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Einspruch – Abgelehnt
„Hallo Paul. Wir haben uns ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wie geht es dir, alter Junge?“
„Du widersprichst dir.“
„Hä?“
„Das heißt nicht hä, sondern wie bitte. Und deine Formulierung von alt und Junge ist ein Widerspruch.“
„Was ist denn mit dir los? Schlechte Laune?“
„Könntest du bitte vollständige Sätze bilden. Schlechte Laune ist nur eine Aneinanderreihung zweier Wörter, die nicht verdeutlichen, wen du ansprichst.“
„Da trifft man seinen alten Kumpel mal zufällig auf der Straße und wird nur schräg angemacht.“
„Einen Fernseher kann man anmachen, oder ein Radio, aber keine Person. Zudem heißt es da treffe ich und nicht da trifft man.“
„Oh entschuldige. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Tschüß.“
Fünf Minuten später, im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses, betrat ein Mann seine Wohnung, hängte seinen Mantel ordentlich auf einem Kleiderbügel an die Garderobe, stellte seine Schuhe in den Schuhschrank, schlüpfe in seine Pantoffeln, ließ sich anschließend im Wohnzimmer in einen heruntergekommenen Sessel fallen und rief lautstark: „Magda, ist das Essen fertig?“
„Zwei Minuten noch“, kam es schüchtern aus der Küche zurück.
„Dann bring mir solange ein Bier. Mein Tag war heute mehr als beschissen.“
Den Blick gen Boden gewandt brachte Magda ihrem Mann die bereits geöffnete Flasche und blieb abwartend vor ihm stehen, während er mit einer Hand nach der Fernsehzeitung griff und mit der anderen nach dem Gerstensaft. „Was ist denn noch? Willst du hier Wurzeln schlagen?“
„Wie findest du mein neues Kleid?“
Er sah kurz auf, ließ seinen Blick gelangweilt über den Körper seiner Frau gleiten, wendete sich wieder seiner Lektüre zu und sagte: „Was fragst du mich da? Muss ich mich damit auf die Straße trauen oder du?“
„Wie war dein Tag heute?“ Ablenkung war schon immer ihre Stärke, um Tränen zurück zu halten.
„Beschissen, sagte ich doch schon. So ein kleiner Scheißer hat sich heute morgen beklagt, ich hätte seine Arbeit ungerecht beurteilt. Gab nen riesen Zwergenaufstand. Die Schüler von heute haben keinen Respekt mehr vor ihren Lehrern. Dann ist mir auch noch dieser Depp von Schröder über den Weg gelaufen und wollte wissen wie es mir geht. Dem hab ich aber ordentlich gezeigt, dass er sich sein blödes Gelaber an den Hut stecken kann.“
„Schröder? Wer ist Schröder?“
„Du wiederholst dich. Es genügt, wenn du einmal den Namen erwähnst. Oder glaubst du, ich bin taub?“
„Entschuldige bitte.“
„Lass stecken. Schröder war mein Zimmergenosse während der Studienzeit. Seit fünf Jahren bin ich ihm nicht mehr begegnet, was ich wirklich zu schätzen wusste.“
„Ich dachte, ihr habt euch immer so gut verstanden?“
„Klar, er hat mir ja auch immer Getränke spendiert, die Wohnung sauber gehalten und mir das Leben in jeder Hinsicht erleichtert.“
„Ach so.“
„Was heißt hier ach so?“
„Ach nichts. Ich sollte wohl besser mal nach dem Essen schauen.“
Eine Stunde später öffnete ein Mann die Tür eines Hotelzimmers, warf seine Jacke aufs Bett und seine Schuhe in eine Ecke, setze sich auf einen gemütlichen Sessel und schaute abwartend auf die Tür. Wenige Minuten später betrat eine Frau den Raum, ein bezauberndes Lächeln auf den Lippen und einem Kleid, das dem von Magda sehr ähnlich war.
„Du siehst hinreißend aus Darling. Dein neues Kleid sieht zauberhaft an dir aus.
“Sie setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn liebevoll. „Du alter Charmeur. Du sagst doch jedes Mal dasselbe wenn ich mir ein neues Kleid gekauft habe.“
„Was sollte ich auch anderes sagen? Egal was du anziehst, du siehst immer fabelhaft aus. Weshalb glaubst du wohl, habe ich dich geheiratet?“
Sie sprang auf, nahm ein Kissen vom Bett und warf es nach ihm. „Du hast mich also nur wegen meines Äußeren geheiratet?“
„Weshalb wohl sonst?“, entgegnete er scherzhaft.
„Du bist unmöglich. Jetzt sind wir gerade mal zwei Tage verheiratet und du zeigst schon dein wahres Gesicht.“
Lachend streckte er ihr seine Arme entgegen. “Komm her. Ich liebe es, wenn du dich ärgerst.“
Mit einem theatralisch hingezogenen Schmollmund, die Arme auf dem Rücken verschränkt, ging sie mit gesenktem Kopf und einem verführerisch, schelmischen Blick, langsam auf ihn zu. Jeden Schritt betonte sie einzeln mit einem Wort. „Wie .... war .... eigentlich .... dein .... Tag .... heute?“
„Bescheiden“, antwortete er und zog sie zu sich herunter.
„Was war los?“, fragte sie ein wenig besorgt, als sie merkte, daß sie ihn an einem wunden Punkt erwischt hatte.
