauf! Lass uns Tanzen!"
Auf der Tanzfläche habe ich nur Augen für Maria und auch ihre Blicke treffen mich immer wieder. Sie ist so voll absoluter Energie, so selbstbewusst, lebendig, kraftvoll. Sie raubt mir den Atem. Und dann nach zig Covern der Kelly Family, Britney Spears, Robbie Williams und und und ... ist das Konzert vorbei.
"Jetzt darfst du mir ein Ausgeben, du Grabscher", sagt sie zwinkernd und knufft mir in die Seite. "Oh wow, dachte, ich hätte bei dir verkackt."
"Du hast eine zweite Chance, nutze sie." Wir ziehen uns in eine Ecke zurück und reden dort stundenlang. Nicht über den Krieg, nicht über die Inflation, nicht über all die Sorgen die sich momentan alle machen. Wir träumen vom Sommer, wir malen uns an einem Abend eine Zukunft aus. Wir trinken und lachen, lachen und trinken. Und dann küssen wir uns. "Willst du bei mir frühstücken?", frage ich Maria. Sie gibt mir einen Kuss, schaut in meine Augen und antwortet, "Nichts lieber als das."
Das Frühstück - Tag 3
Ich reiße meine Augen auf. Das Licht blendet und nur langsam kommt Verstand in meinen Geist. Ich bin nicht allein, da liegt sie, auf der Seite und schnarcht sachte vor sich hin. Ich hatte ihr Frühstück versprochen.
Vorsichtig stehe ich auf, halte mich aufrecht an meiner Stehlampe fest, mache zwei Ausfallschritte nach vorne, fange mich an der Gardine und ziehe sie zufällig, aber geschickt zu. "Schlaf weiter", sag' ich. "Bin gleich mit Brötchen wieder da."
Auf der Straße bewege ich mich nur langsam vorwärts, meinen Zustand kann ich nicht verbergen. Der Atem schmeckt nach toten Hamstern, kalten Zigaretten und er klebt von all den Cola-Korn. Überall sind Leute.
Fahrradfahrer die knapp an einem vorbeihuschen. "Ey!", schrei' ich! "Mach ma vorsichtig du Penner!". Dafür, dass ich eine fantastische Nacht hatte, habe ich ganz schön schlechte Laune, denk' ich mir, aber es ist auch einfach zu früh. Zu früh für all die anderen, ohne die Menschen wäre es ganz schick hier.
Im Kaisers angekommen stehe ich fragend vor dem Brötchenregal. "Was habe ich ihr versprochen?"
"Wie bitte?", fragt eine Dame neben mir.
"Ähm, ich frage mich, ob ich meinem OneNight Stand tatsächlich acht Käsebrötchen versprochen habe."
"Wenn sie es versprochen haben, müssen sie es halten."
"Ja und wenn sie es für einen Witz hielt, dann bin ich der Depp."
"Mit acht Käsebrötchen ...", sie überlegt, "... also ich finde es eigenartig, selten, aber auch lustig und Humor ist immer der Schlüssel, ich glaube acht ist genau richtig junger Mann."
"Das macht 14 €", sagt die Frau an der Kasse, als plötzlich alle Telefone vibrieren und Alarm geben.
Die Menschen schauen sich an. Brennt es? Als auch von draußen die Sirenen erklingen. Ich renne zur Tür, was sehe ich da am Himmel? Der Himmel färbt sich schwarz mit kleinen flirrenden, ... Drohnen? Es müssen Drohnen sein. Da stoßen die ersten Richtung Boden mit gewaltigen Explosionen. Ich schmeiße mich in Richtung Kasse, robbe den restlichen Meter. Da schlägt etwas durch das Dach. Ein Knall. Eine Druckwelle erfasst mich und schleudert mich durch das Fenster auf die Straße. Dunkler schwarzer, schwerer Rauch um mich herum. Ich versuche mich aufzurichten, aber schaffe es nicht von den Knien hoch. Die Welt, sie dreht sich und sie dröhnt, bis tief in meinen Kopf.
Ich schleppe mich in Richtung Häuserwand, versuche wieder aufzustehen, der Brustkorb schmerzt, die Arme haben keine Kraft, da greift mir jemand unter, zieht mich hoch und ich stehe.
Einen Moment wird es ruhig, stumm erscheint der Pilz, ein grelles scharfes Licht. Nichts mehr.
Beim Oppa.
Die Luft vibriert, Ocho krümmt sich am Boden, denn er weiß, nun folgt wieder ein Knall. Der Schmerz platzt in seinem Ohr und geht durch bis aufs Mark. Er will weg, doch die Pfoten gehorchen nicht, sie wollen ihn nicht halten. Zu sehr schlottert der ganze Körper. Jaulend sucht er Schutz beim Oppa und windet sich zwischen seinen Beinen. Dem Oppa geht es auch nicht viel besser. Weinend und mit nasser Hose hält er sich verkrampft im Türrahmen fest.
Weit vor dem Menschen, fühlt Ocho, dass da erneut etwas auf sie zurollt. Stärker viel stärker als die vorangegangenen Explosionen.
Die Wohnungstür springt aus ihren Angeln, ausgehebelt von der Welle, die das Donnergrollen verursacht. Glas scheppert, Bücher fallen aus den Regalen, nichts in der Wohnung bleibt an seinem Platz und Ocho weiß, hier kann er nicht bleiben.
Sein Instinkt meldet sich und schnell wie die Pest stürmt er aus dem Haus die Straße runter, er rennt sich all den verdammten Stress aus der Haut. Im Affenzahn fliegen die Pfoten über den Asphalt, rein in den Kreisel, da strömt ihm ein phantastischer Geruch aus tausend Köstlichkeiten in die Nase. Wurst, Käse, Alaska Seelachsfilet!
Er reckt die Nase in den Nacken um Spur aufzunehmen. Eine Runde. Eine zweite Runde. Ab weiter in den Park. Schnurstracks Querfeld ein über die grüne Wiese, springt Ocho über Parkbänke hinweg, und huscht durch eine Lücke im Zaun zum Kaiser's.
Ocho springt ein paar Pailletten hoch und durch die zerborstenen Scheiben direkt rein in den Supermarkt. Dort liegt alles Herrliche der Welt offen herum. Mit einem gewaltigen Satz stürzt sich der Hund auf ein gefrorenes Suppenhuhn, das daraufhin quer durch den Laden schlittert. Im Rausch stürzt Ocho hinterher, will gerade schnappen, da bemerkt er den leblosen Körper, an dem das Suppenhuhn liegen geblieben ist.
