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Einmal Hölle und zurück (neue Fassung)
Als der Dekan der Universität zu mir sagte »Fahren Sie zur Hölle, Sie Arschloch!“, da hätte ich nie im Leben angenommen, dass er Recht behalten würde.
Es hatte in der Nacht aufgefrischt und die Sterne funkelten klar und deutlich am kalten, schwarzen Himmel.
Der Zeitpunkt war ideal.
Ich verfolgte die Sternbilder am Himmel, orientierte mich am großen Wagen, am Schützen um am Stier und ordnete meine Symbole neu. Ich überflog den alten lateinischen Text zum wiederholten Mal, ich konnte ihn schon auswendig herunterrattern, so oft hatte ich ihn gelesen und studiert.
Dann zeichnete ich mit zittrigen Fingern den Kreis auf dem rauen Asphaltboden.
»Du bist wahnsinnig, Tom«, sagte Susanne hinter mir. Ich spürte, wie sie mich umarmte und mich auf den Hinterkopf küsste. Und trotzdem konnte ich den Blick nicht von meiner Arbeit abwenden, nicht von den Symbolen, die ich zeichnete, nicht von den Zeilen, die ich in meinem Geist immer und immer wiederholte.
Ich warf einen letzten Blick hinauf in den Himmel.
»Es ist Zeit«, murmelte ich. »Jetzt oder nie.« Ich drehte mich zu Susanne um und sah in ihre grünen Augen.
Sie lächelte mich an.
Es war das letzte Mal, dass ich sie lächeln sah.
»Tom?«
Ich wachte auf und spürte den Schweiß am ganzen Körper.
»Tom, Liebling?« Sie berührte mich sanft an der Wange und zwang meinen Kopf in ihre Richtung. Ich sah ihren besorgten Blick.
»Waren es wieder diese Alpträume?« fragte sie mich und ich nickte.
Sie zog mich fest an sich, so dass ich die Wärme ihres Körpers spüren konnte, ich hörte ihren regelmäßigen Atem, fühlte ihre Hände in meinen Haaren, inhalierte ihren Duft.
Sie war mein ein und alles geworden.
Aber sie war nicht Susanne.
Ihr Name war Kristin. Und ihr Vater das Problem.
»Scheiße, Tom«, sagte Frederick.
Ich packte gerade meine Sachen zusammen und räumte mein Büro. Die wichtigsten Dinge hatte ich gestern schon eingesammelt. Jetzt hatte ich nur noch den Kleinkram zu erledigen. Nur ein paar Dinge. Dinge, die in einen kleinen Karton passten. Ein paar Fotos, ein paar Bücher, Krimskrams.
Ich sah Frederick an und grinste. »Es gibt Schlimmeres«, meinte ich und dachte an einen Vulkanausbruch.
Frederick schüttelte den Kopf. »Es war keine schöne Sache. Er hat dich vorgeführt und öffentlich lächerlich gemacht. Er hat deinen Ruf genommen, ihn in den Dreck geworfen und dann draufgepisst.«
»Lernen deine Studenten diese Kraftausdrücke in deinen Vorlesungen?« fragte ich ihn.
Er lächelte. Frederick war Dozent für Theaterwissenschaften. »Du nimmst das erstaunlich locker«, sagte er dann. »Alles okay?«
Ich sah mich in meinem leeren Büro um. Die Arbeit hier würde mir fehlen. Ich würde lügen, behauptete ich etwas anderes. Aber in meinem Leben war nicht immer alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und das hier war eben nur ein weiteres Steinchen auf meinem Weg. Und es hatte weiß Gott größere gegeben.
»Ich bin okay«, sagte ich und sah ihm direkt in die Augen.
»Dann glaube ich dir«, erwiderte er.
Ich wandte mich der Tür zu, um zu gehen.
»Ist sie es wert, Tom?« fragte mich Frederick.
Ich verharrte im Türrahmen. »Das und viel mehr.«
»Professor Criczek«, rief eine Stimme hinter mir und ich drehte mich um.
Richard kam auf mich zugelaufen. Er sah aus wie immer. Er trug seinen schwarzen Rollkragenpulli, dazu eine helle Jeans und darüber ein Sakko. Sein Haar war fein gescheitelt. Ich mochte ihn.
»Professor«, wiederholte er noch einmal, als er direkt vor mir stand, völlig außer Atem.
»Was ist, Richard?«
»Ich wollte nur noch einmal mit Ihnen sprechen.«
»Weswegen?«
»Ich wollte, dass Sie wissen, dass ich niemals geglaubt habe, was die anderen sagen.«
Ich sah ihn an, den kleinen Pappkarton noch immer zwischen meinen Händen.
»Ich habe Ihren Unterricht sehr genossen«, fuhr er fort, nachdem ich nicht antwortete.
Er war ein sehr guter Student gewesen, hatte eine Arbeit über keltische Schamanen geschrieben, die ich sehr bewundert hatte. Richard hatte nicht alle Zusammenhänge richtig gedeutet, war aber zu Interpretationen gelangt, die andere namhafte Forscher niemals auch nur in Erwähnung gezogen hatten.
»Es war so ... anders bei Ihnen«, sagte er, sah mich an und wartete auf eine Antwort. Wahrscheinlich wollte er, dass ich den Gerüchten widersprach, die kursierten, Gerüchten, dass ich in Satanszirkeln Mitglied wäre, dass ich Minderjährige unter Drogen setzte. Doch ich tat ihm den Gefallen nicht.
