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- Anmerkungen zum Text
Koh Tao ist eine wunderschöne Insel und wahrhaftig ein Schnorchelparadies ! Die in diesem Text geäusserten Anschuldigungen sind vollkommen haltlos und aus der Langnase gezogen! Chiaw und seine Schwester sind sehr zuvorkommende Gastgeber, 100 percent recommended!
Einmal Koh Tao - immer Koh Tao
Diether hatte die Doku gesehen. Sie spielte sich in seinem Kopf ab wie eine zerkratzte Schallplatte, während er auf dem Deck der Fähre stand und sich am rostigen Geländer festhielt. Koh Tao, die Insel des Todes. Mehr als zwanzig Westler waren in den letzten zehn Jahren verschwunden. Die abgelegene Insel war bis in die 60er Jahre unbewohnt, dann übernahm ein thailändischer Mafia-Clan aus Bangkok die Kontrolle - und wie.
„Bloß keine dicke Lippe riskieren“, wiederholte Diether in Gedanken, „Auf Land mag es etwas rauh zugehen, aber unter Wasser erwarten dich die Malediven Thailands.“
Diether wollte nur einmal in seinem Leben eine Schildkröte sehen und für diese war die Unterwasserwelt Koh Taos berühmt. Mit den berüchtigten Einheimischen würde er sich schon gut stellen. Jede Begrüßung wurde also zu einem neuen Rekordversuch, sich noch tiefer zu verbeugen. Bald würde er mit seiner Glatze den Dreck vom Boden kratzen, doch alles andere hätte die Insulaner womöglich provoziert.
Sein Gastgeber, Chiaw, ein schlaksiger Teenager, bedankte sich nicht einmal, als Diether die überteuerte Bambushütte im Voraus bezahlte.
„Gut für dich, gut für mich“, sagte Diether, um das Schweigen zu brechen und lächelte dabei, als ob er sich gerade freigekauft hatte, um nicht im Schlaf ausgeweidet zu werden. Chiaw verzog keine Miene.
Seine Schwester Mae war achtzehn, zumindest behauptete sie das, als sie ihre gebräunten Beine vor Diether 60-jährigen Augen überschlug. Er wich ihrem Blick aus und entschuldigte sich – ein dringendes „Geschäft“ zwang ihn zurück in seine Hütte, die sich anfühlte wie ein Käfig. Die Bambusstäbe waren so weit auseinander, dass seine Gastgeber jede seiner unbeholfenen Bewegungen beobachten konnten.
Die schlammige Höhle war allerdings noch schlimmer. Er entdeckte sie am zweiten Tag, versteckt hinter den Hütten, neben den Gittern, an denen winzige Fische trockneten und den rostenden Motorrädern. In der Höhle war ein Mann – weiß, sonnenverbrannt und im Delirium. Seine Füße waren wund, da drei Warane unablässig an ihnen leckten. Es war derselbe Typ, der Mae gestern abend schroff zurückgewiesen hatte. Diether machte auf dem Absatz kehrt, um nicht in die Bredouille zu kommen.
Schließlich war er wie jeder andere nur zum Schnorcheln hier. Der Ozean war sein Elixier. Bald würde er ergriffen über das Korallenriff gleiten und nach Schildkröten Ausschau halten. Er dehnte sich, um sich auf sein lang ersehntes Eintauchen vorzubereiten, als sich ein Einheimischer, deutlich älter als er, seelenruhig nach seinem Schnorchel bückte und mit ihm davon schlenderte, als hätte er nur ein wenig Müll aufgehoben.
“Ehm, excuse me!”, rief Diether halbherzig, doch der Greis winkte nur ab und murmelte etwas in seinen Stoppelbart. Diether gab sich selbst die Schuld für diesen Vorfall. Er hatte die Doku doch gesehen, wie konnte er nur so naiv sein, trotzdem nach Koh Tao zu reisen? Zum Glück verkehrte die Fähre zum Festland täglich; er würde noch heute abreisen.
„Kein Checkout ohne Fünf-Sterne-Bewertung,“ sagte Chiaw, als er Diether beim Rucksack packen erwischte. Der deutsche Frührentner nickte und schrieb drei euphorische Bewertungen in Folge – auf Booking, Airbnb und Youporn.
Mae betrachtete ihn dabei dennoch mit wachsender Verachtung. Der alte Farang hatte es bisher gewagt, ihre Liebesdienste zu ignorieren.
„Jetzt du Massage“, sagte sie, ihr Lächeln scharf wie ein Angelhaken.
Sein Protest war zwecklos. Ehe er sich versah, wurde er mit Ellbogen, Knien und etwas, das sich wie eine Brechstange anfühlte, traktiert. Doch tausend Dollar und ein paar geprellte Rippen waren ein akzeptabler Preis fürs Überleben.
