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Eine sehr schöne Harke
"... und dann einfach fest zuschlagen." Dieser Typ, er mochte so an die Einsneunzig gewesen sein und vermutlich auch genauso hoch, hörte auf den Rat seines Kumpels und schlug mir mit der Wucht eines bengalischen Tigers in die Fresse. Als ich irgendwann später wieder aufwachte, saß ich natürlich nicht mehr hinterm Steuer meines Taxis, sondern... keine Ahnung, irgendwo halt. Gefesselt mit Klebeband an einem Stuhl. War ja auch irgendwie nicht anders zu erwarten gewesen.
"So, jetzt erzähl uns mal, wo du die Kohle versteckt hast."
"Welche Kohle denn?" Dass ich aus irgendeinem Grund eine Zigarette im Mundwinkel hängen hatte, wäre echt ein feiner Zug der beiden gewesen, wenn ich denn nicht Nichtraucher gewesen wäre.
"Alter, wenn du mich verarschen willst, dann zeigt mein Kumpel Gandhi hier dir gleich mal, was eine Harke ist."
"Ja, ne Harke", nickten die Einsneunzig mit der Tigerfaust. "Das hier nämich." Er hielt tatsächlich eine Harke in der Hand.
"Das ist wirklich eine schöne Harke, Gandhi. Ändert aber nichts daran, dass ich keine Kohle habe."
"Hast du gehört, Gandhi? Er sagt, er hat keine Kohle."
"Ja, habbich gehört. Unnu?"
"Jetzt nimmst du ihm die Fluppe aus dem Maul und drückst sie aus." Er lachte schaurig. "Und zwar..." - dramatische Kunstpause - "...auf seinem Arm."
"Aber, Boss... tuddas nich weh?"
"Ja, Gandhi, das tut weh."
"Ja, Gandhi, das tut wirklich weh", bestätigte ich. "Zumindest wenn man es richtig macht. Also, da war mal dieser Typ, Trychozytenwerner hieß der und Gott alleine weiß, wie er zu dem Namen gekommen ist, also der konnte Zigaretten auf einem ausdrücken, das war ne echte Kunst. Mal so gesehen." Ich musste später allerdings zugeben, dass Gandhi seine Sache auch nicht so schlecht machte. Nicht so gut wie Trychozytenwerner, aber auch nicht schlecht.
...
bisschen früher
"Können Sie mich bitte zum Flughafen bringen?"
"Warte, ich schau mal eben nach." Ich beugte mich theatralisch aus dem Fahrerfenster und warf einen Blick auf das Taxischild auf dem Dach. "Ja, krieg ich wohl hin. Steig ein."
"Wissen Sie, wie viel mich das kosten würde? Ich meine, so ungefähr?"
"Kommt auf den Pam-Faktor an."
"Wie bitte?"
"Den Pam-Faktor."
"Ach so. Dürfte ich mich wohl auf den Beifahrersitz setzen, wenn es nicht zu viele Umstände macht? Mir wird schnell schlecht, wenn ich hinten sitze."
"Klar, aber der Bär sitzt hinten. Das macht mich nervös."
"Welcher Bä... oh, ach so, der Bär." In diesem Moment bemerkte ich eine Veränderung in ihrem hübschen Gesicht und damit auch ihrer gesamten Person. Wirkte sie zuvor wie ein hilfloses Stück Mensch, das irgendein Gott in die Welt gesetzt hatte, ohne ihm zu erklären, wie hier irgendwas funktionierte, so war sie auf einmal ein hilfloses Stück Mensch, bei dem jemand den Abfluss gefunden hatte. Schien sie ihr Kuscheltier zuvor vollkommen vergessen zu haben, begann sie bei seinem Anblick hemmungslos loszuplärren, als wüsste sie nicht so recht, wie man sich einem Eisbären gegenüber verhält und hätte zur erstbesten Reaktion gegriffen, die ihr in diesem Moment zur Verfügung stand.
"Der... der ist ja so süß", schniefte sie. "Mein Chef, also der Holger und ich, den haben wir auf dem Jahrmarkt... und das war das letzte Mal, dass ich Holger gesehen... und... oh, ist der süß..."
"Ja, das kenn ich. Süßen Bären sollte man nicht trauen, auch wenn sie noch so weiß sind. Warte, ich helf dir." Ich stieg aus, spendierte der Frau ein Taschentuch für einen flüchtigen Schneuzer, zog ihr das Kuscheltier aus den zittrigen Händen und warf es auf die Rückbank. Sofort entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder und sie lächelte.
"Danke. Sie müssen wissen, dass der Holger und ich... naja, ich wollte immer mehr sein als nur seine Sekretärin. Wenn Sie verstehen. Und dieser Bär, Knut, der erinnert mich immer... erinnert mich... und er ist so süß". Und schon wieder flossen die Tränen.
"Ja, süß ist er. Komm, ich mach dir nen Vorschlag. Du setzt dich ins Auto und ich fahr dich zum Flughafen. Und wenn du aussteigst, vergisst du das Ding einfach auf dem Rücksitz und alles ist gut. Okay? Viele Leute vergessen Sachen bei mir. Ich sag immer, was man vergisst, das kann man auch gleich vergessen."