Ich wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben, ich war es so leid, mich zu rechtfertigen, so leid, Dinge zu erklären, die ich schon so oft erklärt hatte, ohne das jemand sie verstand oder mir auch nur zuhörte.
Ich lächelte Richard an. »Ich muss gehen.«
Seine Augen wurden glasig, als sich Enttäuschung darin breit machte. Er nickte und senkte den Blick. »Alles Gute, Professor.«
»Danke.«
»Tom Criczek?« fragte eine heisere Stimme.
Ich stellte gerade den Karton in den Kofferraum meines Opel Kombi und drehte mich um. Hinter mir standen zwei Gestalten, die ähnlicher und zugleich unterschiedlicher nicht sein konnten. Sie trugen einen schwarzen Anzug, dazu ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Das Haar war glatt nach hinter gebügelt und sie schienen beide die selbe Länge zu messen - der eine in horizontaler, der andere jedoch in vertikaler Richtung.
Im Mundwinkel des Dürren hing eine qualmende Zigarette, der Fettsack hingegen grinste nur etwas dämlich.
»Und Sie sind?« fragte ich.
»Mein Name ist David«, antwortete der Dürre. Er war der Eigentümer jener absonderlich heiseren Stimme, eine Stimme, wie sie nur durch exzessives Rauchen entstehen konnte. »Und das hier ist Gunther.« Dabei deutete er auf den Fettsack.
»Und was wollen Sie von mir?« fragte ich.
Der Dürre saugte an seiner Zigarette und blies den Rauch in meine Richtung. »Wir haben Einiges über Sie gehört«, erzählte David. »Nicht nur gute Dinge, freilich. Und unser Chef ist sehr interessiert an Ihren ... speziellen Fähigkeiten.«
»Was reden Sie da eigentlich?« fuhr ich ihn an. Ich dachte, er würde auf die Affäre anspielen, die zu meiner Suspendierung geführt hatte.
David lächelte mich nur an und dieses Lächeln hätte ich ihm am Liebsten augenblicklich aus der Fresse geschlagen.
»Beruhigen Sie sich doch, Professor«, redete er auf mich ein. »Ihr Privatleben ist mir scheißegal. Es geht um etwas anderes. Um etwas ganz anderes...«
Und dann fiel der Groschen.
»Das mache ich nicht mehr«, sagte ich.
Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Dürren. Ich drehte mich um und schloss den Kofferraum. Ohne ein weiteres Wort ging ich um das Auto herum und öffnete die Fahrertür.
»Unser Chef ist ein sehr reicher Mann«, rief mir der Dürre nach. »Und ich glaube, Geld ist etwas, das Sie nicht so unüberlegt ablehnen sollten.«
Ich verharrte.
Der Dürre merkte das und trat wieder auf mich zu. Ich konnte seinen Zigarettenatem riechen. Ein Geruch, der mich an Schwefel erinnerte.
»Sie haben viel Gutes bewirkt, sagt man«, fuhr der Dürre fort. »Man sollte die Fähigkeiten, die man besitzt, nicht verleugnen, Professor. Und Sie scheinen außerordentliche Fähigkeiten zu besitzen.«
Ich dachte an Susanne.
Dann sah ich ihn an. »Was wollen Sie?«
Er lächelte. »Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen das mitzuteilen.«
»Was ist dann ihre Aufgabe?«
»Ich bin Ihr Chauffeur. Nichts weiter.«
»Und wo soll es hingehen?«
»Das werden Sie sehen, nachdem Sie eingestiegen sind.«
Der Fettsack grinste mich an und trat einen Schritt zur Seite. Hinter ihm stand eine Limousine, die wahrscheinlich mehr gekostet hatte als mein Haus.
Was war ich nur für ein Idiot?
Ich saß in der geräumigen Kabine der Limo, der Dürre auf der Bank mir gegenüber. Die Ausstattung war phänomenal. Ledersitze, eine kleine Minibar, ein Fernsehschirm auf dem tonlos Schneewittchen lief und im Hintergrund sanfte klassische Musik von Beethoven.
Der Dürre hatte mich angelogen: nicht er war der Chauffeur der Limo, sondern sein fetter, schweigsamer Kompagnon.
Der Dürre saugte an seiner Zigarette als würde sein Leben davon abhängen. Es war mehr Qualm in seinen Lungen als Luft zum atmen. Die Kabine war nach kurzer Zeit so zugequalmt, dass ich das Fenster einen Spalt auf machte.
»Wollen Sie auch eine?« fragte er mich daraufhin.
»Ich habe aufgehört«, antwortete ich und hob ablehnend die Hände.
Der Dürre grinste mich an und entblößte seine vergilbten Zähne. »Selbst Schuld«, meinte er nur.
»Wo bringen Sie mich eigentlich hin?« fragte ich.
»Sie werden es früh genug erfahren«, antwortete er.
Nur weiter so, Arschloch.
Ich riskierte einen Blick nach draußen. Wir näherten uns eindeutig den schöneren Vierteln der Stadt. Wenn mich bisher nicht der protzige Superschlitten eines besseren belehrt hatte, so konnte ich jetzt sicher sein, dass die Person, die Interesse an meiner Anwesenheit zeigte, in die obere Schublade der Gesellschaft gehörte.
»Wenn du das schaffst, Tom, dann... dann...«
»Es ist schon lange niemandem mehr gelungen, Susanne«, sagte ich. »Aber heute Nacht, wird es mir gelingen...«
Ich warf erneut einen Blick nach oben in den Nachthimmel. Susanne stand irgendwo hinter mir.
