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Entführt
Viktor wurde schläfrig, als die beiden Edelnutten gegangen waren. Er rieb sich mit seinen beringten Stummelfingern durchs Gesicht und zog den seidenen Bademantel aus. Achtlos warf er ihn auf den Stuhl. Dann legte er sich aufs Bett, rollte sich in seine Decke ein und schlief sofort ein.
Er wurde wach, als er ein ungewohntes Geräusch hörte, nur war es da schon zu spät. Jemand drückte ihm ein feuchtes Tuch auf die Nase. Noch bevor Viktor geeignete Gegenmaßnahmen einleiten konnte, schwanden ihm die Sinne.
Er merkte nicht mehr, das jemand seinen schweren Körper durch seine Penthouse-Wohnung schleifte. Ihn draußen in einen Lieferwagen wuchtete und mit ihm durch die Nacht davon fuhr.
*
Ich liebe Frauen. Nicht im eigentlichen Sinn des Wortes Liebe. Vielmehr sind sie Mittel zum Zweck. Das Ventil meiner Lust - Spielwiese meiner Begierde. Darum bezahle ich sie ja auch meistens für ihre Dienste. Freiwillig hat es auch noch keine lange mit mir ausgehalten, schon damals nicht. Und jetzt erst recht nicht mehr, seit ich kahlköpfig, alt und fett geworden bin. Höchstens des Geldes wegen, das sie ein paar Wochen bei mir bleiben. Aber früher oder später kommt es zum Bruch, ich bin einfach nicht für eine feste Partnerschaft geboren. Dazu bin ist zu egoistisch, exzentrisch und selbstherrlich. Privat, aber auch beruflich. Ein Schwein eben, aber ein erfolgreiches! Und ich bin es gerne. Wer braucht schon eine Ehefrau, wenn man sich Dienstmädchen und Nutten leisten kann? Wer? Ich nicht! Ganz bestimmt nicht.
*
Als Viktor erwachte, plagten ihn sofort stechende Kopfschmerzen. Er blinzelte und das Licht, das ihm in die Augen schien, intensivierten den Schmerz eher noch.
Himmel, was war passiert? Soviel Champagner hatte er doch gar nicht getrunken?
Sein Hals brannte, als hätte jemand ihn mit einem heißen Spieß durchbohrt.
Sofort war er hellwach. Moment, er war aufgewacht und dann...ja dann ? Viktor versuchte sich aufzurichten. Er war nicht zuhause! Jemand hatte ihn überwältigt...
Er sah sich um und versuchte seine Umgebung zu erkennen. Aber was er sah, war ihm fremd.
„Du bist nicht mehr zuhause, Viktor Barnes! Ich habe dich woanders hingebracht“, sagte eine kalte Stimme.
Viktor konnte niemanden erkennen. Wo stand sein Gesprächspartner? Himmel, wollte er das wirklich wissen? - Nein, eindeutig nicht.
Jemand hatte ihn entführt. Ein Erpresser? Wollte man ihn erpressen? Sollte sich der Täter ihm zeigen, dann war das kein gutes Zeichen, vielleicht sogar sein Todesurteil. Weil er ihn ansonsten später identifizieren konnte. Viktor musste seinem Entführer entgegen kommen, bevor dieser die falschen Schlüsse ziehen konnte.
„Hören Sie“, fing er das Gespräch an, “wenn Sie Geld wollen, wir können über alles reden. Ich bin gerne bereit Ihnen...“
„Halt die Schnauze, Barnes! Ich will dein Geld nicht!“, unterbrach ihn der Andere.
Plötzlich spürte Viktor einen unglaublichen Schmerz. Als würde ihm eine heiße Lanze durch den Leib gerammt. Einmal, zweimal! Feuer loderte in seinem Körper, löschte jede andere Empfindung aus. Dann war es vorbei.
„TeleTac“, sagte sein Entführer, „110 Volt, da wird jeder Kampfhund ruhig und macht, was sein Herr will.“ Er lachte rau.
