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Einkaufsparadies

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25.06.2008
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Einkaufsparadies

Überall in der Stadt hingen Plakate, die Presse war voll mit wohlwollenden Artikeln und im lokalen Fernsehen und Radio kamen euphorische Vorabberichte: am Donnerstag, dem 1. Juli, wird das neue Einkaufsparadies eröffnet, Erlebniseinkauf auf 30000 Quadratmetern, Einkaufsspaß pur für die ganze Familie, unschlagbare Sonderangebote in Hülle und Fülle. Zu der Eröffnung würden bekannte Stars aus Funk und Fernsehen kommen und, ganz wichtig, an diesem Tag würde das Parken auf den 2000 Plätzen kostenlos sein. Die Leute wurden eingestimmt und waren frohgestimmt und sie würden in großen Scharen kommen, alle Parkplätze würden belegt sein und die Geschäftsführer würden sich am Abend die Hände reiben. Kurzum, es würde das Erlebnis des Jahres werden.

Für ihn würde dort jedoch kein Platz sein, das wusste er. Leute wie er, Stadtstreicher, Berber, Obdachlose, waren unerwünscht. Für sie war in den Konsumtempeln kein Raum vorgesehen, allenfalls hinter den Kulissen, auf den Andienhöfen, in den Entsorgungszentren, auf den Stellplätzen der Müllcontainer. Hier fanden sie das, was sie zum Leben brauchten: in Folie eingeschweißte, leicht verfärbte Hähnchenbrust, Edamer mit überschrittenem Verfallsdatums, Restsemmeln vom Vortag, verwelktes Gemüse, weiche Tomaten. Sie fanden nicht nur Nahrungsmittel sondern auch fehlerhafte oder leicht verschmutzte Kleidungsstücke und vieles mehr, all das, was in einer stromlinienförmigen Konsumgesellschaft nicht mehr verkauft werden konnte und demzufolge entsorgt werden musste. Klar, die Leute von der Security in ihren schwarzen Sheriffanzügen mochten ihn und Seinesgleichen nicht und erschwerten ihnen den Zugang zu den Fleischtöpfen, aber man konnte sie austricksen. Nachts war auch die Security müde. Die zeitliche und räumliche Abfolge ihrer Rundgänge war leicht zu entschlüsseln und die Zäune und Türen, die das Paradies abschotteten, konnte man problemlos überwinden. Nur wenn sie Hunde einsetzten, dann wurde es schwierig, dann musste man unter Umständen passen. Aber Hunde setzten sie nur selten ein, dafür waren die Schutzwerte nicht hoch genug und die Bedrohung des Konsumfriedens durch ein paar Assis zu gering.

Er hatte die Örtlichkeiten schon in der Bauphase gründlich erkundet. Es war einfach für ihn den Handwerker zu spielen und anscheinend geschäftig durch die Baustelle zu streifen, in seinem vorigen Leben war er Schreiner gewesen. Er sah ja immer noch ganz passabel aus, mit seinen fünfzig Jahren und er achtete auch immer noch, so gut es ging, auf sein Aussehen. Früher war er richtiggehend ansehnlich gewesen, ein Bild von einem Mann. Ein Mann, der bei den Frauen ankam, leider zu gut. Nach zwei gescheiterten Ehen, dem ungebremsten Hang zum Spiel und Zocken, zu Automaten und Wetten, ja selbst zu Hütchenspielen in dunklen Ecken und durch den nicht minder gebremsten Hang zum Alkohol war er in diese missliche Lage gekommen, in der er sich nun schon seit einiger Zeit befand. Erst war das Geld weg, dann die Arbeit, dann die Beziehungskisten, dann die Wohnung. Aber in dieser Zeit hatte er gelernt zu überleben, sich durchzuschlagen und nicht nur dahinzuvegetieren. Ja, hin und wieder gelang es ihm sogar das Leben zu genießen, denn in den Containern fanden sich auch angebrochene Weinflaschen, leicht verbeulte Dosen mit Bier, überlagerte, weil überteuerte Gänseleberpastete, leicht angegraute Pralinen und zu Bruch gegangene Schokolade. Wenn er eine dieser Entdeckungen machte und sich vornahm, das feiern, feierte er allerdings immer für sich. Er war ein notorischer Einzelgänger, ohne Bedarf an sozialen Kontakten, den hatten ihm die schlecht gelaufenen Beziehungen gründlich vermiest. Er lebte allein und schlief allein und hielt sich allein an den Orten auf, die er im Laufe der Zeit entdeckt und für sich in Beschlag genommen hatte und die er dann eifersüchtig und erfolgreich gegen seine Konkurrenten verteidigte. Er aß allein, besoff sich allein und lehnte dankend ab, wenn ihn eine Frau aus dem Milieu anmachen wollte. Wenn er Bedarf nach Frau hatte, wusste er, wo er hin gehen konnte, aber er hatte meist keinen.