Ich hätte mich mehr konzentrieren müssen, aber ich war so aufgeregt.
Ich hätte den Bannkreis noch einmal kontrollieren sollen.
Der Fehler war doch so offensichtlich. Wie hatte ich ihn nur übersehen können?
Als wir die Villa erreichten, wurde mir einiges klarer.
Vom großen, gusseisernen Tor samt Familienwappen bis zur eigentlichen Haustür des Anwesens brauchten wir fast länger als von der Universität zu besagtem Grundstück. Die Limousine tuckerte gemütlich dahin, so dass ich auch ja Gelegenheit hatte, alles ausgiebig zu bestaunen.
Als wir anhielten, drückte der Dürre den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus und klopfte seine Hose sauber, die voller Asche war. Dann öffnete er die Tür und stieg aus. Ich folgte ihm, froh endlich wieder frische Luft zu atmen.
Der Fettsack wartete neben der Motorhaube der Limousine und musterte mich mit seinem maskenhaften Gesichtsausdruck. Ich konnte es mir nicht verkneifen und zwinkerte ihm zu, worauf er sehr verwirrt reagierte.
Der Dürre grinste wölfisch und wies mit seiner Hand auf den Eingang der Villa. Eine weite, steinerne Treppe führte zu einer großen, reichlich verzierten und vergoldeten Doppeltür, vor der ein Bediensteter mit Frack stand.
Ich folgte dem Dürren nach oben und wir gingen in die Villa hinein.
Die Eingangshalle war schlicht, aber auf eine unglaublich aufdringliche Art protzig. Jedes Accessoire schien zu schreien: Schau mal, wie viel ich gekostet habe!
Ich konnte mir ein dezentes Grinsen nicht verbeißen.
»Herr Criczek«, hörte ich dann eine Stimme hinter mir. Obwohl mein Name falsch ausgesprochen wurde (nämlich »Krizek«) drehte ich mich um.
Ein feister, kleiner Mann in teurem Anzug, eine Zigarre zwischen den Wurstfingern stand plötzlich vor mir. Er hatte einen hochroten Kopf, von seinen Haaren war lediglich ein noch ein spärlich grauer Kranz übrig.
Er streckte mit seine fette Pranke entgegen und ich erwiderte seinen festen Händedruck.
»Klos ist mein Name«, sagte der Mann und ich erkannte ihn sofort. Jeder in der Stadt kannte den Namen. Klos war ein äußert einflussreicher Mann, der fast überall seine fetten Finger hatte. Und er war reich. Unglaublich reich. Aber die Arroganz, die in seinem Lächeln mitschwang, hätte ich ihm am Liebsten aus dem Gesicht geschlagen.
»Was wollen Sie von mir?« fragte ich ihn.
»Alles mit der Zeit«, sagte er und drehte sich zu dem Bediensteten an der Tür zu. »Ist alles vorbereitet?«
Der Frackträger nickte.
Klos drehte sich mit einem Grinsen zu mir um und klopfte die Asche seiner Zigarre auf dem Teppich ab. »Gut, Herr Krizek, dann folgen Sie mir bitte.«
Als wir die Eingangshalle verließen, kam ein anderer Bediensteter herbeigeeilt, um die Asche vom Teppich zu kehren.
Der Keller war kühl, aber nicht unangenehm kalt. Grelle Neonröhren hingen an den steinernen, unverputzten Wänden. Es roch etwas nach Moder, aber nicht besonders auffällig.
Klos führte uns die schmale, gewundene Treppe nach unten, ich folgte und hinter mir kamen der Dürre und der Fettsack.
»Ihr Ruf ist beinahe legendär, Herr Krizek«, sagte Herr Klos.
»Wenn Sie das meinen«, erwiderte ich.
»Doch, doch, ihr Name ist sehr bekannt bei unsereins«, fuhr er fort. Er war ein Mann, der sich unglaublich gerne sprechen hörte. »Man erzählt sich die lustigsten Geschichten über Sie. Sie sollen der Gräfin bei einem Problem mit ihrem Ehemann geholfen haben. Ihrem toten Ehemann, wohlgemerkt.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, log ich.
»Die Gräfin hat in den höchsten Tönen von Ihnen gesprochen.«
Auch mit mir hatte die Gräfin damals in höchsten Tönen geredet – allerdings waren mir ihre Schreie nach einer Weile ziemlich auf die Nerven gegangen.
»Sie sollen den Teufel beschworen haben«, redete Klos einfach weiter. Er blieb kurz stehen und sah mich grinsend an. »Trifft das zu?«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Sie sollen den Bürgermeister mit Nacktfotos erpresst haben«, antwortete ich. »Trifft das zu?«
Sein Lächeln gefror ihm auf dem Lippen und er drehte sich um und ging weiter. Wir erreichten das Ende der Treppe, das in einen engen Gang führte. Hier wurde das Licht langsam schwächer und der Modergeruch nahm zu.
Auf was hatte ich mich da eingelassen?
Das Licht explodierte förmlich vor meinen Augen, Feuer loderte auf, zeichnete die Linien der weißen Kreise vor mir auf dem Boden nach. Im Zentrum des Feuerkreises stoben Funken und helle Lichtkugeln, gefärbt in allen Regenbogenfarben, tanzten auf und ab.
