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Eiszapfen

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26.03.2003
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Eiszapfen

Eiszapfen kann man nur auf zugefrorenen Seen verkaufen. Das ist Wintergesetz. Und nur wenn die Sonne scheint, sonst glitzern sie nicht.

Der Vater schreit seine Tochter an, warum sie ihm immer extra die Spielsachen in den Weg lege, er breche sich noch ein Bein und könne nicht mehr zur Arbeit gehen.

Mittags, wenn die Sonne die Spitze des Berges erreicht hat, von dem sie Richtung Abend herunterkullern wird, gleißen die Eiszapfen. Sie werden so hell, dass die Käufer die Augen schließen müssen.

Heute gibt es keine Rockzipfel mehr, aber immer noch kochende Mütter: „Jetzt plärr nicht schon wieder, das geht mir auf die Nerven!“
Tränen gibt es viele, man könnte eine Untersuchung machen: In Bregau zum Beispiel weinen die Kinder am Tag insgesamt vierzehn Liter, und vielleicht weinen sie in anderen Städten nur elf Liter, weil die Sonne öfter scheint oder die Eltern mehr Zeit haben.

Wenn man auf dem See steht, ist es gut eine Thermoskanne mit Glühtee dabei zu haben, nur so hält man es bis zum Sonnenuntergang aus, dann werden die Zapfen nämlich am wertvollsten. Die schrägen Sonnenstrahlen lassen ein Feuer in jedem Zapfen brennen, glutrot bis weißgelb und in allen tausend Farben dazwischen. Die Käufer kommen dann nur noch spärlich, aber es sind wahre Kenner. Sie nehmen die Zapfen in die Hand und prüfen den Wuchs.

Sie schläft. Der Vater hat sie schon längst wieder vergessen und die Mutter hat den Vater vor dem Fernseher vergessen.

Sind am Abend alle Zapfen verkauft, dann scheint die Sonne am nächsten Morgen wieder, das ist Wintergesetz.

 

Hallo lanka,

den Kreislauf, die Entwicklung, die hast du in deiner Geschichte toll verdeutlicht. Manche Dinge sind einfach so, wie sie sind ("das ist Wintergesetz"), auf dem Eis und in der Familie. Und beginnen am nächsten Tag einfach wieder von vorne. Paralellen zwischen den beiden Erzählsträngen gibt es so zum einen durch die Tageszeit und die Vorbestimmtheit. Die Frage ist, ob das alles wirklich so sein muss - was wäre, wenn jemand Eiszapfen ohne Sonnenschein zugefrorenem See verkaufen würde? Die Familienmitglieder ihre Verhaltensmuster ändern und nicht mehr genervt voneinander sind? Nicht falsch verstehen: die Fragen hast du mit deiner Geschichte geweckt, ich möchte sie keinesfalls durch sie beantwortet haben, ist also keine Kritik ;)

Hat mir als Momentaufnahme gut gefallen, hätte aber auch den Vorschlag, deinen Gedanken in ein wenig mehr Handlung zu packen und auszubauen - die Substanz ist auf jeden Fall da!

Liebe Grüße
Juschi

 
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Hallo lanka,

Ähnlich, wie es Juschi schon getan hat, will ich mich auch an einer Deutung probieren.

Die beiden Erzählstränge sind jeweils chronologisch unterteilt, wobei Absatz 1 & 2 den Morgen umfassen, Absatz 3 & 4 Mittag, und Absatz 5 & 6 schließlich den Abend. Der letzte Absatz schließt den Kreis, und führt inhaltlich auf Absatz 1 zurück.
Es sind gewisse Paralellen erkennbar, die für eine genauere Interpretation entscheidend sind.
In Erzählstrang 1 handelt es vom Verkauf von Eiszapfen auf zugefrorenen Seen, und die wichtige Rolle des Sonnenlichtes hierbei. In Erzählstrang 2 hingegen werden Situation des Alltags innerhalb einer Familie dem Erzählstrang 1 gegenübergestellt. "Man legt sich Dinge in den Weg, ignoriert sich, oder ist genervt", wie es Jynx ausgedrückt hat. Dabei entsprechen die Eiszapfen den Kindern, insbesondere der Tochter in Erzählstrang 2, und der zugefrorene See dem isolierten Dasein innerhalb der Familie. Die Sonne verleiht dem Ganzen ein wenig Leben.