Die Erinnerung kommt zurück, das Dröhnen, das vibrieren, Ocho will jaulen, aber Schockscheiße, da ist noch ein weiterer, ein vertrauter Geruch. Sofort läuft der Hund raus auf die Straße, bleibt vor einem Haufen Schutt wie angewurzelt stehen.
Da liegt Örnie, Ocho weiß es. Er buddelt ihn halb frei. Keine Regung! "WWWow WWWoW", lauter, "WoWoWoW! WoWoWOWoW!", er leckt mit seiner langen, sabbrigen Zunge das Gesicht ab, bis Örnie endlich zu sich kommt.
Bis ich endlich zu mir komme. "Ocho mein Junge, du bist der beste Hund auf dieser Welt!"
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Einige Zeit später...
Bei herrlichem Sonnenschein sitzt Gundel auf ihrem Balkon und genießt einen frischen Kräutertee. Im Growzelt ihres Mannes sprießt Minze, Thymian, Bohnen- und Johanneskraut, aber natürlich auch eine schöne kleine Cannabispflanze. Sie selbst raucht kein Gras, aber Mark wird sich freuen, wenn er auf Heimaturlaub kommt.
Aus der Küche ertönt beiläufig und leise ein Radio, ...
...Deutschland-Funk... 14:00... die Nachrichten... Die, sogenannte taktische Atombombe, die im März über dem Hamburger Volkspark niedergegangen ist, hatte einer Expertenkommission nach, eine geschätzte Sprengkraft von 3 Kilotonnen. Die Behörden sind weiterhin nicht bereit Erkenntnisse über die Hintergründe des Angriffs preiszugeben...
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Teil 2
Örnie is back
Im Keller
Unser Haus wurde seit jeher mit Öl beheizt und tatsächlich gab es uns ein beklemmendes Gefühl auf einem bis oben hin Befüllten Tank zu sitzen, wenn man, doch nie weiß wann einem wieder was um die Ohren fliegt.
Daher hat der Oppa kurzerhand das Öl in Ralfs äußerst vielseitige Bierfässer abgelassen, den Rest mit Kalk neutralisiert und den Tank kurzerhand an der Seite auf geflext.
Eingerichtet mit einer Bodenplatte, einer Eckcouch und einem Holztisch, ist der Tank unser sicherer Unterschlupf geworden.
Hier unten im Keller haben wir inzwischen einen Durchbruch zum Ofen. Denn je nach Wetterlage und Windrichtung ist es ratsam die eigenen Vier Wände nicht zu verlassen.
"Heute wäre Saisonanfang," schluchzte Ralf," verstehst du?" Er lässt sich auf die Couch fallen. "Bundesliga, Örnie!"
"Du musst dich konzentrieren." sag ich.
Ralf greift nach einem Taschentuch auf dem Tisch. "Gerade noch feiert man, nach 'nem 4:0 gegen Darmstadt, den Quasi-Aufstieg." und schnäuzt sich kräftig die Nase," da gibt es im nächsten Moment kein Stellingen mehr!"
"Ja und das ist jetzt auch nicht gestern passiert. Hör zu! Wir brauchen eine Bohrung, hier unten im Keller. Wir zapfen hier unten im Keller Grundwasser."
"Wir haben Wasser Örnie."
"Und wie lange noch? Wenn es hart auf hart kommt, möchte ich hier unten Zugang zu Wasser haben.” und zeige auf eine leere stehende Ecke, “Schau, all deine Fässer sind leer. Wir können das Wasser darin abkochen und wenn wir schon dabei sind,” meine Augen werden größer und größer, “können wir darin auch direkt frisches eigenes Bier brauen. Und das alles hier unten im Keller."
"Du spinnst Örnie!"
"Ja ich weiß, das ist viel. Aber ist doch scheiß egal. Wir brauchen etwas zu tun und wir müssen hier unseren Platz behaupten. Was meinst du was die Rich Bitch drauf steil geht, wenn wir ihr Bier bieten."
"Und wer soll das Bier in Mengen brauen?"
"Keine Sorge, ich kenn da einen. Früher war er Angler, den hast du nur von der Elbe wegbekommen, wenn er Bier brauen konnte. Aber er isst keinen Fisch mehr."
"Niemand isst mehr Fisch.", sagt Ralf
Der Supermarkt
Währenddessen ist Malena unterwegs und macht Besorgungen. Im Rest des Landes mag es noch einigermaßen zivilisiert zugehen, in Hamburg allerdings, ist der Tauschhandel inzwischen die einzige Möglichkeit geworden um an Waren, Güter und Lebensmittel zu gelangen. Es ist ein Glück, dass wir eine Menge Schweröl als Handelsware besitzen.
Die Tür des ehemaligen Kaiser Tengelmann´s öffnet sich und Malena tritt hinein. Die Regale sind restlos leer. Das Loch in der Decke vom Einschlag der Drohne ist behelfsmäßig gestopft.
"Willkommen im Rich-Bitch Supermarkt, ich bin die Rich Bitch, was kann ich für dich tun?"
"Muss es denn jedes Mal dieser Satz sein?", fragt Malena. "Oh ja, das muss es. Ich brauch doch meinen eigenen Brand, eine Marke mit Wiedererkennungswert. Die Konkurrenz schläft nicht. Also was darf es sein Schätzchen?" Malena lehnt sich aufreizend nach vorne gebeugt auf den Verkaufstresen. "Lebensmittel, ähm einen Handwerker, zwei Sack Reis und Dosen. Wie viele hast du auf Vorrat?"
"Was für Dosen mein Schatz?"
"Was du hast. Obst, Thunfisch, Bohnen... Ravioli?"
"Okay Schätzchen, Was bringst du mir? Ich stell dir was zusammen."
"Ich habe 10l Heizöl für dich."
"Für den Handwerker reicht das nicht. Dienstleistungen sind teuer, sind kaum mehr fähige Arbeiter da." Blickt zu ihrem Dach hoch und hält inne. "Bring mir 1 Kubikmeter Kohlen für den Dienstleister."
"Kohlen? 1 Kubik?", sagt Malena empört. “Was willst du mit Kohlen? Ich kann dir Öl bringen so viel du willst.”
"Es kostet so viel wie es kostet!" Ertönt eine weitere Stimme aus dem Dunkeln, zwei Eisblaue Augen blitzen zwischen den Regalen auf. Malena gefriert im Leib.
"Die Verhandlung ist beendet!", zischt es.
"Ja gut, komm. Gib her das Futter. Wir kümmern uns um die Kohlen."