Dann hörten wir Donner und Blitze züngelten in den Himmel.
Ich war geblendet von all dem Licht.
»Irgendetwas stimmt da nicht, Tom...«, hörte ich Susanne plötzlich rufen.
Ich verstand nicht.
»Der Kreis«, schrie sie. »Er ist offen! Scheiße, Tom, er ist OFFEN!«
»Herr Krizek«, riss mich Klos aus meinen Gedanken. »Das ist es!«
Ich betrat den gewaltigen Raum, der sich vor mir erstreckte. Die Decke war abgerundet und er mochte die Fläche eines Tennisplatzes messen. Dicke Steinquader bildeten die Wände, sie waren alt und die Zeit hatte deutliche Spuren in ihnen hinterlassen. Mehrere Stühle waren aufgestellt worden und um das Zentrum des Raums gruppiert.
Ich trat langsam näher.
Nein.
Nein.
Nein.
Mit Blut war ein großer Kreis von etwa zwei Metern Durchmesser auf den kalten Steinboden gezeichnet. Ich erkannte die Symbole nicht auf Anhieb und wusste auch nicht alle zu deuten, aber was ich sehen konnte, ließ mir das Herz stillstehen.
»Sie Wahnsinniger«, sagte ich. »Sie Irrer. Sie krankes Arschloch.«
»Na, na, Herr Krizek«, erwiderte Klos. »Wer wird denn gleich ausfallend werden.«
»Was haben Sie vor?« fragte ich. Ich drehte mich zu ihm um und ging näher an ihn heran, die Hände zu Fäusten geballt. Der Dürre und der Fettsack traten augenblicklich neben ihren Boss, um ihn im Zweifelsfall vor mir zu schützen. Der Dürre hatte sich schon wieder eine Zigarette angesteckt.
»Was wir heute Nacht hier durchzuführen gedenken«, erklärte Klos, »bedarf äußert genauer Vorbereitung und Überwachung. Sehr angesehene und wichtige Bürger dieser Stadt werden zu Gast sein bei dem heutigen Ereignis.«
»Das können Sie nicht tun«, rief ich. »Diese Dinge sind nicht für uns Menschen bestimmt!«
Klos lächelte. »Sie verstehen nicht, Herr Krizek«, erwiderte er. »Ich brauche Ihre Erlaubnis nicht, lediglich Ihre fachkundige Meinung und Betreuung.«
»Die werden Sie nicht bekommen«, schrie ich.
»Sie missverstehen mich schon wieder, Herr Krizek, denn Sie haben nicht die Wahl, das zu entscheiden.«
Und plötzlich schoss der Dürre mit einer schnellen Bewegung nach vorne auf mich zu. Ich hob den Arm, um seinen Angriff abzuwehren und er rammte mir etwas Spitzes durch meine Haut. Es brannte kurz und dann war es schon vorbei.
Ich fühlte mich plötzlich schwach und müde. Die Kraft wich aus meinen Muskeln.
»Was...?« keuchte ich.
»Nur zu Ihrer eigenen Beruhigung«, sagte Klos. Sein Lachen war das Letzte, was ich hörte, bevor ich zusammenbrach. Den Aufprall auf den Boden spürte ich gar nicht mehr.
Als ich wieder die Augen aufschlug war um mich ein Gewirr aus Stimmen und Murmeln. Mein Kopf war schwer und fühlte sich verkatert an.
Ich rieb meinen linken Oberarm und sah in das grinsende Gesicht des Dürren, der eine leere Spritze in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand hatte.
Dann ließ ich meinen Blick weiter durch den Raum wandern, der sich inzwischen merklich gefüllt hatte. Es mochten gut zwei Duzend Menschen hier sein, allesamt in bester Abendgarderobe, insgesamt bestimmt die Crème de la crème der hiesigen high society. Ein paar der Gesichter hier kannte ich sogar aus der Zeitung.
»Was haben Sie mir gegeben?« fragte ich den Dürren.
Der blies mir zur Antwort erst einmal Rauch ins Gesicht und sagte dann: »Nichts Schlimmes. Sie sollten nur die nächsten Tage nicht in eine Drogenkontrolle der Polizei geraten.«
»Herr Krizek«, rief Klos und kam auf mich herangestürmt. »Ich dachte schon, Sie würden überhaupt nicht mehr zu sich kommen. Sind wir dann so weit? Meine Gäste werden langsam unruhig.«
»Das wird ein Nachspiel haben«, drohte ich. »Ich werde mich an die Polizei wenden.«
»Die Polizei?« Klos lächelte amüsiert. »Der Polizeichef wäre im Moment sogar zugegen. Wollen Sie ihn sprechen?«
»Arschloch«, nuschelte ich.
»David, du passt auf unseren speziellen Gast hier auf«, sagte Klos zu dem Dürren, der nur grinsend nickte. Dann drehte sich Klos um und klatschte in die Hände.
Augenblicklich kehrte unter allen Anwesenden Ruhe ein. Sie setzten sich auf ihre Plätze, die alle um den großen Blutbannkreis am Boden gruppiert waren, und fixierten Klos mit ihren Blicken. Der sonnte sich eine Weile lang in der ganzen Aufmerksamkeit, die ihm zu teil wurde und grinste dann.
