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Engel – nie mehr Telefonbücher

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19.03.2006
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Engel – nie mehr Telefonbücher

Ich saß wie immer an meinem Schreibtisch in meinem Büro und gab die Codes der neuen Bücher in meinen Computer ein. 2000 Bücher warteten nur darauf, archiviert zu werden. 2000 Bücher und alle enthielten Nummern, 2000 Telefonbücher. Ich schlug einfach mal eins auf und begann zu lesen: Müller – Peter 35873, Müller – Petrus 35976, Müller – Susanne 53975. Ich überflog die nächsten Seiten, wie viele Müller es wohl gab, nur in meiner kleinen Stadt, wie viele gab es wohl in meinem Bundesland, wie viele gab es wohl in ganz Deutschland? Ich könnte ja mal schätzen: 20.000; 30.000, 100.000 – die Frage war gut, es musste doch möglich sein sie zu zählen! Gab es vielleicht sogar eine Zahl, hatte es mal jemand geschafft, all die Müller zusammenzuzählen? Ich beschloss, es zu probieren und nahm mir das erste Telefonbuch, suchte A, B, C, E, ....., K, L, M – Ma, Me, ...., Mu, Mü, .. Müller. Ich begann zu zählen: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, ......, 70. OK, ich griff mir das nächste Buch aus dem Regal und trug schnell den Code in den Computer ein, damit ich nachher nicht alle Bücher nochmals durcharbeiten musste. Ich schlug das Buch auf: A, C, ..., L, M .... Müller. 1,2,3,4, ...., 50. Ich notierte mir die beiden ersten Ergebnisse auf einen Extrazettel: 70, 50. Dann nahm ich mir das nächste Telefonbuch vor, doch als ich die Müller gefunden hatte, wurde mir schwarz vor Augen: Es waren nicht nur 2 Seiten, die mit diesem Namen bedruckt waren – nein, es waren 20. Wie sollte ich diese gezählt bekommen. Bei den ersten beiden Telefonbüchern hatte ich jeden einzelnen Namen gezählt und hatte so ein genaues Ergebnis erhalten, doch wie lange sollte ich zählen, wenn ich 20 Seiten vor mir hatte? Es musste eine andere Möglichkeit geben? Ich überlegte nicht lange, ich brauchte doch nur eine Seite zu zählen und dann hochrechnen! Ich zählte: 1, 2, 3, 4, 5, ....., 70. Es waren also 70 Namen pro Seite, ich schaute mir die nächste Seite an und verglich sie mit der ersten: Sie stimmten überein – Ich konnte also hochrechnen. 70 Namen mal 20 Seiten sind summa sumarum 1400 Einträge. Hmmm, eine ganze Menge, wenn ich mir das so ansah. Ich blätterte die Seiten nochmals durch, um sie zu zählen, falls ich nicht eine vergessen hatte, hätte ja sein können. Ich fand keine Zählfehler, doch etwas anderes fiel mir auf: Auf einer der Seiten war eine riesige Anzeige: Radhaus Müller. Was machte ich nun, musste ich jetzt doch alle Seiten einzeln zählen? Ich schätzte, wie groß die Anzeige wohl war und kam auf ungefähr eine Hälfte. Also doch eine andere Zahl: 70 Einträge mal 20 Seiten – 70 Einträge, geteilt durch 0,5 Seiten. Jetzt hatte ich also eine genauere Zahl: 1365 Einträge. Naja, und die restlichen Kleinanzeigen ließ ich einfach unter den Tisch fallen. Auf diese Entscheidung musste ich erst mal einen Kaffee trinken gehen. Als ich an meinen Schreibtisch zurückkam, wartete schon das nächste Telefonbuch auf dem Stapel. Ich hatte die 2000 Bücher an einer Seite des Raumes aufgetürmt. Alle übereinander, entlang der Wand, und das Nächste lag nun frei: „Berlin“ stand oben auf dem Einband, „na, dann mal los“, dachte ich bei mir und begann zu suchen. Müller war schnell gefunden, und die Seitenzahl war auch schnell ermittelt, doch hier wimmelte es nur so von Anzeigen! Wie sollte ich hier denn auf eine ziemlich genaue Zahl kommen? Ich beschloss, mir noch einen Kaffee zu holen und überlegte mir auf dem Weg eine Lösung: Ich zähle die Namen pro Seite, die Seitenanzahl, über die sich der Name Müller erstreckt und zähle dann die Anzeigen, und überschlage dann, wie viele Seiten ich mit den Anzeigen füllen kann, um diese Zahl von der Seitenzahl abzuziehen. Gedacht, getan, ich kam auf folgendes Ergebnis: 30 Seiten mit ungefähr 80 Namen und abziehen konnte ich ungefähr 5 Seiten für Anzeigen. Macht also 25 Seiten mal 80 Namen und damit 2000 Müller allein in Berlin. Mittlerweile hatte ich also 4 Zahlen auf meinem Schmierzettel notiert: 70, 50, 1400, 2000. Wenn das so weiterging, wusste ich nicht, wie lange ich hier sitzen wollte und zählen sollte.
