Endstation
Dunkelheit, sonst nichts.
Dunkelheit und ein warmes angenehmes brennen am ganzen Körper, war das einzige was Sophia im Moment wahr nam.
Sophia bemerkte, dass sie auf dem Rücken lag. Sie öffnete langsam die Augen.
Sie befand sich in einem düsteren Raum. Nur erhellt durch einen dumpfen roten Neonschein.
Ihr Blick ging zur Decke, welche durch die Dunkelheit fast schwarz wirkte.
Sophia wollte sich aufrichten, um sich in dem Raum umzusehen. Vergeblich.
Sie war noch ein bisschen benebelt, und drehte den Kopf zur Seite. Sophia blinzelte, während sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Ihre Hände waren offensichtlich festgebunden worden. Beide Arme waren durch eine Anzahl von Lederriemen an einen Tisch geschnallt.
EINEN TISCH; Dachte Sophia; ich bin an einen Tisch gefesselt! ; was zum Teufel…
Sophia versuchte sich daran zu erinnern, was geschehen war.
Sie war einkaufen gewesen, ist dann nach Hause gefahren, hat die Einkäufe in die Wohnung getragen, und ist dann noch einmal kurz weggefahren um Zigaretten zu holen.
Zuhause hat sie eine Tasse Kaffe getrunken, und dann…Aus.
Bis hierhin ging ihre Erinnerung. Was dann passierte wusste sie nicht.
Sophia bewegte ihre Beine. Nichts. Also die auch.
Den Versuch sich aufzurichten hätte sie sich sparen können. Die Lederriemen gaben nur unmerklich nach.
Nicht in Panik ausbrechen, und Ruhe bewahren, dachte sie.
Aber den Kopf konnte sie wenigstens bewegen. Sie reckte ihren Hals, so weit in die Höhe, dass sie gerade einen kurzen Blick durch den Raum erhaschen konnte.
Den Kopf derart in die Höhe zu halten, war sehr anstrengend, und sie bekam fast keine Luft, also ließ sie ihn wieder zurück auf den Tisch sinken. Sophia ging im Geiste die Eindrücke durch, welche ihr der kurze Blick durch das Zimmer ermöglicht hatte.
Ein Fenster, von innen mit Farbe (vermutlich schwarzer) angestrichen, ein Schreibtisch mit einem Spiegel, an dessen Rahmen eine Anzahl von Fotografien angebracht war.
Über dem Spiegel, war auch dieses scheußlich rote Licht montiert. Das konnte sie auch noch erkennen.
Sophia drehte den Kopf zur Seite, und sah im ersten Augenblick nur ihre eigene Schulter.
Erst als sie mit großem Kraftaufwand ihre Wirbelsäule nach vorne drückte, konnte sie kurz die linke Seite des Raumes begutachten.
Wieder ließ sie ihren Kopf sinken, um die gespeicherten Bilder in Ruhe zu analysieren.
Die Dinge die sie diesmal gesehen hatte, hatten einen weitaus bedrohlicheren Charakter, und wirkten auf Sophia höchst beunruhigend.
An einer Wand, war eine Kleiderablage montiert. Doch anstatt sie für Mäntel oder Jacken zu benützen, hatte der Eigentümer dieses merkwürdigen Zimmers etwas anderes dort aufbewahrt.
Von den Haken hingen zahlreiche Ketten, Gürtel, Peitschen, und eine Art Knebel.
Sophia kannte solche Sachen vom Fernsehen, von diversen Nachtshows.
Ted (Sophias Mann) und Sophia waren nicht sadomasochistisch veranlagt, dass heißt, einmal hatten sie sich ein paar Handschellen bei einem Jahrmarktsstand gekauft. Das war aber auch schon alles.
Inspiriert wurden sie dazu, von einem Stephen King Roman mit dem Titel „Das Spiel“.
In dem Roman, fesselte ein Mann seine Frau in einer Jagdhütte an das Bett, und bekam, durch einen gezielten Tritt in die Weichteile, dann einen Herzinfarkt.