"Okay", nickte sie und setzte sich. Ich gab Gas. Also, nicht sofort. Erst ging ich um das Auto herum, setzte mich hinters Lenkrad, schnallte mich an, schloss die Tür, startete das Taxameter, drehte den Zündschlüssel und legte den Gang rein. Aber dann, dann gab ich Gas.
...
wieder jetzt
"Das hast du gut gemacht, Gandhi", sagte mein neuer Intimfeind.
"Danke, ne."
"Ist dir wieder eingefallen, wo du die Kohle hast?"
"Ich hab keine Kohle, hab ich doch gesagt. Aber ich sags gerne nochmal. Ich hab keine Kohle. Das Ganze hier erinnert mich übrigens an diese Geschichte mit Litschiritchie. Also, eigentlich Richard, aber weil der so gerne Litschi gegessen hat, haben den alle... naja, reimt sich halt. Also, der hat auch manche Sachen nicht kapiert, weswegen wir ihm alles dreimal sagen mussten. Und irgendwann dann..."
"Ey, soll ich dir mal sagen, wie sehr mich das interessiert?"
"Weiß nicht. Warte, ich frag mal. Gandhi, was meinst du, soll er mir das mal sagen?"
"Weiß nich. Kalle, sollst du ihm das sagen?"
"Gandhi, ich sags dir zum letzten Mal", sagte Kalle ihm zum letzten Mal, "der einzige, der dir sagt, was du sagen sollst, wem du etwas sagen sollst oder wen du fragen sollst, ob er mir was sagen soll, oder wem du sagen sollst, dass er mich oder dich was fragen soll, der einzige, der dir das also sagt, das bin ich. Klar?" Ich konnte erkennen, wie Gandhi von der Situation oder von der personifizierten Logik, die sich in diesem Moment in Form von kleinen Fragezeichen in seinem Kopf manifestierte, überwältigt wurde. Zahnräder begannen sich zu drehen, stießen gegen kleine Hebelchen, drückten diverse Knöpfe, betätigten ein paar Mechanismen und schließlich landete das ganze Konglomerat aus Gedanken und Verwirrung in seinem Sprachzentrum, wo es sich zu einer Antwort zusammenballte.
"Soll ich ihm nochmal die Harke zeigen?"
...
nochmal früher
"Vierzehn."
"Was bedeutet vierzehn?"
"Vierzehn bedeutet, dass wir an diesem Cafe schnell vorbeifahren."
"Ja?"
"Pam-Faktor", erklärte ich lapidar. Der Pam-Faktor ist eine von mir erfundene Skala zwischen null und einhundertzwölf, die einfach nur besagt, wie sehr eine beliebige Frau auf der Straße Pamela Anderson gleicht und damit verbunden die Geschwindigkeit ermittelt, mit der ich mein Taxi an ihr vorbeimanövriere. Der Pam-Faktor verhält sich dabei direkt reziprok zur Geschwindigkeit.
"Darf ich Ihnen eine Frage stellen?" Ich spürte, dass sie diese Frage ziemlich viel Mut kostete.
"Okay... Also, der Pam-Faktor ist eine von mir erfundene Skala zwischen nu..."
"Nein. Ich meine, das meinte ich gar nicht. Eine andere Frage."
"Ja, auch gut. Andere Fragen sind so gut wie jede andere auch, sag ich immer."
"Waren Sie schon mal verliebt in jemanden, der auch in Sie verliebt war, zumindest haben Sie das geglaubt oder wenigstens gehofft, aber die Liebe hatte keine Chance, weil Sie nur eine kleine Sekretärin waren und dieser Jemand ein stattbekannter Mafiosi, der nicht nur seinen Lebensunterhalt mit Drogen und Waffenschieberei verdiente, mehrere Bordelle in der Stadt unterhielt und beim Pferderennen betrog, sondern zudem verheiratet war und sich niemals von seiner Frau trennen würde, weswegen er Ihnen ein Flugticket nach Hawaii und einen Stoffbären zum Trost geschenkt und gesagt hat, Sie dürften ihn nie wiedersehen, weil das seine Geschäfte schädigen würde und haben Sie danach schon mal eine Woche lang einen Eisbären... ach, der ist ja so süß... einen Eisbären aus Stoff angebrüllt, warum es dazu hatte kommen können und sich danach entschlossen, wirklich nach Hawaii zu fliegen und die ganze Sache zu vergessen?"
"Hundertzehn! Wahnsinn..." Die Frau an der Ampel sah tatsächlich aus, als hätte jemand einen Pamela Anderson Ähnlichkeitswettbewerb in ihrem Gesicht abgehalten. Rote Ampeln waren schon immer meine besten Freunde gewesen, aber diese hätte ich in diesem Moment dafür umarmen können, dass ich jetzt hier stehen durfte. "Oh, tut mir leid, was hast du gerade gesagt?"
"Ach, nichts."