In Absatz 1 & 2 also werden die Einschränkungen, der Egoismus und die Isolation in einer nicht intakten Familie aus Sicht der Tochter verdeutlicht.
In Absatz 3 ist die Rede davon, dass wenn das Sonnenlicht zu sehr den Eiszapfen erhellt, dieser den Käufer gänzlich blendet. Auf Absatz 4 übertragen, bedeutet das: die Tochter (Eiszapfen) ist quicklebendig (Sonnenlicht) und spricht mit der Mutter (Käufer), dergestallt, dass diese sich genervt fühlt (geblendet ist) und die Tochter ignoriert. Ferner beschreibst du in Absatz 4, dass die Kinder (Tochter) in Bregau mehr weinen, als anderswo, und das aufgrund des Sonnenscheins. Der Rückschluss auf das Bild des Eiszapfen ist hiermit gegeben - Eiszapfen schmelzen und tropfen (weinen) bei Sonne.
In Absatz 5 heißt es dann, dass am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, die Eiszapfen (Tochter) einen besonderen Glanz aufweisen, der aber nur von Kennern erkannt und gewürdigt wird. Damit konterkarierst du die Ignoranz und Eigenbrödlerei innerhalb der Familie, die in Absatz 6 angedeutet wird. Die Tochter (Eiszapfen) wird trotz ihres Auflebens (Glanz im Sonnenlicht) von ihren Eltern "vergessen".
In Absatz 7 schließlich, sind alle Eiszapfen (Kinder, insbesondere Tochter) "verkauft", und damit aus den Augen, aus dem Sinn der Eltern. Der gefühlskalte, trostlose Umgang mit der Tochter setzt sich aber am nächsten Tag immer wieder fort - es ist Winter, und da gilt das "Wintergesetz".

Ich hoffe meine Ausführungen sind halbwegs lesbar und verständlich. Schuld hat natürlich die Geschichte, die mich allzu sehr verwirrte. ;)

Textkram:

Der Vater schreit seine Tochter an, warum sie ihm immer extra die Spielsachen in den Weg lege. Er breche sich noch ein Bein und könne nicht mehr zur Arbeit gehen."

Heute gibt es keine Rockzipfel mehr, aber immer noch kochende Mütter: „Jetzt plärr' nicht schon wieder, das geht mir auf die Nerven!“
Tränen gibt es viele, man könnte eine Untersuchung machen: In Bregau zum Beispiel weinen die Kinder am Tag insgesamt vierzehn Liter, und vielleicht weinen sie in anderen Städten nur elf Liter, weil die Sonne öfter scheint oder die Eltern mehr Zeit haben.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hi Jynx,
danke für deine Kritik! Ratlos...weil es für dich kein Ganzes ergibt? Hmmm...ich glaub ich weiß nicht, was eine ganze Geschichte ist, aber ich versuchs mal zu vergänzen.

Hi Juschi,
mehr Handlung...ich würds gerne in der Kürze lassen, weil ich es gut finde, wenn es ganz verschieden interpretiert werden kann, was ihr ja auch getan habt. Aber dann müsste es in sich vielleicht noch klarer und geschlossener sein. Ich werd probieren, es etwas länger zu schreiben und die Handlung stärker rauszukristallisieren.

Hi moonaY,
danke für deine ausführliche Deutung! Es ist eine gute Idee, das Kind mit den Eiszapfen gleichzusetzen (natürlich nicht eins zu eins). Nur weinen die Kinder anderswo weniger, weil die Sonne scheint. Das Wintergesetz seh ich positiver als du - es setzt sich zwar die Kälte in der Familie fort, aber dadurch auch die Schönheit, die Sonne, die die Eiszapfen leuchten lässt und dem Kind hilft der Kälte zu entkommen. Aber es ist fraglich, wie beständig das ist, wie lange das Kind die Kälte verwandeln kann...

Liebe Grüße,
lanka

 

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