Ich schlug das nächste Telefonbuch auf und wollte zu zählen beginnen, als die Buchstaben vor meinen Augen zu verschwimmen begannen, sie wurden erst zu einem einheitlichen schwarzen Brei und schienen dann aus dem Buch zu kommen, erst einzelne Buchstaben, danach Zahlen, dann ganze Namen, ganze Zahlenreihen und ganze Spalten. Ich wollte aufsehen, das Buch zu klappen oder irgendwie meine Augen auswischen – es klappte nicht. Ich war nicht in der Lage, mir zu helfen. Der Raum füllte sich mit Namen und Nummern, ganze Kolonnen schwirrten durch den Raum. Raum – ich sah die Grenzen, die Wände meines Raumes nicht mehr. Ich wollte durch die Namen sehen, doch ich konnte nur lesen: Müller, Müller, Jan, Peter, Hans, Müller, Frank, Müller, Müller .....! Ich suchte weiter, was sah ich: Vornamen, Nummern und Nachnamen. – Nein – einen Nachnamen nur: Müller. Ich rannte los, in der Hoffnung, an die Wand meines Zimmers zu gelangen, doch ich schaffte es nicht. Ich kämpfte mich durch die Namen und Zahlen, doch die Namen blockierten immer öfter den Weg, schienen sich mir direkt in den Weg zu stellen, während die Nummern vor mir flohen, sie entwichen mir und sie wurden von den Namen durchgelassen. Ich rannte weiter, doch bald kam ich nur noch langsam vorwärts, weil ich mich zwischen den Namen hindurchschlängeln musste. Ich umging die Namen und hatte bald die Orientierung verloren. Wo waren die Wände? Wo war das Ende dieses scheinbar endlosen Raum? Es musste doch irgendetwas geben, das diese Ebene begrenzte, eine Wand, eine Klippe, irgendetwas?!
Ich suchte und suchte, doch ich fand nichts, nur Namen! Ich begann zu verzweifeln. Ich sah nichts mehr, denn die Namen begannen wieder wie wild zu tanzen, schwirrten um mich herum, schneller und schneller. Ich sah mich um, in welche Richtung lief ich eigentlich, Norden, Süden, Osten oder Westen, es gab nichts, was mir auch nur annährend die Richtung angeben konnte. Ich irrte umher, überall gab es nur Namen: Müller, Sabine, Ute, Müller, Müller, Müller, Müller, Heiko, Müller, Müller, Müller, ...! Es behagte mir nicht, die Weise, wie sich die Namen bewegten, Es war schon unheimlich, dass sich die Namen selbständig gemacht hatten, doch daran hatte ich mich gewöhnt. Ich wusste ja nicht, wie lange ich schon in diesem Raum herumirrte, oder wie lange ich hier noch durch die Namensgegend laufen musste. Aber die Art, wie die Namen immer schneller wurden, machte mich nervös und ich fühlte mich eingeengt, eingeengt auf einem Raum ohne Grenzen. Es schien, als würde der Namenwald immer dichter und als kämen mir die Namen näher. Dann schienen die Namen einzustürzen, wie Mauern – die obersten stürzten einfach ab, fielen auf die unteren, diese begruben die Namen unter sich, unter sich. Wie eine hohe Mauer, die einfach so in sich zusammenstürzte – und ich darunter! Die Namen prasselten auf mich hernieder und begruben mich unter sich. Wie lange hatte ich unter den Namen gelegen, als ich begann mich frei zu arbeiten? Ich drückte die Namen hoch, schob andere beiseite und gelangte langsam an die Oberfläche. Ich stand auf einem Hügel aus Namen und schaute mich um, ringsherum, überall lagen Namen aufeinander, ein einziges Chaos. So weit das Auge reichte, eine Berglandschaft aus Namen.
Ich machte mir Sorgen, was war hier passiert, was war hier los? Was war mit mir los? Fantasierte ich? Ich lief ziellos umher, vielleicht hoffte ich jemanden zu finden, jemanden der noch lebte! Jemanden, mit dem ich reden konnte – IRGENDWEN! Ich fühlte mich wie ein Überlebender eines Erdbebens, eines Krieges oder irgendetwas in der Richtung und ich begann aufzuräumen! Ich schob einen Hügel beiseite und fing an die Namen zu Ordnen, Müller auf die eine Seite, die Vornamen auf die andere Seite. Ich wusste nicht, wie lange ich schon gearbeitet hatte, neben mir erhoben sich die zwei Berge: Müller – Vornamen. Die Namen waren irgendwann weg, und nun blickte ich auf eine Ebene ohne Ende, dominiert von diesen zwei Türmen. Es gruselte mich. Was sollte ich nun machen, was konnte ich hier überhaupt machen? Mein Ordnungssinn als Bibliothekar machte sich breit und ich begann umzusortieren – jeder Vorname sollte eine Nachnamen bekommen, und jeder Name sollte einen bestimmten Platz erhalten. Ich sortierte nach dem Alphabet und immer länger über die Ebene, immer 100 untereinander und dann in die nächste Spalte! Ich wusste nicht, wie lange ich geordnet hatte, ich hatte sowieso jedes Zeitgefühl verloren. Was war vergangen, seit dem ich die Namen alphabetisch ordnete, wie viele Tage, Minuten oder Stunden waren vergangen, seitdem ich das letzte Buch aufgeschlagen hatte? Doch bald hatte ich sie alle sortiert, nach Name und im Alphabet. Ein Rumpeln ging über die Ebene, ich verlor den Boden unter den Füßen und stürzte. Sollte alles umsonst gewesen sein? Ich blickte auf und was ich sah, erschreckte mich: Am Ende meiner Namenskolonnen hatten sich Wände aufgeschichtet, meterhoch und dunkel. Doch sie schienen nicht massiv zu sein, kleine Löcher schienen die Mauer zu durchsetzen. Ich rannte los, sprang über die Namen und immer weiter auf die Mauer zu, vielleicht gab es eine Tür, durch die ich mich befreien konnte. Ich stand noch nicht vor der Mauer, als ich sah, was sich dort aufgeschichtet hatte: Zahlen, jede Menge Zahlen und sie alle ergaben Nummern, die Nummern, die fehlten um das Telefonbuch komplett zu machen. Ich schaute hinauf und versuchte, etwas zu erkennen:
642583534942084635839890248358357385343563853093563562043685639536594646746445649564064967598640534835735634753535974546340395345432175546465573495746
Ich sah nirgends genaue Unterbrechungen in diesen Zahlenkolonnen und nirgends einen Anfang oder ein Ende. Was sollte das? Was trieb man mit mir? Ich konnte nicht mehr und begann, wieder zu verzweifeln. Ich setzte mich einfach auf einen der Namen, die an die Wand stießen und begann zu weinen. Leise für mich und ohne mich um irgendetwas zu kümmern. Bis ich angestoßen wurde, ganz sachte von hinten und vorsichtig, ich erschrak, drehte mich um und griff zu! Ich betrachtete das, was ich in der Hand hielt: Eine Telefonnummer! Sie zuckte. Die Zahlen bewegten sich schlingernd hin und her, sie schienen zu blinzeln, als wollten sie mir etwas sagen. Die Nummer zog zu dem Namen hin, auf dem ich gesessen hatte, als ich weinte und dann begriff ich, was die Nummer wollte, sie wollte zu einem Namen, zu ihrem Namen. Ich legte sie zu dem Namen, zu dem sie wollte. Ein kleiner Funken sprühte, als sich der Name und die Nummer verbanden und dann schien die Mauer zu wackeln. In die vielen Zahlen kam Leben. Langsam bildeten sich kleine Lücken zwischen den Zahlenreihen und ich konnte die einzelnen Nummern unterscheiden. Ich wusste nun, was ich zu tun hatte, all diese tausend Namen mussten ihre Nummern bekommen. Ich zog eine Nummer aus der Wand und legte sie an den ersten Namen. Nichts passierte, kein Funken, keine Regung in der Nummer oder im Namen, wie ich es beim ersten Paar gesehen hatte. War es der Falsche Name? Ich musste probieren! So begann eine mühevolle, lang andauernde Arbeit, sie steckte mir in den Knochen, als ich nicht einmal ein Viertel geschafft hatte, doch es half nichts. Sollte etwas passieren, mussten alle Namen den Nummern zugeordnet werden. Es mussten Tage vergangen sein, als ich mir die letzte noch am Rand liegende Nummer nahm und den letzten Namen suchte. Ich fand ihn – irgendwo in der Mitte des Feldes und wie einen letzten Puzzlestein setzte ich ihn in das nun komplette Bild. Ein letzter Funke würde mich erwarte. Es passierte nichts, minutenlang stand ich da und wartete! Sollte das alles vergebens gewesen sein? Ich hatte mich wieder auf einem Namen niedergelassen und meinen Kopf in den Händen vergraben, als es hinter mir zu sprühen begann. Ich drehte mich um, an der Stelle, an der ich den letzten Namen mit der letzten Nummer zusammengefügt hatte, sprühte eine Funkenfontaine in den Himmel. Das Ende war nicht zu sehen, doch die Auswirkung war zu spüren, es wurde kalt und der Himmel wurde dunkel. Innerhalb von ein paar Minuten sah ich nichts mehr.
Wann wurde es hell? Ich wusste es nicht, irgendwann auf jeden Fall. Langsam wurde es heller und ein kleiner Lichtstrahl kitzelte mich an der Nase. Wie in einem abgedunkelten Zimmer, in das durch eine kleine Ritze der erste Lichtstrahl dringt. Doch bewegen konnte ich mich nicht. Auf mir lag eine Last, die ich nicht zu heben vermochte. Nur langsam wurde sie leichter, aber sehen konnte ich noch immer nichts. Einen kleinen Unterschied zwischen hell und dunkel konnte ich ausmachen, und ich spürte, wie sich der kitzelnde Lichtstrahl vergrößerte. Langsam wurde es leicht um mich rum und ich begann zu schweben – vielleicht wurde ich auch gehoben, ich wusste es nicht, denn ich sah nichts. Ein heller Schein umgab mich, er tat gut und ich fühlte mich frei durch ihn. Ich hatte schon wieder die Orientierung verloren, schwebte ich nach oben, nach unten, nach rechts, links, ich konnte es nicht sagen. Was war eigentlich los mit mir. Ich bewegte den Arm und mein Körper begann zu rotieren, langsam drehte ich mich um und sah nun nach unten. Dort erblickte ich einen riesigen Haufen Bücher, Telefonbücher, in der Mitte eine Kuhle, in der ein Körper lag, mein Körper. Es war mein Körper, der dort etwas zusammengerollt in mitten der Telefonbüchern lag und zu dem sich diverse Leute beugten. Was war passiert? Ich hörte die gedämpften Stimmen zu mir heraufdringen und dann sprachen sie nicht mehr, sie nahmen den Körper hoch und legten ihn auf eine Bahre, schlossen meine Augen und trugen mich fort. Ich sah meinen Körper aus Fleisch und Blut nicht wieder: Nun war ich ein Engel!