Er lernte in der Bauphase das Einkaufsparadies wie seine Westentasche kennen. Er gab sich als Handwerker aus, der gerade irgend etwas suchte, neu auf der Baustelle angekommen war oder eine bestimmte Firma ausfindig machen musste. Er wusste, wo die ehemaligen Kollegen ihre Bierkisten deponierten und er nahm sich ab und zu eine Flasche, aber immer nur so wenig, dass es nicht auffiel und niemand auf die Idee kam, die Polizei wegen der Diebstähle einzuschalten. Er bekam, mehr durch Zuhören als durch Fragen den Ablaufsplan der Eröffnungsparty mit und so wusste er, dass schon am Vorabend alles für den Massenandrang vorbereitet wurde. Die Massen würden dann am Donnerstag Punkt acht Uhr strömen. Seit Tagen überlegte er sich, was er in dieser Nacht machen würde. Sein späterer Lieblingsplatz würde das Bistro de Paris sein, ein Karree in der Mitte des Zentrums, eine Art Straßencafe mit Tischen und Stühlen und, unnötigerweise, auch mit Sonnenschirmen und mit einem kleinen Teich am Rande. In der Mitte des Teichs war ein Springbrunnen, dessen Wasser aus einer stählernen, sternförmigen Spitze plätschern würde. Auf einer Plakette im Fußboden stand der Name des Künstlers und der Titel des Kunstwerks: per aspera ad astra. Er hat sich sagen lassen, dass dies „über raue Pfade zu den Sternen“ hieß und dieser Titel gefiel ihm. Am besten konnte man das Cafe, den Teich und den Springbrunnen mit der Sternenspitze von der Galerie im zweiten Stock aus betrachten. Dort würde am Donnerstag die Filiale einer bekannten Feinschmeckerkette mit großem Brimborium dem vermögenden Publikum übergeben werden.

Er war an den Tagen kurz vor der Eröffnung kaum mehr im Zentrum gewesen. Die Handwerker waren weitgehend fertig und die Geschäftsleute hatten begonnen, die Läden einzurichten. Alles war voller hektischer Menschen und er wollte nicht im Weg stehen und sich möglicherweise unangenehmen Fragen aussetzen müssen. Er bekam deshalb auch nicht mit, dass sich die Betreibergesellschaft einen Gag für das Publikum ausgedacht hatte. An verschiedenen Stellen im Gebäude wurden lebensnahe, menschliche Figuren hingestellt oder hingesetzt. Lebensechte Figuren, die von Duane Hanson hätten sein können. Sie sollten die Leute verblüffen, wenn sie merkten, dass gar kein echter Mensch neben ihnen saß oder sie verwundert fragen lassen, warum der alte Opa den Fahrstuhl dauernd wegfahren ließ, ohne einzusteigen.

Er kam erst wieder am Mittwoch Abend, als immer noch emsiges Treiben herrschte und suchte gleich den Raum auf, den er als sein perfektes Versteck ausgemacht hatte. Ein von allen Geschäften genutzter Lagerraum für leeres Verpackungsmaterial, der nicht abgeschlossen wurde und mittlerweile ziemlich angefüllt war. Weit hinten in dem Raum konnte er es sich im Schein der Notausgangleuchte gemütlich machen und am nächsten Morgen würde er sich einfach unter die Besucher mischen. Er wartete, bis er sich sicher war, dass die Security geschlossen vor dem Fernseher saß. An diesem Abend spielten die Bayern gegen Manchester United und diesen Schlager ließ sich auch der gewissenhafteste Wachmann nicht entgehen. Als er sein Versteck schließlich verließ, waren die letzten Einräumer fertig und alle Lichter bis auf die Notbeleuchtung erloschen. Er ging zielstrebig zu der Feinschmeckerfiliale im zweiten Stock. Dort waren bereits Häppchen, Sekt und Wein für die Eröffnungsparty bereitgestellt und mit Plastikfolien notdürftig abgedeckt worden. Er hatte den Tipp über die kulinarischen Highlights von einem Bekannten erhalten, der in seinem früheren Leben Kellner gewesen und mit der gastronomischen Szene immer noch vertraut war.