»Meine Damen und Herren«, begann er dann, »wir haben uns alle hier eingefunden, um einer erstaunlichen, unglaublichen Erscheinung teilhaftig zu werden. Wir hier, wir Auserwählte, werden heute das Tor in eine andere Welt öffnen und werden Dinge sehen, die nur wenige andere zuvor gesehen haben. Seien Sie bereit. Und seien Sie gespannt.«
Ich überflog die Gesichter der Reichen und Superreichen angewidert. Alle Augen waren auf Klos gerichtet, Neugier war darin zu sehen, Anspannung und Angst.
Ja, Angst, das war die angemessenste Emotion für diesen Irrsinn.
Nur einer der Gäste, ein Mann, der vielleicht etwas jünger war als ich und sehr groß wirkte (und das obwohl er auf einem Stuhl saß), blickte nicht auf Klos, sondern auf mich. Mit seinen dunklen Augen musterte er mich, mit starrem Gesicht. Ich erwiderte seinen Blick und dann nickte er mir leicht zu, ein sanftes Wippen seines Kopfes, kaum wahrnehmbar.
Ich riss mich vom Stuhl los und rannte auf Klos zu.
»Nein«, schrie ich, »nein, nein, das ist Wahnsinn, Sie sind wahns…«
Ich spürte einen Schmerz am Hinterkopf und kräftige Hände, die nach mir griffen. Ich versuchte mich zu wehren, aber die Schmerzen wurden einfach stärker. Im Körper dieses dürren Irren steckte mehr Kraft, als ich angenommen hatte. Er schleifte mich zurück zum Stuhl und knebelte meinen Mund. Ich bäumte mich auf, aber alles war vergebens. Sein Griff war fest.
Klos lachte. »Sie verzeihen, meine Damen und Herren«, sagte er. »Aber unser Herr Krizek ist etwas aufgewühlt. Er hat eine schlimme Woche hinter sich. Er hat seine Anstellung verloren und in der Presse waren auch nicht unbedingt die angenehmsten Dinge über ihn zu lesen.«
Die Gäste murmelten und beobachteten mich mit gaffenden Blicken.
Der große Mann, der mich vorher schon die ganze Zeit über angesehen hatte, musterte mich noch immer. Seine dunkeln Augen waren unergründlich für mich.
»Vielleicht können Sie etwas Licht ins Dunkle bringen«, meinte Klos dann. »Man sagt, dass die Tochter des Dekans der hiesigen Universität in ihrem Haus wohnt? Wie alt ist sie doch gleich? Siebzehn?«
Das Gemurmel wurde etwas lauter und Klos lachte. »Wollen Sie nicht antworten?«
Er Knebel steckte immer noch in meinem Mund.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, meinte Klos lächelnd.
Er wandte sich von mir ab und wartete, bis wieder Ruhe einkehrte.
»Wollen wir beginnen?« fragte er dann.
Und dann war da das Feuer. Und die Hitze. Und es roch nach verbranntem Fleisch.
Ich spürte Schmerz an meinem ganzen Leib.
»Susanne«, rief ich. »Susanne.« Immer und immer wieder.
Sie antwortete nicht.
Stattdessen begann es zu regnen.
Der Dämon war weg. Und Susanne mit ihm.
Ich spürte die kühlen Wassertropfen in meinem Gesicht. Und ich war ganz allein.
Das Licht wurde gedämmt und es war unglaublich still. Man hatte den Eindruck, dass die Menschen sogar das Atmen eingestellt hatten.
Ich habe mich lange mit Beschwörungen und Bannzaubern befasst. Es gibt zum Glück nur wenig überlieferte Bannsprüche und die wenigen werden gut geschützt. Nur manchmal kommt es leider vor, dass sie in die falschen Hände geraten.
Klos höchstpersönlich hatte sich vor den Bannkreis gestellt und hielt die Pergamentrolle ausgestreckt vor sich. Ich wusste nicht, welchen Dämon sie beschwören wollten, aber ich ahnte Schreckliches. Der Kreis war sehr groß und reich geschmückt mit Symbolen. Ein kleiner Geist oder ein unterer Dämon brauchte diesen Aufwand nicht und gab sich meistens mit weit weniger zufrieden.
Aber dies hier hatte ein weitaus größeres Ausmaß.
Klos räusperte sich theatralisch und begann zu lesen. Die lateinischen Wörter bewältigte er mühelos. Ich versuchte sie mitzuübersetzen, aber es gelang mir nur teilweise. Mein Kopf dröhnte noch immer von den Drogen, die der Dürre mir gespritzt hatte.
Und dann ging alles ganz schnell.
Feuer fauchte in die Luft und zeichnete die schmale Blutspur des Bannkreis nach, die Flammen züngelten sich hoch an die Decke.
Die ersten Schreckenschreie hallten aus dem Publikum.
Dann tanzte Licht im Zentrum, bildete Figuren, Formen, zuerst ein Maul, das sich weit öffnete und scharfe Zähne entblößte. Wieder schrieen einige der Damen. Die Zunge des Mauls verwandelte sich in ein wildes, knurrendes Raubtier, die Mähne dieses Löwen erwuchs sich zu einem Baum, dessen Äste peitschten und um sich schlugen, die Äste wurden zu zischenden Schlangen.
Stühle schepperten.
Die sich windenden Schlangen wurden sie langen Männern mit dürren Fingern und Mäulern statt Köpfen.
Und dann brach der Bannkreis.
Sie hatten die Blutspur nicht mit Kreide nachgezeichnet! Das Feuer hatte das Blut zum Gerinnen und Verdampfen gebracht und der Kreis war offen.
Der
Kreis
war
OFFEN.
