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Eine Mutter
Eine Mutter
3 x 4 ist 12, sagt er immer wieder vor sich hin. Oder auch: wenn man 34 von 102 abzieht, dann hat man noch 68. Wahlweise Äpfel oder Birnen.
Aber er ist ja auch noch klein, übt die Logik gerade. Ich frage mich, warum überhaupt, er wird ja doch so enden wie ich. Ich habe die Logik nie verstanden, verstehe sie bis heute nicht, finde sie unpraktisch und nicht hilfreich. Hilflos könnte man schon fast sagen, aber die Logik ist ja keine Person, zumindest dürfte sie sich selbst zuliebe keine Person sein, also auch nicht hilflos.
Aber wenn er übt, dann soll er üben. Ist ja noch klein. Strebt sie vielleicht noch an.
Manchmal lacht er, dann habe ich für zwei schreckliche Augenblicke das Gefühl, jetzt hat er sie begriffen. Er ist in die Logik eingetaucht, hat kapiert, warum man plötzlich 3 x 4 Birnen haben soll und wie viele Äpfel man noch holen muss, um 83 zu haben. Doch dann weicht seine Freude wieder der Resignation, die meiner so ähnlich ist. Dann würde ich ihn am liebsten an mich drücken und sagen: Es macht nichts mein Kleiner, ich bin auch ohne Logik groß geworden.
Und dann fällt mir auf, dass ich das ja vielleicht doch nicht bin, weil ich nicht weiß nach welchem Maßstab ich wirklich groß bin. Also lasse ich es. Drücke ihn nicht an mich. Bleibe am Kühlschrank stehen und sehe ihm zu, wie er seine Aufgaben macht, verwirrt vor sich hin radiert und etwas von 15 Schülern einer Klasse erzählt, die alle jeweils drei Äpfel mit in die Schule bekommen.
Er bekommt keinen Apfel mit in die Schule. Ich weiß nicht, warum. Eigentlich mag ich Äpfel. Aber vielleicht möchte ich nicht, dass er welche mag. Zum Glück ist mir die Logik fremd, also muss ich nichts erklären. Zumindest nicht logisch. Er bekommt Brot mit Käse und einer Gurkenscheibe darauf. Kein Vollkornbrot, das mag er nicht. Und ich möchte auch nicht, dass er es mag. Weil Kinder kein Vollkornbrot mögen, und wenn noch so viele Mütter auf Elternabenden davon und von Äpfeln und Früchtetee und der neuen Zahncreme für Kinder schwärmen.
Mama, warum muss ich in die Schule gehen, es ist manchmal so langweilig da, hat er neulich gesagt. Und ich habe versucht zu lächeln und zu sagen, na ja, du musst in die Schule gehen, damit du etwas lernst und später mal einen guten Beruf bekommst und damit deine Zukunft gesichert ist und du nicht als drogenabhängiger Obdachloser endest. Aber ich habe nur mit den Achseln gezuckt und gesagt, ich weiß es nicht. Weil es die Wahrheit ist vielleicht. Oder vielleicht weil ich zu jung bin, um die Wahrheit zu wissen, schließlich habe ich sie ja nie gelernt. Nicht mal in der Schule.
Gleich gibt es Abendessen. Eine Suppe. Mit gesunden Sachen drin. Aber auch Nudeln, ohne Nudeln würde er es nicht essen. Ich auch nicht. Danach gibt es ein Eis. Weil er immer strahlt und mich küsst und sagt, du bist die beste Mama auf der Welt. Deshalb gibt es Eis, auch wenn ich mir selbst erzähle, dass es nicht so ist, dass es eigentlich immer nur einmal die Woche Eis gibt, als Belohnung für die tollen Hausaufgaben und die guten Noten und das brave Verhalten. Aber ich mache mir etwas vor. Schon wieder etwas, was ich mit Logik nicht verstehen kann.
Manchmal denke ich, alle Mütter machen sich etwas vor. Sie lächeln andauernd, wischen Staub, putzen Erbrochenes auf ohne Ihh zu sagen, korrigieren Hausaufgaben, haben immer eine warme Brust zum Tränentrocknen, können gut gesunde Dinge kochen, Vollkornbrote backen, Wäsche waschen. Ich kann das alles nicht. Und ich würde gerne schauspielern können, so wie die anderen, aber auch das kann ich nicht. Stattdessen sage ich, ich weiß es nicht, ich weiß nicht, warum du in die Schule musst, ich habe keinen blassen Schimmer, warum ich nicht möchte, dass du Äpfel magst, ich habe keine Ahnung von der Logik der Kinder oder Mütter oder Familien. Oder warum du ausrechnen musst, wie viele Äpfel in eine Kiste passen, die dreißig mal fünfzig Zentimeter groß ist und wie viele Zentimeter überhaupt ein Meter sind und warum ich dich bekommen habe.
Es ist hart, ich mag mich selbst nicht, wenn ich das denke, aber ich denke es. Ich frage mich, wo der Sinn war, wo meine Logik, mein Verstand? Dabei liebe ich ihn doch. Er ist mein Kleiner, ich lächle, wenn er lächelt, ich streichele ihn, wenn er sich an mich kuschelt und mein Bauch tut weh, wenn er weint. Aber manchmal würde ich gerne logisch denken können, nur um Gründe für sein Dasein aufzuzählen. Nur um ihn anzusehen und sagen zu können, es hat sich gelohnt, diese ganzen Schmerzen haben sich gelohnt. Nur um ihn streicheln zu können, ohne dass dabei Fragen nach dem Warum in meinem Kopf auftauchen. Nur um ihm erzählen zu können, dass ich genau weiß, warum er in die Schule gehen muss oder wie er groß und stark wird.
Aber ich weiß nicht, warum 3 mal 4, 12 ist, mein Kleiner, ich wende es einfach nur an, wenn ich Gurken und Käse einkaufen gehe und das Vollkornbrot im Regal liegen lasse. Und das solltest du auch tun.