Epos Monolithi
Unendlich leise dringt das Summen an ihr Ohr. Es scheint von links zu kommen, reflektierende Flügel schwingend im sanften Licht des zurückgekehrten Mondes, langsam näherkommend, Geschwindigkeit aufnehmend und das Summen in ein Surren verwandelnd; ein irrer Takt, zu schnell für das menschliche Gehör, lässt die einzelnen Flügelschläge zu einem tiefen Brummen verschmelzen, das immer lauter und dröhnender wird, je näher die Fliege kommt, bis sie sich auf dem Ohrläppchen der Frau niederlässt um von dem Blut zu kosten, das noch nicht eingetrocknet ist. Unbeschreibliche Qualen vernebeln ihren Verstand, Wellen der Agonie blockieren jede andere Empfindung, der Schmerz überwuchert ihr ganzes Sein und lässt sie nur im Augenblick des absoluten Leides existieren. Und während sich Wolken vor den Mond schieben und das Dunkel der Nacht die wimmernde Gestalt am Fuße des Monolithen mit einer schwarzen Decke verhüllt, erhebt sich die Fliege, satt gefressen an den Wunden der Sterbenden, in die Luft und fliegt davon.
Hinter ihr steht der Monolith majestätisch an seinem Platz um seinen Schatten auf die ganze Welt zu werfen.
Äonen verlaufen wie Wasser im Sand und der Zahn der Zeit nagt an dem schwarzen Monolithen und schleift ihn, poliert ihn und macht ihn glänzend, doch vermag er es nicht auch nur eine Schicht des dämonischen Steines abzutragen. Monströs hält ihm der Monolith stand, streckt stolz seine Spitze in den dunklen Himmel und widersteht den Stürmen, Fluten und Beben, die die Erde schickt um ihn niederzuringen. Denn der Monolith wurde erschaffen um zu bestehen und auf den Augenblick zu warten, da er wieder zu den Sternen auffahren kann, zurück zu dem Ort, wo er geboren wurde. Und so besteht er und wartet.
Sie waren zu fünft, drei Männer, zwei Frauen und sie waren am falschen Ort.
Sie schlugen ihr Lager am Rande des Hochplateaus auf und während die Männer die Zelte aufbauten, begaben sich die beiden Frauen zu der Mitte der ebenen Fläche, die, umringt von den erhabenen Bergen der Karpaten, einem gewaltigen, schwarzen Stein Platz bot.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und verschmolz mit der heraufkriechenden Dunkelheit zu einem magischen Dämmerlicht, das die Schatten verstärkte und die Farben der Umgebung schwinden ließ. Der Monolith schien zu wachsen, je weiter die Nacht heraufzog und seine mattschwarze Oberfläche schimmerte im Licht des vergehenden Tages.
„Bäh, ich könnte kotzen!“, Susi spuckte Speichel auf den Boden und verzog angeekelt das Gesicht. „Die Hawaiianer sind ja schon echt übel, aber die hier...“, Susi nahm die Wasserflasche, trank, gurgelte und spie das mit kleinen schwarzen Resten versetzte Wasser aus.
Hannah fing an zu lachen, während sie einen weiteren kleinen, hellbraunen Trüffel aus der Tüte nahm und ihn in den Mund steckte: „Gute Manieren hast du keine, aber hier sind wir ja unter uns“. Sie ließ ihren Blick über die Gestalten von Jens, Stefan und Mike wandern, die alle drei kauend und schmatzend am Feuer saßen, das beinahe 100 Meter von Hannahs Position entfernt war.
„Der Mond wirkt echt groß hier oben“, Susi nahm den letzten Trüffel und spülte ihn mit Wasser runter. Der große schwarze Stein hinter ihr überragte sie bei weitem.
„Und das Ding hier, richtig unheimlich.“, sagte sie und deutete auf den bedrohlich aufgerichteten Monolithen; ein Brocken, der nicht in die Umgebung passen wollte, sie aber durch seine Erscheinung dominierte und wie ein schwarzes Loch in der Mitte des Hochplateaus gähnte, da er noch finsterer war als die Nacht und das schwindende Licht der Abenddämmerung zu verschlucken schien. Die beiden jungen Frauen hielten sich an den Händen und betrachteten den Monolithen, wie hypnotisiert von der einem Obelisken ähnelnden Form und den scharfen Kanten, die, geschliffenen Messern gleichend, mit ihren Schneiden besitzergreifend in alle vier Himmelsrichtungen zeigten, während ihn der kalte Höhenwind mit einem Heulen umwehte und umgarnte, leise Klagelieder zu Ehren des verdammten Steines singend.