Viktor zitterte. Kurzzeitig hatte sein Schließmuskel versagt und er spürte die Nässe seiner Oberschenkel. Er betastete seinen Hals und spürte das Halsband, das der Unbekannte ihm angelegt hatte.
„Versuche nicht, es zu entfernen. Das schaffst du sowieso nicht, weil ich es zusammengeschweißt habe. Und immer daran denken, wer die Fernbedienung hat. Ich kann dir jederzeit weh tun, wenn ich will.“
*
Wasser und altes Brot, jetzt schon den vierten Tag lang. Victors Laune verschlechterte sich zusehends, und er schwor sich, seinen Entführer umzubringen, sollte sich einmal die Gelegenheit dazu ergeben. Die verdammte Drecksau! Nur sah es danach momentan nicht aus.
Drei weitere Male hatte der Unbekannte das TeleTac-Halsband noch ausgelöst, und die Erinnerung an die Schmerzen trieb Victor jetzt immer in die hinterste Zimmerecke, sobald der Mann sein Gefängnis betrat. Zumindest aber konnte er sich in dem kleinen fensterlosen Raum frei bewegen, in dem er eingesperrt war. Und der Entführer trug eine Maske, wenn er kam und mit ihm redete. Eine Maske des Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl.
Eigentlich sah das lustig aus, aber Viktor stand der Sinn ganz und gar nicht nach Lachen. Vielmehr spürte er einen unbändigen Hass auf den Kerl wachsen, der ihn in das unbekannte Versteck entführt hatte. Auch die Motive des Mannes waren ihm schleierhaft. Jedenfalls schien er an seinem Geld nicht interessiert zu sein. Nur - warum hielt er ihn sonst gefangen?
Viktor kroch in seine Ecke, als er den Schlüssel rasseln hörte. Der Fäkalieneimer stank erbärmlich und er schämte sich dafür, seine Notdurft dort verrichten zu müssen. Auch hatte er kein Toilettenpapier gefunden, nur ein Stapel mit alten Zeitungen. Überhaupt war sein Raum fast vollständig leer. Außer einer Schaumstoff-Matratze, einem Schrank, einem Stuhl und dem Scheißhaus-Eimer befand sich nichts darin.
„So mag ich es. Es ist nur in deinem Interesse, wenn du das machst, was ich dir sage“, sagte der Unbekannte.
„Wo bin ich und was haben Sie mit mir vor?“, fragte Viktor zögernd.
Der Entführer nestelte an der Fernbedienung herum, die er an einer Kette um seinen Hals trug.
„Das hat dich nicht zu interessieren! Was und wann ich dir mitteile, bestimme ganz alleine ich.“ Er setzte sich auf den Stuhl.
„Heute startet dein Trainingsprogramm. Zusätzlich zu deiner Diät wirst du Sport machen. Liegestützen, Kniebeugen, Klappmesser. Fünfhundert Stück pro Tag von jedem. Zunächst - bis wir die Anzahl ab nächste Woche erhöhen.“
Viktor glaubte sich verhört zu haben.
„Du brauchst mich nicht so anzuglotzen, Arschloch! Mache das, was ich dir gesagt habe. Sonst drücke ich den hier!“ Er hielt Viktor die Fernbedienung für das TeleTac entgegen.
„Und sei dir gewiss, das ich genau sehe, ob du dich anstrengst oder nicht. Hier im Raum ist eine Kamera und ich werde genau Strichliste führen, ob du die vorgegebenen Stückzahlen geschafft hast, oder nicht. Fehlende Motivation werde ich sofort mit Schmerzen bestrafen. Und jetzt fang an!“
Der Entführer verließ das Zimmer und schlurfte davon.
*
Ich stehe vor dem Spiegel, betrachte meinen dürren Leib. Die Rippenknochen scheinen aus dem Brustkorb springen zu wollen, so weit stehen sie hervor. Trotzdem habe ich immer das Gefühl, zu dick zu sein. Ja, ich bin fett - muss weniger Essen. Oder das Gegessene weiterhin sofort erbrechen, damit ich endlich abnehme...
*
Weitere acht Tage vergingen. Viktor versuchte gezwungenermaßen, sein Sportprogramm zufrieden stellend durchzuziehen. Was blieb ihm denn anderen übrig?
