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Ende gut

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04.04.2008
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Ende gut

Jutta Ouwens

Ende gut


Der letzte Laut ihres Lebens war ein kleiner Seufzer.
Das Quäntchen Luft entwich ihren Lungen mit einem Anflug leisen Erstaunens, dann sank ihr Kopf seitlich nach vorn. Eine graue Strähne löste sich noch rasch aus dem Haarknoten und schaukelte kurz vor ihrer Wange, bevor sie zum Stillstand kam und der Tod seine Zeichnung begann.

Die junge Frau saß ihr bewegungslos gegenüber und hob den Blick nicht vom Buch, aus dem sie, wie an jedem Vormittag, vorgelesen hatte. Während ihre Netzhaut noch immer das Wort "Italienreise" abbildete, überschlugen sich ihre Gedanken und kämpften mit dem wild klopfenden Herzen um Gehör.

Großmutter war gerade gestorben, der Tod betrat den Raum.
Kaum wahrnehmbar, veränderte sich die Luft.
Eine Kühle, in der die letzten Lebensäußerungen ihrer Großmutter zerflossen, kroch in jeden Winkel.
Die Stille schmeckte süß.
Den Kopf noch gesenkt, schloss die Enkelin beide Augen, wischte ihre Netzhäute leer und klappte das Buch zu.
Ihr Herz beruhigte sich, die Gedanken sanken auf leichten Grund.
Sie fühlte keine Spur von Angst.
Dem Tod ins Auge sehen, kam ihr in den Sinn und langsam hob sie den Kopf.

Im Ohrensessel gegenüber saß eine Gestalt, die entfernt an ihre Großmutter erinnerte.
Die junge Frau betrachtete sie mit wachsendem Staunen. Das Gesicht spiegelte den Übergang in die Unerreichbarkeit, es schien bereits jetzt in eine Wachsschicht getaucht, die Augen starrten unter halbgeschlossenen Lidern auf den Teppich, als dächte Großmutter voller Befremdung darüber nach, warum sie jahrein jahraus auf ihm herumgelaufen war. Der Mund, zu einem kleinen Oval geöffnet, hatte die sanfte Überraschung des Todes eingefangen.
Beide Hände ruhten auf der Decke, die über ihren Beinen lag.
Wie glänzende kleine Berge standen die Hautfalten hervor, dazwischen bildeten unzählige Runzeln tiefe Täler. Die gewölbten Nägel erinnerten an den Panzer einer Echse.
Zum ersten Mal erschien der goldgefasste Bernsteinring der Enkelin wie ein Schmuckstück.
Sie hatte ihn immer als Teil der Großmutter gesehen, ein Leben lang hatte sie ihn getragen, doch erst jetzt schmückte er sie.

Die junge Frau beugte sich vor, um die ruhenden Hände zu streicheln. Die Kühle bildete vor der Toten einen dichten Schild, der sich bereitwillig durchdringen ließ, und die Enkelin stellte erstaunt fest, dass die Hände noch Wärme abgaben. Tastend zeichnete sie die Kontur der Hand nach, die der ähnelte, die so oft ihren Kopf gestreichelt hatte.
Als ihre Finger das Gesicht berührten, hatte sich die rundliche Wange in ein wächsernes Polster verwandelt, schwer und glatt.

Die Enkelin stand auf und kniete sich hin, direkt unter die Augen der alten Frau. Sie versuchte, diesen seltsam fernen Blick zu erforschen, doch die Tote lehnte jede Erreichbarkeit ab.

Ein heftiger Zorn wallte in der jungen Frau auf. Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf und fand die Großmutter zum ersten Mal in ihrem Leben arrogant.
Wie sie dasaß! Als habe sie nur noch Verachtung übrig für das tägliche Einerlei, das Hin- und Hergerenne auf dem abgenutzten Teppich. Nur, weil sie jetzt gestorben war, war das alles nicht mehr gut genug für sie!
Voller Empörung sah sie den Tod, der nachsichtig lächelnd hinter dem Ohrensessel stand und sanft den Kopf mit der schwarzen Kapuze schüttelte. Er hatte seine knöcherne Hand schützend auf die Schulter der Großmutter gelegt.
Das Bild verschwamm.
Als die weichtönenden Schläge der Standuhr nach einer Ewigkeit einsetzten, schmeckte die Luft plötzlich nach Staub und Kräutertee, nach Lavendelöl und Frühling.
Die Enkelin sah auf das goldglänzende Pendel und zählte elf Schläge.
Die Maisonne war in das Fenster gewandert und hüllte die Tote in ein letztes Strahlenkleid. Sie ließ es huldvoll geschehen.

Es ist Zeit für den zweiten Kaffee, dachte die junge Frau, legte ihrer Großmutter das Buch auf den Schoß und ging in die Küche.
Im Garten setzte sie sich unter den blühenden Kirschbaum, trank aus der angeschlagenen Steinguttasse und begrüßte die aufsteigenden Tränen.
Sie drehte sich um, sah den grauen Hinterkopf an der Seite des Ohrensessels lehnen und winkte ihm zaghaft.
Die Luft war schwer von Blütenduft und Abgasen, am wolkenlosen Himmel funkelte die Sonne und in der Ferne klingelte eine Straßenbahn.

