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Eiszeit
"Liebling?"
Sie hauchte die zärtlichen Worte wie einen sanften Frühlingswind in sein Ohr.
"Ja, mein Schatz"
Genauso schmachtend kam seine Antwort.
Seit mehr als zwei Stunden lagen sie jetzt kuschelnd auf dem Sofa. Er lang ausgestreckt, die Füße, weit über das viel zu kurze Sofa hinausgestreckt. Sie, mehr oder weniger auf ihm, die Beine, offensichtlich knochenlos, mehrfach um die seinen gewickelt und dabei das Kunststück fertig bringend, ihre Füße in seine Strümpfe zu stecken.
"Mir ist kalt"
"Dir ist immer kalt mein Schatz"
Sie hatten sich darauf geeinigt heute Abend gemütlich zu Hause zu verbringen. Einen Film hatten sie sich ausgeliehen, auf Drängen seiner Freundin sollte es nicht "Ice Age" sein. "Sex and the city" sollte es auch nicht sein, schließlich waren sie erst seit einem Jahr zusammen und da ist das böse Thema mit dem S noch auf gar keinen Fall in Betracht zu ziehen. Es musste etwas vollkommen Unverfängliches sein, sie hatten sich dann auf "Die Augsburger Puppenkiste" geeinigt.
"Ist noch Tee da?"
"Nein, der ist schon alle"
Er verschwieg vorsorglich, dass die Teekanne nicht nur durch trinken leer geworden war. Beide hatten nur jeweils ein Tässchen Tee abbekommen, der Rest wurde von einer Unzahl Teelichtern verdampft. Innerhalb von zehn Minuten, der Zeit, die er benötigte um überhaupt in die Nähe seiner Tasse kommen zu können, ohne dass seine Haut Blasen warf. Sie jedoch fasste die ihre problemlos an, trank ohne zu pusten, schüttelte sich kurz und schmiegte sich wieder an ihn.
So erging es ihm jetzt seit einem Jahr. Seit er sie kannte hatten sich seine Heizkosten verdoppelt und seine Freiheit halbiert. Es war aber gut so wie es war, er liebte sie und er schlief immer öfter in einem frisch gemachten Bett ein. Er wollte nur sicher gehen, man kann ja nie wissen.
"Duhuuu?"
"Jahaaa"
"Es ist kalt draussen"
"Ja"
Sie hatten Mitte September.
"Darf ich heute Nacht hier bleiben?"
Er konnte sein Glück kaum fassen.
"Ja, natürlich"
"Schläfst du auf der Couch?"
Er konnte sein Pech kaum fassen.
"Du wirst frieren alleine im Bett"
Das Argument musste einfach ziehen. Er hatte sie ein Jahr lang zu jedem passenden und unpassenden Zeitpunkt gewärmt. Seine Erinnerung frischte diesen peinlichen Besuch in der Sauna auf. Nicht nur dass sie sich strikt weigerte nur mit einem Bikini in das Schwitzbad zu gehen, nein, es musste ein Bikini mit langen Armen und Beinen sein.
"Werde ich nicht … ich mache die Heizung an"
Er hörte jetzt schon die Tropfen ihres Schweißes auf den Teppich unter dem Bett tropfen. Er sah schon jetzt den Fleck, den sie am nächsten Morgen vermutlich vollkommen erstaunt für eine Flüssigkeit hält, die unter einem Bett normalerweise nichts verloren hatte. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen würde sie, nachdem sie zwei Stunden lang durch die Blockierung des Bades auch seine morgendliche Körpersaftbeherrschung getestet hatte, den Fleck, der nächtens die Dimensionen eines durchschnittlich mittelgroßen deutschen Sees angenommen hatte, für das Produkt seiner frühzeitig einsetzenden Inkontinenz halten. Sie würde mitleidig den Kopf schütteln und plötzlich würde ihr einfallen, dass sie noch unbedingt die neuesten Angebote in der neuen Winterkollektion ihres neuen Second-Hand-Ladens kaufen müsste. Er würde sie gehen lassen, soll sie doch versuchen sonntags einzukaufen. Er könnte natürlich auch versuchen, ihr zu erklären woher eben dieser Fleck herrührte, aber er könnte genau versuchen den Kontinentaldrift aufzuhalten in dem er einen Anker in die Nordsee schmiss.
Also würde sie am nächsten Morgen eiligst ihre Sachen packen, ihm ein sowohl flüchtiges als auch flüchtendes Lächeln zu werfen und das Weite suchen. Und er würde denken, soll sie doch suchen, aber ob sie es findet? Es war ihm mittlerweile egal. Seine Heizkosten würden sich endlich wieder auf ein erträgliches Maß reduzieren, er würde noch einmal zwei Stunden ihre Stimme am Telefon hören müssen, herz-und telefonzerreissend würde sie ihm gestehen, dass er wohl doch nicht der Richtige sei, er würde sich verständnisvolle hmm's und Ja's einwerfen, auflegen, seine Kumpels anrufen und seinen Trennungsschmerz in Bier und Frauenwitzen ertränken, Frauenwitzen, die sich merkwürdigerweise über das Kälteempfinden des anderen Geschlechts auslassen.