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Einzug der Haare in die Provinz

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15.08.2017
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Einzug der Haare in die Provinz

Samstags. … Samstags war immer Badetag. Meine Mutti ging in den Keller, holte ein paar Briketts und zündete mit ein paar Streichhölzern und dem Papier der Tageszeitung Holzscheite an und heizte den Kessel für das Badewasser ein. Nach zwei Stunden hatten die Briketts genug Hitze für ein Vollbad entwickelt. Meine Schwester, 1959 sieben Jahre alt und mein Bruder neun Jahre alt, machten ihre Faxen und turnten in Vorfreude auf das wöchentliche Bad nackig in unserem Flur herum. Es gab ein paar, nicht ernst gemeinte Klapse von meiner Mutti auf den Po der beiden und dann aber „Ab in die Wanne“. 1959, mit vier Jahren musste ich immer warten, bis ich an der Reihe war. Ich hatte zur Badewanne immer ein zwiespältiges Verhältnis, denn einerseits musste ich in die benutzte Badewasserbrühe meiner Geschwister steigen. Da tauchte dann die Frage auf „Haben die Beiden vielleicht Pipi ins Wasser gemacht?“ Anderseits hatte ich jedoch die ganze Wanne für mich allein. Nach dem ersten Eintauchen unter Wasser war es mir mit Pipi oder ohne Pipi egal. Diese wohlige Wärme, das Untertauchen, die gluckernden, mir fremden Geräusche, die Stimmen aus einem anderen Kosmos unter Wasser, wenn Mutti oder Papa ins Bad kamen und mich ermahnten, ich solle endlich rauskommen. Na ja, Mutti trocknete mich nach dem Baden immer ab, wickelte mich in meinen Bademantel und packte mich zu meinen beiden Geschwistern aufs Sofa und dann wurde immer Sandmännchen gehört. Nach dem Sandmännchen durften wir noch die Schlagerparade des NDR hören. Das war dann die Einstimmungsphase für die Aktion „Nun-aber-ab-ins Bett“. Dieses Mal, im November 1959 trat etwas neues in mein vierjähriges Leben. Es lief im Radio die „Elisabeth Serenade“. Bisher waren „Hänschen klein“ und „Alle meine Entchen“ meine musikalischen Begleiter, aber die „Elisabeth Serenade“ war für mich eine vollkommen neue Erfahrung. Dieses Lied hat mich das erste Mal in meinem Leben richtig berührt. Draußen war es kalt, ich saß im Warmen, meine Lieben bei mir und dann diese süßliche Melodie, sie schlängelte sich auf meinen Kopf, säuselte in meine Ohren und brachte letztlich meine Nackenhaare zum Schwingen. In diesem Moment war ich ganz einfach glücklich.

So weit, so gut. Nach diesem ersten eindrücklichen Musikerlebnis geschah bis 1964 nichts Großartiges. Bescheiden, arm aber wohlbehütet wuchs und gedieh ich im erzkatholisch, konservativen Milieu im Südoldenburgischen. Die Welt war im Lot.