„Ach, nichts weiter. Ich will nicht darüber reden. Schließlich sind wir auf Hochzeitsreise. Da soll keine schlechte Laune aufkommen.“
Liebevoll lehnte sie seinen Kopf an ihre Schulter. „In guten wie in schlechten Zeiten, sagte der Standesbeamte. Also, was ist los?“
Er druckste rum und versuchte die richtigen Worte zu finden. „Der Paul. Dem bin ich heut begegnet. Nach fünf Jahren ist er noch immer genau so spießig wie damals. Anstand und Sitte, die Worte richtig wählen, und so weiter. Aber das war ihm ja schon immer wichtig, sich gewählt ausdrücken zu können und gesellschaftlich bei den Vorderen zu sein.“
„Paul? Wer ist Paul?“
„Du wiederholst dich“, sagte er und schlug sich sofort verächtlich gegen die Stirn. „Jetzt red ich schon wie er. Tut mir leid, das war nicht so gemeint.“
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Neugierde an. „Wofür entschuldigst du dich? Dieser Paul scheint ja eine prägende Rolle in deinem Leben gespielt zu haben.“
„Prägend? Ha, er war ein absoluter Versager, der ohne mich kein Bein auf den Boden bekommen hätte.“ Mit einem Satz sprang er vom Sessel auf, wobei er seine Frau regelrecht von sich weg katapultierte. Sie stolperte und versuchte sich am Schrank festzuhalten. Da die Tür nicht verriegelt war gab sie nach. Schröders Frau fand keinen Halt und knallte mit dem Kopf auf die Tischkante. Lautlos sank sie in sich zusammen.
„Wie steht es um meine Frau?“
Der Arzt sah ihn sekundenlang nur schweigend an, ehe er antwortete: „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun. Morgen können wir mehr sagen. Gehen Sie nach Hause und ruhen sie sich aus. Wir werden sie informieren, sobald sich etwas Neues ergeben hat.“
„Etwas Neues ergeben hat?“, gab er genervt zurück. „Glauben Sie wirklich, ich sitze stundenlang zu Hause vor dem Telefon und warte darauf, dass Sie mir doch nur sagen, es hat sich nichts an ihrem Zustand verändert?“
Dem Arzt entging die aggressive Reaktion des Mannes nicht, weshalb er die Polizei einschaltete. „Mir kam schon bei der Einlieferung der Frau einiges merkwürdig vor. Die Untersuchungsergebnisse schienen mir nicht ganz normal zu sein, da ich mir derartige Verletzungen nach seiner Beschreibung auch nicht vorstellen konnte.“
Die Vernehmung dauerte sehr lange. Letztendlich kam es zu einer Verurteilung wegen versuchten Mordes. Der Mann wurde zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gutachten ergab, er habe seiner Frau über Jahre hinweg körperliche Gewalt angetan, und ihr letztendlich so sehr zugesetzt, dass sie ins Koma fiel.
„Wie steht es um meine Frau?“
Der Arzt sah ihn sekundenlang nur schweigend an, ehe er antwortete: „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun. Morgen können wir mehr sagen. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Wir werden Sie informieren, sobald sich etwas Neues ergeben hat.“
„Etwas Neues ergeben hat?“, meinte er beunruhigt. „Was meinen Sie damit? Glauben Sie, ich kann heute überhaupt ein Auge zumachen?“
Beide Frauen verstarben vier Wochen später. Es war ein verregneter Juniabend.
Schröder stand am Fenster, sah gedankenverloren dem prasselnden Regen zu und fragte sich, ob seine Botschaft an seinen alten Zimmergenossen seine Wirkung auch nicht verfehlt hatte. Gestern hatte er ihn besucht im Gefängnis. Nicht aus Freundschaft, sondern lediglich um ihm etwas mitzuteilen. "Du bist nicht mehr der Stärkere. Jetzt hast du endlich bekommen was du schon lange verdient hast."
Paul saß in seiner Zelle, hörte den Regen und dachte: „Warum musste ich ausgerechnet diesem Schröder wieder über den Weg laufen?“ Und während er das monotone Tropfen wahrnahm, zeriss er einen kleinen Zettel auf dem stand „Sie ist nicht umsonst gestorben. Jetzt hast du genug Zeit, die Vergangenheit zu bereuen.“
Hätte es etwas genützt, wenn er die Botschaft dem Staatsanwalt, seinem Verteidiger oder dem Richter vorgelegt hätte? Wahrscheinlich nicht. Wer hätte ihm schon geglaubt, nachdem er jahrelang seine eigene Frau verprügelt hatte. Was war heutzutage schon gerecht? Seine Meinung, was Gerechtigkeit anbelangte, konnte anscheinend niemand verstehen. Er war ein guter Lehrer und ein guter Ehemann, daran bestand für ihn kein Zweifel.
Daß er für den Tod von Schröders Frau verantworlich gemacht wurde, brannte jedoch wie Feuer in seinen Gedanken. Wie nur hatte dieser kleine Scheißer das Gericht davon überzeugen können, daß er beide Frauen auf dem Gewissen hatte? "Wenn ich hier raus bin wirst du bereuhen, mir jemals begegnet zu sein", brüllte er die Wand an.
Ein Jahr später stand Schröder vor dem Grab von Magda. Leise redete er mit dem Grabstein, der sich nicht wehren konnte. „Du hast doch nur unter ihm gelitten. Genau wie ich. Er hat mich jahrelang gedemütigt, und ich ließ es mir gefallen. Schade, das es so enden mußte, und du erst auf diese Weise Erlösung von diesem Teufel gefunden hast. Aber ich habe mich für uns beide an ihm gerächt."