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Eine Art inverser Iteration
"Sende jetzt Pups an die einunddreißig zwölf nullsieben und hol dir Norbert, den furzenden Igel, als Klingelton auf dein Handy! Der total irre Partygag!"
Eigentlich hätte ich an diesem Abend nicht fernsehen sollen. Zapp "Hey, nur noch dreizehn Sekunden. Dreizehn Sekunden! Kommt schon Leute, ruft an und schlagt dem Buzzer ein Schnippchen! Sagt mir einfach, wie viele Streichhölzer man umlegen muss, damit die Gleichung stimmt und schon gehören diese dreihundert Euro euch."
Eigentlich hätte ich an diesem Abend ganz woanders sein sollen. Zapp "Ruf jetzt an und verlange nach Renate. Scharfe Schulgören machen unanständige Sachen mit ihren Zöpfen. Und du bist live dabei."
Eigentlich hätte ich an diesem Abend nicht alleine sein sollen. Zapp "Zehntausend Euro im Jackpot, Leute. Ruft an und trefft Leitung drei, sieben oder neunundzwanzig. Sagt mir einfach vier Zahlen zwischen eins und dreihundertneunzehn und gewinnt zehntausend Euro. Steuerfei! Zehntausend Euro, Leute! Leute!"
Eigentlich hätte ich bei Heike sein sollen. Zapp "Sie wollen uns also allen Ernstes erzählen, Sie hätten Ihre eigene Schwiegertochter nicht erkannt? Ihr Stiefsohn hat eben aber noch ausgesagt, dass Sie mit der Nachbarin Ihres Freundes ein homosexuelles Verhältnis hatten. Dieselbe Nachbarin übrigens, die rein zufällig ihrer Schwägerin den Modelvertrag unter der Nase weggeschnappt hat. Und trotzdem bleiben Sie hier dabei, dass es angeblich zu dunkel war?"
Eigentlich hätte ich jetzt ebenso gut mit Kurt in die Kneipe gehen können. Zapp "Mach mit und tanz das Brot!"
...
"Heike?" Kurt pulte sich ein Stück Erdnussflip zwischen den Zähnen hervor und verschmierte es dann irgendwo in seinem Hemd. Da fiel es zumindest nicht auf.
"Heike. Du weißt schon." Sie war mal meine Freundin und Exnachbarin gewesen. Seit ein paar Tagen war sie jetzt meine Exfreundin und Nachbarin. Eine dieser Trennungen, die nicht auf die Initiative eines Einzelnen zurückzuführen sind, sondern die einfach so passieren. Eine von diesen Trennungen, nach denen es dir beschissen geht, weil du genau weißt, dass es dem Anderen genauso geht und du nichts dagegen machen kannst.
"Die scharfe Kassiererin vom Sparmarkt?"
"Ey, ich hab dir doch von ihr erzählt." Ich machte meinem Kumpel keinen Vorwurf. Es war normal, dass er sich nicht erinnerte. Kurt war einer von den Typen, für den Frauen unsichtbar werden, sobald sie vergeben sind. Vielleicht war es eine Art besonderer Ironie, dass Kurt generell für alle Frauen unsichtbar war.
"Ach, du meinst deine Nachbarin! Ja, die war auch... nett." Nett, sagte er. Mit anderen Worten, sie hatte zu wenig Titten. Darauf war es bei Heike auch nie angekommen. "Tut mir echt leid. Bier?"
"Trinkst du immer noch diese Karnickelpisse?"
"Du weißt einfach nicht, was gut ist."
"Warum gehen wir nicht wie immer runter ins gelbe Eck?"
"Hausverbot." Ich gebe zu, Kurt in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt zu haben. Die Beziehung mit Heike hatte mich einfach vollkommen vereinnahmt. Das mit Kurts Hausverbot war mir also neu.
"Erzähl schon."
"Naja... du kennst doch Desperado, oder?"
"Das Bier?"