Das Beben in meinem Kopf begann im März 1964. Es war mal wieder samstags, die NDR Schlagerparade lief im Radio, Ronnie säuselte in seinem Brunftbariton „Oh my Darling, Oh my Darling Caroline …“ Bis dahin war die Welt noch in Ordnung. Doch dannach kündigte der Ansager den nächsten Titel an. Irgendetwas stimmte nicht. Die Stimme des Ansagers wurde auf einmal merklich leiser und uns kam es so vor, als sei es ihm peinlich, den nächsten Titel anzusagen. Leise, verlegen, schnell und beiläufig sprach er „und-nun-direkt-auf-Platz-eins-die Bietels-mit-ihrem-Lied „I wanna hold your hand“. Es dauerte keine zehn Sekunden und wir drei Geschwister saßen nicht mehr auf dem Sofa, sondern schubsten und rangelten unsere Ohren um den Lautsprecher unseres alten Schaub-Lorenz-Radios, um jaah jeden Ton mitzukriegen. Nach dem Lied drei verstörte, ratlose Kinder auf dem Sofa. „Was war DAS denn gerade?“ Mann, waren wir fasziniert und aufgewühlt. So etwas hatten wir noch nie gehört. Es war für uns unvorstellbar, dass es so etwas von Musik überhaupt gibt. Den englischen Lied-Text überhaupt nicht verstanden, die Melodie der Bieddels summend, bin ich dann spät, ganz spät nachts eingeschlafen. Die folgenden Samstage konnten wir es gar nicht erwarten die NDR Schlagerparade zu hören: drei neue Fans sitzen schmerzhaft verkrampft die Daumen drückend auf dem Sofa, das Radio an die Grenzen des Lautstärkepegels gebracht, besorgt dreinschauende Eltern, und die Kinder in der innigen Hoffnung, dass der NDR ein Bieddels-Lied spielt.

Dem Beben folgte jedoch schon kurze Zeit später der Schock. Und was für einer! Ein paar Tage nach diesem denkwürdigen Ereignis brachte mein großer Bruder von einem Freund eine ausgeliehene BRAVO mit. Ich sah zum ersten Mal ein Bild von meinen neuen, ultimativen Helden. Was ich DA sah! Ich traute meinen neunjährigen Augen nicht. Die vier Jungs hatten lange Haare, „Ja, mein Gott lange Haaare!“ … „Das ist nicht wahr, das gibt es nicht, das kann nicht sein, das darf nicht sein! … Lange Haare!“ Meine kleine Welt, alles geregelt, alles konform, alles in Ordnung und dann DIESES! Kurzum, ich war das erste Mal in meinem Leben kulturgeschockt. Die darauffolgenden Tage war nicht mehr viel mit mir anzufangen. Immer und immer wieder stellte ich mir die Frage „Warum tun die das!?“ Das merkwürdige , dass in den nächsten Wochen ganz langsam schleichend meiner ersten, unter Schock stehenden Abgestoßenheit einer eigenartigen Faszination wich. Kurzum, die Bieddels hatten mich verzaubert. Die nächsten Jahre waren durch einen permanenten Kulturkampf gekennzeichnet. Gegenüber Mutti und Papa wurde um jeden Millimeter Haarlänge energisch gerungen. Der Standardspruch meines Papas in den ersten Jahren lautete: „Die Ohren müssen frei sein!“ Was tat ich nicht alles, um mich diesem Motto meines Vaters zu widersetzen. In der ersten Zeit hatte er mich des öfteren zweimal zum Friseur geschickt. Mann, was habe ich danach immer geheult. Jedoch mit der Zeit hatte ich mir einen gewissen Spielraum an Haarlänge erobert. Irgendwann später hat mein Papa wohl resigniert aufgegeben. Aber bis es so weit war, war es ein steiniger Weg: Sonntags um 10 Uhr ging es immer in die Kirche zum Hochamt. Wir, die Kinder mussten immer unsere Sonntagskleidung anlegen. Das war eigentlich nicht das Problem, weil ja alle Kinder in Sonntagskleidung in die Kirche gingen. Aber jetzt kommen wieder die Haare ins Spiel. Ordentlich mussten sie sein. Das bedeutete für mich: jedes Mal, bevor es in die Kirche ging, spuckte mein Papa in die Hände und strich mir die mit Speichel angefeuchteten Hände in mein Haar, damit sie „ordentlich“ liegen, die Haare. In der Kirche im Hochamt war es dann ein merkwürdiges Gefühl. Während der Predigt berührte ich hin und wieder mit vier Fingern den Haaransatz. Es fühlte sich an, als hätte ich eine kleine Schutzhaube auf meinem Kopf, wie der Chininpanzer eines Maikäfers. Nach der Messe konnte ich es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen, um den getrockneten, verkrusteten Speichel meines Vaters aus meinen Haaren unter dem Wasserhahn raus zu waschen. Dieses Ritual hatte für mich jedoch jedes Mal das unheimlich befreiende Gefühl von Beichte, Reinigung und Läuterung in einem.

