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14.04.2020
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Erdskandal

„Aus der Ferne war sie hauptsächlich blau und grün, glich also dem wiesengrünen Ufer eines Sees, der halt blau war. Nur eben sphärisch und völlig abgespaced. In der Schwebe, meine ich.“, sagte ich selig und schaute träumerisch in die Ferne, nur um von einem herannahenden Lastwagen – einem regelrechten Asphaltmonstrum auf, wie es schien, nicht weniger denn sechzig Rädern! –wachgerüttelt zu werden. Ich leitete das Ausweichmanöver ein und lenkte die Fahrzeugspitze wieder auf die richtige Spur.

„Du bist echt egoistisch, Mann!“, raunte eine Stimme, die vom frühreifen Zigarettenkonsum und sonstigen Drogen mit chemisch-synthetisch-komplizierten Namen so tief und rau war, dass sie glatt Hephaistos Kehle entspringen könnte. Bogart.

„Und mit wem redest du da eigentlich? Nein, viel eher, was redest du da!?“

Ich ignorierte seine Stimme und kurbelte das Fahrerfenster runter. Ich inhalierte die Nachtluft, die nach künstlichem Düngemittel, Wasserleiche und Schwefel stank. Ich schätze, mein Gesicht verzog sich zu einer recht ansehnlichen Würgfratze. Sofort kurbelte ich das Fenster wieder hoch, brach in der Tat fast den Hebel und schlug mit der Faust aufs Lenkrad. Ein ausgesprochen jämmerlicher Hupton entfuhr dem halbtoten Wagen.

Hinten lächelte jemand verschmitzt, ganz wie eine kleine, freche Katze. Kats.

„Ich hab Durst!“, meldete sich nun eine schlaftrunkene Marilyn – das Mädchen mit dem schönsten Namen, den ich je gehört habe – und richtete sich in ihrem Sitz auf, um Bogarts gierig-suchenden Welpepranken zu entfliehen, über die er im Schlummer natürlich keine Kontrolle hatte. Ich betrachtete sie im Rückspiegel und verfluchte wiederholt meine ach so ehrbare Hilfsbereitschaft. Ich könnte derjenige sein, der sich unbeholfen an sie schmiegt, ihren exotischen Duft inhaliert und mit meiner Brotbackrhetorik das Gespräch sucht.

„Ich spreche mit meinem Urenkel, der in seinem Leben nie in den Genuss kommen wird, die Erde zu betrachten. Grün und blau, wie sie ist, meine ich.“, beantwortete ich schließlich Bogarts Frage. Prompt richtete er sich auf und packte die Kopfstütze meines Sitzes, um sie wie wahnsinnig zu rütteln und zu schütteln. Erneut betätigte ich die Hupe, deren kümmerlicher Klang dem letzten Atemzug eines tausendjährigen Embryos glich.

Moral, Aral – wir passierten gerade die grellleuchtende Tankstelle – Aal, Wal, Wahl – Autofahrten, Binnenmarkt und was war eigentlich Kaviar, wenn kein überaus frischer, ja, vorzüglicher Kadaverhaufen?

„Zum letzten Mal: wohin fahren wir?“, wunderte ich mich geduldig und blickte auf die leere Asphaltstraße vor uns – denn wer fuhr schon um die Zeit herum! Ja, um welche Zeit eigentlich?

Und welcher Tag, Monat – auf welchem Kontinent waren wir?

„Da, da vorne ist es doch schon.“, sagte Bogart und zeigte mir mit seinem knochigen Zeigefinger aus der hinteren Sitzreihe die Richtung an.

„Ja, da vorne rechts.“, bestätigte auch Marilyn, die einer sich in ihrem Schoß rekelnden Kats zärtliche Streicheleinheiten zuteilwerden ließ. Und was war sie, ihr Haustier?

Jetzt sah auch ich eine Ausfahrt, die sich in einem steilen Winkel von der horizontalen Straße abhob und Richtung Nachthimmel in der Dunkelheit verschwand.

Luna Hoop!, las das krankheitsgrüne Schild, das unbekümmert in der Luft hing. Der Wagen passte sich seiner Unterlage an, und nun fuhren auch wir in dieser wahnwitzigen Schräglage, die weder der altersbrüchige Kombi noch der vermeintlich vernunftbegabte Fahrer hinterfragte. Das will sagen, ich.

