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Eine lange Reise

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03.07.2001
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Eine lange Reise

Er bleibt stehen.
Die Vögel singen heute besonders schön. Er atmet tief ein.
Und was für eine Luft!
Schade, denkt er.
Schade, dass sie gerade nicht bei ihm ist. Sie mag Vögel. Aber sie hat es bestimmt auch schön.
Er ist das erste mal draußen, seit sie abgereist ist.
Früher sind sie immer zusammen rausgegangen, erinnert er sich, während er die Blumen betrachtet. Eine Hummel fliegt von Blüte zu Blüte.
Er freut sich schon darauf, sie wiederzusehen.
Lange hat er überlegt, wie es wäre, wenn er ihr nachreist.
Aber irgendeiner muss sich doch um den Jungen kümmern! dachte er bei sich.
Er ist stolz auf ihn.
Ob sie wohl auch gerade an den Jungen denkt?
Unsicher betrachtet er das Moos auf dem Stein.
Wie schön weich das Moos ist!
Eine lange Reise wäre das.
„Wohin fahren wir denn diesen Sommer in Urlaub?“ hatte ihn sein Sohn gefragt.
Urlaub... Das Wort hat eine ganz andere Bedeutung für ihn, seit sie weggefahren ist.
Sie mag die Berge am liebsten. Er erinnert sich an den letzten Urlaub. „Schau dir die weißen Bergspitzen vor dem roten Himmel an!“, sagte sie damals zu ihm. „Hast du jemals etwas schöneres gesehen?“
Er liebt die Berge auch.
„Ich weiß nicht, wohin wir fahren“, hatte er seinem Sohn geantwortet.
Stumm beobachtet er die Hummel. Er könnte Stunden hier stehenbleiben, dachte er bei sich, nein Tage, Wochen!
Sie waren jetzt 10 Jahre verheiratet. Er mag seine Schwiegereltern sehr gern.
„Toll, dass ihr so zusammenhaltet“, hatten sie zu dem jungen Paar gesagt. Er hatte immer Fotos von seiner kleinen Großfamilie bei sich. Nein, einsam bin ich wirklich nicht, sagt er zu sich.
Er macht sich wieder auf.
Oja, er würde sich freuen, wenn er sie wiedersieht!
Langsam schlendert er über den Weg. Der Weg war weit vom Friedhof bis nach Hause.

 

Wundere mich, wieso zu dieser Geschichte nicht schon mehr Kritiken geschrieben worden sind. Mir gefällt sie total. Durch die Detailtreue (Hummel und co.) wird man richtig in das Geschehen miteinbezogen. Man denkt bei dieser Geschichte mit und man liest sie gern. Es macht sozusagen Freude, diese Geschichte zu lesen.
Zum Schluss der Geschichte: So was in der Richtung hätte ich erwartet, aber nicht gerade so was Krasses. Die Idee ist aber wirklich gut. Etwas erstaunt an der Geschichte: Dieser Mann ist gar nicht wütend auf sein harrtes Schicksal. Viel mehr spührt man eine gewisse Ruhe heraus. Das gefällt mir besonders an der Geschichte.
Mach weiter so.
Gruss
Foxtown

 

Salü Eusebius,

Gut, dass Du Dich nicht auf Diskussionen mit Jolepies einlässt. Du bist ihm mit Deiner sensiblen Feinfühligkeit weit voraus!

Feine Geschichte. Ganz ohne Sentimentalität beschreibst Du die Trauer Deines Prots um seine Frau und die Sorge um seinen Sohn. Das ist Dir mit wenigen Worten wirklich gut gelungen. Ich stand neben ihm und konnte seine Gedanken mitempfinden.

Nur ein kleiner Tip:

Langsam schlendert er über den Weg. Der Weg war weit vom Friedhof bis nach Hause.

Vielleicht besser:
Langsam schlendert er zurück. Der Weg war weit vom Friedhof bis nach Hause.
Damit vermeidest Du zweimal 'Weg'.

Herzlich grüsst Dich Gisanne

 

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