Das Buch beschrieb eigentlich nur den Kampf der Frau, sich aus den Handschellen, welche sehr stabil waren, zu befreien, was ihr am Ende unter übermenschlicher Anstrengung auch gelang.
Ja, nur ein Buch, dachte Sophia.
Die Handschellen, welche Ted und sie damals gekauft hatten, waren alles andere als stabil gewesen. Falls Ted einen Herzinfarkt bekommen hätte, wäre es ein leichtes gewesen die Dinger aufzubiegen.
Aber das hier war etwas anderes.
Sophia konnte nur ihren Kopf bewegen, und das auch nur sehr eingeschränkt.
Ihr Blick wanderte wieder an die rot erleuchtete Decke.
Ich bin also entführt worden, dachte Sophia, und bekam einen kurzen Schüttelfrost, als ihr die Angst wie ein Eiszapfen durch den Leib fuhr…
2
Der Hund wartete schon aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd, als Ted die Auffahrt zur Garage hochfuhr.
Ted tippte kurz auf die Hupe, um den schwarzen Labrator von der Auffahrt zu verjagen.
Der Hund machte einen Satz zur Seite in die frisch bewässerte Wiese, und lief dann um den Wagen herum, um Ted überschwänglich zu begrüßen.
Ted stieg gerade aus dem Wagen, und versuchte dabei sich Teddys feuchte Pfoten so gut wie möglich vom Leibe zu halten, was ihm nicht hundertprozentig gelang.
Als der Hund meinte, Ted genug begrüßt zu haben, lief er munter über die nasse Wiese zum Haus, wobei ihm Ted mit einem Sicherheitsabstand von gut drei Metern folgte.
Die Verandatüre war unverschlossen, daran war nichts merkwürdig.
In der Nachbarschaft gab es kaum Einbrüche. Das letzte Verbrechen, wenn man es überhaupt Verbrechen nennen konnte lag schon drei oder dreieinhalb Jahre zurück.
Eine Bande von Jugendlichen hatte damals ein Auto geknackt, und war damit über einige der Vorgärten gebrettert. Es wurde niemand verletzt, doch der Sachschaden war beträchtlich gewesen.
Ted und Sophias Vorgarten war damals auch nicht verschont geblieben.
Abgesehen davon, gab es in der näheren Umgebung nichts Bedrohliches.
Also keinen Grund sich einzusperren, oder gar eine Waffe zu besitzen.
Ted öffnete die Verandatüre und wollte in das Haus gehen, doch Teddy zwängte sich vor Ted durch die Türe, und hinterließ nasse Tapser, wenn man bei einem 50 kilo Hund von Tapsern sprechen kann, auf dem Küchenboden.
Na toll Bruder! Sagte Ted, und ging ebenfalls in das Haus.
Kaum in der Küche, läutete das Telefon. Ted ging durch den Raum, und nahm den Hörer von der Wand. „Hallo?“, keine Antwort. „Hallo?“, nichts. „Wer spricht da bitte?“, niemand spricht du Dummkopf, dachte Ted, und hängte den Hörer wieder in die Gabel.
Auf dem Küchentisch, sah Ted eine halbvolle Tasse mit Kaffe, und eine angebrochene Schachtel Pall Mall.
Er ging in den Nebenraum, das Wohnzimmer, um zu sehen ob sich Sophia dort befand, aber er vermutete, dass sie noch einmal kurz weg gegangen ist, um sich bei einer Nachbarin etwas zu leihen. Sie würde vermutlich nicht lange weg bleiben, da sie wusste, dass Ted um diese Uhrzeit nach Hause kommt, und sicher Hunger haben würde.
Und das entsprach auch der Wahrheit.
Ted war im Wohnzimmer, und schaltete gerade den Fernseher an, da läutete wieder
das Telefon.
3
Sophia weinte, und die Tränen liefen ihr in das Haar, in die Ohren, und sammelten sich auf ihrem Hinterkopf.
Sie hatte die Gewissheit entführt worden zu sein. Warum wusste sie nicht.
Wo sie war auch nicht, und die Gegenstände an der Wand, der Charakter dieses Zimmers, ließen darauf schließen, dass es sich nicht um eine Entführung gegen Lösegeld handelte.