Manchmal, in kalten mondlosen Nächten, wenn der eisige Wind durch Täler und Schluchten jagend mit den Wölfen um die Wette heult und düstere Wolken jeden Blick auf die Sterne verhindern, wenn die verkrüppelten Äste der kranken Bäume im Sturm ächzen und brechen und schwarzer Schnee vom Himmel fällt, dann leuchtet der Monolith in einem krankhaften Licht und sendet schwingend seine Aura voller Qual und Leid hinaus in die Dunkelheit.
Vor Jahrmillionen wurde er von jenseits der äußersten Ränder des Universums auf die Erde gesandt, wo er seitdem wie ein Mahnmal steht, erschaffen als Symbol für die unendliche Macht unbeschreiblicher Wesen aus der Fremde und den Wandel bezeugt, ihn sogar beeinflusst, der die Welt bis zum heutigen Tage formt. Meere überschwemmten das Land, zogen sich zurück, hinterließen dreckige, stinkende Schlammpfützen, Gebirge richteten sich auf, brachen wieder zusammen und spien Asche und Feuer auf die Erde, doch der Monolith thronte weiterhin unzerstörbar und unverrückbar auf seinem Platz und seine Existenz erschütterte den Kosmos.
Das Kreischen war einfach zu laut. Jens nahm seinen Blick von dem pulsierenden Mond und stand auf, das Flimmern war zu stark, er musste sich stützen, schaffte es aber schließlich sich wankend aufzurichten und in die Richtung, aus der das Schreien gekommen war, zu blicken. Der Waldrand rings um das Hochplateau, allesamt kaputte, von Krankheiten und Ungeziefer zerfressende Bäume, schien sich zu bewegen, näher zu kommen, um gleich darauf, kurz bevor man die Bewegung wirklich sah, wieder zurückzuweichen. Jens winkte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum und war von den Nachbildern beeindruckt, die noch in der Luft waberten, als die Hand schon längst wieder in seiner Hosentasche steckte.
„Was'n los?“ Mike hob den Kopf und sah zu Jens hoch, seine Pupillen waren wie zwei schwarze Löcher, seine Augen komplett ausfüllend, das flackernde Feuer verschob sein Gesicht durch Schattenspiele, die Jens faszinierten.
„Hörst du denn das Kreischen nicht?“ bemühte sich Jens zu fragen, brachte aber nur unverständliches Gebrabbel hervor. Mike lachte: „Die haben nur ihren Spaß.“ Das s zog sich lang und schien den Augenblick ins Unendliche zu dehnen, das Flimmern breitete sich über Jens ganzen Körper aus, er fühlte seine Beine nicht mehr. Der Mond stand am Zenit und je länger man ihn ansah, desto mehr verwandelte er sich, bekam Details und Texturen, die vorher noch nicht da waren, und auch nicht blieben.
„Wo sind die Sterne?“, fragte Jens, seine eigene Stimme fremd in seinen Ohren, die Frage machte ihm Angst. Je länger er ins Feuer starrte, desto mehr schien es sein Bewusstsein zu verschlingen, er fühlte sich wie ein Zwerg. Mike sagte irgendwas und begann ihre zu kichern, Tränen flossen sein Gesicht hinab, das zu der Fratze eines Gnoms verzogen war.
Jens nickte, das Flimmer war nun in seinem Kopf, hüllte seinen ganzen Sichtbereich aus und die Umgebung begann zu verschwimmen, zu wachsen, zu schrumpfen, zu verzerren, sich aufzuplustern und ineinander zusammenzufallen. Kleine schwarze Punkte tanzten über dem hellgelb leuchtenden Feuer, viel kleiner als vor einem Moment, während Mike aufstand und sich neben Jens stellte.
„Wow“, er grinste, „die hauen vielleicht rein un' es is nich' mal 'ne Stunde vorbei“. Jens war sich nicht sicher wer das gerade gesagt hatte, schaute zur Sicherheit aber auf seine Armbanduhr. Die Zeiger wollten sich nicht auf eine Position festlegen und so gab Jens schnell auf.
Jetzt hörten beide das Kreischen. „Sind die Mädels immer noch bei dem komischen Stein?“ Jens blickte Mike fragend an, dessen Augenbrauen sich langzogen und die Farbe wechselten.
„Stefan ja anscheinend auch!“, Mike lachte und schüttelte den Kopf. „Mann, dich scheint's ja richtig wegzuballern.“
Jens fiel auf, dass Stefan gar nicht mehr an seinem Platz vor dem Feuer lag.