„!“, teilte ich meinen Freunden mit, doch sie hörten mich nicht. Ein Blick in den Rückspiegel verriet mir, dass sie konzentriert in bunten Karteikarten lasen, mit neongelben Markierstiften in dicke Wälzer kritzelten und sich hyperphilosophisch das bartlose Kinn rieben. Automatisch nahm ich wieder tief Luft ein, um das – was immer sie taten – lautstark zu hinterfragen, doch sie blieb mir im Hals stecken. Lass sie einfach machen. Lass sie doch machen, sie sind noch Kinder. Mit einem Mal fühlte ich mich ermattet, erschöpft – ausgelaugt. Ich wusste nicht, wohin wir fuhren – dabei saß ich hinter dem Steuer! Ich schaute aus dem Fenster und erblickte die winzigen flimmernden Lichter, die eng beisammen und zerstreut unzählige Meter und noch viel mehr Zentimeter unter uns funkten und kicherten. Ich sah, wie die Haube sanft in die Wolkendecke schnitt, die langsam an unseren Fenstern vorbeizog wie weiche Zuckerwatte.

„Was soll’s…“, murmelte ich und sog den nun frischen Wind der Mitternacht ein.

„Warum sitzt eigentlich niemand vorne?“, warf Marylin die Frage in den Raum, die ich mir selbst nie zu stellen gewagt hatte. Das heißt, bewusst. Marilyn und Bogart blickten auf und schienen ernstlich darüber nachzudenken.

„Ich weiß es nicht.“, gestand Bogart und zuckte mit den Schultern.

„Du bist halt… bist – wie sagt man? Charakterlos. Da fehlt irgendwas. Kein Geschmack, kein Inhalt.“, gab Kats selbstsicher an und schien nach Einwänden Ausschau zu halten. Und die musste es schließlich geben.

Doch es gab sie nicht.

„Da ist es ja schon.“, sagte Bogart vollkommen unbeeindruckt und deutete erneut mit seinem Zeigefinger die Richtung an.

„Ja, da vorne rechts ist auch ein freier Parkplatz.“, ergänzte Marilyn, die selbstredend meine Existenz übersah und überhörte, sofern das eben ging. Ich ließ den Wagen in die einzige Parklücke in dem ansonsten armageddonvollen Parkplatz rollen und wir stiegen aus.

„Der Mond, ich verstehe.“, bemerkte ich und verstand überhaupt nichts.

„Komm schon, wir trinken erst mal einen Kaffee. Du hast bestimmt schon mal einen el luna latte psicodelico probiert, oder?“, erkundigte sich Kats.

Luna Hoop!, höhnte das Schild, das über dem Eingang des kleinen Cafés hing – da es diesmal keine Luft gab, wusste ich nicht, wo es hing. Bevor wir das Lokal betraten, drehte ich mich noch einmal um, um die Erde zu betrachten. Ein mittelgroßer Klecks aus Blau, Grün und weiß-gräulichen Wolken, allesamt überschattet von einem Dreiviertelschatten, der irgendwo auf der Welt den Anbruch der Dämmerung beschrieb.

Eine Dame, die uns zu erwarten schien, begrüßte uns herzlich.

„Wir erwarteten Sie bereits!“, gab sie ohne jeden Vorwurf an und winkte uns rein. Ihre Lippen waren weinrot, die Augen groß und tiefbraun wie eine Haselnuss. Ihre grellgraue Mähne steckte in einer Art Gummi, das silbrig schimmerte und zu ihrem Kleid passte, das wiederum aus hauchzartem Aluminium bestand. Metallglanz und extraterrestrische Opulenz, ging es mir durch den Kopf, als mein Blick das Interieur des Luna Hoop! streifte. Die Raumkapazität mochte Platz für nicht weniger denn zehntausend Menschen bieten, hernach also vergleichbar war mit einem Fußballstadion mittlerer Klasse.

Ich unterdrückte diesen Gedanken schlicht und, wie ich dachte, sehr wirkungsvoll.

„Nicht schlecht.“, gestand ich und nickte anerkennend.

„Find ich auch! Und vor allem diese Beleuchtung! So okkult und so, so – so avantgardistisch!“, belferte Kats, deren Augen strahlten wie die eines Kindes.

„Und ihr wisst auch, woher dieses Licht kommt?“, prüfte Bogart kritisch das Faktenwissen seiner Freunde. Kats und Marilyn wandten den Blick ab und begannen, nonchalant zu pfeifen. Bogarts
Blick richtete sich auf mich.

„Ich? Woher soll ich das wissen, ich bin zum ersten Mal hier!“, reduzierte ich meine Empörung auf ein erträgliches Maß.

„Wir doch auch! Die Antwort lässt sich aber ganz unabhängig davon herleiten – so ganz logisch-apriorisch.“, brauste er auf. Wir erklommen eine kleine Treppe und setzten uns auf einen fünfeckigen Tisch, der von einer Punktbeleuchtung bestrahlt wurde. Wir befanden uns auf einer Bühne. Vor uns saßen die Zehntausend, die wie ich brav ihre Autos geparkt hatten.

