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Erinnerungen an meine Mutter

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08.08.2022
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Erinnerungen an meine Mutter

Ich erinnere mich, wie meine Mutter mir die Hände wusch. Zusammen standen wir im Badezimmer am Waschbecken. Ich auf einem Schemmel, denn nur so konnte ich den Wasserstrahl erreichen. Meine Mutter beugte sich über mich, gab mir einen flüchtigen Kuss aufs Haar und liess das Wasser so lange laufen, bis es eine angenehme Temperatur hatte. Nicht zu heiss, nicht zu kalt. Ich spürte ihren warmen Körper und diese Berührung war mir vertraut. Sie nahm die nach Rosen duftende Seife in die Hand und massierte meine kleinen Hände sanft und gründlich mit dem Schaum der Seife ein. «So, mein Schatz, jetzt spülst du die Hände, bis der Schaum ganz weg ist.», sagte sie lächelnd. Dann drehte sie mir den Rücken zu und nahm ein Frottiertuch aus dem Schrank. Ich fuhr mit der Hand so schnell unter dem Wasserstrahl hin und her, dass Wassertropfen in alle Richtungen spritzten. Innert kürzester Zeit waren nicht nur meine Hände, sondern auch mein Gesicht und der Pullover nass. Ich kicherte und meine Mutter schimpfte, als sie mir den Pullover auszog. Doch dann lachte sie mit mir, verstrubelte mein kurzes Haar und kniff mich liebevoll in die Pausbacken. Zusammen gingen wir aus dem Badezimmer, ich wie immer ununterbrochen plappernd.

Diese Erinnerung ist mir kostbar, denn kurze Zeit später starb meine Mutter. Von einem Moment zum anderen war sie weg und nicht nur sie, sondern auch mein Vater. Ich verstand damals nicht, weshalb so viele Menschen im Haus waren am Tag, als sie starb. Meine Tante nahm mich an der Hand. «Komm, gehen wir in dein Zimmer und spielen zusammen.», sagte sie und ich freute mich, denn sonst hatte sie nie Zeit, mit mir zu spielen. Als wir die Treppe hinaufgingen, sah ich meine Grossmutter, die auf dem Sofa im Wohnzimmer sass und weinte. Ich blieb stehen, denn es war das erste Mal, dass ich sie weinen sah. Ein Polizist, der mit anderen Polizisten ins Haus gekommen war, brachte ihr ein Glas Wasser. Er blickte zu mir herüber und schüttelte den Kopf. «Armes Kind!», hörte ich ihn murmeln.

An diesem Tag wusste ich nicht, dass ich meine Mutter nie mehr sehen werde, und diese Ahnungslosigkeit war ein Segen. Meinen Vater sah ich nur noch einmal, als meine Grossmutter mich mitnahm, um ihn im Gefängnis zu besuchen. Ich fand den Besuch unangenehm und verstörend, denn dieser für mich fremd gewordene, weinende Mann umarmte und küsste mich und flüsterte mir ins Ohr: «Es tut mir so leid, Kleines.» Viele Jahre später, als ich bereits erwachsen war, suchte er den Kontakt zu mir. Doch ich wollte nichts von ihm wissen. Ich hatte gelernt, ohne Eltern auszukommen.

Wenn ich jetzt an meine Mutter denke, stelle ich mir vor, wie ich ihre alt gewordenen Hände halte, die arthritisch verknorpelt und mit Altersflecken übersät sind. Wie ich für sie da bin, wie sie für mich da war, solange sie konnte. Vielleicht würde ich mit ihr spazieren gehen oder ihr im Haushalt helfen. Und wenn ich solche Gedanken habe, bedaure ich, dass wir die vielen kleinen und grossen Momente, die das Leben ausmachen, nicht haben teilen dürfen.

Ein Gedanke quält mich. Bis heute weiss ich nicht, ob sie einen schnellen Tod hatte oder leiden musste, denn ich habe mich nie getraut, danach zu fragen und jetzt gibt es niemanden mehr, der die Antwort darauf weiss. Also versuche ich, nicht daran zu denken, so wie ich dies bereits mein ganzes Leben gemacht habe.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Aida Selina,

hm, das ist natürlich traurig, was du hier erzählst, aber mich erreicht das nicht richtig, dafür ist es mir zu ungünstig gewichtet, zu kurz und zu oberflächlich.
Der Waschbeckenszene - für mich als Fremd-Leser eine eher gewöhnliche Alltagssituation - räumst du relativ viel Platz ein, und gewichtigere Ereignisse werden bloß kurz berichtmäßig abgehakt: Mutter plötzlich tot, unklar, wie; Vater nur noch ein Mal im Gefängnis gesehen; ohne Eltern aufgewachsen. Hm - das sind Dinge, die mich mehr interessiert hätten als die lange Waschbeckenszene.
Die Vorstellung, es der Mutter zu vergelten, wenn sie noch leben würde, finde ich dann ein schönes Rekurrieren auf den Anfang.
Und die Frage, ob sie leiden musste, ist dann noch so ein Anhang, weiß nicht, das gibt dann eine weitere bittere Note zum Schluss.
Anscheinend ist der Vater am Tod der Mutter beteiligt, aber darauf wird kaum eingegangen, mir jedenfalls zu wenig (Unfall? Streit?..).
Also es ist hier wohl die Frage, für wen der Text geschrieben wurde - ich denke, eher für den Autor selbst als für den Leser. Klingt so ein bisschen, als hätte der an diese Themen schon so oft gedacht, dass sie inzwischen "rundgeschliffen" und eigentlich nur noch Wiederholungen sind, und hier in Stichpunktform eher aus Gründen der Vollständigkeit aufgeführt werden. Für einen Fremd-Leser stellt sich das natürlich anders dar, der kennt das ja alles noch nicht..
Also für mich war's leider eher unbefriedigend.