"Schon okay. Das kenn ich gut. Ich meine, nichts zu sagen ist zwar nicht so gut, wie alles zu sagen, aber immer noch besser, als alles zu sagen und nichts zu meinen."
"Wie bitte?"
"Ach, nichts."
In dem Moment klopfte Gott an die Seitenscheibe.
...
später. also, von jetzt aus gesehen jetzt.
Während ich nochmal Gelegenheit bekam, Gandhis Harke zu bewundern, die wirklich außerordentlich schön war und zum ersten Mal darüber nachdachte, wie einer wie er wohl zum Namen Gandhi gekommen sein könnte, ergriff Kalle erneut das Wort.
"Der Boss hat ihr das Ding gegeben. Ihr, klar? Ihr und nicht so einem verlausten Taxifahrer, wie du einer bist."
"Erstens gehen meine Läuse dich nichts an und zweitens hab ich keine Läuse."
"Gott allein weiß, warum sie ihn dir gegeben hat, aber Fakt ist, dass der Boss ihn zurückwill."
"Es geht mich ja nichts an", begann ich, "aber ist das nicht irgendwie unfair? Ich meine, erst verschenken und dann wieder holen. Das ist ja wie damals, als der Litchiritschie mir seine Playstation..."
"Boah, kann den nicht mal einer abstellen? Gandhi, mach doch nochmal das mit der Zigarette."
"Was ich so gut kann?"
"Ja. Das, was du so gut kannst."
...
zurück zu früher
"Hello Lady", begann Gott, die Tatsache, dass ich auch in dem Wagen saß, vollkommen ignorierend. "Guten Abend, gut' Nacht."
"Guten Abend", antwortete meine Beifahrerin, deren Dämme anscheinend gebrochen waren und die jetzt echtes Mitteilungsbedürfnis hatte. Egal, zu wem. "Kann ich Sie mal was fragen? Waren Sie schon mal verliebt in jemanden, der auch in Sie verliebt war..." - in diesem Moment verlor ich kurz den Faden - "... wirklich nach Hawaii zu fliegen und die ganze Sache zu vergessen?"
"Verdammt schön war das", sagte Gott nach kurzem Nachdenken in einem seltsamen Singsang. "Dass es schön war, weiß man erst viel zu spät, aber zum Weinen ist immer noch Zeit. Wenn das Herz erst Narben hat, tauch hinab in die Nacht. Schön war die Zeit, rot war die Sonne und seit wann ist Liebe eine Sünde? Also, lass den Träumen Flügel wachsen."
"Äh... ja, natürlich."
"Also Goodbye, goodbye, goodbye." Gott wandte sich ab und ging nicht nur quer über die Straße, ohne überfahren zu werden, sondern schien von einer Aura umgeben zu sein, die sich kein Molekül zu durchdringen traute. Sowas Erstaunliches hatte ich wirklich erst einmal in meinem Leben gesehen. Damals, als... naja, ist auch egal.
"Ist dir schonmal aufgefallen", sagte ich eine Weile und drei Straßen später, "dass Gott ein wenig wie Roger Whittaker aussieht?"
"Er singt auch wie er. Haben Sie verstanden, was er mir damit sagen wollte?"
"Nein, aber das macht nichts. Wenn mich mein Leben eines gelehrt hat, dann dass man nicht immer wissen muss, was jemand gesagt hat, um zu verstehen, was er gemeint hat."
"Das ist das Seltsamste, was jemals jemand zu mir gesagt hat."
"Das überrascht mich nicht."
...
jetzt. letzter zeitsprung übrigens
"Wo ist dieser verkackte Eisbär mit dem Geld drin?"
"Ach so, den Eisbären mit dem Geld drin wollt ihr... warum sagst du das nicht gleich? Der Bär liegt auf dem Rücksitz von meinem Taxi."
Und dann war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich überrascht. Nicht etwa, weil die beiden Typen mich alleine ließen, um den Eisbären zu suchen. Auch nicht, weil ich es schaffte, mich aus dem Stuhl zu befreien, das war nämlich wirklich leicht. Mich überraschte auch nicht sonderlich, dass meine Fahrbegleitung von vorhin den Bären doch nicht im Wagen gelassen hatte. Noch weniger war ich überrascht, als mein Chef mich am nächsten Tag auf die Straße warf, als er mitbekam, was Gandhi und Kalle aus meinem Taxi gemacht hatten.
Nein, was mich wirklich überraschte war, dass es zwei Tage später an meiner Wohnungstür klingelte und dort nicht etwa zwei von meiner Unehrlichkeit tief betroffene Berufsschläger standen, sondern eine zierliche Ex-Sekretärin, die sich schüchtern und ein wenig zittrig an ihren Stoffbären klammerte und sich nicht ganz sicher zu sein schien, ob sie stolz sein sollte, weil sie mich gefunden hatte, oder ängstlich, weil das, was sie mir jetzt sagen wollte, ihren Mut eigentlich bei weitem übertraf.
"Möchten Sie mich vielleicht nach Hawaii begleiten?" Dann lächelte sie. "Ich weiß jetzt, was Gott mir sagen wollte."