Die Flaschen Heizöl wechseln die Besitzerin und die Rich Bitch verschwindet hinten im Laden. Unter den wachsamen Eisaugen wartet Malena geduldig, bis die Rich Bitch endlich mit der Ware erscheint.
"Ein Sack Reis, 20 Dosen Bohnen. Wie besprochen."
"Wir hatten 2 Sack gesagt und einen bunten Mix an Dosen."
Die Eisaugen treten aus dem Dunkeln hervor. Eine Frau im Mönchsgewand steht Malena nun gegenüber. Ein leises Klicken ist zu hören. "Wie besprochen! Nimm deinen Kram"
Malena versteht deutlich, schaut der Rich Bitch in die Augen und nickt ihr zu.
Im Garten
Der Oppa und Ocho stehen etwas abseits im Garten. Die beiden versuchen zu begreifen, wie Hans-Christian das Kohlenproblem mithilfe dieser schönen Birke lösen möchte.
"Baum fällt!", schreit Hans-Christian. Mit dem Geräusch von berstendem Holz, das bricht kracht die Birke zu Boden.
"Nein, ich sag doch das klappt, Oppa. Ich mach...", er zeigt auf die 12 Meter Birke, "... den hier klein und du heizt die Feuertonne an."
"Und dann was? Dann verbrennen wir den Baum gleich wieder?"
"Das ist kein Quatsch, Oppa. Auf die heiße Glut schmeißen wir die dicken Scheide. Oben nasses Gras drauf, so richtig schön dicht."
Ocho spitzt die Ohren, da kommt Maria mit dem Rad angefahren. "Hast du gerade dicke Scheide gesagt?", fragt sie irritiert.
"Scheide, Maria. Mit Te. Scheide."
"Ja, du sagst aber ..., ist ja auch egal jetzt. Fahr mal fort. Ich bin gespannt, was hier passiert."
"Ja, auf jeden Fall. Gras drauf, Deckel drauf.", Hans-Christian überlegt, "Feuer von außen brauchen wir vielleicht auch noch. Die Tonne muss richtig schön heiß bleiben. Rauchen muss das."
"Du willst tatsächlich köhlern. Ich verstehe, Hans-Christian. Da machst´ das Feuer aber von oben nach unten und wenn die ersten Schichten...", der Oppa schlendert zur Tonne rüber, "ich stapel dir das hier schön rein und wenn jetzt die ersten Schichten runtergebrannt sind... dann hauen wir das nasse Gras drauf."
"Ja Oppa, ist kein Quatsch. Rauchen wird das."
Tatkräftig ist die Gruppe bei bestem Sonnenschein im Garten beschäftigt. Das Wetter ist nicht etwa überraschend gut, es hat seit Wochen nicht geregnet.
Hans-Christian zerlegt die Birke, Maria spaltet das Holz mit der Axt und der Oppa stapelt es fein und ordentlich in die Tonne.
"So! Schau her, Ocho," spricht der Oppa, "jetzt, wo es brennt, machen wir da schön vorsichtig Gras drauf."
Der Hund ist nicht so entspannt wie der Oppa. Wachsam umkreist sie die qualmende Feuertonne. "Einfach hier an den Rand legen, schön drumrum Ocho."
"Bist du bekifft, Oppa?" Hans-Christian ächzt und will den Deckel heben. "Mach da mal hin und pack hier mit an!" und stöhnt.
"Lass den mal, dass schaffen wir auch." bietet Maria ihre Hilfe an. "Ja auch gut, dann mach!" ächzt Hans-Christian weiter, den Deckel immer noch angewinkelt haltend.
Zur gleichen Zeit im Ofen.
"Nenn mich einfach Rich, Örnie." Die Rich-Bitch steht lässig angelehnt an der Theke. "Also, was planst du? Wofür brauchst du den Handwerker?"
"Kurzfristig für Grundwasser, langfristig um dieser Bar wieder etwas mehr Würze zu verschaffen, aber das ist noch ein weiter Weg bis dahin."
"Interessant. Also was ist der langfristige Plan?"
"Ich spreche nicht gern über vergossene Milch von morgen." Sie muss nun auch nicht alles wissen denke ich.
"Auch gut. Ich habe den passenden Mann für dich an der Angel habe. Mit dem besprichst du alles Weitere. Bei seinen Preisen habe ich keine Aktien drin. Was ist mit meinen Kohlen?"
"Da sind wir dran. Ist nur noch eine Frage von Stunden."
"Gut!" Ein Grinsen huscht über das Gesicht der Bitch. "Darauf lass uns anstoßen! Was gibt es hier zu trinken?"
"Ich habe Korn und Doppelkorn." Ralf hält ihr eine Flasche Klaren hin.
"Lass mich den Doppelkorn kosten und schenk Örnie auch einen ein. Auf meinen Deckel."
"Kannst du denn bezahlen?", fragt Ralf.
"Herr Gott nochmal! Haben wir den Kapitalismus denn nicht hinter uns gelassen? Ich gebe euch beim nächsten Besuch im Markt einen Nachlass. Schick mir wieder diese superheiße Malena, mein Mönch möchte ihr den Segen geben."
"Schenk ein, Ralf." Sag ich. "Geben und nehmen... nehmen und nehmen..., das gleicht sich alles wieder aus." Und ich denke dabei gelassen an unseren zukünftigen Bierreichtum.
"Zwei Doppelkorn, kommt sofort." Ralf stellt uns vier Schnapsgläser hin und füllt sie bis zum Rand.
Der Korn schmeckt erstaunlich mild, ein wenig wässrig vielleicht.
"Da ist noch etwas, worüber ich mit dir sprechen muss, Rich."
"Wir können über alles reden Örnie. Solange ich nur daran verdiene."
"Tust du nicht. Ich brauche aber einen Rat." Ich schaue zu Ralf und tippe auf mein Glas. "Schenk uns bitte noch einen ein."
"Ich brauche einen zollfreien Weg auf die Insel." Wir prosten uns zu und vernichten die erste Hälfte des Doppelkorns. "Ich muss dort einen Mann sprechen und ich muss diesen Mann von der Insel und wieder zurückbringen. Also ich brauche einen offenen Weg, den ich mehrmals benutzen kann." Wir leeren die zweite Hälfte.
Die Rich-Bitch bedeutet Ralf die Gläser wieder zu füllen. "Mach mal auf Örnie.", und zwinkert mir zu.
"Der alte Elbtunnel steht voller Wasser. Anfangs liefen die Pumpen noch, aber die haben viel zu viel Strom gefressen. Zu den Leuten an den Elbbrücken habe ich nicht die beste Verbindung. Dir bleibt nur der Weg über das Wasser."