„Es ist das Mondlicht.“, flüsterte Bogart mir zu.

„Die Beleuchtung, meine ich. Das Mondlicht.“, ergänzte er erregt, sein Blick nun auf die Karteikarten geheftet, die er mitgenommen haben musste.

„Meine allerliebsten Damen und Herren der göttlichen Gaia, wir heißen Sie alle im Namen der Weltraumskandalbewältigungsorganisation herzlich zur hundertmillionsten Sitzung willkommen!“, leitete ein aus dem Nichts vorgetretener, froschgesichtiger Anzugträger ein, dessen Augen grünlich loderten wie brennende Smaragde.

Donnernde Ovationen ertönten, doch ich sah nur das kränklich-schimmernde Weiß endloser Augen. Ein weiterer Effekt des Mondlichtes, vermutete ich.

„Wie jedes Jahr versammeln wir uns hier, an dem altbewährten Luna Hoop!, um das eine oder andere Skandal zu besprechen, das den japsenden Ecken unseres Universums entspringt.“, fuhr er fort.

„Das diesjährige Programm hat wie immer einen Schwerpunkt, der diskutiert, verhöhnt und vor allem wissenschaftlich untersucht werden muss.“ Seine Stimme wurde ernst.

„Drei Vertreter der Gattung Homo Sapiens Sapiens werden heute ihre Gedanken in Bezug auf die gar desaströse Lage der Erde mit uns teilen und vielleicht kommen auch wir dahinter, was zum Teufel überhaupt los ist.“ Er richtete seinen Froschblick auf uns, maß uns interessiert und nickte. „Jeder von Ihnen hat dreißig Sekunden Redezeit, die erst dann vorbei sind, wenn dieser Ton hier – “, ein ohrenbetäubendes Ha-Ha! erscholl, „erklingt. Sprechen Sie bitte die Reihenfolge ab, die natürlich von keinerlei Bedeutung ist.“, wies er uns an.

Noch immer spielte ich den Ignoramus, durfte mitnichten anfangen, das ganze Geschehen zu hinterfragen, weshalb ich einfach Marilyns Blick suchte, die aufgeregt mit Kats und Bogart tuschelte. Sie hoben den Blick und drückten mir eine Karteikarte in die Hand. Auf die Karteikarte hatte man das eine oder andere drauf gekritzelt. Ich bemühte mich um eine Deutung.

Ein Raum mit zu vielen Menschen, ein unglücklicher Schweinekopf und ein Backstein auf Rädern, was wohl den Kombi meiner Mutter darstellen sollte, mit dem wir hierauf, zum Mond, gefahren sind.

Meine Augen suchten Hilfe, Beistand – irgendwas! Sie schauten sich an, nickten und schubsten mich sanft von meinem Stuhl Richtung Bühnenmitte. Ich schaute an mir herab und erblickte ein Mikrophon, Kostüm und Krawatte. Mein Lid zuckte. Angstschweiß perlte sich auf meiner Stirn, die im nervenzerrüttenden Mondglanz einer kurvigen Tanzfläche ähnelte. Ich räusperte mich. „Hallo.“, sagte ich ins Mikrophon. Ob meine dreißig Sekunden schon liefen?

„So, wie ich das verstehe, sind wir hier, weil es ein Problem gibt.“ Ich lockerte meine Krawatte.„Wir stecken nämlich alle knietief in der… Klemme.“ Ich betrachtete flüchtig die Karteikarte. „Wissen Sie, unsere Schweine sind unglücklich. Sie verbringen ein nicht eben angenehmes Leben, können sich persönlich kaum entfalten und werden zu allem Überfluss noch am Ende zum Frühstück serviert.“, ich legte eine Kunstpause von anderthalb Sekunden ein.

„Und was ist mit den Familien?! Die Familien passen gar nicht mehr in ihre Häuser! Es gibt keinen Platz mehr, die Leute leben zu dicht beieinander, und frühstücken wollen sie ja auch noch! – Und was ist überhaupt mit China!?“

„Dass sie deswegen zum Supermarkt müssen, das ist wohl klar. Ob online oder mit dem eigenen Metallgeschwür, die Autos stauen sich auf den Straßen und spucken Gift in einen Himmel, der alles mit sich machen lässt. Sich alles gefallen lässt.“ Meine dreißig Sekunden wären auf der Erde bereits viermal gelaufen, doch das Signal blieb stumm.

