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Entlassen !

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23.07.2001
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Entlassen !

Entlassen!

Das Jackett lag auf der Brüstung, als wolle das Revers neugierig hinunterschauen.
Seine Beine ließ er über den Rand baumeln.
Die Krawatte hing offen über seiner Schulter und der warme Wind trocknete den Schweiß.
Fast hätte Jan die Flasche umgestoßen, als er mit zitternder Hand danach griff. Der erste Schluck brannte in der Kehle, danach ging es.

„Darf ich zu Ihnen kommen?“ Der Polizist schwitzte wie er. Der Wind half nicht.
„Keinen Schritt!“ Er lallte schon leicht und die winzige Veränderung seiner Position, ein kurzes Rücken, ließ den Beamten sich wieder in die Dachluke zurückziehen.
Von weit unten, von der Straße, starrten sie herauf, die in den Uniformen und die hinter der Absperrung.
Genauso wie die Kollegen. Wie sie blöde gafften, als er aus dem Büro des Alten kam und der dann noch weiter tobte. Einige taten betreten, andere nur neugierig, zwei tuschelten und feixten.
Was für miese Schweine! Die Seele verblutet und die Menschen klatschen Beifall.
Nur der Bürobote, immer gut gelaunt und da, ernst und nachdenklich. Er beneidete ihn. Der Kleinste und der Glücklichste.

Ein Streifenwagen drängte sich durch die Neugierigen. Mandy stieg aus und sein Herz geriet ins Stolpern.
Er wollte sie hier nicht haben. Er hätte die Sache schon längst zu Ende bringen sollen. Mit Mandy war es schwieriger.
Sie stand unten vor dem Haus, neben einem Polizisten, wie auf einer Bühne, die Schaulustigen zurückgedrängt. Sie hob ihren Kopf und er spürte ihren Blick körperlich, wie eine Kraft, die ihn halten, fast zurückdrücken wollte. Ihr Gesicht konnte er nur undeutlich sehen. Sie winkte und dann war sie weg, im Haus verschwunden.

