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Eine Räuberpistole
Eisige Kristalle tanzen wie kleine weiße Feen vom Himmel herab und bedecken die Landschaft. Die immer grünen Äste ein jeder Tanne oder Fichte werden von einem weißen Häubchen verziert und auch die Dächer der wenigen Häuser im nahen Dorf hat der Schnee verhüllt. Als drei einsamen Gestalten vor kurzem diese kleine Ortschaft passiert haben, ist ihnen niemand begegnet. Draußen ist es bitterkalt. In den Hütten hingegen werden die Bewohner vom Kaminfeuer gewärmt. Warum also heraustreten, außer zum Pissen?
Doch in dem Schneegestöber sind noch andere als diese drei unterwegs. Langsam kämpfen sich fünf schwerbewaffnete Soldaten durch den kniehohen Schnee. Ihr Weg führt sie in den tiefen Wald, der, nur einen Steinwurf von der Siedlung entfernt, beginnt. Ihr Auftrag ist es, die Kutsche, welche sie bewachen, sicher zu ihrem Herrn zu geleiten. Die Räder des Wagens verfangen sich immer wieder in dem Morast unter dem Schnee, so dass die Reise nicht nur für die Gäule zu einer Plackerei ausartet.
Plötzlich zischen Pfeile durch die Luft. Vermummte Gestalten springen auf den Weg. Drei der Wachen werden sofort überwältigt. Die zwei anderen Soldaten besitzen aber das tapfere Herz eines Löwen. Gekonnt wehren sie wieder und wieder die wilden Attacken der Übermacht ab. Beinahe scheint es, als könnten sie die drei Angreifer zurückschlagen. Doch zu ihrem Pech tauchen hinter ihnen weitere Gestalten auf. Augenblicke später tränkt ihr warmes Blut den Schnee um ihre leblosen Hüllen. Wer noch während des kurzen Kampfes dachte, dass die Räuber zu eine Bande gehörten, der wurde danach des Besseren belehrt.
„Was sucht ihr hier?“, ruft eine der Personen, die den eigentlichen Hinterhalt vorbereitet hatten. „Von unserer Beute bekommt ihr nichts!“
Der Anführer der zweiten Gruppe tritt an den Wagen heran und beäugt die Beute. Dabei erwidert er belustigt: „Ohne uns hättet ihr die Wachen von Rudolf Raffsüchtig doch überhaupt nicht überwältigen können.“
„Ha, natürlich hätten wir das. Es ist allein unsere Beute!“
So entbrennt eine hitzige Diskussion. Letztendlich wird beschlossen, dass die erste Gruppe drei viertel und die anderen den Rest erhalten. Beide haben damit ein gutes Geschäft gemacht. Denn obwohl der Transporter nur mittelmäßig bewacht worden ist, verbergen sich doch Schätze in ihm. Nicht nur ein Stapel Goldbarren mit dem Doppelten RR des Grafen, sondern auch eine Schatztruhe, die mit Schmuck und Juwelen gefüllt ist, werden bald die Verstecke der Räuber bereichern. Auf einmal zieht der Anführer der zweiten Gruppe aufgeregt einen Kelch aus der Truhe hervor und ruft erstaunt: „Bei meiner dreibrüstigen Hure, eine Blutkelch!“
„Ein Blutkelch?“, wiederholt einer der anderen Räuberbande.
„Ja.“, mit diesem Wort kniet er sich neben einen der Toten und schneidet ihm mit einem silbrigen Messer den Hals auf. Dunkles Blut quillt hervor. Vorsichtig hält er den Kelch darunter, damit so wenig wie möglich daneben läuft, bis er randvoll ist.
„Kommt her!“, sagte der Anführer aufgeregt
Alle beugen sich über den Kelch. Auf einmal beginnt sich die Oberfläche zu kräuseln und ein Schatten erscheint. Eine heftige Windböe jagt durch die kleine Gruppe und eine Stimme, wie das Rascheln von Laub im Winde, flüstert: „Oh höret! Ich bin der Blutgeist. Als Gegenleistung für euer Opfer habt ihr nun vier Wünsche frei.“
Der Anführer der ersten Gruppe beginnt breit zu grinsen und bemerkt: „Das heißt dann wohl drei für uns und einen für euch.“
Der Kopf der anderen Bande bereut mittlerweile seinen Enthusiasmus über den besonderen Kelch. Aber es ist zu spät.
„Was sind eure Wünsche?“, fragt das Säuseln im Wind.
„Nun denn, zu erst zu meinen drei Wünschen. Also erstens, ich wünsche mir, dass wir ab sofort , ohne dass es Rückgängig gemacht werden kann, die einzige Räuberbande in diesem Wald sind.“
"So soll es geschehen!"
Die vermummten Gestalten der ehemals anderen Gruppe besitzen keine Waffen mehr und sind in die armen Kleider der Bauernknechten gehüllt.
Der Räuberbandenchef sieht sich vergnügt um und spricht seinen zweiten Wunsch: „Ich möchte ab sofort der berüchtigtste und gefährlichste Räuber auf der ganzen Welt sein!“
"So soll es geschehen!"
Von einem auf den anderen Moment ist er um einen Kopf gewachsen, breitschultriger geworden und trägt die feinsten Waffen, die man sich vorstellen kann an seinem Gürtel.
Der Räuber, der nun eigentlich alles erreicht hat, was er sich je erträumte, lacht schmutzig: „So, nun zu meinem dritten Wunsch. Ich will die schönste Räuberbraut auf der ganzen Welt sofort hier neben mir stehen haben und einen Priester der uns vermählen wird!“
"So soll es geschehen!"
Eine junge Frau, die zu schön ist, um auch nur eines ihrer Attribute angemessen beschreiben zu können, steht neben dem Bandenführer, als wäre sie schon immer da gewesen. Das Schneegestöber speit einen Priester aus.
„So, nun erzähle mir deinen Wunsch.“, richtet sich der Schatten im Kelch an den ehemaligen Räuberchef.
Dieser überlegt einen Moment. Plötzlich hört er ein leises Klirren in der Ferne. Er kratzt sich an seinem Bart, wiegt den Kopf hin und her und antwortet dann mit einem leichten Lächeln auf den Lippen: „Nun, ich wünsche mir die wundervollsten Trauringe, die je ein Schmied zustande bringen wird.“
Sein Gegenüber schnappt sich die schöne Frau und sieht ihn verwirrt an: „Hä?“, sagt er, „was solln der Wu...“ Seinen Satz wird er leider nie zu Ende bringen können. Denn ein Pfeil bohrt sich mitten in seine Stirn und er sackt ohne ein Laut von sich zu geben zu Boden. Kurz darauf brechen mehrere gepanzerte Ritter aus dem Dickicht hervor und schlachten die verwirrten Strauchdiebe ab. Der ehemalige Räuber überlebt natürlich. Er ist ja auch kein Schurke mehr – jedenfalls vorerst. Dafür heiratet er die schöne Frau - jetzt wo der Priester gerade schon da ist. Danach ziehen sie glücklich durch das dichte Schneegestöber wieder dorthin, wo sie hergekommen waren. In ihr geheimes Räuberversteck, weit weg von Rudolfs raffsüchtigen Häschern, aber nahe an einem warmen Kamin, an den sich gerade so zwei Leiber schmiegen können und auf dem Krüge, randvoll mit dampfendem Met, auf sie warten.