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Ende der Freiheit

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16.08.2003
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Ende der Freiheit

Jetzt marschierten sie also wieder, die Gleichmacher und Draufhauer.
Sie sprachen von "Volkszorn" und "Revolution". Es war eine seltsame, dreckige Mischung aus links und rechts, aus Menschen die ein festgezurrtes Weltbild hatten und keinen Widerspruch duldeten. Sie kämpften für "Volk" oder "soziale Gerechtigkeit", gegen "Schmarotzer" oder "Perverse". Sie meinten alle, die nicht ins Schema passten. Wie damals. "Freiheit" war ihnen ein Kraus. In ihrem Weltbild gab es nur Sklaven und Sklavenhalter.

Sie ekelten sich vor allem, was sie nicht verstanden oder was anders war. Sie waren dumpf, glaubten an eine Weltverschwörung und hofften auf neue Zeiten. Er roch alte Zeiten, bei dem was sie sprachen, und fragte wann sie endlich lernen würden aus Stalingrad, Ausschwitz oder dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens. Wohl niemals.

An diesem Abend, das wusste er, war die Demokratie am Ende. Mal wieder. Er hatte nie zuvor einen solchen Tag miterlebt, aber er hatte in Geschichtsbüchern immer wieder darüber gelesen. Heute wäre er hautnah dabei, und es wäre das letzte, was er erleben würde. Er war zu sehr Demokrat, er hatte zuoft Kriminelle vor Gericht verteidigt, als dass er jetzt mit Gnade hätte rechnen können. Er hatte immer für einen menschlichen Staat gekämpft, für einen Staat, der sich nicht des Mordes und der Folter bediente, für einen Staat, der auch Mörder nicht umbrachte. Er hatte verloren. Schon vor drei Jahren waren die "Populären", wie sich selbst nannten, ins Parlament eingezogen. Sie hatten kurzen Prozess gemacht, und die anderen hatten sich ihnen gebeugt, hatten klein Bein gegeben.
Die Wiedereinführung der Todesstrafe hätte niemand der Bildungsbürger für möglich gehalten, aber es war soweit gekommen, und jetzt war die Demokratie ganz am Ende. An diesem Abend würden sie feiern, und sie würden alles zerstören, was so mühsam nach zwei Weltkriegen aufgebaut worden war.

Jeder, der einigermaßen bei Verstand war, hatte sich schon lange zuvor aus dem Staub gemacht, und auch er hatte mit dem Gedanken gespielt, nach Kanada auszuwandern. Aber er hatte immer gekämpft, aber ihm war klar, dass er Teil eines historischen Prozesses war, dass sie noch in 50 Jahren von dieser Machtergreifung reden würden. Er warf einen Blick auf die Zeitung vom heutigen Tag, vom 9. März 2011.
Es war fast genau 6 Jahre zuvor gewesen, als er zum neuen Vorsitzenden der Liberaldemokraten gewählt worden war. Was hatte er in dieser Zeit bewegt? Hatte er für seine Ideale kämpfen können? Hatte er etwas bewegt, bei den Menschen auf der Straße?

Er hatte versagt. Nicht, weil er seine eigenen Ideale verraten hatte, sondern weil er an ihnen festgehalten hatte. Er hatte die Muslime verteidigt, für ihn war Religionsfreiheit nicht nur ein Wort gewesen. Aber der Volkszorn war am Kochen, und die immer größere Armut hatte ihr Übriges getan. Er hatte sich gegen die Todesstrafe gestemmt, und dann doch verloren. Er hatte gegen den Gesetzentwurf zur "Verhinderung abweichenden Sexualpraktiken" gestimmt und verloren. Er hatte gegen die "Zwangsenteignungen der Reichen" gestimmt und eine historische Niederlage im Parlament erlitten.

Das es zuende gehen würde, das hatte er lange geahnt. Er schaltete den Fernseher ein. Auf CNN berichteten sie, die Stürmung des Kanzleramtes sei nur eine Frage der Zeit. "More than three million peoples are on the streets, here in Berlin. It's a frightening atmosphere, you know, Jim. If you ask me, it's only a matter of time."

Sie würden auch kommen, um ihn zu holen. Wenn nicht heute abend, dann morgen früh, wenn nicht morgen, dann übermorgen.
Er war zum "Volksverräter" erklärt worden, weil er an das Ideal der Freiheit geglaubt hatte, weil er sich der dumpfen braun-roten Meute nicht ergeben wollte. Er nahm noch einen Schluck vom Whisky, bevor er sich die Pistole an die Schläfe hielt und abdrückte.

 

Hi Timo_Tahon21,
ich finde deine Geschichte gut geschrieben. Vor dem Hintergrund von Montagsdemostrationen, einem Aufschwung an Wählern für links- und vor allem rechtsextremistische Parteien, u.ä. halte ich deine Geschichte leider für durchaus realistisch. Du stellst eine Situation dar, die vergleichbar ist mit dem Ende der Weimarer Republik bzw. viele Parallelen aufweist. Dass dein Prot keinen anderen Ausweg sieht, als sich zu erschießen, finde ich folgerichtig. In so einer Situation würde wahrscheinlich so oder so getötet werden, es sei denn, er könnte noch flüchten.
Ich hoffe allerdings, diese pessimistische Sicht der Dinge nicht doch noch Realität wird.

Gruß keizunakatame

 

Hallo Timo_Tahon!

Also, den ersten Teil fand ich ja ganz gut. Genaugenommen fand ich die Geschichte bis "Hatte er etwas bewegt, bei den Menschen auf der Straße?" gut - danach bekam ich Stirnrunzeln, beim Lesen der Ansichten Deines Protagonisten. Und im Endeffekt hat sie mir dadurch dann eigentlich nicht mehr gefallen.


die "Populären", wie sich selbst nannten, ins Parlament eingezogen. Sie hatten kurzen Prozess gemacht, und die anderen hatten sich ihnen gebeugt, hatten klein Bein gegeben.
- wie sie sich selbst nannten
- hatten klein beigegeben (mit Bein hat das nichts zu tun :susp: )


Aber er hatte immer gekämpft, aber ihm war klar,
- Wdh. von "aber"

dass sie noch in 50 Jahren von dieser Machtergreifung reden würden
...
Es war fast genau 6 Jahre zuvor gewesen
Zahlen sind schöner ausgeschrieben, solange sie keinen Buchstabenwurm ergeben. ;)


Verhinderung abweichenden Sexualpraktiken
- abweichender


Das es zuende gehen würde,
Dass es zu Ende gehen würde

Liebe Grüße,
Susi :xmas:

 

Von der Idee ist die Geschichte ja OK, eine Diktatur kann immer kommen, vor allem wen was mit der Wirtschaft nicht in Ordnung ist. Ich finde jedoch viele einzelheiten garnicht realistisch. Wenn du willst würde sie aufzählen. Schau dir doch wie Machtübernahme heute im Ausland (z.B. Nicaragua, Serbien, Ukraine) funktioniert und welche Vorraussetzungen es für Volkszorn gibt. Satte Bürger erstürmen keine Regierungsgebäude.

More than three million peoples are on the streets, ...
bei peoples das s weglassen (sonst heisst es Völker/Nationen), und bei million ein s hinzufügen. Ich würde das people ganz weglassen (denk doch wie das auf deutsch besser lauten würde.) Schau dir an wie sie auf cnn.com schreiben. Ich würde auch die Anzahl auf eine Million oder weniger senken, denn, wenn ich mich nicht irre, leben in Berlin gerade mal 3 Millionen. Das sind auch alte Menschen und Kinder. Für einen Putsch sind 100.000 mehr als genug.

 

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