„Komm, schau'n wir mal was die anderen so treiben.“ Mike gab Jens einen Stoß in die Seite und ging in Richtung Stein davon.
„Wo sind die Sterne?“, fragte Jens und folgte ihm.
Als die ersten Lebewesen entstanden, erkannten sie seine Macht und versuchten, angezogen wie Motten vom Licht, auf seiner Oberfläche zu wachsen und zu gedeihen; doch der Monolith war zu fremdartig, nichts Lebendiges konnte in seiner Nähe auf Dauer existieren.
Und als die ersten Menschen das Gebirge besiedeln wollten und kleine Gehöfte und Dörfer in dem Tal bauten, auf welches der Monolith seinen Schatten warf, rief der dämonische Stein hinein in die Träume der Menschen und ließ sie einen Hauch seiner bösartigen Präsenz spüren, woraufhin viele starben, alle anderen aber verrückt und zu Jüngern des dunklen Symbols unbegreiflicher Wesenheiten wurden und ihm ihre Seelen und Menschlichkeit opferten. Und der Monolith stand stumm und starr an seinem Platz und schien sich zu mästen am Leid und am Schmerz, am Tod und am Blut, das zu seinen Ehren vergossen wurde.
Gott saß auf dem schwarzen Stein und ließ die Füße baumeln. Im unnatürlichen Licht des bleichen Mondes konnte Jens sein Gesicht sehen, die königlich geschnittenen Unterkiefer von denen der lange Bart hing, die blendend weißen, übergroßen Zähne, die gigantische Nase, wie in Stein gemeißelt und die unendlichen Augen, strahlend blau von der Göttlichkeit des Wesens zeugend, in dessen Schädel sie saßen.
„Hey Mann, echt irre das!“ sagte Gott und sprang von dem über drei Meter großen Monolithen herunter. Jens erkannte Stefan und war irgendwie erleichtert, gleichzeitig aber trauerte er dem Moment vollkommener Dissoziation nach.
Er starrte auf den mannshohen Brocken vor sich, konnte sich aber nicht entscheiden, welche Form dieser hatte, zu sehr verschoben dich die Ecken und Konturen ineinander und verschmolzen mit der Nacht rings um den Stein.
Stefan trat auf Mike zu und stach ihm ein Messer in den Bauch. Lachend blickte er in Mikes herausquellende Augen und drehte die Klinge in der Wunde hin und her.
Nicht sicher was gerade passiert war, blickte Jens hoch zum Himmel, die Sterne waren immer noch nicht zu sehen und der Mond schien sich irgendwie zurückzuziehen, er wurde kleiner und verlor seine Leuchtkraft, entfernte sich immer schneller bis nur noch ein kleines graues Glimmern zwischen den Wolken auf seine dahingeschiedene Präsenz hindeutete, das bald daraufhin auch verschwunden war.
Das Licht zog sich zurück und hinterließ absolute Schwärze. Nur noch die Konturen des Monolithen waren in der vollkommenen Abwesenheit jeglicher Leuchtquelle klar durch gräulich schimmernde Linien von der übrigen Einheit der Dunkelheit abgetrennt.
Jens hörte Stefan lachen, war sich aber nicht klar, von wo das Geräusch genau gekommen war. Sobald die Laute an sein Ohr stießen, verdoppelten sie sich und hüllten ihn rundherum ein.
Der Stein hob sich immer mehr von seiner Umgebung ab, er begann von innen zu leuchten und zu pulsieren und erhellte das Plateau langsam durch ein graues Zwielicht, sodass Jens sehen konnte, wie Stefan Mike umarmte, während seine rechte Hand vor und zurück stieß, das Messer immer wieder in dem Oberkörper des jungen Mannes in seinen Armen versenkend. Blut spritzte, Stefan lachte, Mike röchelte, Mike stöhnte, Mike schrie, Stefan lachte und Jens wurde verrückt.
Er sah die Leiche seines besten Freundes, von unzähligen Stichen und Schnitten verstümmelt und übergossen mit hellrotem, in dem seltsamen Zwielicht aber braun wirkendem Blut, zu Boden
gleiten, war aber nicht in der Lage das Gesehene in irgendeinen Zusammenhang einzuordnen.
Im aufkommenden, immer heller werdenden Licht des dunklen Steines konnte Jens zwei Gestalten nicht weit vom Monolithen liegen sehen, zwei graue Bündel, eines bewegungslos, das andere noch zuckend und leises Schluchzen ausstoßend und sein Leben verhauchend, das Gras unter ihnen schimmerte feucht und das ehemals blonde Haar der einen Gestalt war unter der Kruste des eintrocknenden Blutes kaum zu erkennen.
