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Erdbeeren
Es war viertel vor vier. Sarah und Theo hatten ihre Freunde Simon und Ursel zum Kaffee eingeladen. Theo deckte den Tisch im Garten. Er schwang die Tischdecke über den Gartentisch und holte die Gartenstühle. Sarah stand in der Küche und wusch Erdbeeren. Theo nahm das Geschirr aus dem Schrank.
„Kannst Du die Sahne schlagen?“ bat ihn Sarah, während sie die Erdbeeren aus dem Becken fischte und das Küchenmesser aus der Schublade holte.
„Ja, gleich", murmelte Theo und ging mit dem Geschirr nach draußen. Sarah schnitt die Erdbeeren mit dem Messer etwas aus, wobei ihr der rote Saft über die Finger lief. Eine besonders reife Erdbeere steckte sie in den Mund und schloß für einen Augenblick die Augen. Draußen deckte Theo Tassen, Glasteller und Teelöffel. Freia stand am Zaun und grüßte:
„Hallo Theo, wie geht es euch?“
„Danke, gut", antwortete er.
„Otto ist auch da. Wir wollen auch gleich Kaffe trinken. Eigentlich sollte er Erdbeeren mitbringen; ich hatte mich schon so darauf gefreut, aber er hat es vergessen. Männer!“
„Ja, wenn das so ist – Sarah macht gerade Erdbeeren zurecht – ich habe reichlich gekauft – kommt doch einfach dazu."
Theo stellte zwei weitere Stühle an den Tisch. Dann ging er in die Küche, um die Sahne zu schlagen.
„Du, Sarah, ich habe Otto und Freia dazu geladen, ich hoffe, es macht dir nichts aus."
„Freia und Otto, so wie Du das sagst … ist mir eigentlich nicht so recht."
„Hätte ich reinkommen sollen, um dich zu fragen? Was macht das für einen Eindruck?“ versuchte sich Theo zu rechtfertigen. Sarah schüttelte den Kopf. Hatte Freia ihn wieder rumgekriegt. Darauf nahm sie sich noch eine Erdbeere, die größte, die sie sah. Theo hatte die Sahne in den Plastiktopf gegossen und stellte den Mixer an. Mitten in den Lärm klingelte es. Sarah ging an die Tür.
„Hallo! Schön das ihr da seit!“ hörte Theo, wie sie Simon und Ursel begrüßte. Schon kam Sarah wieder in die Küche, mit einem Strauß roter Blumen in der einen Hand, dem Papier in der anderen, und ging an das Fach, um eine Vase zu holen. Dazu mußte sie bei seinen Beinen den Schrank öffnen. Sie schob ihn beiseite und griff eine große gläserne Vase. Theo schwang den Sahneschläger auf und ab und prüfte, ob die Sahne schon steif genug war. Für einen Moment dachte er daran, die Maschine mit den rotierenden Sahneschlägern ganz aus dem Gefäß zu heben, während sie da unten bei seinen Beinen wühlte; er ließ es sein und genoß in Gedanken die Vorstellung davon, wie sie reagieren würde.
Als Sarah die Gäste in den Garten geführt hatte, läuteten auch schon Freia und Otto. Sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht, als sie hörten, daß bei den Nachbarn die Gäste eingetroffen waren. So war Freia sicher, daß ihr nichts entgehen würde.
Schließlich war der Kaffe gekocht, die Erdbeeren und die Sahne waren aufgetragen und alle hatten sich gesetzt. Sarah ergriff die große Schale und reichte sie Simon:
„Bitte, nimm dir."
Simon erwiderte ihren Blick, nahm sich betont wenig und reichte Ursel die Schale. Sie nahm sich beherzt und griff nach der Sahne. Otto füllte den Glasteller so voll, daß kaum noch Sahne darauf paßte; sie lief an der Seite über den Rand. Freia bemerkte das und warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. Schließlich waren die Erdbeeren auch bei Theo angekommen.
„Also, guten Appetit dann,"
sagte er, bevor er mit dem Aufgeben fertig war. Sarah nahm sich gezielt eine große Erdbeere, schob sie durch die Sahne und beförderte sie in den Mund.
„Wißt ihr eigentlich, daß die Erdbeeren aus Amerika kommen?“
eröffnete Simon das Gespräch.
„Wieso? Diese?“ fragte Freia.
„Nein, nicht diese, diese kommen aus Italien. Oder habt ihr schon hiesige? Aber die Erdbeeren überhaupt."
„Aber es gibt doch auch bei uns Erdbeeren, im Wald", wandte Ursel ein.
„Wilde Erdbeeren", ergänzte Sarah, „die sind ganz klein."
„Ja, die hiesigen Erdbeeren sind klein … die Zuchterdbeeren stammen von amerikanischen Erdbeeren ab. Weil die größer sind", bekundete Simon sein Wissen.
„Bei denen ist ja alles größer", meinte Otto.
„Alles?“ funkelte Sarah die Runde an.
„Ja, sogar die Braunbären sind in Amerika größer. Die heißen dort Grizzlys."