Im Nachhinein betrachtet, haben sich die ganzen Mühen und das intervallmäßige Trübsal blasen nach dem Friseurgang mehr als gelohnt: nach dem Standardspruch in den 60ern „die Ohren müssen frei sein“ lautete in den 70ern dann Volkes Stimme „ sie können ja ruhig lang, aber gepflegt müssen sie sein“, die Haare. Und noch später war es sowieso egal: „Anything goes“ lautete dann das Motto. „Mach was du willst!“ … Tja, das haben die Beatles „auf“ meinem Kopf angerichtet. Was sie „in“ meinem Kopf fabriziert haben, hatte ich nur kurz erwähnt. Das ist dann aber wiederum eine andere Geschichte... .

 

"It's only Rock 'n' Roll but we like it."
Volksmund​

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

lieber martinTNE,

hier antwortet Dear der, der 1964 die Stones nach Sterkrade brachte. Nicht wirklich, sondern eher symbolisch, indem er in der Schülerzeitung eine Komposition der Jagger/Richards besprach ("Tell me"), aber insbesondere sich darüber ausließ, dass die Stones den Womack-Titel "It's All Over Now" besser in den Hitparaden unterbrachten als Womack & Womack selber. Eine eigenhändige Bleistiftzeichnung des aufkommenden Lennon und Dylan Verehrers nach dem Cover wurde als Wasserzeichen hinter dem Text angebracht. Der Pubertierende sollte sein Leben lang einen Hang zu den Außenseitern wie Brian Jones und hernach Mick Taylor unter den Stones behalten, weil er Keith Richards für einen sehr schlichten Handwerker hält, der keinen besseren neben sich duldet.

Ab 1966, nach dem Realschulabschluss und mit der Lehrzeit durften dann die Haare immer länger werden und dann gab's die marxistische Grundschulung ... Aber bevor wir in Erinnerungen alter Männer versinken die kleine Anmerkung noch, dass mein alter Herr auf dem Speicher so was wie ein Bad eigenhändig basteln musste, worinnen dann eine Zinkwanne stand, durch die die Familienmitglieder (Eltern und zwo Brüder) in der Reihenfolge der Hierarchie sich abschrubben konnten. Die Toilette fand sich eine Treppe tiefer ...

Nun gut, aber ob Deine liebevolle Erinnerung als Kurzgeschichte durchgeht, bezweifel sogar ich, der doch weiß, dass es gar keine allgemeine Definition dazu gibt, außer, dass sie kürzer als Novelle und Roman sei und sich von Aphorismus, Anekdote, Witz usw. unterscheide. Sei' drum! Gleichwohl fällt mir auf, dass trotz stattlichen Alters es überhaupt Dein erster öffentlicher Schreibversuch sein wird - denn Du klebst förmlich an der Schulgrammatik - was ja an sich nix Falsches ist. Hier z. B. und nur ganz kurz

Ich war 1959 vier Jahre alt und musste immer warten, bis ich an der Reihe war.

Ein bisschen Mut zur Ellipse, und ein "war" ließe sich einsparen, etwa
"1959 - mit vier (Jahren) musste ich immer warten, ..."

