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Einsamer SCM

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10.05.2005
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Einsamer SCM

Hätte SCM fluchen können, er hätte es getan. Schon zum vierten Mal in dieser Woche war einer dieser besonders lustigen Menschen aufgetaucht, hatte die üblichen Münzen eingeworfen, seine Visage auf SCMs schon ganz fettverschmierte Glasscheibe gedrückt und sie kopiert. Mehrfach.
Schallend lachend hatte der Mensch dann die grauenerregenden Ergebnisse aus dem Schacht genommen und gestaunt, wie blöd man doch aussehen kann, mit zugekniffenen Augen und plattgequetschter Nase, so völlig in schwarzweiß. Und das Schlimmste: SCM konnte sich nicht wehren.
Seitdem er als „Super Copy Machine Version 1.1.2.“ aus dem Werk ausgeliefert worden war, waren schon so viele Idioten mit dem Bedürfnis nach miesen Scherzen aufgetaucht, hatten ihn belästigt und er hatte nur still erleiden können. SCM hatte es so satt.
Nicht einmal das Klimpern der Münze in seinem Einwurf konnte dieses Leiden aufwiegen. Jede Plattnasenkopie schmerzte ihn.
Und so beschloss SCM eines Tages, einfach nicht mehr zu funktionieren. Dies sah er als einzigen Ausweg aus seiner Misere und er wusste, nur so konnte er weiterleben.
Ganz zufällig lief seine Tinte aus, direkt in die wichtigen elektronischen Regionen und nichts klappte mehr. Sogar die Beleuchtung der Tasten war hin. Und SCM war so höllisch zufrieden.
Endlich war er dem alten Leben entgangen, nie wieder sollte er diese furchtbaren Grimassen ertragen müssen, das wusste er.
Vergnügt stand er im Erdgeschoss des Kaufhauses, betrachtete viel froher als sonst die vorbeistreunenden Menschen in ihrem Konsumwahn, amüsierte sich über den Müll, den sie sich andrehen ließen und pfiff innerlich vor sich hin.
So ging das eine ganze Zeit. Viele ruhige und vor allem glückliche Tage lang - bis SCM eine Sache auffiel: Seinen Defekt schien hier niemand zu bemerken!
Mit einem Mal wurde der Schwarzweißkopierer furchtbar traurig. Er war nun fünf lange und weiß Gott qualvolle Jahre hier, in denen er nur selten ein seriöses Dokument hatte duplizieren dürfen und nun nahm keiner wahr, dass er nicht mehr lief? War er gar nicht Teil des Ganzen gewesen? Warum misste niemand das Klingeln von Münzen oder Summen von Tintendüsen aus seiner Richtung? Mochte niemand den guten, alten SCM?
Ganz tiefe Depressionen befielen die Maschine. Nun war ihr noch viel frustrierter zumute als zu Zeiten hässlicher Menschengesichter auf dem Glas. Wie leer und einsam sich SCM doch jetzt vorkam!
Seine tausend Schwestern und Brüder waren ganz bestimmt gut untergebracht, nur er nicht, er war doch immer der Doofe gewesen! Er stand an diesem schäbigen Ort wirtschaftlicher Hysterie, während die anderen sicher in einem „Copy Shop“ wohnten, wo es warm und schön war und man das Kopiergerät noch respektierte.
Jeder neue Gedanke stieß SCM tiefer in sein nicht enden wollendes Loch der tiefen Trauer. Nun war ihm vollends die Freude am Leben vergangen, doch wie es das Schicksal wollte, war es ihm ja noch nicht einmal möglich, seinem bedeutungslosen Dasein ein Ende zu setzen. Jede Sekunde verkam zu einer Ewigkeit und SCM war wohl das traurigste elektronische Etwas auf der großen, weiten Welt.
Wahrscheinlich wäre sein quälendes Dahinvegetieren bis zum endgültigen Versagen jeglicher Stromversorgung lange Zeit so weitergegangen. Ab und zu kamen zwar Leute vorbei, klopften dumm auf seinen Tasten herum, schnauften und gingen, aber aus irgendeinem Grund erkannte kein Mitarbeiter des Geschäftes den Defekt.
Aber SCM sollte nicht so verenden.