Natürlich hatte es wieder Strafen gegeben, und Viktor war jetzt sicher, das der Fremde nicht gelogen hatte, als er von der Kamera im Raum erzählte. Entdeckt hatte er sie bisher aber noch nicht.
Die sportliche Betätigung war sehr ansprengend für ihn und stellte ihn jeden Tag wieder auf eine harte Probe. Muskelzittern und Bänderdehnungen waren die Folge gewesen, doch sein Entführer zeigte sich unnachgiebig. Das Sportprogramm blieb Pflicht. Ebenso wie seine kargen Mahlzeiten.
Aber Viktor war schlanker geworden, hatte sicherlich schon acht Kilo abgenommen, oder mehr. Natürlich fiel das bei seinen hundertfünfzig Kilos kaum auf, aber auch seiner Kondition tat die sportliche Betätigung gut. Und es lenkte ihn ab, weg von den selbstzerstörerischen Fluchtgedanken und ihren sicherlich schwerwiegenden Folgen.
Viktor merkte aber auch, das sein Entführer ihn hasste. Nur verstand er nicht, warum das so war. Kannte ihn der Mann, oder war er einfach nur krank? Wahrscheinlich beides.
Wieder hörte er ihn kommen und kroch in seine Ecke. Etwas gluckerte draußen vor der Tür, nicht zum ersten Mal, wie ihm auffiel. Was war das? Was machte der Kerl dort nur?
Die Tür schwang auf.
„Atme das ein!“, forderte der Mann grußlos und warf Viktor ein nasses Tuch entgegen. Chloroform? Sollte er wieder betäubt werden?
„Los, Barnes! Oder willst du die Schmerzen wieder spüren?“
Viktor sah keinen Ausweg und nahm das Tuch vor den Mund. Tief einatmend schwanden ihm die Sinne...
*
Als Viktor erwachte, hatte sich nichts verändert. Doch, ein dumpfer Schmerz pochte in seiner rechtem Hand! Was zum Teufel war das wieder?
Er starrte auf die Wickel, die seine Hand einhüllte und hastig zog er sie herunter, um nachzusehen, woher die Schmerzen kamen. Erschrocken sah er auf den blutverschmierten Stumpf seines Ringfingers!
Der Fremde hatte ihm seinen Finger abgeschnitten!
Seine Schmerzen wurden größer, als Viktor versuchte, den grässlichen Anblick zu verdauen.
Also doch eine Entführung? War ihm deshalb der Finger amputiert worden?
*
Der Fremde nahm die Maske ab und betrachtete fasziniert den dicken, blutenden Finger. Schließlich warf er ihn achtlos in die alte Badewanne, in der sich handbreit tief eine grüne Flüssigkeit befand. Es zischte und Dampf stieg brodelnd aus dem Becken.
Der Mann lachte heiser, nahm eine blutige Rosenschere aus seiner Tasche und legte sie zurück auf das Fenstersims.
*
War er jetzt wirklich schon über sieben Monate hier eingesperrt? So viele lange Wochen der Entbehrung, Hoffnungslosigkeit und Scham.
Viktor war hager geworden, hatte ganze 90 Kilo abgenommen seit Beginn seiner Gefangenschaft. Mehrmals war er in der Zeit schon gewogen worden.
Hautfalten spannten sich zwischen seinen Armen und Beinen und sein einstmals praller Bauch war zu einer schlaffen Schürze aus Haut geschrumpft. Sein Gesicht war eingefallen, Nährstoffmangel hatte überall dunkle Flecken hinterlassen. Es ging ihm sehr mies, und genauso fühlte er sich auch. Krank und alt.
Sein striktes Programm aus Fasten und Sport war bisher noch keinen Tag unterbrochen worden. Der Entführer zeigte sich nach wie vor sehr verstockt.
Heute kam er später als sonst. Als Viktor den Schlüssel rasseln hörte, verzog er sich in seine Ecke. Ein Schock fuhr ihm in die Glieder!