Aber es gibt auch Rechtschreibfehler, wie hier

Es gab ein paar, nicht ernst gemeinte Klapse von meiner Mutti auf den Po der eiden und dann aber „Ab in die Wanne“.
"Beide" i. d. Regel klein, außer stünden am Satzanfang. (Es ist ein Infinitpronomen und Pronomen werden i. d. R. klein geschrieben - außer am Satzanfang. Von Haus aus ist "beide" natürlich ein Zahlwort und wie das "Paar" ein überbleibsel des alten, aber abhandengekommenen Duals - aber das ist eine ganz andere Geschichte, Sprachgeschichte halt)

Was aber noch auffällt, ist die eingeschobene wörtl. Rede, die ohne erkennbarem vorherigen Satzzeichen mit Großbuchstaben beginnt und im zwoten Beispiel, hier

Da tauchte sie dann die Frage auf „haben die Beiden vielleicht Pipi ins Wasser gemacht?“
eben nicht. Letztere Schreibweise würde ich bevorzugen ... (auch Auslassungspunkte, wie etwa beim Schlagertitel Ronnies, sollten durch eine Leertaste vom vorherigen Wort getrennt werden, weil ansonsten behauptet wird, dass eben an diesem vorhergehenden Wort zumindest ein Buchstabe fehle

Hier

Das war dann die Einstimmungsphase für die Aktion „Nun-aber-ab-ins Bett“.
hat die Aktion halt einen eigenen, festgefügten Namen, dem zur Hervorhebung Gänsefüßchen zugebilligt werden.

"Soweit" wird nur als Konjunktion zusammengeschrieben, als unbestimmte räumliche/zeitliche Aussage immer aus einander - und das ist in beinahe aller Regel der Fall

So[...]weit[,] so gut.
Aber bis es so[...]weit war, war es ein steiniger Weg:

„Oh my Darling, Oh my Darling Caroline[...]…“
Warum hier das gedoppelte "a"?
Schaub-Lorenz-Radios, um jaa jeden Ton mitzukriegen

Ich denk mal, dass der Vater nicht spukte
jedes Mal, bevor es in die Kirche ging, spu[c]kte mein Papa in die Hände und

So viel oder wenig für heute vom

Freatle

 

Hallo MartinTNE,
was für eine herrliche Zeitreise. Danke dafür. Erstaunt bin ich darüber, was du dir als Vierjähriger bereits gemerkt hast. Ich habe wohl das Meiste verdrängt ... :lol:
Liebe Grüße
Sabine

 

Hallo martinTNE,

mein Vater hat von dieser Zeit erzählt. Die Großeltern hatten eine Zinkbadewanne, besser gesagt zwei. Eine wurde zum Schlachten verwendet. Der Metzger kam ins Haus und drehte dort die Blutwürste und portionierte das Fleisch. In der anderen badeten die Kinder. Jeweils samstagnachmittags. Vater hatte Angst davor, dass die Badewannen verwechselt werden. Im Wechsel durften die Kinder zuerst in die Wanne. Währenddessen liefen die Bundesligareportagen im Radio und es roch nach Schaschlik.
Was ich sagen will: wenn du deine Geschichte verdichtest, mit Gefühlen, Gerüchen und Geschmack anreicherst, wird sie mehr als eine Erinnerung. Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, was das Besondere an der Musik der Beatles war, was der Protagonist gefühlt hat und was für eine Bedeutung die langen Haare hatten.

Einiges ließe sich am Text verbessern – auch stilistisch - würde sich lohnen, sind gute Ansätze vorhanden. Super zum Beispiel das Bild mit den speichelbeschmierten Haaren.

Willkommen hier!

Textstellen:

Ich war 1959 vier Jahre alt und musste immer warten, bis ich an der Reihe war.
warum erwähnst du mehrfach, dass es 1959 war?