Er nahm sich eine Platte mit Häppchen, eine Flasche Rotwein und eine Flasche Sekt, ging in seinen Abstellraum und machte es sich zwischen Kartons und gelben Säcken gemütlich. Er aß und trank und war vergnügt. So vergnügt und tatendurstig, dass er beschloss, sich noch ein Fläschchen zu holen. Nun stand er, die halbleere Rotweinflasche in der einen Hand und mit der anderen sich am Geländer der Galerie festhaltend, da und schaute in die Tiefe, wo er das Bistro und den Teich im Schummerlicht undeutlich sah. In seinem umnebelten Hirn kam er zu dem Schluss, dass es ihm doch verdammt gut gehe und dass sein einziges Problem darin bestünde, dringend pinkeln zu müssen. Und da kam ihm eine glorreiche Idee, wie er diesem Einkaufscenter ein Schnippchen schlagen könnte, eine kleine Rache an der Konsumgesellschaft, weil es ihm ja doch nicht so gut ging. Er stellte sich ganz nahe an das Geländer und pinkelte mehr oder weniger zielsicher in die Tiefe, zumindest hörte er es weiter unten deutlich plätschern und der Springbrunnen war um diese Zeit noch abgeschaltet. Er freute sich kindisch und beugte sich weit über das Geländer, um den Ort der Entweihung besser einsehen zu können.

Pünktlich um acht Uhr kamen die Menschen, die Geschäfte füllten sich, die Scanner piepten, die Kassen klingelten. Alle waren frohgelaunt und einkaufswütig. Die ersten müden, durstigen Passanten gingen in das Bistro de Paris, bestellten Latte machiato, genossen das Ambiente, bewunderten den Teich und den Springbrunnen und fragten sich, was den Künstler, von dem diese lustigen Menschenfiguren stammten, wohl bewogen haben mochte, eine seiner Figuren ausgerechnet auf die Spitze des Springbrunnens zu stecken.

 

Hallo yupag!

Das ist jetzt sicher ... hm. Ich beschreib dir mal, was ich gemacht habe: Ich habe den ersten Absatz gelesen und den Anfang des zweiten. Dann habe ich bis zum Ende gescrollt, den letzten Absatz gelesen, mich gewundert und dann den Schluss des vorletzten Absatzes.

Und ich hatte nicht das Gefühl, irgendwas Nennenswertes dazwischen verpasst zu haben.

Insgesamt hätte (mir) das hier also völlig gereicht:

Überall in der Stadt hingen Plakate, die Presse war voll mit wohlwollenden Artikeln und im lokalen Fernsehen und Radio kamen euphorische Vorabberichte: am Donnerstag, dem 1. Juli, wird das neue Einkaufsparadies eröffnet, Erlebniseinkauf auf 30000 Quadratmetern, Einkaufsspaß pur für die ganze Familie, unschlagbare Sonderangebote in Hülle und Fülle. Zu der Eröffnung würden bekannte Stars aus Funk und Fernsehen kommen und, ganz wichtig, an diesem Tag würde das Parken auf den 2000 Plätzen kostenlos sein. Die Leute wurden eingestimmt und waren frohgestimmt und sie würden in großen Scharen kommen, alle Parkplätze würden belegt sein und die Geschäftsführer würden sich am Abend die Hände reiben. Kurzum, es würde das Erlebnis des Jahres werden.

Für ihn würde dort jedoch kein Platz sein, das wusste er. Leute wie er, Stadtstreicher, Berber, Obdachlose, waren unerwünscht.

Er stellte sich ganz nahe an das Geländer und pinkelte mehr oder weniger zielsicher in die Tiefe, zumindest hörte er es weiter unten deutlich plätschern und der Springbrunnen war um diese Zeit noch abgeschaltet. Er freute sich kindisch und beugte sich weit über das Geländer, um den Ort der Entweihung besser einsehen zu können.