"Das dachte ich mir, nur wo kann ich sicher an Land gehen?"
"Steinwerder ist alles verlassen, von dort aus gehst du durch die Schrebergärten. Da kümmert sich niemand mehr um irgendetwas. Die Hecken sind hoch und dicht. So sollte das kein Problem sein, unbemerkt auf die Insel zu gelangen.”
Auf die Insel
Es ist tropisch schwül, die Luft liegt dick und schwer auf den Schultern. Ein fernes Gewitter kündigt sich seit Tagen an, doch will es uns nicht erreichen, es drückt nur weiter feuchte und heiße Luftmassen in die Stadt.
Behäbig fahren wir die alte U3-Strecke ab. Bewegen uns rauf, bewegen uns runter, bewegen uns vorwärts. Verlassene Bürogebäude ziehen an uns vorbei, wilder Hopfen kriecht an Gebäuden hoch und hängt inzwischen doch schlapp und ausgedörrt an den Wänden. Die trockene Fauna am Wegesrand ragt weit, dicht und hoch auf Straßen und Bürgersteige. Die vielen Parkanlagen, links wie rechts der Gleise, gleichen staubigen Steppen und die Bäume tragen schon im August dank der Hitze keine Blätter mehr.
Kein Wasser hat die Wiesen in diesem Sommer berührt, der Boden ist hart wie Beton. Dieses Wasser wird kommen und die Luft reinigen. Nur jetzt gerade, ein Scheißwetter für Sport, denn diese Draisine, auf der meine Nichte und ich uns gerade fortbewegen, wird tatsächlich angetrieben von einer Wippe.
Und so bewegen wir uns wippend, ich hart keuchend und schlecht gelaunt, meine Nichte gut gelaunt und froh die Stadt zu sehen, langsam am Rödingsmarkt vorbei.
Gurken Joe sitzt auf einem gemütlich chilligen Sessel in Fahrtrichtung links und beäugt uns äußerst skeptisch.
Wir kamen an die Gleise, ich sagte ihm, wohin wir wollen, und zeigte ihm das Huhn.
Schweigend deutete er uns aufzusteigen und loszuwippen.
"Ich verstehe es nicht", flüstert meine Nichte ", wieso der Gummigockel?"
"Keine Ahnung." Keuche ich, "Ich weiß auch nicht, warum er sich Gurken Joe nennt, wenn er, doch dieses scheiß Gummihuhn für die Überfahrt haben will und keine Gurke."
"Man sagte mir, da kommt so´n Typ, der nennt dich Gurken Joe. Der will auf die Insel und bezahlt dich mit einem Gummihuhn." Lacht er.
"Scheiße nein, niemals." Sag ich.
Ich hör auf zu wippen und starre verdutzt auf Gurken Joe, der in Fahrtrichtung links auf seinem Sessel sitzt.
"Ja warte, kommt jetzt." Fährt Joe fort, "Bring mir das Huhn, sagt dieser Mönch und ich bin dir was schuldig, spricht mir den Segen aus und verschwindet."
"Tatsächlich? Ein Mönch?" Frage ich ihn.
"Ja, vor ein paar Tagen." Joe muss schlucken. "Ein sehr überzeugender Mönch."
Meine Nichte lacht laut los. "Die hat dich hart verarscht!"
"Ihr kennt den Mönch?", fragt Joe.
"Ja, das ist Schwester Degenhard, die Mönchin, vom Rich Bitch Supermarkt. Wir kaufen bei ihr ein." Sag ich.
Wippend fahren wir eine lange Kurve entlang, an deren Ende ein Blick auf die Elbphilharmonie frei wird. Zerstört in jener Nacht durch das Drohnengeschwader liegt sie brach dar. Hinter ihr der stille Hamburger Hafen, eingehüllt in tiefschwarze Wolken. Einst pulsierte hier die Wirtschaft, am Tag wie in der Nacht wurden 24/7 Schiffe gelöscht, Touristen mit Rundfahrten unterhalten und tausende Menschen kamen täglich an die Landungsbrücken, um die Aussicht zu genießen. Von all dem ist nichts geblieben. Jetzt stehen die Kräne still, die Touristen bleiben Hamburg fern und die einst so stolze Elbe führt vielleicht noch ein Drittel an Wasser im Vergleich zum Vorjahr.
"Wir halten an den Landungsbrücken, von da aus geht es zu Fuß weiter." , meint Joe und fügt hinzu, "Ich will nicht zu viele Fragen stellen, aber warum nehmt ihr diesen Weg?"
"Die kassieren Zoll an den Elbbrücken", sag ich, "eine 1/4 Unze Silber pro Weg und Person. Selbst wenn ich Edelmetall hätte, würde ich den Teufel tun und es den Nationalen in den Rachen schieben. Die sind in der Gegend schon mächtig genug."
Zur gleichen Zeit im Quartier der Gruppe.
Es klopft an die Tür, Hans-Christian öffnet.
"Moin, ich bin von Atomic Toolman. Die Rich Bitch schickt mich, hier soll gebohrt werden?"
"Ach Quatsch ist ja super, bitte komm rein." Hans-Christian gibt die Tür frei und bedeutet dem Handwerker mit einer einladenden Bewegung einzutreten. "Direkt dort drüben runter in den Keller."
Da fällt sein Blick auf die Straße und auf das, was dort steht. "Wahnsinn. Sind sie damit hergekommen?" Er blickt auf eine alte Kutsche. "Wie fährt das Teil? Ein Pferd sehe ich nicht."
"Das war zu teuer im Unterhalt.", antwortet der hagere Mann. "Angetrieben wird meine kleine Hedi mit einem handelsüblichen Rasenmäher - Motor. Nicht schnell, aber man kommt ans Ziel und schleppen, dass kann sie auch. Apropos schleppen." Der Handwerker packt Hans-Christian beherzt auf die Schulter. "Den ganzen Kram dort brauche ich dann unten im Keller. Bis auf die Pumpe, da leg mir den Schlauch nach unten und wenn ich später bohre, musst du das Spülwasser per Hand nach oben pumpen. Es sei denn ihr wollt euch da unten einen Pool bauen." Und verschwindet in den Keller.
Hans-Christian geht die Aufgabe mit vollem Elan an, wenn es um körperliche Betätigung geht, ist er wie immer nicht zu stoppen.
"Einen schönen Tank habt ihr hier!", staunt der Handwerker, "Diese Couch, wow! Ist das echtes Leder?"