Nach dem ersten Eintauchen unter Wasser war es mir mit Pipi oder ohne Pipi egal.
der Satz klingt falsch, besser wäre z.B. ein Nebensatz mit ob.

die Stimmen aus einem anderen Kosmos unter Wasser,
hübsches Bild:Pfeif:

„Das ist nicht wahr, das gibt es nicht, das kann nicht sein, das darf nicht sein! … Lange Haare!“ Meine kleine Welt, alles geregelt, alles konform, alles in Ordnung und dann DIESES!
warum? Was war das Besondere? Da müsste mehr kommen.

ging es immer in die Kirche zu Hochamt.
zum, wobei ich ja eigentlich auch nicht zu einem Hochamt gehe, oder? Eher in die Kirche, um am Hochamt teilzunehmen.

um den getrockneten, verkrusteten Speichel meines Vaters aus meinen Haaren unter dem Wasserhahn raus zu waschen. Dieses Ritual hatte für mich jedoch jedes Mal das unheimlich befreiende Gefühl von Beichte, Reinigung und Läuterung in einem.
sehr schönes Bild.

viele Grüße
Isegrims

 
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Hallo Fraetle,

vielen Dank für Deine kritisch konstruktiven Anmerkungen. Ich habe den Text größtenteils entsprechend deiner Vorschläge geändert. Ich hoffe, dass es in diesem Forum Usus ist, Texte nachträglich zu ändern. In "Diskussionsforen" wird es verständlicherweise nicht gern gesehen.

Nicht ganz geteilt habe ich Deine Anmerkung zu meinem Wort "jaa". Es sollte ein langgezogenes, betontes "ja" versinnbildlichen. Denkbar wäre noch ja! oder jaah. Für letzteres habe ich mich dann entschieden.

Deine Schilderungen aus dieser Zeit passen sehr schön zu meinem Text.

Gleichwohl fällt mir auf, dass trotz stattlichen Alters es überhaupt Dein erster öffentlicher Schreibversuch sein wird - denn Du klebst förmlich an der Schulgrammatik - was ja an sich nix Falsches ist.

Diesen Satz habe ich nicht verstanden. Ich versuch es einmal ihn zu verstehen. ´ ... sein wird´. Es ist doch ein Text, der "objektiv" vorliegt. Was meinst Du mit ´... an der Schulgrammatik kleben´?

Viele Grüße

Martin


Hallo Isegrims,

vielen Dank für Deine aufmunternden und kritischen Anmerkungen.

warum erwähnst du mehrfach, dass es 1959 war?

Weil zwischen den beiden genannten Jahreszahlen ein Satz steht.

der Satz klingt falsch, besser wäre z.B. ein Nebensatz mit ob.

Mir klingt es zu altbacken.

warum? Was war das Besondere? Da müsste mehr kommen.

Das finde ich nicht. Gerade diese kurzgehackten Gegensätze

Das ist nicht wahr! // Meine kleine Welt
Das gibt es nicht ! //Alles geregelt
Das kann nicht sein! // Alles konform
Das darf nicht sein! // Alles in Ordnung

sollte die plötzliche Sprachlosigkeit eines "Neunjährigen" widerspiegeln im Sinne von Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus: Satz " 5.6 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Folglich die Sprachgrenze eines Neunjährigen.

Ob es mir gelungen ist, diese Intention stilistisch gut umzusetzen, ... ich weiß es nicht.

Viele Grüße

Martin


Hallo Sabine P,

ich habe mich über Dein nettes Kompliment sehr gefreut.

Viele Grüße

Martin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo martinTNE,

zuerst einmal habe ich diese Geschichte gerne gelesen.
Danke für den Einblick in die Erschütterung einer heilen Welt.

Ich bin ebenfalls recht neu hier im Forum und möchte daher nur ein paar Gedanken zum Text anbringen. Es geht ja um den Leser-Eindruck ...

Samstags. … Samstags war immer Badetag. Meine Mutti ging in den Keller, holte ein paar Briketts und zündete mit ein paar Streichhölzern und dem Papier der Tageszeitung Holzscheite an und heizte den Kessel für das Badewasser ein.

