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Entführt
Dunkelheit.
Die Frau sitzt auf einem Stuhl. Die Hände hinter der Rückenlehne zusammen- sowie Füße an den Stuhlbeinen festgebunden. Die Lippen hinter einem Klebestreifen versteckt.
Die Fesseln tun ihr merklich weh.
Sie versucht sich bemerkbar zu machen, indem sie laut stöhnt. Schon bald wird daraus ein klagevolles Jammern.
Und dann geht das Licht an. Das grelle Strahlen einer Lichtquelle ist direkt in ihr Gesicht gerichtet und zwingt sie, die Augen zuzumachen.
Als sie sie wieder aufmacht, sieht sie einen Mann auf einem Hocker vor ihr sitzen.
Er sagt kein Wort, schaut sie nur an.
Ein Geräusch entkommt ihrem zugeklebten Mund, es hört sich wie eine Frage an.
Der Mann steht auf, kommt näher und schlägt ihr ein paar Mal ins Gesicht.
Das Licht brennt noch, als sie wieder zu sich kommt. Ihre Nase blutet schwach.
„Ich werde dich töten ...“ Hinter ihr eine heisere männliche Stimme.
Sie dreht ihren Kopf hastig nach links und rechts, um den Mann sehen zu können, doch die Fesseln sind ihr im Weg. Schneiden sich ins Fleisch. Sie zischt vor Schmerzen.
Sie weint.
Seine Hand legt sich von hinten auf ihre Stirn und drückt ihren Kopf mit einem Ruck in den Nacken.
Ihre Augenlider flattern.
Sie versucht seine Hand von ihrem Kopf zu schütteln, es gelingt ihr aber nicht.
Er zeigt ihr die Pistole und sie hört auf zu zappeln. Der Lauf der Waffe lehnt sich gegen ihre Schläfe.
Sie versucht ihren Kopf wegzudrehen, der Griff des Mannes jedoch lässt sie nicht.
„... deinen Körper zerstören ...“, flüstert er.
Sein Gesicht ist ganz nah an ihrem Ohr. Sein Atem bringt sie zum Schwitzen.
Der Lauf gleitet langsam an ihrer Haut runter.
Ihr Körper fängt an zu zittern.
Die Waffe vollführt einen Kreis und bleibt unter ihrem linken Auge stehen. Der Mann baut sich vor ihr auf.
Ohne zu blinzeln sieht sie ihn an.
„Das ist schön“, sagt er verträumt.
Er drückt die Pistole gegen den Knochen.
Sie verzieht ihr Gesicht. Schließt die Augen.
Er dreht die Waffe langsam hin und her.
Ihre Atmung kommt stoßweise.
Und dann lässt er sie los.
Sie bleibt mit geschlossenen Augen sitzen und hört entfernende Schritte.
Sie beruhigt sich allmählich.
Als das Zittern vergeht, sieht sie sich um und entdeckt als erstes die Lichtquelle. Es ist eine einfache Schreibtischlampe, die auf dem Boden steht.
Der Fußboden besteht aus Beton, genauso wie die Decke. Die Wände nur ein Schimmern in der Dunkelheit. Es gibt keine Fenster.
Sie bewegt abermals ihre Arme und Beine. Zwecklos.
In ihren Augen zeigen sich Tränen…
Der Mann erscheint wieder.
Sie blinzelt.
Ohne sie anzuschauen montiert er eine Videokamera auf einem Stativ, das hinter der Lampe steht.
Das Objektiv wird auf sie gerichtet.
Der Mann kontrolliert, ob alles richtig eingestellt ist und verschwindet.
Sie begutachtet das Gerät.
Das Licht spiegelt sich schwach in der Linse.
„Wie geht’s der Frau?“ Eine fremde männliche Stimme.
„Es geht ihr gut!“, antwortet die schon bekannte heisere.
Pause.
Sie beugt sich nach vorne soweit es geht.
Dann: „Ich hoffe, du hast keinen Scheiß gebaut…“
„Es ist alles in Ordnung.“
Pause.
Und: „Okay. Sind wir auf Sendung?“
„Bin gerade fertig geworden!“
„Dann fangen wir an!“
Ihr Peiniger geht aus der Dunkelheit raus, nähert sich der Kamera, drückt dort irgendeinen Knopf und sieht sie seltsam an.
Sie reagiert mit einem gedämpften Schreckenslaut.
Der Mann stülpt sich eine Strumpfmaske über und stellt sich vor die Kamera.
„Hallo, Herr Krammer!“ Die unbekannte Stimme aus dem Schatten. „Wir hatten vor zehn Stunden den ersten Kontakt mit Ihnen gehabt. Wie sie wissen, haben wir Ihre Frau. Auch die Summe, für die Sie Ihre Frau wieder haben können, ist Ihnen bekannt. Doch leider, Herr Krammer, haben Sie sich wie ein dummes Kind verhalten und die Polizei eingeschaltet.“
Sie sieht, wie der maskierte Mann ein Messer aus der Scheide zieht. Er macht es langsam, fast genießerisch.
Sie wehrt sich gegen die Fesseln.
„Und wie jedes Kind, müssen auch Sie bestraft werden!“, beendet der Mann in der Dunkelheit sein Monolog.
Der Maskierte geht rasch auf die Frau zu. Die Schneide des Messers glitzert dabei gefährlich im Licht.
Sie windet sich auf dem Stuhl.
Schweiß bildet sich auf ihrer Stirn und perlt runter.
Der Mann stellt sich etwas seitlich vor sie.
Er zeigt ihr das Messer.
Ihre Augen weiten sich.
Er schaut kurz zur Kamera.
Lautes Jammern entkommt der Frau. Tränen.
Der Mann berührt mit der Schneide ihr Gesicht.
Sie dreht ihren Kopf weg, doch das Messer bleibt an ihr haften, wie angeklebt.
Er lässt sich Zeit, mustert die Frau mit seinen toten Augen.
Ihr Gesicht ist rot und nass. Auf der Stirn pulsieren Venen.
Er drückt die Schneide in ihr Fleisch. Es bildet sich eine blutige Linie.
Die Frau reißt ihren Kopf heftig zurück. Zu heftig. Die Vorderbeine des Stuhls heben sich und sie kippt nach hinten.
Ihr Hinterkopf schlägt dumpf und hart gegen den Betonfußboden…
„Cut! Cut!“ Eine laute Stimme donnerte über die beiden hinweg.
Sofort ging überall Licht an und mehrere Personen stürzten auf die Frau zu.
Der Mann warf das blutbefleckte Messer zur Seite, entledigte sich des Strumpfs und kniete vor der Frau nieder. Er befreite ihren Mund vom Klebestreifen.
„Es war nicht meine schuld“, sagte er. Seine Stimme vibrierte vor Furcht und Entsetzen. „Das Messer sollte eine Attrappe sein! Es war nicht meine schuld …“
Er sah in die Runde.
Niemand erwiderte etwas.
„Lasst mich durch!“ Eine Frau mit einem Erste-Hilfe-Kasten drängte sich durch die Menge, schubste den hockenden Mann zur Seite und nahm sich der Verletzten an.
„Können Sie mich verstehen?“
„J-ja…“, sagte die Schauspielerin mit einer belegten Stimme.
„Wie viele Finger halte ich hoch?“ Die Frau reckte zwei Finger in die Luft.
„Äh… zwei!“
„Gut, und jetzt sehen wir uns mal Ihre Verletzungen an!“