Der Entführer kam ohne seine Maske herein! Und sein Gesicht kam ihm seltsam bekannt vor, auch wenn er nicht wusste, woher. An diesem Tag würde irgendetwas passieren, und Viktor war sich sicher, das nichts Gutes dabei heraus kam.
Diesmal richtete er eine Pistole auf ihn. Die Fernbedienung für den TeleTac trug er aber weiterhin noch um seinen Hals gehängt.
„Erkennst du mich wenigstens, du Schwein?“, fragte der Entführer krächzend.
„Kennst du mich wieder?“
Viktor schüttelte den niedergeschlagen Kopf.
„Vor ziemlich genau 9 Jahren... du kennst mich!“
Plötzlich sah Viktor den rundlichen Mann mit der Nickelbrille vor seinem inneren Auge. Er hatte in seiner Firma gearbeitet. Dieker....Dierks...Dierks, genau. Der Mann vor ihm musste Herbert Dierks sein! Ja, er erinnerte sich.
„Kommt die Erinnerung, ja? Schön. Dann kannst du dir ja sicher denken, das ich ziemlich sauer auf dich bin... Sehr sauer sogar.“
Viktor kamen immer mehr Details ins Gedächtnis. Ja, er hatte den Mann gekannt. Und ihn irgendwann gefeuert, weil...weil... Aus einer Laune heraus eben. Was war mit ihm geschehen? Früher war er sehr rundlich, heute eher viel zu hager.
„Du Schwein hast mein Leben zerstört! Hast mich grundlos gefeuert, obwohl ich mir immer den Arsch für dich aufgerissen hatte. ‚Sie sind einfach zu dick, um kompetent zu wirken und ihre Arbeit ordentlich verrichten zu können, wir müssen sie leider kündigen!’, hast du mir damals gesagt und dabei gegrinst. Es tat dir kein bischen leid damals!“
Der Entführer redete sich in Rage.
„Hat es dir wirklich leid getan? Das ich Depressionen bekam? Meine Frau sich von mir trennte und die Kinder mitnahm? Ich magersüchtig wurde? Tablettenabhängig? Nein! Hat es nicht! Du hast gegrinst und mit einem Fingerschnippen eine Existenz zerstört. Mich fast getötet...“
Viktor bekam Angst.
„Wie hätte ich das ahnen können...“, versuchte er sich zu verteidigen.
„Arschlöcher wie du haben immer eine Ausrede parat, richtig?“
„Was hast du jetzt vor mit mir. Verrate mir wenigstens, was das ganze Theater hier soll!“
Herbert Dierks zielte mit der Waffe auf Viktors Kopf.
„Ich dachte, das wäre dir jetzt klar geworden. Ich wollte, das du ebenso leidest, wie ich damals, und heute auch noch. Und es ist noch nicht vorbei...“
„Willst du mich denn weiter so quälen?“, fragte Viktor.
„Nein. Ich werde dich hier und jetzt töten! Und dich dann entsorgen. – Draußen steht ein Becken mit hochkonzentrierter Salzsäure. Nach einigen Tagen wird nichts mehr von dir übrig bleiben. Ich habe es getestet. Die Polizei hat die Suche nach dir aufgegeben. Du wirst jetzt schon für tot gehalten, also wird dich keiner vermissen.“
Viktor fuhr der Schrecken in die Glieder. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg, eine Lösung für sein Dilemma. Aber ihm fiel nichts ein. Für einen Angriff war er einfach zu geschwächt. Trotzdem versuchte er es. Immerhin war der magersüchtige Herbert auch nicht der Fitteste.
Viktor sprang überraschend vor und griff den verhassten Entführer an. Die Pistole bellte kurz auf, nach einer Weile noch ein zweites Mal.
Später zog der scharfe Gestank von Ammoniak und Säure durch den Kellerflur...
*
Viktor wurde schläfrig, als die beiden Edelnutten gegangen waren. Er rieb sich mit seinen beringten Fingern durch das asketische Gesicht und zog den seidenen Bademantel aus. Sorgfältig legte er ihn auf den Stuhl. Dann legte er sich aufs Bett, rollte sich in seine Decke ein und schlief nach einiger Zeit ein.