Nickend schaut sich der Mann im grünen Overall um. Er tritt aus dem Tank in den Korridor, schlurft zum Durchbruch und riskiert einen kleinen Blick. "Und hier unten wollt ihr bohren?"
Ertappt blickt der Oppa hoch. Er probiert sich an seiner Wünschelrute, um eine Wasserader zu finden. "Herr Äh, ...", stammelt Oppa überrascht dank des Gastes und versteckt die Rute hinter seinem Rücken. Im Beisein eines Profis ist ihm dieser Versuch sehr unangenehm.
"Oppa, der Handwerker ist da." Ruft es von oben die Treppe runter.
"Danke Malena! Guten Tag, August mein Name." Stellt der Oppa sich vor.
"Moin, Handwerker mein Name." Erwidert der Herr im Overall, packt beherzt nach Oppas Hand und schüttelt sie kräftig.
"Ich werde euch hier nur die Kernbohrung machen, wenn wir durch Beton und Schutt sind, der Boden weicher wird, dann übernehmt ihr. Rohre, Muffen, Rundspaten, habe ich alles da."
"Gut, und was übernehmen wir da?", fragt der Oppa lieber noch genauer nach.
"Erste Bohrung? Gut, dann vorn den Spaten an die Stange, drehen und versenken, Muffe, Stange, Muffe, Stange," und macht eine klärende Handbewegung, "wieder drehen und versenken." Der Blick des Handwerkers geht nach oben und schwenkt durch den Raum, "immerhin sind wir schon gut drei Meter tief," und nickt, "denke, noch fünf bis sieben bis zur Ader."
Da klirrt es von oben in hellen Tönen, als wenn Eisenstangen auf Fliesen scheppern, was wohl auch genau das ist was es ist.
Herr Handwerker zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug, blickt dem Oppa tief in die Augen. "Hauptsache der Junge pumpt da oben gut ab! Dann ist das alles kein großes Ding."
"Drüben im Waschkeller habe ich eine Ader gespürt." Behauptet der Oppa zur Ablenkung, angemännert und hochgepetert ins blaue.
"Ich schau da besser selbst, wir wollen ja nicht ins dröge Bohren."
Zielsicher nimmt sich Handwerker die Wünschelrute über Kreuz und läuft langsam den Keller ab. Im Waschkeller schreitet er kopfschüttelnd voran, weiter durch den Flur, in den Trockenraum. Dort zuckt die Rute und er zeichnet ein X auf den Boden.
Meine Nichte, Joe und ich laufen derweil den Fischmarkt entlang. "Im Museumshafen liegt mein Dingi, damit bring ich euch rüber.", sagt Joe.
"Okay, wir sollten uns etwas beeilen," schlägt meine Nichte vor, "es zieht Wind auf und ich will keine Brise aus Stellingen abbekommen."
Ich lecke meinen Zeigefinger an und halte ihn in die Luft. "Der kommt aus Nordwest, das ist auflandiger Wind. Stellingen ist nordöstlich von uns, also keine Sorge.", will ich beruhigen. Denk mir aber, dass ich Quatsch erzähle. Wir laufen hier durch eine Windschneise. Der Wind kommt von vorn oder von hinten. Viel mehr gibts hier nicht.
"Es ist nicht nur der Wind Onkel Örnie, schau auf die Elbe, es sollte Flut sein, aber das Wasser fließt zurück."
Und tatsächlich liegt das Flussbett inzwischen komplett frei, nur in der Fahrtrinne führt der Fluss noch Wasser.
"Umso besser.", verlautbart Joe, "Dann müsst ihr nicht so weit rudern."
Nach ein paar Minuten Fußweg kommen wir am Hafen an, ich geh den Steg hinunter und steige eine Leiter, die vor einiger Zeit noch ins Wasser führte, hinab.
"Ist es das hier?" frage ich baff.
Ich stehe vor einem Schlauchboot von Lidl in Blau und Gelb.
"Scheiß egal jetzt Onkel, komm ich will drüben sein bevor der Regen kommt."
Mit einem Ruck stoße ich uns mit den Paddeln ab. Gut Zehn Meter, breiter ist die Fahrtrinne nicht, bis wir drüben sind. "Ich bin morgen Mittag wieder da, wenn ihr nicht hier seid, findet einen anderen Weg.", verabschiedet sich Joe und ich nicke ihm zu.
Da wird es für den Moment ruhig. Kalter Wind zieht auf und die ersten Tropfen fallen.
"Hey Nichte! Schau, es regnet!"
"Ja fuck! Habe ich es doch geahnt. Örnie wir müssen die Kaimauer hoch!"
Sie hat recht. Der Regen nimmt rasch fahrt auf, es donnert!
"Dort drüben, Örnie. Der Pfahl. Ich drück mich zwischen der Mauer und dem Pfahl hoch."
Sie steigt mir auf die Schultern, drückt ihren Rücken an die Mauer, hält sich am Pfahl und setzt die Sohlen an. Stück für Stück drückt sich meine Nichte die Wand hoch.
"Komm und jetzt du!", sagt sie oben angekommen.
"Keine Chance. Hier wird es auch eine Leiter geben. Ich geh den Kanal runter und du suchst ein Seil oder irgend etwas anderes was hilft."
Das Wasser fließt in Bindfäden vom Himmel. Es blitzt, der Donner folgt sogleich. Ich gehe nicht, ich renne. Der Schlick zu meinen Füßen weicht immer weiter auf und mit jedem Schritt versinke ich tiefer im Morast.
"Örnie! Fang!", schreit meine Nichte. Sie steht da mit einem Tau in der Hand.
"Mach fest. Schnell!", so langsam gerate ich in Panik.
Ich war gut im Sportunterricht, vor allem wenn Bälle mit dabei waren. Doch Seilklettern, Strickleitern, Ringe... dieser wabbelige scheiß, war nie meins. Heute reicht mein Talent aber um am Seil die Mauer hochzuklettern. Ich mache eine lächerliche Figur dabei. Aber ich bin raus. Zum Glück.
Derweil wieder zurück im Vorgarten wo die einen das Leben genießen wärend die anderen Arbeiten.
Ralf singt und tanzt im Takt zum Beat den Maria auf ihrer Cachon vorgibt. "Und...1..und...Bum...und...2..und...Bum...und...3..und...Bum...und...1...und...Bum...
und...Bum..., misst jetzt bin ich raus. Weiter machen Hans-Christian! Immer weiter Pumpen!"
"Wie tief sind die da unten?", keucht Hans-Christian.
"Wie tief seid ihr da unten?", ruft Malena den Keller runter.
