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Eiszapfen
Eiszapfen kann man nur auf zugefrorenen Seen verkaufen. Das ist Wintergesetz. Und nur wenn die Sonne scheint, sonst glitzern sie nicht.
Der Vater schreit seine Tochter an, warum sie ihm immer extra die Spielsachen in den Weg lege, er breche sich noch ein Bein und könne nicht mehr zur Arbeit gehen.
Mittags, wenn die Sonne die Spitze des Berges erreicht hat, von dem sie Richtung Abend herunterkullern wird, gleißen die Eiszapfen. Sie werden so hell, dass die Käufer die Augen schließen müssen.
Heute gibt es keine Rockzipfel mehr, aber immer noch kochende Mütter: „Jetzt plärr nicht schon wieder, das geht mir auf die Nerven!“
Tränen gibt es viele, man könnte eine Untersuchung machen: In Bregau zum Beispiel weinen die Kinder am Tag insgesamt vierzehn Liter, und vielleicht weinen sie in anderen Städten nur elf Liter, weil die Sonne öfter scheint oder die Eltern mehr Zeit haben.
Wenn man auf dem See steht, ist es gut eine Thermoskanne mit Glühtee dabei zu haben, nur so hält man es bis zum Sonnenuntergang aus, dann werden die Zapfen nämlich am wertvollsten. Die schrägen Sonnenstrahlen lassen ein Feuer in jedem Zapfen brennen, glutrot bis weißgelb und in allen tausend Farben dazwischen. Die Käufer kommen dann nur noch spärlich, aber es sind wahre Kenner. Sie nehmen die Zapfen in die Hand und prüfen den Wuchs.
Sie schläft. Der Vater hat sie schon längst wieder vergessen und die Mutter hat den Vater vor dem Fernseher vergessen.
Sind am Abend alle Zapfen verkauft, dann scheint die Sonne am nächsten Morgen wieder, das ist Wintergesetz.