Es war ein Tag im Dezember, und es herrschte helle Aufregung im Haus: Ein Kessel im Heizungskeller war an einer Stelle aufgebrochen und so musste alles abgesperrt werden! Es wurde ziemlich kalt im Erdgeschoss und noch dazu ganz leer und still. Die Kaufhausleitung hatte ein spezielles Technikerteam beordert, um das Problem schnellstmöglich zu beseitigen, man wolle ja dem Kunden wieder zur Verfügung stehen.
Also kamen sie. Viele Männer in gelben Overalls, mit großen Koffern voller Geräte, die meisten verschwanden im Keller, nur einige blieben noch oben. Viel Aufregung, die den Kopierer in seiner Ecke aber kaum kümmerte. Er beachtete das wilde Geschehen gar nicht.
Schließlich schrie ein herumlaufender Overall etwas von einer Kopie vom Kellergrundriss, die man schnell benötige und dass man sich beeilen solle, sonst gäbe es mächtig Ärger. Also kamen sie zu SCM gerannt. Gleich drei Gelblinge zugleich. Der erste hob hektisch die Klappe des Kopierers, der zweite feuerte Geld in den Einwurf und der dritte drückte wild die Knöpfe.
„Ey, wat dat denn? Geht nit! So’n Schrott!“, schrie letzterer wenige Sekunden später hysterisch.
„Dann schnell zum Copy-Shop neben an, schnell!“, der zweite sodann, ähnlich dem Wahnsinn nahe.
Mit einem Mal wurde SCM aus seinen gleichgültigen Gedanken gerissen. Copy-Shop?
Währenddem zwei der Overälle losspurteten, um den angedrohten, mächtigen Ärger zu umgehen, blieb einer zurück. Vielleicht wird er heimlich versuchen, sein Gesicht zu kopieren, überlegte der Kopierer.
Doch dann wurde er überrascht. Völlig unerwartet tätschelte der fremde Techniker liebevoll das Gerät. Als ahnte er ein Bewusstsein in ihm, sagte er zum ihm: „Du hast es eben auch nicht leicht...“
Wogen des unendlichen Glücks schossen mit einem Mal durch die „Super Copy Machine“. Hatte ihm dieser Mensch da gerade wirklich Zuneigung gezollt?
„Immer nur gehorchen und wenn was nicht geht, ist wieder mal die blöde Technik schuld...“, fuhr der Overallträger fort.
Jedes einzelne Wort umschmeichelte das angeschlagene Gemüt des Kopierers. So wohlig wurde ihm, so warm. SCM wollte schreien, springen, sein unendliches Glück mit der Welt teilen, doch fähig war er nur zum stillen Genuss.
Kurz nach seiner Ansprache ging der Mann langsam um die graue, große Kiste herum. „Du bist keine blöde Technik, eben nur kaputt gemacht worden.“
Er beugte sich nieder, untersuchte mit den in Handschuhen steckenden Händen die Rückseite des Kopiergeräts, bis er den Stecker fand und langsam herauszog.
Wieder aufgerichtet zog er einen Filzmarker aus der Tasche und krakelte auf den Deckel ein großes „Defekt“.
Die letzten Sekunden strichen durch die Kabel in SCMs Innern. Doch ihm war egal, dass er gehen musste. Nach all dem Leid der vergangen Tage hatte ihn diese fremde Person so glücklich gemacht, mit einer einzigen Zuneigung. Immer schwächer fiel ihm das Wachbleiben, doch sein Hochgefühl schwand kein bisschen. SCMs Jauchzen hielt an. Als er vor seinen letzten Energiestößen stand, sah er auf ein bewegtes Leben zurück, dass ihm trotz aller Schererei doch so viel wert war. Und wenn nun seine Zeit gekommen war, war das in Ordnung, denn er hatte nun für etwas gelebt.
Sein schwaches Surren verstummte. Zufrieden und mit der Welt vereint ging SCM an diesem kalten Wintertag in den ewigen Ruhestand. Und zwar zufriedener als all seine Geschwister in den Copy-Shops, auch wenn er das nicht wusste.

 

Hallo Japhi,

und herzlich willkommen bei uns.
Ja die Seele der Machinen ist uns ja schon bestens bekannt seit Herbie herzerweichend weinte, uns rührende Tränen vergoss und die Menschen, die sein zartefühlendes Käferherz erkannten von Sieg zu glorreichen Siegen fuhr.
Nichtsdestotrotz hat mir deine Geschichte gefallen. Manchmal lasse ich mir einfach gerne von solchen Geschichten das Herz wärmen.

Lieben Gruß, sim

 

Danke für die liebe Begrüßung!
Ich glaube, hier gefällt es mir gut... :)

 

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