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Eine Invasion
Die Sonne war da und mein Kaffee schon auf dem Tisch. Der One Night Stand wie besprochen schon wieder aus dem Haus. Moment … ich schüttete den Kaffee in die Spüle, eine reine Vorsichtsmaßnahme, die ich mir in meiner Zeit als Vagabund angewöhnt hatte. Man wusste nie, wie Damen nach einer Nacht reagieren. Vor allem bei gewissen Überraschungen, die sie erwarteten, da war schon Gröberes vorgekommen.
Ich machte mir neuen Kaffee und ging zurück ins Schlafzimmer.
Nachdem ich den giftgrünen Bademantel angezogen hatte, schlurfte ich wieder zurück in die Küche und schob ein paar Brötchen in den Backofen. Dann holte ich die Zeitung, schaute kurz aus dem Fenster meiner Wohnung, registrierte etwas Grüngeflecktes auf den Straßen herumirren, roch den frischen Kaffee und drehte mich wieder um.
Ich tat etwas Milch hinein, zwei Teelöffel Zucker und bemerkte plötzlich, dass da etwas nicht stimmte. Ich sah noch mal aus dem Fenster.
Sekunden später ließ der Ofen vernehmen, dass die Brötchen fertig waren, aber das ist jetzt eine reine Vermutung meinerseits, denn zu diesem Zeitpunkt war ich bereits auf dem Flur und stürmte nach oben.
Wir standen zu dritt am Dach und Werner warf immer wieder ein paar skeptische Blicke über die Brüstung nach unten. Judith kaute auf ihren Fingernägeln herum und stieg nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Das werden immer mehr“, sagte Werner mit zusammengebissenen Zähnen.
„Noch mehr?“, fragte ich. „Wie viele sind es bereits?“
„Ein paar Dutzend.“
„Und was machen die?“
„Schwer zu sagen. Da macht jeder was andres, ein paar halten Autos auf und zerren die Fahrer raus. Die anderen robben in der Gegend rum. Und sie fuchteln mit den Waffen.“
„Wir sollten den Hausmeister rufen“, sagte Judith.
„Was willst du denn mit dem Hausmeister?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich rufe ihn immer an, wenn ich Probleme habe.“
Werner schüttelte ungläubig den Kopf.
„Der wird uns hier nichts nutzen.“
„Was wollen nur die Soldaten hier“, fragte Werner.
„Sind das unsere?“
„Nein, Judith, ich denke nicht, dass es unsere sind.“
„Woher willst du das wissen, Werner?“
„Ich hab noch nie einen Mann mit so einem Bart gesehen, der zu uns gehören würde. Rein ethnisch betrachtet jetzt.“
„Dann sollten wir die Polizei rufen“, meinte sie.
„Hat wer ein Handy dabei?“, wollte Werner wissen und warf einen fragenden Blick in die Runde.
„Ich jedenfalls nicht“, knurrte ich und deutete dezent auf den giftgrünen Bademantel, den ich trug.
„Schon gut, ich hab eines“, sagte Judith.
Sie wählte, hielt das Handy gegen ihr Ohr und wir warteten.
„Sagt mal Jungs, hat die Polizei eine neue Nummer?“
„Soweit ich weiß nicht.“
„Hör mal“, sagte sie und hielt mir das Handy entgegen.
Es war eine Tonbandaufnahme, soviel war klar. Denn so einen Haufen Wörter in so einem Kauderwelsch in dieser Zeit hinunter zu rattern bedarf sicher einer Vorbereitungszeit und viel Ruhe. Kein Wort in Deutsch, aber ich verstand plötzlich.
„Vergesst die Polizei“, sagte ich.
„Warum?“, fragte Werner.
„Da ist was faul.“
„Inwiefern?“
„Sag mal, gehen dir nie die Fragen aus?“
„Warum?“
Ich riss mich zusammen, zählte in Gedanken bis zehn, kam bis sieben und Judith sagte plötzlich: „Äh, Jungs? Ich glaub, die gehen in die Häuser rein.“
Wir eilten zur Brüstung und starrten hinunter. Und wirklich. Die Soldaten, es waren inzwischen hunderte und ich konnte mir beim besten Willen nicht zusammenreimen, wo die alle herkamen, begannen die Häuser und Wohnungen zu stürmen.
Wir waren verloren, denn sie hatten Waffen. Und lange Bärte.
Nach einer kurzen Abstimmung, bei wem es am längsten auszuhalten wäre, waren wir in Werners Wohnung geflüchtet. Judith meinte, dass es hier aussehen würde, wie in einem Schweinestall, ich fand es ok, und Werner sagte, dass wir andere Probleme hätten.
Wir einigten uns auch darauf, die Soldaten nicht länger als Soldaten zu bezeichnen. Ab jetzt hießen sie schlicht: die Invasoren. Einhergehend hatten wir auch gleich einen Namen für unser Dilemma. Wir wurden invasiert.
Es war die Hölle; das örtliche Telefonnetz funktionierte bereits nicht mehr und egal aus welchem Fenster man sah, überall tummelten sich die Invasoren mit ihren grüngefleckten Uniformen, ihren bösartigen Waffen und noch viel schlimmeren Bärten. Außerdem hatte Werner gelogen. Er hatte gar nicht so viel zum Essen im Haus, wie er angegeben hatte. Somit war er eigentlich der Verlierer der Wahl vom Dach, aber wir konnten nicht mehr die Wohnung wechseln. Wir hörten sie durch die Tür hindurch, ihr fremdartigen Silben und wussten, dass sie schon überall waren. Sie gingen am Gang auf und ab. Die Klinke wurde ein paar Mal heruntergedrückt, dann wurde etwas geflüstert. Niemand versuchte jedoch die Tür gewaltsam zu öffnen.
Ab und zu hörten wir einen Schrei, der abrupt abbrach.
Ich sah Judith und Werner an, sah die Angst in ihren Augen. Dann geschah es.
Der Weg war nicht weit, die beiden wollten mich aufhalten, aber ich schüttelte sie ab. Ich entriegelte das Schloss und öffnete die Tür. Da kamen sie in Scharen hinein, drängten sich durch die Öffnung und ich konnte mir ein boshaftes Lachen nicht verkneifen.
Aber das Schreien begann erst, als ich ganz langsam den Bademantel aufknöpfte und mich neben den Soldaten hinstellte. Er war der Schlüssel zu dem Ganzen.
Denn er hatte meinen langen, bösen Bart versteckt gehalten.