Endlich: die Fähre. Der Ausweg. Die Erlösung. Er war nicht allein – das Boot war gerammelt voll mit Farangs. Alle taten so, als hätten sie ihre Zeit im Paradies genossen.
Bevor sie ablegten, mussten sie winken und in die Kamera lächeln. Chiaw stand dahinter, fummelte an den Knöpfen. Diether winkte und lächelte nach Kräften. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal. Dann konnte er einfach nicht mehr. Seine Fassade zerbröselte und sein Gesicht zeigte, was es wirklich war: Alt, übermüdet und endgültig fertig mit dieser tropischen Farce.
Chiaw überprüfte das Filmmaterial. Da war ein Gast, der nicht mitgespielt hatte. Ein mürrisches Gesicht, das die anderen wie grinsende Narren aussehen ließ.
Diether sah in Echtzeit wie Chiaws Blick sich verdüsterte. Der Deutsche spürte, wie ihm der Magen absackte, als der Motor der Fähre zu stottern begann.
Die Fähre verlangsamte sich – eine unnatürliche Pause auf dem Weg in die Sicherheit. Diether biss die Zähne zusammen, seine sonnenverbrannte Haut spannte sich wie eine alte Trommel. Der Kapitän sprach mit Chiaw in schnellem, abgehacktem Thai. Diether verstand kein Wort, aber die Bedeutung war eindeutig:
Etwas stimmte nicht.
Einige der anderen Passagiere tauschten nervöse Blicke aus, ihre Erleichterung verdampfte so schnell wie der letzte Rest Sonnencreme auf ihrer Haut.
Dann löste sich ein Longtail-Boot von der Insel und steuerte direkt auf sie zu. Darauf zwei Männer – einer älter, mit einem Bauch wie ein Reissack, der andere jünger, drahtig, mit einer Machete am Gürtel.
Diether stockte der Atem.
Chiaw zeigte vom Ufer aus auf ihn und erinnerte dabei an einen römischen Kaiser, der gerade den Daumen senkte.
Nein. Nein, nein, nein. Diether krallte sich an der Armlehne seines Sitzes fest, tausend Reuegefühle kratzten an seinem Verstand. Er hätte einfach wie ein verdammter Idiot weiterlächeln und winken sollen.
Das Longtail-Boot stieß gegen den Rumpf der Fähre. Der Jüngere stieg an Bord, seine Flip-Flops klatschten leise auf das Deck. Er ging direkt auf Diether zu und packte ihn wortlos am Handgelenk.
„Das ist ein Missverständnis“, sagte Diether, seine Stimme papierdünn. Er verbeugte sich – noch tiefer diesmal. So tief, wie sein Rücken es zuließ.
Der Jüngere zog ihn resolut hoch.
„No problem,“ sagte er auf Englisch, sein Grinsen voller Goldzähne. „Only Small Talk.“
Diether wurde zum Rand der Fähre gezerrt, seine Füße stolperten über das nasse Deck. Er dachte an den Käfig. An die Warane. An den von Fliegen übersäten Mann darin, an die Warane, die seine wunden Füße leckten. Diether fiel auf die Knie und betete – zum ersten Mal seit Jahren.
Nicht um Rettung.
Nur darum, nicht so zu enden wie er.
Der Drahtige griff in seine Tasche und holte eine zerknitterte Zigarettenschachtel heraus. Er zündete eine an, nahm einen Zug und hielt sie dann Diether hin.
Diether zögerte, dann nahm er sie – obwohl er Nichtraucher war. Er wollte keine weitere empfindliche Seele auf dieser Insel beleidigen. Lieber husten.
Die anderen Passagiere starrten entweder in den blauen Himmel oder auf den Boden der Fähre, den vertrocknete Blutflecke schmückten. Sie waren viel zu verängstigt, um einzugreifen.
Der alte Mann seufzte. „Warum hast du nicht gelächelt wie die Anderen?“
Diether zwang sich zu einem verkniffenen Grinsen.
Der Drahtige kicherte. „Too late grandpa. You go back home.“
Diethers Magen zog sich zusammen. „Back home?“
Sie hievten ihn an Bord ihres Kahns und tuckerten “nach Hause”, zurück ans verfluchte Ufer von Kho Tao. Zurück zu Chiaw. Zurück zu was auch immer sie für ihn vorbereitet hatten. Die anderen Passagiere atmeten erleichtert auf – und vergaßen Diether in dem Moment, in dem er von der Fähre gezogen wurde.
Die Insel des Todes kam wieder näher.
Und Diether war klar:
So schnell würde er sie nicht mehr verlassen.