Stefan lachte wieder, doch dieses Mal klangen die Geräusche aus seinem Mund wie von elektrischen Verstärkern intensiviert, sie steigerten sich zu einem Kichern und letztendlich, während sich Stefan dem wie festgefroren dastehenden Jens näherte und mit dem blutverschmierten Messer, das länger als sein Unterarm wirkte, Schneidebewegungen in der kalten Luft vollführte, zu einem Jaulen, zu einem Heulen, zu einem Kreischen, das, reflektiert von der schwarzen Oberfläche des teuflischen Findlings, an Lautstärke zunahm und wie das Brüllen eines wilden Tieres über das ganze Plateau hallte.
Jens stöhnte auf, das alles hier wirkte wie ein schrecklicher Alptraum, aber gleichzeitig zu real um die Ausgeburt seiner Fantasie zu sein. Das Messer traf seine Brust, glitt von einer Rippe ab und durchschnitt ohne Anstrengung Haut, Fett, Muskeln und Fleisch bis sich die Spitze in einen Lungenflügel bohrte und Wellen des Schmerzes das überforderte Gehirn Jens' explodieren ließ. Er starrte in das zu einer grausigen Grimasse verzogene Gesicht seines Freundes, seines Mörders vor ihm, in den starren unmenschlichen Blick der toten Augen und sah die Zunge Stefans, einer Schlange gleichend zwischen den zu einem irren Grinsen verzogenen Lippen vor und zurück schnellen.
Er fühlte wie warmes Blut an seinem Bauch hinab und wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass alles real war, alles wirklich passierte, er im Kampf mit einem Wahnsinnigen kilometerweit von der nächsten Ansiedlung entfernt, hier in den sagenumwobenen Karpaten unter einem surrealistischem mond- und sternlosen Himmel sein Leben beenden würde, fernab jeder Hilfe und Rettung. Er schrie laut auf und versuchte Stefan von sich wegzustoßen, doch dieser war stärker als er, drückte die zuschlagenden Hände weg und zog Jens eng zu sich heran.
Wie in einem Totentanz wiegten sich beide engumschlungen in ihren Armen, bis Jens alle Kräfte verließen und er zu Boden sank. Sein Blicke streifte über den immer noch zustechenden Stefan hinweg auf den Stein, den gottlosen Brocken, der bei jedem Stich und Schnitt immer heftiger zu pulsieren schien,je mehr Blut den vertrockneten Boden am Fuße des bösartigen Monolithen tränkte.
Irgendwann, vielleicht in tausend Jahren, vielleicht schon bald, wird der Monolith seine Augabe erfüllt haben und sich feist und fett glänzend von den vielen verschlungen Seelen, auf den Weg machen, der ihn seiner schrecklichen Heimat näherbringt.
Und er wird die Erde erlösen von seinem Dasein, wird die verlassen, die sich weinend und jammernd vor der Macht des unheimlichen Findlings gekrümmt haben und ihm alles opferten, was ihnen lieb und teuer war und ein ewig verfluchtes und heimgesuchtes Stück Erde zwischen den Gipfeln der Karpaten wird wie ein dämonischer Abglanz von der Existenz des Monolithen zeugen.
Die Rufe des toten Steines verhallen und in seinem Kopf zieht Ruhe ein. Stefan blickt über das Massaker, das er angerichtet hat. Vier Leichen, zerschnitten und zerstückelt liegen vor dem Monolithen, vier Freunde ermordet durch seine Hand im Auftrag von unmenschlichen Visionen ausgesandt von einem außerweltlichen Gegenstand, der sich mit der Figur eines großen, schwarzen Steines tarnt, in Auftrag gegeben. Sein Lachen dringt zum Himmel auf, nur gehört von der sterbenden Gestalt des fast toten Mädchens, das bald seinen letzten Atemzug getan haben wird. Das Lachen wir immer schriller und lauter, je mehr die Erkenntnis Stefan trifft, was er getan hat. Und es scheint sich hallend fortzusetzen, über das Hochplateau hinweg, durch den tiefen, kranken Wald hinab in das monerhellte Tal und weiter über das Land bis in die Träume der Menschen, die in ihrem Schlaf stöhnen und sich im Bett hin und her wälzen, im Bewusstsein, dass der Monolith ein neues Opfer gefunden hat.
Stefan schneidet sich selbst die Kehle durch und das letzte was er sieht ist sein Blut, das wie in einer bizarren Weihe die Oberfläche des Monolithen bespritzt.