Pünktlich um acht Uhr kamen die Menschen, die Geschäfte füllten sich, die Scanner piepten, die Kassen klingelten. Alle waren frohgelaunt und einkaufswütig. Die ersten müden, durstigen Passanten gingen in das Bistro de Paris, bestellten Latte machiato, genossen das Ambiente, bewunderten den Teich und den Springbrunnen und fragten sich, was den Künstler, von dem diese lustigen Menschenfiguren stammten, wohl bewogen haben mochte, eine seiner Figuren ausgerechnet auf die Spitze des Springbrunnens zu stecken.


Und jetzt frage ich mich: Um zu beschreiben, dass ein Penner in einen Brunnen pinkelt, warum braucht man dafür so viel Text?

Bis bald!

yours

 

Hallo yupag

Ich habe deine Geschichte hier überfliegend gelesen, nachdem die ersten beiden Abschnitte nicht uninteressant aber kaum packend waren. Es ging mir also wie yours.

Was sich dem Leser anbietet, ist weitgehend die Beschreibung eines neuen Einkaufszentrums, wie es überall stehen könnte, mit seinen Sonderlichkeiten. Die Inhalte wirken wie Füllmaterial. Insofern ist es sehr distanziert, auch wenn zuweilen der Prot. mit seinen Sinnen direkt wiedergegeben wird. Dies reicht so nicht, um anzusprechen. Was mir fehlt sind lebhafte Gefühle des Prot., Handlungen die miterleben lassen und Konflikte die Spannung erzeugen. Das Pinkeln aus grosser Höhe in den Springbrunnen, in den andere Leute dann ihre Hände stecken, ist ein dummer Junge Streich, ein seichter Witz. Ein hautnahes Erleben und Mitspüren als Leser konnte so nicht aufkommen. Auch beginnst du fünf der acht Abschnitte mit ‚Er‘, dies ebenso in etlichen Sätzen, was die stark distanzierte Form noch unterstreicht.

Dein Schreibstil scheint mir gewandt, in der Beobachtung gut, doch müsstest du es mit anderer Perspektive nochmals angehen. Ansonsten wäre es schade für den Aufwand, den du dir machtest. Ich denke, eine Überarbeitung in diesem Sinne könnte aus dem Stoff den du aufgegriffen hast, noch eine ganz passable Geschichte machen. Schau doch mal in einem Buch eines Autors den du gern magst, wie er seine Figuren und Handlungen rüberbringt. Dies sollte dich nicht entmutigen, auch wenn Selbstzweifel den Vorteil haben, dass man dann immer mehr abwägt, und manchmal dennoch herbe Kritik erntet. Aber es finden sich dann auch immer gut geneigte Leser.

Gruss

Anakreon

 

Hi yupag,
mich konnte der Text auch nicht packen. Es plätschert eben so vor sich hin. Dabei sollte das Ende wohl der Knaller sein. Leider fand ich gerade diese Wendung an den Haaren herbeigezogen. Nicht, daß er runterfiel, sondern, daß dann keiner merkt, daß die Leiche echt ist.
Aus dem Setting hätte man sicher viel mehr herausholen können. Ich erkenn auch ein erzählerisches Motiv, die Gleichgültigkeit der anderen, generell das alte Thema Das einsame Leben und Sterben eines Menschen unter Menschen, aber daß dann keiner den Unterschied zwischen der aufgespießten Leiche und lebensechten Figuren erkennt, die ja sicher nicht blutig oder erschreckend aussehen, ist übers Ziel hinausgeschossen.
Ich glaube, daß Du hier viel Botschaft reinbringen wolltest, die aber verschenkt wird, weil man sich mit Menschen, die unglaubwürdig handeln, schwer identifizieren kann.

Eine Überarbeitung würde der Geschcihte sicher guttun. Straffen, kürzen, das Ende glaubwürdiger bringen, ich meine: Wenn's schon plötzlich blutig wird, warum sollten die anderen dann nicht auch fürchterlich erschrecken? Das kann doch der Botschaft nicht schaden. :)

Gruß,
Makita.

 

Danke, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, die Geschichte zu lesen und eine Antwort zu schreiben. Pinkeln allein beschreiben reicht nicht, man sollte schon wissen wo und warum. Ja, die aufgespiesste Figur sprich Mensch sollte der Gag sein, das kann natürlich so nie vorgefallen sein, daher ist die Geschichte auch nicht bierernst zu nehmen und viele Botschaften wollte ich gar nicht rein bringen. Mal sehn, ob ich sie noch mal überarbeite und dann eure Anregungen aufnehme. Vielleicht ist es aber auch der Mühe nicht wert. Gruß yupag

 

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