"Den Film. Jedenfalls gibts da doch diese Szene, in der Quentin Tarantino in die Kneipe geht und diesen Witz erzählt. Erinnerst du dich?"
"Klar, ist Kult. Warte mal... du bist rausgeflogen, weil du den Witz erzählt hast?"
"Naja... direkt erzählt hab ich ihn nicht..."
"Ferkel."
"Was denn? Also, ich geh nur einmal in die Küche. Willst du jetzt ein Bier oder nicht?"
"Ja, bring mit." Ich glaube, wenn jetzt in dieser Sekunde der dritte Weltkrieg ausgebrochen wäre, hätte ich von den Nährstoffen in Kurts Sofapolster lange genug überleben können, um der UNO hinterher beim Aufräumen helfen zu können. Wobei die UNO mich hier sicher nicht gefunden hätte, weil niemand in dieser Wohnung Anzeichen von Leben mit weniger als sechs Beinen vermuten würde. Ich beugte mich nach vorne und griff nach der Tüte mit den Erdnussflips, die vermutlich schon geöffnet hier rumgelegen hatte, als Erdnussflips noch gar nicht erfunden waren. Sicher ein Paradoxon. Vermutlich auch nur Spinnerei, aber es lenkte mich zumindest einen Moment von Heike ab.
"Willste was knabbern? Warte, ich hab auch noch irgendwo Chips rumfliegen." Kurt stellte die Bierflaschen auf den Tisch - beziehungsweise auf ein sehr instabil wirkendes Konstrukt aus Zigarettenkippen, Bierflecken, Salamischeiben verschiedenster Verwesungsgerade und Dreck der allgemeinen Sorte, welches den Großteil der Tischplatte unter sich begraben hatte - und ging ins Badezimmer, um die angedrohten Chips zu holen.
Ich blieb zurück und suchte einen Flaschenöffner, da ich tatsächlich zu den wenigen Menschen gehöre, die eine Bierflasche nur mit einem entsprechenden Öffner aufbekommen und in einer Fabrik für Einwegfeuerzeuge erbarmungslos verdursten würden. Heike hatte mir mal einen Flaschenöffner als Schlüsselanhänger geschenkt, aber den hatte ich natürlich nicht dabei. Ich bin einfach ein hoffnungslos sentimentaler Fall.
"Chips sind leider alle." Kurt kaute und das machte mir Angst. Im Geiste suchte ich mir schon mal den schnellsten Weg zu seinem Telefon zurecht und hoffte, er hatte die Nummer der Giftnotrufzentrale irgendwo hinter dem Pizzaservice gespeichert.
"So, jetzt erzähl mal. Was ist los?" Kurt setzte sich auf seinen Sessel, öffnete die beiden Flaschen geschickt mit der scharfen Kante eines vertrockneten Stückes Käserinde und wir prosteten uns zu.
"Heike ist los. Hab ich doch gesagt."
"War das vor dem Bier?"
"Ja."
"Dann zählts nicht. Ein echtes Männergespräch braucht Bier. Fang nochmal an."
"Wir sind nicht mehr zusammen."
"Und?"
"Nichts und. Das wars. Das ist mein Problem."
"Das ist dein Problem? Da draußen laufen doch tausende Frauen rum. Du findest ne andere, glaub mir."
"Nein. Frauen haben generell nicht die Eigenschaft, sich in mich zu verlieben. Ich glaube, das ist nicht mal ihre Schuld, sondern einfach genetisch bedingt oder so."
"Ach komm... das ist Unsinn und das weißt du selber!" Kurt genehmigte sich noch einen Erdnussflip und ich bewunderte ihn für seinen Optimismus.
"Willst du mir jetzt sagen, dass ich ein netter Kerl wäre, der viele Qualitäten hat, von denen er die Frauen nur überzeugen müsste, damit sie ihm nachrennen? Nee, das zieht nicht."
"Nein. Ich glaube nur nicht, dass es um Genetik geht, wenn sich keine in dich verliebt. Das ist eher eine Frage der Einstellung."