„Wir sollten reden.“ Der Polizist wieder. „Ich bleibe hier und wir reden einfach, ok?“
Es ist sein Job, dachte Jan, wie den Verkehr regeln, Strafzettel schreiben oder beim Nachbarn klingeln, wenn der seine Musik zu laut hat.
… Sie parken falsch… Machen Sie mal leiser...
Da hat sich einer runtergestürzt, oder auch nicht … egal, Feierabend, Currywurst.
Jan antwortete nicht und der Polizist blieb, wo er war.
Wieder nahm er einen Schluck und wieder brannte es in der Kehle. Ein Gefühl, immerhin.
Er sah wieder hinunter und wunderte sich, dass die Höhenangst auch jetzt nicht weg war, in dieser Situation. Obwohl... die Arme ausbreiten, in den Himmel schauen und...
„Jan!“ Mandy klang gar nicht aufgeregt.
Er schaute sich um und beobachtete, wie sie durch die Luke kroch, besonders darauf bedacht, ihr teures Kostüm nicht zu ruinieren. Sie fragte gar nicht, ob sie kommen dürfe, sie kam einfach. Sie hatte nie gefragt.
„Jan, um Gottes Willen, was machst Du hier?“ Und schon war sie heran.
Der Polizist schickte sich an, doch der Blick von Jan drängte ihn wieder zurück. …Currywurst.
„Darf ich mich setzen?“ Er sagte nichts und sie setzte sich, natürlich auf den Rand. Sie hatte keine Höhenangst wie er. Vor Wochen, im Freizeitpark war sie die Wand hoch und er hatte sie von unten mit dem Seil gesichert. Sie war nicht geklettert, sie war hoch gegangen, einfach so. Feigling hatte sie gesagt, als er nicht wollte.
„Schatz, was ist los? Was kann so schlimm sein, dass wir hier sitzen müssen?“ Sie gab sich Mühe.
„Mir wurde gekündigt.“ Er schaute sie nicht an, atmete aber ihren Duft, süß und betörend. Er hatte ihn ihr geschenkt. Der Wind nahm den Duft mit.
„Das ist doch kein Grund für solche Dummheiten. Du suchst Dir eben einen neuen Job. Also, bitte, komm mit runter und wir regeln das gemeinsam.“
„Ich wurde nicht einfach gefeuert. Ich wurde gedemütigt. Ich bin jetzt schon tot.“ Er verfluchte seine Tränen. Warum musste sie hier sein?
„Frag´ meine Kollegen, meine ehemaligen Kollegen. Sie werden mich nicht mal mehr kennen wollen. Ich bin ihnen unangenehm.“
Jetzt fühlte er ihre Hand auf seiner Schulter, und sie musste seine Atmung spüren, seine Verzweiflung!
„Wer Erfolg haben will, muss auch Niederlagen einstecken, so ist das nun mal.“
Sie war sachlich und das tat zusätzlich weh.
- Verdammt, ich sterbe und Du bist so sachlich. Verdammt, fang mich auf! -
„Niederlagen?“
Die Tränen kamen und er wollte es doch nicht.
„Das war keine Niederlage. Ich bin ruiniert! Alles was bisher war, was du mir geraten hast, das waren Niederlagen. Jetzt…, jetzt bin ich ruiniert.“
Sie rückte näher und er spürte ihren Körper an seinem.
Er wollte nicht mehr. Er hatte genug. Nur noch ein kleines Bisschen vor, etwas weiter.
„Sei vernünftig. Wir machen neue Pläne und alles wird gut.“
Er bewegte sich weiter vor und sie fasste seinen Arm. Leichte Panik. So kannte er sie nicht.
Ob es wehtut? Er nahm noch einen Schluck. Es brannte nicht mehr.
-Vielleicht fällt nur der Körper und der Geist schwebt davon. Der Körper nimmt den ganzen Mist mit und der Geist gleitet dann gelöst über die Häuser hinweg und schaut alles von oben an.-
„Jetzt komm. Ich hab schon eine Idee. Wir machen das gemeinsam.“
Warum wollte sie ihm unbedingt in die Augen sehen? War es ihr wichtig, was sie dort sah? Seine Tränen?
Er wollte ihre Augen jedenfalls nicht sehen, ihr Unverständnis darin, wie bei allen, wie bei den Kollegen.
„Wir machen uns selbstständig, o.k.? Wir brauchen uns dann nicht um andere zu kümmern und alles wird bestens laufen. Am Anfang etwas mehr Einsatz und dann läuft die Sache wie von alleine.“
Wollte sie ihn nicht verstehen? Sie wollte es nie und sie würde es auch nie! Er beugte sich weiter vor und der warme Wind küsste ihn. Die Sonne lächelte ihm zu, sie verstand ihn.
Eine Taube segelte vorüber und schraubte sich in die Tiefe. Von unten kamen Stimmen und Schreie.
Ihre Hand lag auf dem Sims, ihre Beine nah bei seinen.
Wollte sie ihn halten?
Jetzt sah er sie doch an und erkannte, was er erwartet hatte, in ihren Augen, in ihrem Blick:
Ihren tödlichen Ehrgeiz.
Er weinte laut, eine Windböe kam und nahm den gellenden Schrei mit in die Tiefe zu den brüllenden Gaffern.
Und dann war Ruhe, gelöste, entspannte Ruhe... frei von aller Last.
Nach einem Augenblick spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Der Polizist war da und führte ihn weg von der Brüstung.

 

Hi,

möchte vor allem meine Lesegedanken hier lassen. Möglicherweise bringen sie etwas, möglicherweise sind sie zu subjektiv:

Als ich merkte, daß er in Selbstmordabsicht irgendwo saß, wollte ich eigentlich schon gar nicht mehr weiterlesen, nur der Name des Protagonisten hat mich eigentlich da gehalten.
Nachdem dann auch noch die Freundin kommt, wurde es für mich (aus persönlichen Gründen) etwas interessant und ich war sogar erleichtert, daß sie zu ihm gekrabbelt kam, damit sich nicht ein oft gesehener Psycho-Dialog von Luke zu Kante abspielt.
Aber spätestens als sie da war, ahnte ich, daß mindestens sie runterfallen würde. Unklar und das bis zum zweitmaligen Lesen war für mich, ob er es absichtlich macht, er sie mit sich hinunterzieht oder unabsichtlich herunterstößt.
Am Ende ist es wohl letzteres, hilft mir in meinem Leserfazit aber nicht so viel.

