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Embolin
Und es ereignete sich, wie in fast allen Märchen, vor vielen, vielen Jahren; da gebar eine junge Frau einen Troll.
Nun, er war nicht sonderlich hübsch, dieser Troll, besaß er doch kleine schwarze Knopfaugen, mit denen er nicht gut sah, Knubbelfinger, abstehende Ohren und dunkelgrünes Haar, mit dem er Photosynthese betreiben konnte, wenn die Sonne schien. Außerdem war er nur so groß, dass er in jedem üblichen Wassereimer Platz fand.
Die Frau hatte neben ihm noch ein zweites Kind- eine 15 jährige Tochter. Diese hingegen war bezaubernd. Schon mit süßen 13 Jahren wurde sie zur Mrs. Dornröschen des Dorfes gekürt. Die Mutter war sehr stolz auf ihre beiden Kinder. Auf ihre fleißige Tochter ebenso wie auf ihren kleinen „Dreikäsehoch“, wie sie ihren anderen Nachkömmling manchmal liebevoll rief. Doch für gewöhnlich nannte sie ihn Embolin, und sie liebte ihn wie einen kleinen Sohn. Sie strickte ihm kleine Wollpullover, baute ihm aus einer Katzentoilette einen gemütlichen Schlafplatz und krümelte ihm das Brot in mundgerechte Häppchen.
Aber nun, Sie können sich sicher denken, dass man es als Mutter mit so einem kleinen Troll nicht immer leicht hat. Manchmal machte sich Embolin sich einen Spaß daraus, die Kleider der Puppen seiner Schwester überzuziehen. Dann setzte er sich zwischen die Stofftiere auf dem Bett und rührte sich nicht. So war es ihm schon oft gelungen, sich vor lästigen Hausarbeiten zu drücken. Und Arbeit gab es im Haus genug.
Doch wie man es von einem Troll erwartet; und jegliche Klischees über Trolle, Gnome und andere Hausgeister werden Ihnen das bestätigen; trieb auch Embolin jede Menge Unfug in fremden Haushältern. Er stahl mit Vorliebe Kekse, verrückte Zuckerdosen und allerlei anderen Kleinkram oder schmierte Honig in die Pantoffeln der Nachbarn, in der Hoffnung, sie würden ihn als Poltergeist wahrnehmen. Und vielleicht irgendwann verehren. Bei diesem Gedanken fühlte sich die kleine Gestalt wie ein echter Kerl.
Was Embolin jedoch nicht wusste, war, dass ihn die anderen Leute oft einfach nur nervig fanden. Und so kam es dann auch, dass die Gemeinde forderte, der Troll solle aus dem Dorf verschwinden. Natürlich war seine Mutter nicht sehr glücklich darüber, denn sie liebte ihren kleinen Dreikäsehoch schließlich… Also beschloss sie, Embolin bei sich im Hause zu verstecken und vorzugeben, sie hätte den Kleinen im Wald ausgesetzt und noch eigens miterlebt, wie ihm eine Eule die Augen auspickte. Sie schmückte diesen Gedanken noch ein wenig aus, dann schob sie Embolin´ s Schlafkiste unter ihr Bett, und achtete sehr darauf, dass dieser nicht mehr das Haus verließ.
Embolin musste still sein, wenn seine Mutter Gäste erwartete, oft versteckte er sich dann zwischen Gemüseresten und Eierschalen im Biomüll. Wenn die Besucher dann verschwunden waren, krabbelte er wieder aus den Abfällen hervor. Wenn er dann so vor ihr stand, machte er seinem Spitznamen wirklich alle Ehre. Nicht nur wegen der Größe, nein, auch wegen dem Geruch. Nicht mal im Traum dachte seine Mutter daran, ihn auszusetzen.
Doch nach einiger Zeit wurde dem kleinen Troll das Versteckspiel im Haus langweilig. Er sehnte sich nach der Welt da draußen, den Blumen, den Menschen. Und die Spatzen auf dem Fenstersims konnten ihm nur einen unzureichenden Blick auf das verschaffen, wonach er sich so sehnte: Freiheit.
Und so begab es sich, dass Embolin eines Nachts das Haus verließ. Das Licht des Vollmondes wies ihm den Weg. Natürlich war er darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, er versteckte sich hinter jeder Hauswand, die er finden konnte. Wenn er ein Geräusch hörte, ließ er sich einfach unbeholfen auf den Boden fallen und stellte sich tot. Er konnte das richtig gut, fand er.
Wenn jetzt jemand vorbeikäme, würde man ihn wohl für ein Stück Holz oder einen Stein halten.
Und wegkicken.
Bei dieser Vorstellung rappelte Embolin sich auf, und tippelte in seinen Puppenkleidern davon.
