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Einfach nur springen
Einfach nur springen
„Was machst du da?“, fragt das kleine Mädchen neben mir am Boden sitzend.
„Ich springe“ entgegne ich ihr.
„Stimmt doch gar nicht. Du stehst nur so da und schaust auf deine dreckigen Schuhe!“
Wie Recht sie hat. „Doch ich springe!“
„Tu das. Ich halte dich nicht davon ab.“, sagt sie trotzig und schaut stur geradeaus. Ich muss lächeln, wenn auch nur schwer. Traurig schaue ich sie an. Das kleine Mädchen neben mir. Der graue Nebel umschließt mich und ich spüre das leichte Streicheln des unbarmherzigen Windes auf meiner Haut.
Früher war ich nicht so frech wie sie. Ich war ganz anders. Ein kleiner Junge, meist für sich allein, spielend mit dem Sack voller Murmeln. Schöner, bunter Murmeln. Doch eines Tages, nahmen die älteren Kinder sie mir weg. Ich war wütend und beschloss, mir die Murmeln zurück zu holen und wenn ich sie nicht haben konnte, sollte sie keiner haben. Ich rächte mich und ließ mein Eigentum verschwinden.
Dann bekam ich ein Schachspiel. Ich war gut. Es war schwer meine Züge vorauszuschauen und mich zu besiegen. Ein Ehrgeiz steckte in mir, dem es versagt war zu verlieren.
Später spielte ich Poker. Ich riskierte und ich bluffte. Ich bluffte gut. Ich hatte meistens miese Karten und trotzdem schaffte ich es oft, dies zu vertuschen. Ich bluffte und führte die anderen in die Irre. Sie merkten es immer erst, wenn die Karten offen auf dem Tisch lagen. Da war es zu spät. Das Spiel hatte ich dann gewonnen.
„An was denkst du?“, fragt mich wieder das kleine Mädchen. „An nichts.“ „Natürlich denkst du an etwas. Du kannst mich nicht täuschen. Deine Falten auf der Stirn verraten es mir!“
Bin ich denn schon so alt? Die Zeit verging schnell. Das Mädchen lacht, als hätte sie meine Gedanken gehört.
Ich habe auch eine Tochter. Sie müsste ungefähr genauso alt sein. Ich habe es vergessen. Sie nur selten gesehen, weil ich das Geld nach Hause brachte. Ihre Mutter war ein billiges Flittchen. Ist einfach abgehauen die feige Schlampe. Ganz plötzlich, bei Nacht und Nebel mit dem Kind. Wer weiß, ob das Kind denn von mir war. Einfach abgehauen, nur weil ich ein paar schlechte Tage hatte und noch schlechtere Laune. Sie war frech und arrogant die Frau. Meinte, sie könnte etwas Besseres haben, als mich. Doch wenn ich sie nicht haben konnte, sollte sie kein anderer kriegen. Sobald ich etwas wollte, war sie still. So war es bis dahin immer gewesen. Ich wusste, wie ich sie in den Griff bekam. Mich haben ihre Tränen nur angewidert, dieses falsche Leiden, denn ihre blauen Augen liefen über von rotem Hass und für ihre Lügen wollte ich sie schon oft erwürgen. Doch trotz all meiner Macht wagte sie abzuhauen, nahm mir das Kind weg und glaubte mir entfliehen zu können.
„Was hast du jetzt vor?“, ertönt ihre zarte, helle Stimme.
„Das sagte ich doch schon. Ich springe!“
„Und wann wirst du das tun?“
„Jetzt. Gleich, wenn ich es will.“
„Also willst du es gar nicht?“, fragt sie erstaunt.
„Warum sagst du dann, dass du springen willst?“
„Ich werde springen! Du hältst mich nicht davon ab!“, sage ich wütend und gereizt.
„Tu ich das? Das will ich doch gar nicht. Spring du nur. Ich bleibe hier oben sitzen und schaue zu.“
Das Mädchen nervt mich. Seit meine Familie weg ist, verfolgt sie mich. Ich werde sie nicht los und wenn sie kurz weg ist, taucht sie im nächsten Moment wieder auf. Die Kleine macht mich wahnsinnig mit ihren tief blauen Augen und den Sommersprossen auf der Nase.
Ich schaue sie böse an. Versuche mich auf meinen Sprung zu konzentrieren, als sie mich plötzlich wieder unterbricht.
„Und warum willst du springen?“
„ Sei endlich still, du kleine Rotznase. Lass mich in Ruhe oder ich bringe dich verdammt noch mal um!“, schreie ich sie an und es ist als würde mein Schrei die ganze Welt umrunden und als Echo in meinem Ohr ertönen.
Das Mädchen sieht mich an. Sie lächelt nicht. Sie sieht mich an. Mit ihren großen, leeren Augen. „Aber das hast du doch schon, Papa.“, sagt sie schließlich mit leiser, zitternder Stimme.
Und ich springe.