Der Dürre ließ mich los, als der Dämon aus dem Kreis ausbrach. Er war riesig und die wahre und einzige Dunkelheit. Hinter im flackerten Lichter und Schreie drangen an meine Ohren.
Der Bannkreis, der den Dämon bändigte, war offen, aber das Tor zu seiner Welt, war es ebenfalls.
»Herr Krizek«, hörte ich Klos von irgendwo her rufen. Plötzlich war überall Rauch und meine Augen brannten.
Ich sprang auf und rannte auf den Dämon zu.
Er durchdrang mich mit seinen heißen Augen, sein Blick traf mich wie eine Messerspitze, bohrte sich in meinem Kopf und infiltrierte mein Gehirn. Ich spürte Schmerz, unglaublichen Schmerz, als sich das Ungeheuer vor mir aufbaute.
Nicht schon wieder, schoss es durch meinen Kopf. Nicht schon wieder.
Ich ging näher auf ihn zu, es kostete mich unglaubliche Kraft, es war, als würde ich gegen einen Windsturm angehen.
Er war riesig und seine Haut war nicht fest, waberte auf und ab, so als wurde sich unter ihr etwas bewegen, sein Kopf war schwer und hatte die Gestalt eines Löwen, dann wieder die Fratze einer Schlange, dann ein großes Maul mit spitzen Zähnen, es war jedes dieser Dinge und zugleich alles zusammen.
Ich rannte, schloss die Augen und streckte meine Arme aus. Dies war die einzige Chance. Ich musste ihn zurück schicken, woher er gekommen war, ich musste ihn zurück in seine Dimension schicken. Wenn es sein musste mit mir zusammen.
Ich sprang und versuchte ihn zu packen und durch die Wucht der Sprunges umzureißen.
Er war, als würde ich brennende Holzscheite umarmen. Ich roch den Geruch von verkohltem Fleisch, wahrscheinlich war es mein eigenes.
Ich wurde herumgewirbelt und schlug hart auf.
Als ich die Augen wieder aufschlug, hätte ich sie am Liebsten gleich wieder zugemacht.
Hinter mir war das noch immer offene Dimensionstor und vor mir – wütend, nein, sehr wütend, der Dämon.
Zwei Möglichkeiten.
Der Dämon nahm mir die Entscheidung ab und schlug einfach zu.
Die Wucht des Schlags schleuderte mich nach hinten und ich verlor die Besinnung.
Die Hölle.
Die Hölle ist kein Ort, sie ist ein Zustand.
Ich wirbelte durch die Luft, die glühend heiß war und brannte.
Ich spürte Schmerz, mit jeder Faser meines Körpers, alles war Schmerz, unglaublicher, stechender, brennender, dumpfer, flammender Schmerz, ich schien nur noch Schmerz zu sein, alle meine sonstigen Empfindungen waren ausgelöscht und hatten einer tristen Leere Platz gemacht.
Und dann war der Schmerz gekommen und hatte diese Leere ausgefüllt, hatte sich ihrer bemächtigt und tobte und wütete in mir. Alle meine Empfindungen, alle meine Sinne, all mein Denken war auf Schmerz ausgerichtet.
Ich wollte schreien, denn auch um mich herum waren nichts als Schreie, flehende Schreie, vielleicht waren es nur meine eigenen.
Denn ich war allein und ich flog durch unendliche Leere.
Schmerz.
Schreie.
Und Schmerz.
Ich übergab mich lautstark.
Meine Hände zitterten und ich hatte kaum die Kraft in meinen Armen, um mich abzustützen. Der Schmerz ließ langsam nach und als ich meine Augen aufschlug, sah ich gerade noch, wie mein einstiger Mageninhalt langsam in den steinernen Fliesen unter mir versank, so als böte der Boden keinen Widerstand.
»Ruhig«, sagte eine tiefe Stimme. »Du hast erlebt, was kein Mensch vor seinem Tod erlebt. Ich habe dir manche der Erinnerungen genommen. Manche, nicht alle. Aber genug, damit dein kleiner Verstand es erträgt.«
Ich keuchte und würgte erneut, doch mein Magen hatte nichts mehr, was er mir anbieten konnte. Also setzte sich mich langsam auf und sah nach oben. Wo war ich? Nicht mehr in der Hölle?
Vor mir stand ein unglaublich schöner Mann. Er war groß, hatte einen perfekt geformten Körper, griechischen Statuen der Antike vergleichbar, ein weich geschnittenes Gesicht und wildes schwarzes Haar. Er trug einen langen dunkeln Mantel und darunter ein schlichtes weißes Hemd. Nur seine Augen funkelten dunkel und tiefgründig. Sein Blick war hart und undurchdringlich.
»Was machst du hier, kleiner Mensch?« fragte mich Luzifer Lichtbringer.
»Das ... ist eine gute Frage«, sagte ich.
Luzifer lachte und musterte mich. Ich konnte förmlich spüren, wie er meine Gedanken las.
»Steh auf, kleiner Mensch«, sagte er dann. »Lass uns ... reden.«
»Dein Name ist mir bekannt«, eröffnete mir Luzifer Lichtbringer. »Es gab schon einmal ein Wesen, das deinen Namen trug und dessen Weg hierher führte.«
Ich erstarrte und konnte nichts sagen. Er hatte mich in einen Raum geführt, der voller Regale und Bücher war. Er selbst hatte auf einem weichen grünen Sessel Platz genommen und lächelte mich an.