Der oder die Unbekannte/n hatte/n sie nicht geknebelt.
Vermutlich aus dem Grund, weil sie hier niemand hören würde, dachte Sophia. Oder weil sie wollten, dass sie sich bemerkbar macht, wenn sie erwacht war, und sie erst DANN den Knebel zum Einsatz bringen würden.
Sophia tat also gut daran, sich ganz ruhig zu verhalten, und weiter zu beobachten.
Der Tisch, auf dem Sophia gefesselt war, fühlte sich kalt an und war vermutlich aus Metall.
Die Kälte erzeugte bei Sophia mittlerweile schon ziemlichen Harndrang, doch sie hielt es noch zurück.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob die Protagonistin in S.K`s Buch jemals Harndrang verspürt hatte, aber sie dachte, dass sie wohl oder übel in`s Bett gepinkelt hatte, und vermutlich noch andere Dinge welche S.K. seinen Lesern ersparen wollte.
Mit diesem Bild vor ihrem geistigen Auge, ließ sie der Natur ihren Lauf.
Der Urin lief ihr warm den Oberschenkel hinunter, und Sophia entkrampfte sich ein wenig.
Ein paar Sekunden später, vernahm Sophia ein plätschern. Kein Plätschern, sondern eher ein Rinnsal. Es hörte sich so an, als würde ein kleiner Junge in einen Plastik Eimer pinkeln.
Der Tisch hatte also vermutlich ein System, um Flüssigkeiten an einer Stelle, an der sich wahrscheinlich ein Abfluss befand, zu sammeln. Sophia kannte so etwas ebenfalls aus dem Fernsehen.
Aus Sendungen, welche sich mit Gerichtsmedizin befassen.
Ein Gedanke versuchte in Sophias Gehirn an die Oberfläche zu gelangen.
Sie versuchte nicht daran zu denken, und lenkte sich ab, aber der Gedanke drang immer weiter in ihr Bewusstsein, bis ihn Sophia endlich zuließ.
Es ist gut möglich, das ich dass hier nicht überlebe, dachte Sophia.
4
Ted legte die Fernbedienung auf den Couchtisch, und eilte zur Küchentüre, wobei er beinahe über Teddy stolperte. „Verschwinde Bruder!“ sagte Ted, nicht ganz ernst gemeint, und kickte Teddy mit der Schuhspitze.
Er öffnete die Türe, nahm den Hörer ab und sagte „Sophia?“.
Diesmal meldete sich jemand, aber nicht Sophia.
Die Stimme des Anrufers, war tief, und wurde von einem leisen Blubbern untermalt.
„Hallo Ehemann“ sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.
„Wer spricht hier bitte?“ entgegnete Ted.
„Ich habe deine Frau, Ehemann. Deine Ehefrau.“
Die Stimme des Anrufers, hatte bei diesem Satz einen belustigten Unterton, wohl auf Grund des Wortspiels.
„Wer sind sie“ fragte Ted „Was heißt sie haben meine Frau? Wo ist sie?“
Aus dem Hörer drang ein dreckiges heiseres Gelächter.
„Sie ist hier bei mir, eigentlich gar nicht so weit von dir entfernt.“
„Was wollen sie! Ich sollte wohl die Polizei rufen sie Spinner!“
Ted wurde nervös, und begann zu schwitzen.
„Nein, dass glaube ich nicht, dass sie das tun werden.“ Sagte der Mann in ruhigen Ton „ganz bestimmt werden sie das nicht tun.“
Ted schrie in den Hörer „Ich rufe die Polizei, wenn sie mir nicht Augenblicklich sagen, was mit meiner Frau ist sie Psychopath!“
„NICHTS WERDEN SIE TUN, SONST KÖNNEN SIE IHRE FRAU NUR NOCH MITTELS DNA ANALYSE IDENTIFIZIEREN!!“ dann ruhiger „Ich werde ihre Frau töten, so oder so, und glauben sie nicht, dass es so wie in einem Film abläuft! Bis mich die Polizei gefunden hat, könnte ich sie zehnmal umbringen! Und sie werden auch nicht hereinstürzen mit einer Knarre, und mich im letzten Augenblick erschießen! DAS passiert in Filmen.“
Ted war zusammengesunken, und saß jetzt auf dem Küchenfußboden.