"Du brauchst doch nicht so zu schreien.", der Handwerker kommt die Treppe hochgeschlurft, "der August hat es gleich. Machst du mir noch ein Käffchen? Der schmeckt wirklich gut.”
Es ist Krieg
Wir laufen auf dem Deich Richtung Fährstraße, die hohe Position erlaubt uns weite Einblicke in das Viertel, ganze Straßenzüge stehen voll ausgebrannter Autowracks. Teils wild auf der Straße platziert, teils zu hohen Barrikaden aufgetürmt. Dichte schwarze Rauchwolken steigen trotz des Regens von überall her auf. "Was ist hier passiert?", fragt meine Nichte.
"Ich weiß es nicht, die Insel ist ein Schlachtfeld", antworte ich ihr, "hier müssen heftige Ausschreitungen stattgefunden haben."
"Was ist das?", meine Nichte spitzt die Ohren," Ich höre Trommeln."
Schnell leg' ich mich auf den Rasen und bedeute ihr mir gleichzutun. "Das sind Lanzknechte, das heißt nichts Gutes." Im nächsten Moment kommen sie auch schon um die Ecke marschiert. Ein Dutzend Lanzknechte vorweg, dahinter eine skandierende Horde mit Baseballschlägern bewaffnet. Alles Glatzköpfe. "Hier ... entsteht ... das 4. Reich!", grölt die Horde, als sie an uns vorbeimarschiert.
"Bleib unten", flüstere ich.
"Kompanie, stillgestanden!", krächzt ein kleiner rippiger Kerl mit überschlagener Stimme von der Spitze des Zuges aus. Die Horde kommt vor einer Barrikade zum Stillstand, die Trommeln schweigen: "Männer, wir holen uns diese Straße, genau wie die anderen Straßen. Hier wird Wohnraum für ein deutsches Volk entstehen." Mit einem gegröltem: "Wir sind das Volk!" Schwärmt die Menge aus und stürmt die Barrikade.
Gundel beobachtet den nahenden Angriff vom Kopf der Straße aus, spannt ein dickes Gummi, das sie an ihrem Fensterrahmen befestigt hat, legt eine Windel ein und lässt sie fliegen.
"Wie in dem Song", sag' ich.
"Ja, alt und gemein. Liselotte Meier aus der Rosenstraße 8", antwortet meine Nichte.
In einer eleganten Bogenlampe saust die Kotbombe durch die Luft und der dürre Truppenführer wird niedergestreckt. "Das hier ist unser Viertel!", schreit Gundel aus dem Fenster raus. "Ihr verzieht euch sofort oder es regnen noch mehr meiner Exkremente auf euch nieder." Der Truppenführer liegt halb angeknockt und kotverschmiert am Boden. "Rächt mich, rächt das deutsche Volk!", schreit er. Die Lanzknechte erhöhen die Schlagzahl und die Truppe setzt sich in Bewegung.
Da werden links wie rechts in den oberen Stockwerken die Fenster aufgerissen. "Golden Shower!", ruft jemand. Mit Supersoakers bewaffnet treten die Verteidiger ans Fenster und lassen Urin auf die Naziskins nieder.
Angewiedert von dem Urinregen löst sich die Formation der stolzen Deutschen, die den Angriff aber noch nicht aufgegeben haben. Eine kleine Gruppe versucht in ein Wohnhaus zu gelangen, die Haustür allerdings ist fest mit Holzbalken verrammelt. "Aufpassen, die wollen die 17 stürmen", ruft Gundel den anderen zu und lässt eine weitere Kotbombe fliegen. Andere Fenster machen es ihr gleich. Ein Erguss aus Scheiße prasselt auf die Gruppe nieder, anderen ergeht es nicht besser und nach wenigen Minuten zieht die Horde Nazis brauner als je zuvor unverrichteter Dinge von dannen. Jubel ertönt und ein Mann tritt auf die Straße: "Wir haben heute gewonnen", schreit er zu den Wohnungen hoch: "Das müssen wir feiern! Ich öffne ein Fass!" und laute "Kelle ..., Kelle ...", sprechchöre hallen zurück.
"Na also", sag' ich, "da isser ja."
"Habt ihr ihn heute wieder reiten sehen? Den Haien - mit seinem weißen Schimmel, wie aus der Hölle?", rufe ich und rutsche beim Versuch, den Deich hinabzusteigen, aus, denn das Gras ist lang und seifig. Hier kümmern sich keine Schafe mehr um die Pflege des Schutzwalls.
Kelle wendet sich umher, bis er mich erblickt und lachend antwortet:
"Ja, beim neuen Deich. Der reitet, als ob der Wind ihn trägt. Das Tier hat Augen wie Feuer." Mit ausgebreiteten Armen kommt Kelle uns entgegen. "Örnie, Bem. Es ist so schön, euch zu sehen, aber was macht ihr hier?", schreit er gegen Regen und Sturm an.
"Das scheint mir nicht mehr so wichtig, nachdem ich sehe was hier los ist", und drücke ihn herzhaft an meine schlammbedeckte Brust.
"Ja, die verdammten Nazis haben sich nicht mehr mit der Brücke zufriedengegeben. Inzwischen kontrollieren sie die komplette Harburger Chaussee und sie wollen noch mehr."
Derweil an den Elbbrücken.
"Sofortige Meldung, Hauptmann S.Baumelt."
"Jawohl, Herr Oberst Schulze. Melde massivem Kotbeschuss ausgesetzt gewesen zu sein. Truppe bereits zur Volkswaschung in die Elbe geschickt. Herr Oberst Schulze."
"Hervorragend Hauptmann S.Baumelt. Sie werden sich zur Truppe begeben und informieren sie die Barackenführer Krahl und Chrupalla. Ich erwarte die Meldung zur erfolgreichen Waschung des deutschen Volkes um siebzehnhundert."
"Jawohl, Herr Oberst Schulze."
°=°
"Bitte um Verzeihung, Herr Oberst Schulze."
"Verzeihung erteilt, Gefreiter ..."
"Gefreiter Udo Voigt, Herr Oberst Schulze. Die Feldküche meldet, der Hammelbraten ist angerichtet. Herr Oberst Schulze."
"Hervorragend, Gefreiter Voigt. Folgen sie Hauptmann S.Baumelt und begeben sich zur Volkswaschung in die Elbe."
"Jawohl, Herr Oberst Schulze."
°=°
"Guten Tag, Herr Oberst. Darf ich ihnen Mantel und Schirm abnehmen?"
"Danke, Oberschütze Höcke."
"Gerne, Herr Oberst. Bitte nehmen Sie Platz, es ist alles bereitet. Zum Hammel empfehle ich einen roten Sachsen, Trocken und doch lieblich im Abgang."