Ich finde die Idee angesichts der Figurenentwicklung allerdings verschenkt. Zu Beginn ist mir diese Schwarz-Weiß-Malerei richtig lästig geworden, weil ich nicht sicher war:
Meint das jetzt der Autor - das konnte ich mir allerdings aufgrund Deiner Erfahrung gar nicht vorstellen, die Situation so platt darzustellen.

Oder meint das der Protagonist da oben auf seiner Kante.
Wenn ja, wenn er da sitzt und einen Haß spührt eine Abneigung. Eben ein Gefühl, dann ist er eigentlich nicht so richtig verzweifelt und dann kann diese ganze Selbstmordabsicht vor allem in dieser Situation (sitzen, Flasche, große Show) nicht richtig nachvollziehen. Es wirkt gestellt und konstruiert.
Vor allem, weil man als Leser nicht einschätzen kann, was eigentlich los ist. Das wird auch nicht klarer in seinen Gedanken und dem Dialog mit ihr, denn es herrschen recht allgemeine Phrasen vor:

Wie sie blöde gafften, als er aus dem Büro des Alten kam und der dann noch weiter tobte. Einige taten betreten, andere nur neugierig, zwei tuschelten und feixten. Was für miese Schweine! Die Seele verblutet und die Menschen klatschen Beifall.

„Ich wurde nicht einfach gefeuert. Ich wurde gedemütigt. Ich bin jetzt schon tot.“

„Frag´ meine Kollegen, meine ehemaligen Kollegen. Sie werden mich nicht mal mehr kennen wollen. Ich bin ihnen unangenehm.“

Ich bin ruiniert! Alles was bisher war, was du mir geraten hast, das waren Niederlagen. Jetzt…, jetzt bin ich ruiniert.“


Selbst wenn sich bei ihm was gegen seine Frau/Freundin aufgestaut hat, läßt er es hier nicht raus. Es kam auch schon die Bemerkung, daß man nicht weiß, was passiert ist - natürlich muß man nicht alles wissen, aber es sollte irgendwie eine Entscheidung möglich sein:
Entlassung aus objektiv vermeidbaren/unvermeidbaren Gründen.

Zusammenfassung:
Ich kann mir kein Urteil über Deinen Protagonisten bilden. Ich komme gar nicht ran an ihn. Ich kann mir kein eigenes Bild machen. Ich weiß nicht, ob ich versuchen sollte, es nachzuvollziehen oder ihm eine reinhauen, damit er sich mal zusammenreißt.

Durch seine Reaktion sehe ich, wie er unter ihr gelitten haben muß, aber es wird nur angedeutet. Für mich ist diese Spannung zwischen den beiden, die sich aufgebaut haben muß, nicht fühlbar.
Möglicherweise auch bewußt beabsichtigt, um das Ende nicht zu verraten, aber dann eben schade um das Potential.

Insofern fällt es mir am Ende auch schwer, eine Entscheidung zu treffen:
Mich für ihn zu freuen, weil er den Druck - ihren Druck - los ist.
oder
Ihn zu verurteilen, weil er ob nun absichtlich oder fahrlässig seine ehrgeizige Freundin auf dem Gewissen hat, weil nicht in der Lage ist, den Rücken grade zu machen.

Da ich als Leser nicht richtig Stellung beziehen kann, ist es für mich eine Pointengeschichte und wirkt so, als seiest Du nicht wirklich an den Figuren und ihren Problemen interessiert, sondern lediglich an der Konstellation und dem überraschenden Ende.

Und das verwirrt mich etwas.
Ich glaube auch nicht, ob es Sinn macht, jetzt Vorschläge zu machen, was man anders machen könnte, denn ich weiß eben gar nicht, was Dir an dieser Geschichte das Wichtige ist. Wenn es nur die Pointe ist, dann sollte man sich evtl. gar nicht die Mühe machen, sie noch weiter aufzupumpen, dann bleibt möglicherweise einfach das Gefühl mit dem Konjunktiv: man hätte...

Alles weiter kann man folglich auch später diskutieren.

Gruß
mac

 

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