„Ich habe heute mit meinem Urenkel gesprochen, der vielleicht spätestens in fünfzig Jahren geboren werden sollte, vorausgesetzt, ich kriege irgendwann im Laufe der nächsten fünf Jahre Kinder, was wiederum die Notwendigkeit mit sich bringt, einen Partner zu haben, der diese Kinder für mich austrägt.“ Ich fühlte mich gut und irgendwie – irgendwie rechtschaffen!

„Ich habe ihm die Erde beschrieben, wie sie aus dem All sichtbar ist, in all ihrer Meeresbläue, ihrem Regenwaldgrün und dem unvergleichlichen Sahararotbraun.“ Ich deutete auf meinen Heimatplaneten, der aus dem Panoramafenster in makelloser Sichtbarkeit im sternenverhangenen Schwarz der ewigen Allnacht hing.

„Mir wollten die Tränen kommen, weil im Gesicht meines Urenkels nur Unverständnis stand. Unverständnis und die kalte Hand seines KI-Kindermädchens, das seine Wange knuffte, um Trost zu simulieren.“ Ich schrie jetzt beinah.

„Und wenn sie, die Urenkel, Fußball oder Fangen und Verstecken spielen wollen – ja, ganz einfachhin in der Nachbarschaft – dann müssen sie mit jenen VR-Brillen rumrennen, um das Harz in der Rinde eines Baums zu ertasten – das Leben, die Arbeit von Zellen in ihren Händen erfühlen!“ Ein nervöses Lachen entfuhr meinen Strichlippen, und ich bedachte mein Plenum mit einer Mischung aus Interesse und Verachtung. Wer waren diese, diese – diese Etwasse? Das ohrenbetäubende Geräusch ertönte und raubte mir die letzte Konzentration. Ha-Ha!

„Menschlich, allzumenschlich ist unser Versagen. Idioten sind wir aber nicht, oder?“

„Die Erde ist in der Tat rettungswürdig.“, quakte der Froschmensch.

„Naja, Eisbären wird‘s vielleicht auch nicht mehr geben…“, ergänzte Bogart schüchtern.

„Einen el luna latte psicodelico, bitte!“, verlangte Kats.

 

Guten Abend @Richard de Beauvoir,

Willkommen im Forum.
Kannst du bitte das Format in einen ganz normalen Fließtext umändern? Ich habe nur ungefähr das erste Drittel gelesen und empfand das schon als recht anstrengend. Also Leerzeilen und Zeilenumbrüche nur da, wo diese auch wirklich nötig sind.
Dann würde ich deinen Text wirklich gerne mal zu Ende lesen.

Viele Grüße
Murph

P.S. Ob die Simone da nicht ein Copywrite-Problem in deinem Namen sieht? ;)

 

Guten Abend @Richard de Beauvoir,

Willkommen im Forum.
Kannst du bitte das Format in einen ganz normalen Fließtext umändern? Ich habe nur ungefähr das erste Drittel gelesen und empfand das schon als recht anstrengend. Also Leerzeilen und Zeilenumbrüche nur da, wo diese auch wirklich nötig sind.
Dann würde ich deinen Text wirklich gerne mal zu Ende lesen.

Viele Grüße
Murph

P.S. Ob die Simone da nicht ein Copywrite-Problem in deinem Namen sieht? ;)

Vielen Dank.
Ich muss zugeben, die Abwesenheit einer Zeilabstandseinstellung macht die Textgestaltung eher weniger leserfreundlich.
Ich habe den Text nochmal bearbeitet: ist seine Lektüre nun erträglich?

Viele Grüße.

 

Hallo @Richard de Beauvoir,

bitte entschuldige, dass mein versprochener Kommentar zu deinem Text erst jetzt kommt. Bei mir ging das neue Semester los und ich hatte echt viel zu tun.
Du warst leider seit der Veröffentlichung nicht mehr online, aber wer weiß, ob es dich nochmal hierher verschlägt. Wünschenswert wäre es denn der Text hat mir ganz gut gefallen und damit sind wir auch schon bei meinem Kommentar.

Ich gehe nicht auf jede Einzelheit ein, aber dein Wortwahl ist extrem gut, auch wenn du manchmal ein bisschen zu viel willst. An manchen Stellen sehr gut bedacht und anderen eher unangebracht. Genauso ist der Satzbau manchmal extrem gut, aber dafür an trivialen Stellen oftmals eher schlecht.

Die Aussage deines Textes gefällt mir und du schaffst es, ihn in ein abstraktes aber nicht zu übertriebenes Setting zu setzen. @Rob F hat Recht, wenn er sagt, dass die Geschichte an die Anhalter-Bücher erinnert.
Das Lesen hat auf jeden Fall Spaß gemacht.

Alles in allem hoffe ich, du kommst mal wieder hier vorbei.

Viele Grüße
Murph

 

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