"Danke, Herr Oberschütze. Es sieht hervorragend aus."
"Darf es noch etwas sein, Herr Oberst? Ich könnte zum Essen, aus -Mein Kampf- rezitieren."
"Nein danke, Herr Höcke. Schickt nach Schatzmeister Gauland und begebt euch zur Volkswaschung in die Elbe."
"Sehr gerne, Herr Oberst Schulze."
°=°
"Guten Appetit, Herr Oberst Schulze"
"Ah, der Herr Schatzmeister. Was machen meine Silberwerte Herr Gauland?"
"Wir stehen beständig bei dreißig Unzen, Herr Oberst Schulze. Kaum jemand quert die Brücke."
"Hervorragend, Herr Gauland. Das heißt, wir halten die Insel isoliert und die Feinde dieser Nation abgeschnitten von Nahrung und Gütern. Sie dürfen sich nun zur Volkswaschung in die Elbe begeben, Herr Schatzmeister."
"Für Deutschland, Herr Oberst."
"Für Deutschland, Herr Gauland. Warten sie eines noch, nehmen sie Unteroffizier Weidel mit und geben ihm ein extra Stück Seife, aus meiner Ration."
"Sehr gütig, Herr Oberst."
Wir sind inzwischen in Kelles Brauerei angekommen. Geschützt vor Wind und Wetter genießen wir sein Bier. "Örnie, das ist Gundel", sagt Kelle und Gundel ergreift direkt das Wort: "Du brauchst uns nicht vorzustellen, mein Jung', wir kennen uns bereits aus der Klinik."
"Stimmt, der l'avant-guerre", geht mir ein Licht auf, "ja, das schwirrt mir immer wieder im Kopf herum. Dein Sohn sprach davon."
"Oh nein, mein Jung'. Ich bin immer kinderlos geblieben. Mein Mann, den du dort kennengelernt hast, kämpft an einer der unzähligen Fronten auf dieser Welt. Ich habe leider länger nichts von ihm gehört, doch das geht allen so und muss nichts heißen."
Es donnert ohrenbetäubend! "Oh fuck, der war direkt über uns", duckt sich meine Nichte. Es donnert wieder, ein knallen folgt und die Glühbirnen platzen im Funkenregen. Alle ducken sich zu Boden. "Ist hier gerade der Blitz eingeschlagen?", frage ich mit nervöser Stimme. "Nein", sagt Kelle, "dann wären wir jetzt hin, aber der ist ganz hier in der Nähe runter."
Zurück zur Elbbrücke.
"Melde, Aktion Waschung des deutschen Volkes für beendet, Herr Oberst Schulze."
"Hervorragend, Hauptmann S.Baumelt. Punkt Siebzehnhundert."
"Melde, das deutsche Volk ist zu teilen Ertrunken, wurde vom Blitz erschlagen und hat sich in aufkommener Panik selbst masakriert."
"Was reden sie da Herr Hauptmann?"
"Ich hatte mich dem Deutschen angemessen gereinigt, Herr Oberst. Die Truppe allerdings, war des Volkes Reinlichkeit nicht genügend gebadet und ich befahl die totale Seifung. Ich bin geneigt zu sagen, der deutsche Michel war nicht arisch rein, da schlug der Blitz ein. Sie und ich sind die einzigen Überlebenden, Herr Oberst."
"Herr Hauptmann, packen sie meine Sachen. Wir reisen mit sofortiger Wirkung ab. Melden sie Königin von Storch, die Kompanie wurde von Thor allein hingerichtet, sie wird unsere baldige Ankunft erwarten."
Klütjenfelder Hauptdeich
Der Sintflutartige Regen lässt auf den ersten Blick nicht erkennen, was dort am Klütjenfelder Hauptdeich vor sich geht. Kleine Bläschen steigen am Fuß des Deiches auf und platzen im schlammig aufgeweichten Boden. Die Elbe sickert langsam durch das Erdreich und bahnt sich ihren Weg durch den Wall, der dem Schutz des Menschen dient und von diesem, seit dem Zusammenbruch, gänzlich vernachlässigt wurde.
Derweil ist die Brauerei immer noch gut besucht. An dem Stromausfall stört sich hier niemand so richtig, zu groß ist die Freude über die gewonnene Schlacht.
Jemand steigt auf den Billardtisch im Schankraum: "Hört her Freunde, im Regen des Scheißetornados, haben die Glatzen erfahren, was es bedeutet sich mit uns anzulegen!" und alle jubeln glückselig. Alle bis auf Örnie und Kelle, die zwei beiden verschaffen sich im Keller einen Überblick.
"Du kannst den FI-Schalter noch fünfmal einlegen Kelle, die Sicherung ist durch", sag ich im dunklen Keller stehend mit der Taschenlampe in der Hand. "Ja, ein Scheiß", flucht er: "Aber egal jetzt, es hat mich eh gewundert, dass wir Strom hatten. Leuchte hier rüber zur Tür. Schau mal nach den Abflüssen, bei dem Wetter kommt der Regen bald von unten."
Ich ziehe die schwere Eisentür zum Waschkeller auf und stehe bis zum Knöchel in Wasser. "Das dachte ich mir, so ein Dreck", bestätig sich Kelle von der Treppe aus: "Komm nach oben Örnie, wir Beobachten das besser mit einem Bier in der Hand."
Der nächste steigt auf den Billardtisch und setzt zur Rede an. "Ich habe ja nichts gegen Nazis, aber... es sind zu viele in unserem Viertel. Die klauen unsere Jobs! Die vergewaltigen unsere Frauen, das ganze Haus stinkt nach Sauerkraut und Wurst, wenn gekocht wird und die klauen unsere Jobs!" "Komm mal da runter digger!", fordert Kelle den Typen auf als er den Schankraum betritt, "du hast definitiv genug gehabt heute."
"So.…", sagt Gundel und setzt den vollen Humpen an. Trinkt aus und knallt ihn auf den Tisch. "Schätzchen, magst du eine alte Dame nach Hause begleiten? Für mich ist das hier nichts", spricht sie mit Blick auf meine Nichte gerichtet. "Es ist nur die Straße rüber, aber in den fünften Stock hoch. Da brauche ich doch leider etwas Unterstützung." Bem lässt es sich nicht anmerken, da sie eigentlich lieber bleiben würde, um ihren Durst zu stillen, doch natürlich hilft sie Gundel in den Anorak und auch darüber hinaus. "Örnie ich bring die krasse Lady in ihre Wohnung!", sagt sie zu mir als ich gerade dabei bin meine Schuhe zum Trocknen auszuziehen und verschwindet mit Gundel durch die Haustür, die sich bei Bem unterhakt als die beiden den Bürgersteig betreten und vorsichtigen Schrittes die Straße überqueren.