„…w was wollen sie denn von uns, bitte lassen sie sie Frei…“ Ted hatte begonnen zu weinen.
Der Mann am anderen Ende, reagierte nicht auf Ted`s letzten Satz, sondern sprach in ruhigem Ton weiter.
„Ich bin ein netter Kerl, eigentlich. Der nette Psychopath von nebenan wenn sie so wollen. Ich mache ihnen ein Angebot, welches sie sicher nicht ausschlagen können.“
Ted starrte Ausdruckslos in den Raum, und fragte dem Mann am Telefon um was für ein Angebot es sich handeln würde.
Zur gleichen Zeit, bäumte sich Sophia gegen ihre Fesseln auf. Sie verwendete all ihre Kraft, so dass die Lederriemen knackten. Sie war sich jetzt ganz sicher, dass es sich bei ihrer Entführung um keine Lösegeldforderung handelte, und dass der Entführer sicher nicht den Plan hegte sie lebend hier wieder gehen zu lassen.
Sie hatte zuvor noch einen Blick durch den Raun gemacht, und auf der rechten Seite einen kleinen Beistelltisch, wie man ihn auch in Operationssälen verwendet, mit verschiedensten Operationsbestecken gesehen. Weiters hing auf einer Kleiderablage, neben einer Türe, ein weißer Mantel, wie ihn auch Ärzte tragen.
Ihr schoss wieder etwas durch den Kopf diesmal eine Szene aus einem Film, eine Szene aus dem Film Anatomie.
Sie erinnerte sich an die Szene, bei welcher ein Mann aufwacht, und zusehen muss, wie er bei lebendigem Leib ausgeweidet wird.
Sophia entspannte ihren Körper, und lies ihren Kopf auf die Metallplatte krachen.
Warum ich! Warum ich WARUM ICH! dachte Sophia, und knallte ihren Schädel gegen die Tischplatte.
Dann blieb sie ruhig liegen,
und weinte leise.
„Sie können es sich aussuchen“, sagte der Mann, „Sie kann leicht, oder schwer sterben.“
„Wie meinen sie das“ fragte Ted, mit der weinerlichen Stimme eines trotzigen Jungen.
„Wenn sie mit ihr reden am Telefon, dann mache ich es ganz schnell. Wenn nicht, lasse ich mir etwas einfallen, um sie länger leiden zu lassen. Also?“
„Warum machen sie das.“ raunzte Ted in das Telefon.
„REISSEN SIE SICH ZUSAMMEN! Also was ist jetzt ja oder nein.“
Ted war einen Moment lang ruhig.
Es war als würde er kurz seinen Körper verlassen, und sich von außen betrachten, wie er so am Küchenboden mit dem Telefonhörer sitzt, dann…“Ja, Ok“
Der Mann keuchte, und sagte „Gut, warten sie.“
Ted hörte wie ein Schlüssel im Schloss gedreht, und eine Türklinke bedient wird.
Er wusste, dass er jetzt das letzte Mal mit Sophia reden würde.
Das letzte mal. Er würde bei ihr bleiben bis zum Ende, weil er sie liebte, und das wusste der Psychopath auch.
Deswegen hatte er sie wahrscheinlich auch ausgesucht.
Sophia hatte aufgegeben.
Sie stemmte sich nicht mehr gegen die Fesseln, das hätte auch gar keinen Sinn.
Sophia wusste jetzt, dass sie hier sterben würde, ihre Gedanken schweiften um Ted.
Sie dachte an die Gemeinsame Zukunft, und an Teddy ihren Hund, und daran, dass sie Ted`s Stimme gern noch einmal gehört hätte.
Sophia wusste nicht, dass ihr letzter Wunsch, bereits auf grausamen Schwingen in ihre Nähe rückte.
Dann hörte sie wie ein Schlüssel im Schloss gedreht,
und eine Türklinke bedient
wird…