 

Hallo Jutta Ouwens
und willkommen auf kg.de :)

Deine Geschichte finde ich schon recht gut. Überwiegend wird der Text von einer starken Stimmung getragen.
Du bietest einen recht ungewöhnlichen Umgang mit dem Tod an und bringst kurz vor Ende einen gelungenen Umschwung ein, der den Leser wachrüttelt.

Dennoch ist der Text in seiner Gesamtheit noch nicht voll ausgereift. Manche Formulierungen klingen zu bemüht, was dem Text einen künstlichen Anstrich verleiht. Unterstützt wird das dadurch, dass du vielen Sätzen einen eigenen Absatz zugestehst, so nach dem Motto: Und wieder ein Hammer-Satz ;)
Zugegeben, es sind wirklich viele schöne Umschreibungen dabei, aber manchmal ist weniger mehr.

Sie versuchte, diesen seltsam fernen Blick zu erforschen, doch die Tote lehnte jede Erreichbarkeit endgültig ab.
das endgültig an dieser Stelle will vom Rhythmus nicht passen. Entweder ersatzlos streichen, da im Prinzip eh unnötig, oder Vielleicht Als ein-Wort-Satz hintenan stellen.

Ein heftiger Zorn wallte in der jungen Frau auf. Sie setzte sich zurück auf den Stuhl und fand die Großmutter zum ersten Mal in ihrem Leben arrogant
Hier setzt die Wandlung der kg ein. Das ist gut, kommt es doch überraschnd. Dennoch passt die Formulierung nicht.
Den heftigen Zorn, der in ihr aufwallt, bremst du ungeschickt mit dem schlichten setzen aus. das beißt sich und transportiert die Wut nicht
Voller Empörung sah sie den Tod, der nachsichtig lächelnd hinter dem Ohrensessel stand und sanft den Kopf mit der schwarzen Kapuze schüttelte
nach vielen guten Sätzen ud Formulierungen ist dieser Satz wirklich sehr schwach. Farblos. Wieder bremst du die Empörung mit dem simplen sah aus. Die Empörung wird für den Leser nicht spürbar.
Sie ließ es huldvoll geschehen.
das ist mir nicht klar. Wie passt das zum Inhalt?
Die Luft war schwer von Blütenduft und Abgasen, am wolkenlosen Himmel funkelte die Sonne und in der Ferne klingelte eine Straßenbahn.
Diesen Ausklang finde ich nicht gelungen. Vielleicht willst du damit andeuten, dass der Alltag weiter geht, als wäre nichts geschehen. Menschen sterben eben, sind aber nur private Tragödien und kümmern den Lauf der Dinge wenig.
In diesem Fall geht der GEdanke für mich jedoch nicht auf, da er recht willkürlich daher kommt. Funktionieren würde das inmeinen Augen nur, wenn du bereits zuvor im text Andeutungen dieser Art gemacht hättest. So bricht das zu sehr aus.

Insgesamt habe ich die Geschichte geren gelesen :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Jutta,

deine Geschichte hat mir gefallen.
Gut, wie du darstellst, dass sich das Leben im Alter umkehrt. Nun liest die Enkelin ihrer Großmutter vor. Auch diese Zornesregung ist nachfühlbar, da sie sich verlassen fühlt. Die Beschreibung der toten Großmutter fand ich sehr gelungen. Dann im Garten die Maisonne, Licht, das zeigt, das Leben geht weiter, unabhängig vom Tod.
Sehr gerne gelesen!

Ciao,
jurewa

 

Hallo Weltenläufer und Jurewa!
Danke fürs Lesen und die Rückmeldungen. Bei so vielen kompetenten Leuten hier, hatte ich schon ein bißchen Angst, dass meine Grandiosität nicht mehr heraussticht; völlig unbegründet, wie sich herausstellt!!!
Weltenläufer, Du hast ja erkannt, dass ich nach jedem genialen Satz einen Absatz mache, gelle?
Ehrlich gesagt, liegt das aber eher an meiner eigenen Lesegewohnheit. Ich mag keine Fließtexte, im Netz schon gar nicht. Es ermüdet mich einfach, deshalb mache ich wahrscheinlich ein paar Absätze zu viel.
Das mit dem "Bemühten" finde ich selber auch, ich spüre das an manchen Stellen und habe auch lange nach anderen Formulierungen gesucht, will das auch gern noch einmal überdenken. "Sie ließ es huldvoll geschehen" beschreibt ein Gefühl der Enkelin und stellt für mich schon ein Stück Distanz zur Großmutter dar. Der Schluß ist angedeutet durch die Maisonne und die Uhrzeit, er gefällt mir noch immer ganz gut so. Sicher kennt Ihr auch das Erstaunen darüber, wie anders sich eine Geschichte plötzlich anfühlt, wenn man sie einfach mal ein paar Tage ruhen läßt. Das mache ich jetzt und werde sie dann unter den Kritikgesichtspunkten noch einmal lesen.
Ein wunderschönes Restwochenende!
LG,
Jutta

 

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