 

Na maelfe,

da können wir uns ja glücklich schätzen, dass man Telefonnummern jetzt auch online findet und die Anzahl der gefundenen Müllers dabei sogar aufgelistet wird (Leider nur die ersten 2000 Stück, habe es gerade ausprobiert.). Aber da wird natürlich keine Rücksicht darauf genommen, wie viele Müllers sich in einem Haushalt befinden.
Ein bisschen zu lang finde ich deine Geschichte, wollte des öfteren aussteigen, da es mir ein bisschen zu viel vor den Augen müllerte ... äh, schwirrte. Das spricht dafür, dass es mühsam zu lesen ist.
So mühsam, dass ich auch keine Lust hatte, Fehler zu suchen.

Warum du die Geschichte in "Gesellschaft" gepostet hast, ist mir leider verborgen geblieben, auch wenn dein Prot ja einen leichten Hang zur manischen Ordnungsliebe zu haben scheint. Aber wo bleibt die Gesellschaftskritik?
Mit guten Willen könnte man sie in der Aussage "stupide Arbeit macht erst verrückt bevor sie tötet" sehen, aber das scheint mir dann doch etwas weit her geholt.
Die Geschichte ist also eher seltsam.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Sim
Kann gut sein, ich habe halt als neuer noch etwas Probleme meine Geschichte inzusortieren.

Interessant, dass du erstmal geguckt hast wie viele Müllers du findest, habe ich persönlich noch nicht gemacht.

Ein bisschen zu lang finde ich deine Geschichte, wollte des öfteren aussteigen, da es mir ein bisschen zu viel vor den Augen müllerte ... äh, schwirrte. Das spricht dafür, dass es mühsam zu lesen ist.
So mühsam, dass ich auch keine Lust hatte, Fehler zu suchen.

ja sie ist recht mühsam zu lesen hat mich auch ab und zu aufgeregt, aber wie könnte man das anders gestallten?

 

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