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Einfach so
Gewidmet an Niklas
Es ist schon dunkel, als wir ankommen und die Stimmung ist ziemlich bedrückend. Eigentlich sollte das unser Abend werden, wir fünf und niemand sonst, so wie früher. Aber weil David seine Freundin mitbringen wollte und keiner von uns diese wirklich leiden kann, wird das wohl nichts. Zumindest scheint es momentan so. Ob es die gesellschaftliche Moral ist, die uns davon abhält, das zu tun, was wir unter uns tun würden, wenn Anna nicht dabei wäre, oder ob es einfach daran liegt, dass es schon zu lange her ist, dass wir wirklich alle zusammen waren, statt nur zu zweit oder zu dritt, weiss ich nicht. Abwarten, mehr fällt mir dazu nicht ein.
Jetzt sitzen wir im Park, es wird über oberflächliche Themen gesprochen, die keinem von uns nahe liegen. Anna scheint gemerkt zu haben, dass sie unerwünscht ist, räuspert sich und zieht sich noch mehr zurück, als sie es vorher schon getan hat, falls das möglich ist. Niemand weiss etwas zu sagen, nicht einmal Markus, der selbst auf einer Beerdigung für beste Laune sorgen kann. So verharren wir eine ganze Zeit, meistens schweigend und darauf hoffend, dass der andere etwas sagt.
Nach einer Weile öffnen wir die Flasche Korn und den Eistee. Wir trinken, schweigen uns weiter an und trinken wieder. Nachdem die Flasche leer ist, wird auch der Whisky geöffnet, ich mag das Zeug nicht, aber weil es verdammt kalt ist, und der Park nicht unbedingt die nötige Wärme bietet, trinke ich trotzdem. Da Chris kaum etwas trinkt, bleibt für uns vier, und Anna etwas mehr über. Anna ist es unangenehm, mit uns zu trinken, man sieht es ihr an, es ist zu offensichtlich, doch David macht ihr Mut, so dass auch sie einige Schlücke nimmt.
Ich weiss nicht, wie viel Zeit vergeht, wir sind, bis auf Chris, alle recht angetrunken, als ich mich das Bedürfnis überkommt, etwas zu tun.
Ich möchte reden, die Stimmung heben, etwas Sinnvolles sagen, was auch immer. Hauptsache irgendwas. Aber nicht ich bin es, der das Eis bricht, sondern Vicki.
„Ich mag dich nicht. Keiner von uns mag dich, Anna.“
Das hat gesessen. Wir sind alle überrascht über das gerade Gesagte und Niemand weiss, was er tun kann, um dem nichts hinzufügen zu müssen.
Selbst der neben Anna sitzende David sitzt nur so da und schaut auf seine Hände runter, tut so, als würde er sich irgendwas abkratzen, aber ich weiss, dass dort nichts ist.
Vicki nimmt gelassen noch einen Schluck Whisky, als sei nichts geschehen.
Anna scheint einerseits verwirrt und geschockt über die Aussage zu sein, andererseits aber macht sie den Eindruck, als hätte sie damit gerechnet, dass dieser Satz an diesem Abend gesagt werden würde.
Chris sitzt neben mir auf dem Rasen und schaut abwechselnd von Anna zu Vicki und wieder zurück, Markus tut es ihm nach. Sie erwarten wohl so etwas wie einen Kampf oder eine Prügelei.
Ich starre Anna an, wohl eher unbewusst, und plötzlich sieht sie mir in die Augen und ich muss gestehen, ich schäme mich. Ich schäme mich dafür, dass ich sie nicht mag, und sie weiss es. Ich fühle mich schlecht, psychisch als auch physisch. Vor allem aber physisch. Noch immer sieht sie mich an, ich öffne den Mund, möchte etwas sagen, doch sage ich keinen Ton.
Als sei es das Natürlichste auf der Welt, stehe ich auf, gehe zu ihr und meine Beine bewegen sich fast wie von alleine, ich lege ihr meine Hand auf die Schulter und bin fest davon überzeugt, dieses Mal etwas sagen zu können, doch das nächste, was ich spüre, ist die bittere Flüssigkeit, die mir hoch kommt. Ich will mich zurückhalten, mich umdrehen, doch bevor ich das kann übergebe ich mich und Anna schreit und springt zurück, aber man kann schlecht springen, wenn man sitzt, also versucht sie auszuweichen, so gut es geht, um nicht von meinem Erbrochenen übergossen zu werden, doch es ist zu spät, viel zu spät, ich habe sie angekotzt. Sie weint und schreit und es ist mir so unendlich peinlich, ich schäme mich, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben getan habe und ich frage mich, was jetzt passieren wird, wird sie gehen oder bleiben oder werden wir alle gehen und wird sie jemals wieder mit mir reden? Doch bevor ich diese Gedanken, diese Fragen, ordnen kann, höre ich etwas.
Jemand lacht und lacht und scheint nie wieder damit aufhören zu wollen. Es ist Markus, wer sonst? Und auch auf Vickis Gesicht stielt sich ein kleines Grinsen, ich bin verwirrt, schaue zu Chris, der mich genauso perplex anstarrt.
Ich verstehe nicht, was vor sich geht, und auf einmal fängt auch David an zu lachen, statt sich um Anna zu kümmern, sie weint doch.
Chris schliesst sich den anderen an, wir leben schließlich in einer Demokratie, und da entscheidet die Mehrheit, was zu tun ist.
Markus lacht aus tiefstem Herzen und röchelt bereits, weil er keine Luft mehr bekommt, David liegt auf dem Rasen, und weint Freudentränen, Chris´ Oberschenkel müssen bereits rot angelaufen sein, so oft, wie er drauf haut und Vicki sitzt mit der Flasche in der Hand mir gegenüber, legt langsam den Kopf in den Nacken und lacht.
Und dann begreife ich.
Es überkommt mich einfach, auch ich lache, das Warum oder Weshalb ist hier nicht wichtig, es wird nicht danach gefragt. Wir sind hier, das zählt und was wir daraus machen. Wir hätten wohl auch genauso gut alle zusammen weinen können, doch Lachen, so wie damals, ist das Etwas, das uns gefehlt hatte, vielleicht hat der ein oder andere es schon vergessen, Vicki bestimmt nicht, aber das ist auch nicht wichtig, denn es ist wieder da, es ist hier und es ist jetzt. Und ich wünsche mir, dass es für immer bleiben könnte.
Ich weiss nicht wie lange wir so hier gesessen und gestanden haben, doch Anna ist schon längst nicht mehr da und Markus hat sich mittlerweile hingesetzt, denn seine Knie werden immer schwach vom Lachen. Vicki steht auf und setzt sich neben mich, sie riecht stark nach Whisky.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass das hier nicht für immer ist. Also genieß´ es, Roy, irgendwann ist es vorbei.“
Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange und das war´s. Ich weiss nicht, was ich ihr hätte antworten können, ich nicke nur und biete ihr eine Zigarette an, sie muss mich wohl für ziemlich beschränkt halten. Ich beobachte Markus und Chris noch eine Weile, wie sie sich auf David stürzen, sich raufen und Vicki drohen, dass auch sie gleich dran sei und als ich mich über sie alle lustig mache, wollen sie auch auf mich losgehen, doch ich weiche aus und dann gehe ich.
Ich gehe und genieße und hoffe, dass unser Jetzt doch nicht ganz so schnell vorbei ist.