Der Anfang ist ja immer wichtig. Und diesen hier finde ich etwas komisch.
Das doppelte 'Samstags' mit den vielen Pünktchen dazwischen hat mich etwas irritiert und danach ein Bandwurmsatz mit so vielen 'und' ... würde ich ändern.
Zwischen Badetag und Meine Mutti könnte man auch über einen Zeilenwechsel oder Gedankenstrich nachdenken. Das Erste ist so eine Art Zurückdenken, das Zweite dann der wirkliche Beginn des Erzählens.
Wieso übrigens 'Papier der Tageszeitung'? Klar ist die aus Papier, das muss man doch nicht erwähnen. Oder sollte es 'eine Seite der Tageszeitung' heißen?


machten ihre Faxen

'machten Faxen' reicht auch

Klapse von meiner Mutti auf den Po der beiden und dann aber „Ab in die Wanne“

Gänsefüßchen mitten im Satz ... hmm, kann man machen, ist hier allerdings etwas holperig. Vor allem auch noch mit dem 'aber' dabei. Wenn man den Satz laut liest, klingt das wirklich eigenartig.

mit vier Jahren musste ich immer warten, bis ich an der Reihe war. Ich hatte zur Badewanne immer ein zwiespältiges Verhältnis, denn einerseits musste ich in die benutzte Badewasserbrühe meiner Geschwister steigen.

zweimal 'immer' - und vom Sinn her passen die Sätze irgendwie nicht zusammen. Zeilenumbruch?
Das 'andererseits' zu diesem 'einerseits' kommt auch etwas spät ...

Ronnie säuselte in seinem Brunftbariton „Oh my Darling, Oh my Darling Caroline …“

Da ich bisher nur die Oh-my-darling-clementine-Version kannte, habe ich bei google nachgeschaut.
Ronny mit 'y' hat dieses Caroline-Lied hier gesungen. Auch wenn die Beatles nachher im Text absichtlich falsch geschrieben sind, würde ich den Ronny evtl. trotzdem richtig schreiben, auch wenn englisch damals noch nicht im Südoldenburgischen angekommen war. Ist aber nur so ein Gefühl.

„und-nun-direkt-auf-Platz-eins-die Bietels-mit-ihrem-Lied

Gänsefüßchen kann weg, dass der Ansager spricht ist klar, 'die-Bietels' sollte der Vollständigkeit halber auch noch einen Strich bekommen - Bietels ist übrigens sehr schön :lol:

um jaah jeden Ton

ist schon klar, was du sagen möchtest, ein einfaches ja funktioniert dabei allerdings auch

Bieddels

ich würde bei Bietels bleiben, das entspricht eher der Original-Aussprache

Die folgenden Samstage konnten wir es gar nicht erwarten, die NDR Schlagerparade zu hören. Drei neue Fans sitzen

Komma? Bin nicht sicher - Punkt und danach groß
sitzen sollte saßen sein, um in der passenden Zeit zu bleiben ...

Ich hör jetzt aber mal auf damit, das Prinzip ist klar.
Insgesamt schön geschrieben, aber ach - der letzte Satz.
Das 'im Kopf' hätte ich wahrscheinlich noch viel spannender gefunden!

Viele Grüße, C.

 

ich:
Gleichwohl fällt mir auf, dass trotz stattlichen Alters es überhaupt Dein erster öffentlicher Schreibversuch sein wird - denn Du klebst förmlich an der Schulgrammatik - was ja an sich nix Falsches ist.
Dazu Deine Anmerkung und Frage
Diesen Satz habe ich nicht verstanden. Ich versuch es einmal ihn zu verstehen. ´ ... sein wird´. Es ist doch ein Text, der "objektiv" vorliegt. Was meinst Du mit ´... an der Schulgrammatik kleben´?