Ein Haus fiel ihm ganz besonders auf. Im Fenster dieses Hauses brannte noch Licht und selbst von hier aus konnte Embolin den köstlichen Duft frischgebackener Kekse vernehmen. Vorsichtig ging er auf das Haus zu. Er erinnerte sich daran, dass seine Mutter es ihm verboten hatte, nach draußen zu gehen, und erst recht war es ihm verboten gewesen, fremde Häuser zu betreten. Galt er doch als tot. Doch was gäbe er jetzt nicht alles dafür, so einen frischgebackenen Keks zu verputzen.
Das Licht im Fenster erlosch.
Embolin zog sich am Efeu die Hauswand hinauf und sah von dort aus die Schüsseln mit den Keksen auf dem Küchentisch stehen. Er musste einfach einen haben.
Er vergewisserte sich, dass die Hausdame nicht in der Nähe war und kletterte in die Küche. Nachdem er sich satt gegessen hatte, steckte er sich einige Krümel für den Heimweg ein und verschwand.
So ging es Nacht für Nacht. Der kleine Troll schlich sich aus dem Haus, wenn seine Mutter schlief und stibitzte anderer Leute Essen. Dies ging einige Wochen gut, dann bemerkte die nette Keksdame, wie Embolin sie für sich nannte, dass des Nachts immer wieder Kekse verschwanden, hatte sie diese doch genau abgezählt.
Wahrscheinlich war es sogar, dieselbe Frau, die damals die Heinzelmännchen vertrieb, jedenfalls wollte sie der Sache auf den Grund gehen. Sie buk wie jeden Samstagabend für ihre Kinder American Chocolate Cookies, nach einem Rezept von Rotkäppchen´ s Großmutter, und stellte diese über Nacht zum Auskühlen auf den Küchentisch. Zudem streute sie etwas Mehl, hauchdünn, auf den Küchenboden. Sollte sich jemand an ihren Keksen vergreifen, würde sie spätestens am nächsten Morgen wissen, ob es ein Mensch oder ein Troll gewesen war.
Embolin war nicht dumm. Er verstand es, Dinge zu meiden, von denen er glaubte, sie seien zu riskant für ihn. Er war weder naiv noch zu unerfahren, doch er hatte eine Schwäche für American Chocolate Cookies nach einem Rezept von Rotkäppchen´ s Großmutter.
Und es dauerte nicht lange, da betrat er das haus der jungen Dame, welche sich sicher schon ganz gierig im Bett herumwälzte. Er spielte das gleiche Spiel wie jeden Abend, doch dieses Mal mit einem entscheidenden Fehler.
Schon am nächsten Morgen standen die Vertreter der Dorfgemeinde vor der Tür von Embolin´ s Mutter. Eine Frau aus dem Dorf hätte Kekse gebacken, und Mehl gestreut und heute Morgen wären diese winzigen Fußabdrücke im Mehl zu sehen gewesen. Die Mutter verstand nicht, doch sie wusste, dass die Vertreter der Dorfgemeinde wissen mussten, dass eine Frau aus dem Dorf zu wissen glaubte, Embolin war am Leben.
Mein Gott, dass so etwas passiert, hätte man halt wissen müssen.
Natürlich.
Und deshalb beschloss die Dorfgemeinde, das Haus abzubrennen.
Jetzt.
Sofort.
Ein älterer Herr, es war wohl ein Bauer, zündete bereits eine Fackel. Sein fieses Grinsen verriet, dass ihm bereits einige Zähne fehlten, und Embolin´ s Mutter wäre versucht gewesen, ihm auch noch die restlichen drei auszuschlagen, wäre da nicht plötzlich Embolin selbst an der Tür aufgetaucht.
Er stand einfach da und reckte sein Köpfchen gen Himmel, um den Leuten in die Augen sehen zu können, die ihn in Flammen erleben wollten. Der Wind pfeifte durch das Haus, Laub raschelte gediegen an den Bäumen. Embolin hielt den ernsten Blicken der Männer und Frauen stand. Dann durchschnitt ein „Schmuusiwuusipussi“ die Stille und eine entzückte Frau drängelte sich durch die Menge nach vorn. Ein Gelächter füllte die Straßen, dann begann die Meute zu drängeln und zu schubsen.
Jeder wollte mal streicheln.
Der Gedanke an Mord und Totschlag war vergessen, denn niemand hätte dem Kleinen etwas zu Leide tun können. Stattdessen erwies sich, dass sich so ein Troll sich ganz nützlich im Haushalt einsetzen ließ. Embolin verbrachte seine Zeit damit, die Leute im Dorf bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Er reinigte Schornsteine von innen, kümmerte sich tiefgehend um verstopfte Abwasserrohre und half im folgenden Winter beim Schneeschieben.
Dass diese Geschichte noch einmal gut ausging, verdankte Embolin wohl nicht zuletzt seinem unwiderstehlichen Charme, seiner positiven Aura und seinem überwältigenden Mut, in erster Linie aber mir. Dem Autor. Danke für´s Lesen