Meine Nichte plappert voll Begeisterung: "Ich sehe das Ding fliegen, in einer wunderschönen Bogenlampe, 40 Meter, genau auf den Kopf und dann schreist du wie William Wallace irgendwas aus dem Fenster."
Doch Gundel antwortet schlicht: "Ach weißt du Kind, so was geht ja eigentlich nur in der Phantasie und wenn es dann doch so klappt, dann brüste ich mich damit nicht."
In der Wohnung angekommen, kramt Gundel in einer kleinen alten Holztruhe. "Du musst wissen Kind, das hier ist, nicht mein erster Krieg, ich habe da etwas, was ich dir zeigen möchte, von meinem ersten Mann. Ah, da ist sie ja..." und reicht Bem eine alte Postkarte von 1946.
Kgf. Jörg K.
UdssR Moskau
Rotes Kreuz
Postfach 175-1
Liebe Gundel,
recht herzliche Grüße aus Nikolajew. Sendet dir Jörg. Es geht mir noch gut. Ich hoffe weiter auf Glück. Wie ich erfahren habe, ist unser Kind angekommen und hat nun schon seinen dritten Geburtstag gefeiert. Ist es wieder ein Junge geworden? Die drei Jungens sind ja bald groß. Hoffentlich habe ich Glück und komme bald wieder richtig zu Hause an arbeiten. Ich trage Sorge um dich und melde mich zu jeder Arbeit, um die Heimkehr zu erlangen.
zum Abschluss wünsche ich euch alles Gute und ein frohes Fest,
es grüßt Jörg
"Warum zeigst du mir die Karte Gundel?", fragt Bem.
"Er ist nie nach Hause gekommen Kind, Tod gearbeitet hat er sich im Lager.", sagt sie traurig und nimmt die Karte wieder an sich. "Weißt du Kind, ich war damals in deinem Alter und musste mich allein durchschlagen, als Frau ist das schwer, aber ich musste damals nicht an die Front. Heute ist das anders, heute kämpfen auch wir Frauen. Kämpfe Kind, aber nicht für einen Staat, nicht für reiche Säcke deren Kinder an den feinsten Stränden liegen, Kämpfe für deine Familie, lasse niemanden sterben und kommt die Front näher, dann flieh! Ohne Frieden ist alles nichts, hat Brand gesagt und warum dann kämpfen, wenn der Frieden nur eine Illusion ist, weil er einfach nicht gewollt ist."
Meine Nichte setzt sich an Gundels Küchentisch: "Ich weiß auch nicht, ich denke nicht viel darüber nach was außerhalb von unserem Kosmos hier abgeht, mein Onkel sagt immer wir müssen die kleinen Schlachten schlagen, die Ziele setzen, die wir erreichen, dann kommen wir Stück für Stück näher an unseren Happy Place heran, wo auch immer der ist. Wir sind hier, weil wir, weil Örnie ein Bier trinken wollte, ein kleines Ziel, das er verfolgt nur um in ein weiteres Chaos zu gelangen, aber ich bin froh, dass ich hier bin und froh darüber, was ich heute gesehen habe."
Gundel öffnet die Balkontür: "Komm mit raus Kind, wir genießen die Nacht bei einer Flasche Riesling. Die ist schön kalt und muss weg, wo wir jetzt nicht mehr kühlen können."
"Es regnet aber." Erwidert meine Nichte.
Doch Gundel zuckt nur mit den Achseln: "Du fühlst den Regen, dann fühlst du auch das Leben. Schau auf die Elbe, sie entblößt ihre ganze Kraft. Wo willst du sein, wenn es deine letzte Nacht ist?" "Wahrscheinlich im Regen und dem Wetter trotzen", stimmt Bem ihr zu und tritt hinaus auf den Balkon, als sie erschrocken feststellt: "Es vibriert, Gundel. Das Geländer, es vibriert."
Der Druck wird dem Gestein im Herzen des Deiches zu mächtig. Es barst im Inneren. Mit einem Beben spaltet sich der Wall und die Elbe befreit sich aus ihrem Korsett. Wassermassen rollen auf das Eiland, ein Hausboot reißt sich von den Tauen, die Welle erfasst das hilflose Boot und es bricht gegen Kai und Nachbarn. Im Sog des Stroms kentert das Hausboot Steuerbord, nimmt rasant die Woge und begräbt ein Wohnhaus im Ernst-August-Stieg unter sich.
Die Schneise durstet nach mehr. In reißenden Sturzfluten schiebt die Elbe nach, bahnt sich ihren Unaufhaltsamen Weg in jede Richtung über die Insel hinweg. Barrikaden, Autowracks und Palettenwälle werden in einem chaotischen Augenblick verschlungen und wie Spielzeug mitgerissen.
"Ich werde Magath auf ewig für Senior Raul Gonzales Castro danken! Ich habe nie einen besseren Fußballer auf Schalke gesehen!", spricht Kelle weinend in meinen Armen, "Wenn wir den 2001 schon...", kann er nicht aussprechen, da bersten die Fensterscheiben.
Das Wasser nimmt mir sofort den Halt, ich schliddere durch den Raum, stoße an die massive Holzbank und mein linkes Bein wird zwischen Tisch und Bank eingeklemmt. Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie Kelle durch die Tür raus, in den Garten gespült wird. Unter aller Anstrengung versuche ich mich zu befreien, doch der Druck des Wassers ist zu gewaltig. Mir bleibt nur dieser kleine Moment Zeit, da bin ich schon unter Wasser. Ich ringe nach Luft, reiße vergebens immer zu an meinem Bein, stemme mich gegen den Tisch und bin frei. In hektischen Zügen tauche ich an die Zimmerdecke, keine Luft, nur Wasser. Weiter dorthin, wo ich die Tür vermute. Ein Zug mit den Armen, einer noch, als mich die Kraft verlässt.
Dem Kampf folgt das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, in Frieden schwimme ich weiter. Sonnenstrahlen scheinen mir durch das Wasser auf den Rücken, ich tauche unbeschwert im Freibadbecken, eine Matratze schwimmt an mir vorbei. "Komm endlich ins Bett, Örnie", sagt Maria und ich schmiege mich zärtlich an ihren Rücken. Schützend lege ich meinen Arm um ihren Bauch, küsse ihren Nacken und schlafe ein.