»Ja, kleiner Mensch«, sagte Luzifer Lichtbringer. »Sie war hier.«
»War?« fragte ich. »Sie war hier?«
Er lachte, lachte mich aus.
»Sie hat es nicht verdient hier zu sein«, schrie ich.
»Deine Wut erheitert mich«, sagte Luzifer Lichtbringer. »Als ob es an dir wäre, darüber zu entscheiden.«
»Zeig sie mir!« brüllte ich. »Wo ist sie?«
Wieder lachte er.
Und dann war es mir, als ob ich Schreie hören könnte, ganz leise nur und als ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, da verebbten sich plötzlich und ich war nicht mehr sicher, ob ich sie auch wirklich gehört hatte.
»Sie hat sich für dich geopfert«, sagte Luzifer Lichtbringer. »Es war ein hohes Opfer, aber sie hat es gebracht. Die Frage ist nur, ob es sinnvoll war.«
»Du...« - ich wollte »Monster« sagen, aber die Worte blieben mir im Halse stecken. Schließlich wusste ich, wer da vor mir saß.
Er machte mich wütend. Seine Art reizte mich bis aufs Blut.
»Lass mich gehen«, sagte ich schließlich. Ich würde die Tränen nicht mehr lange halten können.
Es schien ihn zu amüsieren.
»Wer sagt dir, dass du gehen darfst?« fragte er mich.
»Du kannst mich nicht hier halten«, erwiderte ich. »Es ist nicht meine Zeit. Es gibt Höhere als dich, Luzifer, und ich weiß: du musst mich gehen lassen.«
Er sprang auf, plötzlich wütend und sein einst so schönes Gesicht war entstellt vor Zorn. Er trat nahe an mich heran, doch ich wich nicht zurück.
»Woher nimmst du diese Sicherheit?« fuhr er mich an. Und für einen Moment konnte ich spüren, wie er wirklich war, konnte spüren, wozu er fähig war und es raubte mir fast den Atem, raubte mir meine Gedanken und meinen Mut. »Wer sagt, dass es noch etwas anderes gibt? Etwas Reines, Höheres, wie du es nennst. Woher willst du wissen, dass es ... IHN gibt, kleiner Mensch?« Er schnaubte zornig und seine Augen funkelten. Aber da war noch etwas anderes in ihnen. Etwas fremdes.
»Weil...«, antwortete ich, »... sicher nicht ich es bin, vor dem du Angst hast, Luzifer.«
Er sah mich an und dann, es schien eine Ewigkeit vergangen, lachte er. Er lachte und lachte und hielt sich den Bauch vor Lachen.
»Geh, kleiner Mensch, geh!«, sagte er schließlich.
Ich verharrte noch einen Moment lang unschlüssig und dann drehte ich mich um. Und tatsächlich war hinter mir plötzlich eine Tür.
Ich öffnete sie und wollte hindurchtreten, als er mich zurückrief.
»Du hast die Hölle gesehen, Tom Criczek«, sagte er mit grollender Stimme. »Und sei gewiss, es wird nicht dein letzter Besuch gewesen sein. Denn wir sehen uns wieder, Tom Criczek, wir sehen uns wieder.«
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn da stehen, stolz und mit einem Grinsen im Gesicht.
»Du mich auch«, sagte ich und trat durch die Tür.
Chaos.
Die Stühle waren im ganzen Raum verteilt und der Dämon war wütend.
Er hatte so ziemlich alles kaputt geschlagen, was man kaputt schlagen konnte und war gerade dabei, sich den ersten Menschen vorzunehmen, als ich durch das Dimensionstor trat, das sich gleich hinter mir schloss.
Der Dämon drehte sich um und seine Feueraugen musterten mich erstaunt. Er war noch größer geworden, ragte fast bis zur Decke, seine Haut bewegte sich, verformte sich, wechselte die Farbe, schrumpfte und dehnte sich. Dann wuchsen im zwei weitere Paar Arme, nur um darauf wieder zu verschwinden, sein Kopf spaltete sich, die Köpfe teilten sich erneut und verschwanden dann plötzlich in seiner Schulter.
Dann ging er langsam auf mich zu.
»Fuck!«
Der Dämon wurde schneller und aus seinem Bauch schossen plötzlich Greifarme hervor, die an die Pranken von Adlern erinnerten, nur dass sie bedeutend größer waren. Er packte mich und presste alle Luft aus meinen Lungen.
DU, hörte ich in meinem Kopf. DU! ICH WERDE DICH VERNICHTEN, WERDE DIR ALLES NEHMEN, WERDE DEINE SEELE MIT MEINEN ZÄHNEN ZERKAUEN, SIE AUSSPUCKEN UND DANN DARAUF PISSEN. DU WIRST MEIN EWIGER SKLAVE SEIN, DU WIRST DIE SCHEISSE VON MEINEM HINTERN LECKEN.
Dann las er meine Gedanken, drang in meinem Kopf ein, drückte alle Barrieren mit Gewalt zur Seite und bemächtigte sich meines Gehirns.
Er nahm sich meine Ideen, meine Gefühle, meine Erinnerungen, saugte sie in sich auf, kaute darauf herum und spuckte sie zurück in meinen Kopf.
Ich war völlig benommen, verwirrt und alles schmerzte. Ich fühlte mich erneut an die Hölle erinnert.