"Danke... du bist ein wahrer Freund."
"Man tut, was man kann", sagte Kurt und grinste. Ich nicht. "Ach komm, sollte ein Scherz sein. Dachte, ich könnte dich was aufheitern."
"Hat nicht geklappt. Aber danke."
"Ja, das merke ich. Jetzt mach nicht so ein Gesicht hier. Guck mich an, ich wurde schon von so vielen Frauen verlassen, dass die nen eigenen Staat bevölkern könnten. Von so was geht die Welt nich unter."
"Erstens stimmt das nicht und zweitens hat sie mich nicht verlassen."
"Also du sie? Ja, was heulste denn dann rum?"
"Nein. Wir haben uns einfach eines Tages zusammengesetzt und gemerkt, dass es einfach nicht mehr geht. Ich weiß nicht warum, sie vermutlich auch nicht, aber es ist so."
"Siehst du? Darum sage ich immer wieder, dass diese ganze Scheiße von wegen Wir sollten uns mal ernsthaft unterhalten nicht funktionieren kann. Bei so was ziehst du als Mann immer den Kürzeren. Frauen erkennen unsere Schwächen nicht an und legen sie uns als Fehler aus. Wir verlieren immer." So etwas Tiefsinniges hätte ich Kurt nicht zugetraut. Vermutlich hatte er den Spruch mal irgendwann auf einer Toilettenwand an der Tanke gelesen.
"Nein, es war anders."
"War es nicht. Es ist immer so. Sie hat es dir zwar nicht gesagt, aber insgeheim hat sie dir ständig Striche auf den Deckel gemacht und irgendwann war die Zeche fällig. Also merk dir fürs nächste Mal, dass du solchen Gesprächen lieber aus dem Weg gehen solltest."
Ich glaube nicht, dass man aus fehlgeschlagenen Beziehungen etwas lernen kann. Klar, man macht sich vor, dass man aus Fehlern lernt, sich verändert hat und es beim nächsten Mal besser macht, aber letztlich wird alles wie immer bleiben. Lediglich die Zahl der Versuche erhöht sich und zeigt einem immer wieder mit unverhohlener Gehässigkeit, wie sehr man sich von seinem Ziel entfernt. Mathematisch betrachtet ist die Partnersuche nicht mehr als eine Art inverser Iteration.
Das waren keine Gedanken, mit denen man Kurt an solch einem Abend belasten sollte. Oder an irgendeinem anderen Abend. Insofern beschloss ich, unser Gespräch auf vertrauteres Terrain zurückzuführen.
"Hast du noch Bier?"
"Ja, sicher. Warte."
Ich kannte Kurts Kühlschrank und war felsenfest davon überzeugt, dass sich neben den halboffenen Thunfischdosen, den drei Tuben Tomatenmark - es waren tatsächlich immer exakt drei - dem angegammelten Stück Butter mit eigener Biokultur und seinen Bierflaschen mysteriöser Herkunft das Tor zur Hölle befinden musste. Anders war es nicht zu erklären, dass das Ding noch kein Bewusstsein erlangt hatte und weggelaufen war. Vielleicht war das System auch durch Zufall derart sorgfältig ausbalanciert, dass sich die intelligenten Spezies im Innern des Kühlschranks gegenseitig neutralisierten.
"Hier, bitte. Ist leider warm geworden. Der Kompressor vom Kühlschrank ist explodiert."
"Was?"
"Ja, oder ausgelaufen. Was weiß denn ich, bin kein Mechaniker."
"Aber die Flaschen vorhin, die..."
"Frag nicht. Frag lieber nicht."
Ich fragte nicht, sondern ging nach Hause.
Zurück zu meinen Gedanken, zurück Wand an Wand mit Heike, zurück zu Norbert, dem furzenden Igel. Keine Ahnung, wie viele Menschen es gibt, aber es muss eine ungerade Zahl sein - einer bleibt immer übrig.