Das Problem lässt sich am ehesten an den Zeitfolgen darstellen,

lieber martinTNE ,

denn da gibt's bei uns tatsächlich nur zwo einwertige (Gegenwart "ich komme" und Vergangenheit "ich kam"), selbst das Futur I ist zwostellig ("ich werde gehen"), alle anderen, "vollendete" bzw. "vorzeitige" Zeiten sind mindestens zwostellig ("ich bin/war gekommen") oder sogar dreistellig ("ich werde gekommen sein"), die sich aus Hilfsverb (sein und werden, aber auch haben) und 2. Mittelwort (gekommen) zusammensetzen. Grammatisch soll damit ein Geschehen/Ereignis vor der eigentlichen, einstelligen Zeit dargestellt werden, was gelegentlich zu unnötigen Konstruktionen führt mit inflationärem Gebrauch der Hilfsverben. Keine bange, Dein Gebrauch der Hilfsverben ist nicht so inflationär, dass sich meine Augen nach innen drehten.

Nun, in dem ersten vollständigen Satz in Deinem kleinen Ausschnitt Deiner Jugendgeschichte

Samstags war immer Badetag
ist "sein" (war) Vollverb (den Unterschied zum Hilfsverb macht i. d. R. die zugleich notwendige Nutzung eines anderen Verbs, i. d. R. seines Mittelworts aus. Der erste Satz mit "haben" als Hilfsverb ist der dritte:
Nach zwei Stunden hatten die Briketts genug Hitze für ein Vollbad entwickelt
das sich sogar hier schon vermeiden ließ, bezieht sich doch der Satz direkt auf den vorhergehenden mit Mutters Tätigkeit, dass sich das Hilfsverb einsparen ließe ohne Schaden, denn der Leser kennt ja die Reihenfolge Brikett einlegen (evtl., wenn noch keine Glut da ist anzünden und lüften, was ja für sich schon ein besonderer Akt ist), Ofenklappe wieder zu.
Der zitierte Satz ist keineswegs falsch, aber er ließe sich verkürzen auf "Nach zwei Stunden entwickelten die Briketts genug Hitze für ein Vollbad."

Noch ein Beispiel, dann soll aber genug sein:

Kurzum, die Bieddels hatten mich verzaubert. Die nächsten Jahre waren durch einen permanenten Kulturkampf gekennzeichnet. Gegenüber Mutti und Papa wurde um jeden Millimeter Haarlänge energisch gerungen.
kurz:
... hatten mich verzaubert. ... waren ... gekennzeichnet. ... wurde ... energisch gerungen.
Vllt. eleganter "Kurzum, die Bieddels verzauberten mich. Die nächsten Jahre kennzeichnete ein permanenter Kulturkampf. Gegenüber Mutti und Papa rangen wir energisch um jeden Millimeter Haarlänge." Kurz: Kürzer und eleganter - oder?

Ähnliches gilt auch für Wortwiederholungen, wie kurz nach dem Heizvorgang

Meine Schwester, 1959 sieben Jahre alt und mein Bruder neun Jahre alt, machten ihre Faxen und turnten in Vorfreude auf das wöchentliche Bad nackig in unserem Flur herum.
Zwomal "alt" und eines ließe sich schadlos einsparen (die deutsche Sprache ist da flexibler als manche andere), etwa der Art "Meine Schwester, 1959 sieben Jahre alt und mein Bruder neun, machten ..."
(Nebenbei können wir noch bisher übersehen Schnitzer beseitigen, so weit sie mir jetzt auffallen, wie hier
Doch dan[...]ach kündigte ...
"Danach" immer mit nur einem n!
Hier sollten beim Titel-Zitat innerhalb der wörtlichen Rede, die Gänsefüßchen halbiert werden
und beiläufig sprach er „und-nun-direkt-auf-Platz-eins-die Bietels-mit-ihrem-Lied „I wanna hold your hand“.

Mann, waren wir fasziniert ...
Ist zwar nicht falsch, weil auch das Pronomen "man" vom "Manne" kommt, aber "man" zugleich auch "frau" umfasst.

Nun ist erstmal genug.

Ich hoff, dass ich Dir oben helfen konnte.

Tschüss und schönes Wochenende vom

Friedel (klanggleich mit dem mittelhochdeutschen vridel und dem "Freatle")

 

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