»Halt!« rief dann eine Stimme. » Lass den Menschen los. Dies endet hier. Lass den Menschen los.«
Der Dämon drehte sich um und gab den Blick auf den groß gewachsenen Mann frei, derselbe, der mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. Seine Augen schimmerten nun grün.
Er war jetzt, da er stand, noch größer oder er wirkte nur so. Plötzlich streckte er seine Hand nach vorne und irgendetwas blitze in seinem Handteller auf.
Der Dämon schrie auf, so laut, dass ich glaubte, es würde mir meine Ohren zerfetzen. Der Dämon wich zurück, wie ein geschlagener Hund, schien zu schrumpfen und verkroch sich in einer der Ecken.
Der Mann mit den grünen Augen ging näher auf ihn zu. Dann sprach er Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Und zum dritten Mal an diesem Abend verlor ich mein Bewusstsein.
»Tom?«
Ich schlug die Augen auf und sah den fremden Mann über mir.
Seine Augen waren wieder so dunkel und sahen eigentlich ganz normal aus.
Ich rappelte mich auf und fasste an meinem Kopf. Es fühlte sich an, als würde man in meinem Oberstübchen gerade eine Party feiern.
»Das ist ganz normal«, sagte der Fremde. »Ein Dämon hat ihre Gedanken gelesen. In ein oder zwei Monaten ist alles wieder normal.«
»Ach? Nur zwei Monate.«
»Manchmal ein wenig mehr.«
Wir hörten ein Stöhnen. Der Fremde stand auf und ging zu einem Gerumpelhaufen, der direkt in unserer Nähe lag. Er räumte ein paar der zerbrochenen Stühle, die da lagen, zur Seite und grub meinen alten Freund Klos aus. Sein Auge war geschwollen und einer seiner Arme stand in einer derartig grotesken Position vom Körper weg, dass ich annahm, er sei gebrochen.
»Was..?« fragte er, ganz benommen.
»Sie haben richtig Scheiße gebaut«, sagte ich.
Der Fremde lachte.
»Ich bringe Sie nach Hause, Tom«, schlug er dann vor.
Ich nickte dankbar.
»Sie können mich doch nicht einfach hier lassen«, wandte Klos ein. »Ich bin reich. Reich. Hören Sie? Hallo?«
Das Auto des Fremden war ein normaler Toyota, nicht besonders neu.
Und doch wäre mir auch ein Pferdekarren genug gewesen.
Wir schwiegen eine Weile.
»Ich weiß, wo Sie heute waren, Tom«, sagte der Fremde dann.
»Ach?«
»Ja, Sie haben IHN getroffen, richtig?«
Ich schwieg.
»Er ist ein Blender, Tom, er sagt nicht immer die Wahrheit.«
»Er ist ein Lügner?« frragte ich.
»Nein«, sagte der Fremde traurig. »Das habe ich nicht gesagt. Aber nicht alles, was er sagt, ist auch genau so wie er es sagt. Die Hölle bezieht ihre Macht auch aus der Phantasie der Menschen, die sie peinigt. Verstehen Sie das?«
»Ich denke, ja. Aber...«
Der Fremde lachte. »Ein Aber wird es immer geben, Tom. Immer.«
Wieder schwiegen wir und ich ließ die Straßen einfach so an mir vorbeirauschen. Langsam begann es zu dämmern.
»Den Dämon«, sagte ich dann. »Wie haben Sie ihn besiegt? Sie haben ihn doch besiegt, oder?«
»Er war ein Gestaltwandler«, erklärte der Fremde. »Einer der gefährlichsten Dämonen. Aber er hat Angst vor sich selbst. Angst davor wie er wirklich ist. Ich musste ihm nur sein wahres Selbst zeigen.«
»Wie?« fragte ich.
Er griff in seine Jackentasche und gab mir einen kleinen Taschenspiegel.
Ich lachte. »So einfach?«
»So einfach.«
»Wie heißen Sie eigentlich?« fragte ich.
Er lachte. »Mein Name ist das Unwichtigste an mir«, sagte er dann.
Ich beließ es dabei.
Er hielt den Wagen direkt vor meinem Haus an. Ich wunderte mich gar nicht darüber, dass er wusste, wo ich wohnte.
Dann stieg ich aus. Als ich die Tür schließen wollte, beugte er sich noch einmal zu mir herüber.
»Manchmal bekommt man eine Chance, eine zweite Chance, Tom. Manchmal, nicht immer.«
Ich nickte.
»Grüßen Sie Kristin von mir«, sagte der Fremde.
»Werde ich. Sie ist übrigens ...«
»... dreiundzwanzig, ich weiß.«
»Da hätte ich fast drauf gewettet.«
Als ich die Tür öffnete, kam sie mir auch schon entgegengeeilt. Sie war völlig verschlafen, hatte dunkle Ringe unter den Augen und als sie mich an sich drückte, stellte ich fest, dass sie auch nicht besonders gut roch.
Sie schluchzte. »Wo warst du denn?« fragte sie und küsste mich immer wieder.
Ich umarmte sie und klammerte mich an sie so fest ich konnte. Ich dachte an Susanne und weinte.
Sie fuhr mir mit der Hand durch die Haare und lachte.
»Nicht weinen, nicht mehr weinen.«
Ich hörte, wie draußen, ein Auto langsam wegfuhr und dachte an den Fremden und an seine Augen.
Dann strich ich Kristin über die Haare.
Sie musterte mich. »Du siehst aus, als wärst du durch die Hölle gegangen«, sagte sie.
Ist sie nicht ein Engel?