„Die Erdbeeren sind gut“, meinte Freia, „und die Sahne ist schön steif."
„Ja“, sagte Sarah, „das ist typisch für Theo. Ich mag Erdbeeren auch mit flüssiger Sahne. Wenn sich der Saft langsam mit der Sahne vermischt … “ Sarah guckte verzückt. Freia warf ihr einen verstohlenen Blick zu.
„Wenn nur die viele Arbeit nicht wäre!“
„Wieso? Die mach´ ich gerne. Ich kann es gar nicht erwarten, diese pelzigen Beeren zu greifen, wenn diese festen Nüsschen ganz eng stehen, … sie müssen natürlich trocken sein.“
„Ich mag auch die großen, auch wenn sie weicher sind," meinte Freia.
„Ja, aber die kleinen sind doch meist besser", meinte Ursel, „da habe ich meine Erfahrung."
Simon setzte sich im Gartenstuhl auf, um ein bißchen größer zu wirken.
„Hauptsache, es ist genug Zucker dran“, meinte Otto. „Damit schmecken sie immer“.
„Ja, Otto muß sich immer richtig satt essen können. Sonst ist das für ihn nichts. Und reichlich süße Sahne. Ich … könnte auch wenige Erdbeeren genießen, so zwischendurch. Die sollten dann aber schon richtig gut sein", erklärte Freia.
„Ja, ich auch“, sagte Sarah. „Hast du schon mal wilde Erdbeeren gegessen?“ setzte sie nach. „So im Wald? Die sieht man ja selten. Und sie sind sooo klein." Theo warf Sarah einen erstaunten Blick zu.
„Ja, aber der Geschmack… fast unwirklich. Sie luken so verführerisch unter den Blättern her, haben einen so schönen Duft. Ich könnte immer weiter durch den Wald gehen und immer hier und da eine Erdbeere naschen. Einfach toll!“
Sarah rann roter Saft aus einem Mundwinkel. Sie wischte ihn ab.
„Da mußt du aber lange laufen, bis du satt bist", meinte Otto. „Ich esse Erdbeeren am liebsten zuhause. Aus einer Schüssel."
„Und mit einem großen Esslöffel“, ergänzte Freia. „Ich finde schon, wilde Erdbeeren sind etwas ganz besonderes", sagte Ursel, „man sollte sie sich nicht immer gönnen. Aber mal … die Natur hat es weise eingerichtet, daß diese Dinge nicht im Überfluß zu haben sind."
Simon ergänzte: „Aber doch schön, daß wir das kultiviert haben. Daß es Erdbeeren jedes Jahr reichlich gibt. Daß wir sie essen können, ohne dafür im Wald zu suchen und vielleicht mit leeren Händen wiederzukommen."
„Oder leeren Bäuchen“, ergänzte Sarah, „ja, es gehört alles zusammen: die Erdbeeren vom Markt oder dem Gemüsehändler, diese schöne Regelmäßigkeit in jedem Jahr, und ab und zu etwas besonderes, völlig überraschend, auf einem Spaziergang…“
„Du klingst, als könntest du es gar nicht abwarten“, meinte Simon. Er griff zur Schale und nahm sich ein zweites Mal.
„Ja“, sagte Sarah, „schon wenn ich Anfang Mai den Rhabarber sprießen sehe, wie diese runden dunkelroten Knospen sich mir entgegenstrecken, dann denke ich…“ sie leckte mit ihrer Zungenspitze die Lippen, einmal ganz rum, „dann denke ich, daß bald Erdbeerzeit ist." Simon warf ihr einen lustvollen Blick zu.
„Ja, Freia kocht auch immer Erdbeermarmelade mit Rhabarber," meinte Otto mit vollem Mund.
Sarah war fertig mit den Erdbeeren und goß sich einen Kaffee ein. Sie sah in die Runde:
„Möchte noch jemand etwas?“ Aber noch waren alle beschäftigt. Theo hatte seinen Teller geleert und hielt ihr die Tasse hin: „Mir kannst Du einen einschenken.“
„So", meinte Otto nach einer Weile und zog Freia am Arm, „jetzt wollen wir mal aufbrechen. Es war schön bei Euch. Sollten wir mal wiederholen. Ich meine, auch, weil wir uns so gut verstehen.“ Ursel und Simon blieben noch sitzen, während Sarah und Theo mit den Nachbarn zur Tür gingen. „Na, Simon, alles in Ordnung?“ fragte Ursel und sah ihren Mann aus den Augenwinkeln an.
„Ja, mit Erdbeeren geht´s, ja.“
„Also ja“, meinte Ursel, „wenn dir das reicht…ich frage mich nur, wie Theo das schafft.“
„Ob er das schafft“, verbesserte Simon.
Im Haus verabschiedeten Theo und Sarah ihre Gäste. Als die Haustür in das Schloß fiel, fragte Theo Sarah:
„Sag mal, hast Du schon öfter… wilde Erdbeeren?“
„Ach was, die gibt es hier doch gar nicht“ sagte Sarah.