Ein bisschen Kleinkram:

Ich auf einem Schemmel, denn nur so konnte ich den Wasserstrahl erreichen.
Schemel

mit dem Schaum der Seife ein. «So, mein Schatz, jetzt
Wörtl. Rede i.d.R. mit einer neuen Zeile anfangen

bis der Schaum ganz weg ist.», sagte sie
Bei solchen Konstruktionen fällt der Punkt innerhalb der wörtl. Rede weg

verstrubelte mein kurzes Haar
verstrubbelte

Zusammen gingen wir aus dem Badezimmer, ich wie immer ununterbrochen plappernd.
Das fand ich ungünstig, weil das hier am Ende der Szene quasi rückwirkend steht. Würde ich einfach früher einbauen.

An diesem Tag wusste ich nicht, dass ich meine Mutter nie mehr sehen werde,
würde

Meinen Vater sah ich nur noch einmal, als
Ich würde "ein Mal" schreiben, denn das soll ja betont werden

wie sie für mich da war, solange sie konnte.
"so lange", auch wegen Betonung

dass wir die vielen kleinen und grossen Momente, die das Leben ausmachen, nicht haben teilen dürfen.
"nicht teilen durften" (ich fände "kaum teilen durften" besser/präziser, denn z.B. das Waschbeckenereignis haben sie ja geteilt)

Viele Grüße
Maeuser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Aida Selina

Habe deine Geschichte gerne gelesen, trotz des nicht einfachen Themas. Wieso hat die Erzählerin genau diese Erinnerung an ihre Mutter, also das mit dem Händewaschen? Wieso hat das so ein Gewicht? Gibt es da nicht andere Dinge, die ihr geblieben sein könnten? Oder war das so einer der einzigen Momente, wo sie sich geborgen fühlte und wo sie auch zusammen mit ihrer Mutter lachen konnte, also sowas wie einen Moment der Unbeschwertheit geniessen? Sind es die Berührungen, die körperliche Nähe? Ich würde das noch etwas klarer machen. Für mich wurde das aus dem Text nicht ganz greifbar, wieso es das Händewaschen ist, mir fehlt's da an einem Detail oder zwei bzw. es müsste irgendwie spezifiziert werden, wieso das so ist. Weil das die letzte gute Erinnerung an sie ist, da sie 'kurze Zeit später' stirbt? Und was ist schon eine kurze Zeit, am selben Tag, in derselben Woche?

Ja, dann habe ich mich gefragt, wieso ist am selben Tag, als die Mutter stirbt, auch der Vater weg? Polizei im Haus und das alles, da dachte ich erst an einen Suizid oder so, aber es muss da doch was anderes gewesen sein, die Erzählerin besucht ihren Vater dann später im Gefängnis, also ist er an dem Tag in den Bau gewandert. Hat er die Mutter totgeschlagen? Wenn ja, wieso steht da nix von häuslicher Gewalt? Ist das nicht traumatisierend für ein Kind? Wieso bedrückt diese Situation die Erzählerin nicht, wieso verliert sie kein Wort darüber? Man(n) schlägt ja nicht einfach so jemanden tot, da muss es doch eine Vorgeschichte geben. Auch diesbezüglich scheint mir was im Text zu fehlen, zumindest eine Andeutung oder so. Vielleicht habe ich das aber auch falsch interpretiert ... Man kann ja auch Stellen offenlassen, damit der Leser selbst drauf kommt, aber es mutet mir etwas seltsam an, sowas Wichtiges einfach komplett auszuklammern.

Bis heute weiss ich nicht, ob sie einen schnellen Tod hatte oder leiden musste, denn ich habe mich nie getraut, danach zu fragen und jetzt gibt es niemanden mehr, der die Antwort darauf weiss.
Die Polizei hat das bestimmt irgendwo in ihren Akten und das könnte man als Angehörige rausfinden, wenn man wirklich wollte, oder? (ich kenne mich diesbezüglich aber auch null aus)

Kleinere Anmerkungen:

Zusammen standen wir im Badezimmer am Waschbecken.
'Wir standen im Badezimmer am Waschbecken' fände ich besser, es ist klar, dass sie dort 'zusammen' stehen.

Ich auf einem Schemmel, denn nur so konnte ich den Wasserstrahl erreichen.
Füllwort, dass Du streichen könntest.

«So, mein Schatz, jetzt spülst du die Hände, bis der Schaum ganz weg ist.», sagte sie lächelnd.
Kein Punkt nach 'ist'. Dasselbe hier:
«Komm, gehen wir in dein Zimmer und spielen zusammen.», sagte sie und ich freute mich
Kein Punkt nach 'zusammen'.

An diesem Tag wusste ich nicht, dass ich meine Mutter nie mehr sehen werde, und diese Ahnungslosigkeit war ein Segen.
Bin ich mir gerade nicht sicher, aber glaube, es müsste 'würde' anstelle 'werde' heissen.

Du merkst schon, so ganz überzeugen konntest Du mich nicht, aber trotzdem: Danke für die Geschichte!

So long,
d-m

p.s.: Da war jemand schneller als ich, hoffe, es doppelt sich nicht zu sehr.

 

Innert kürzester Zeit waren nicht nur meine Hände, sondern auch mein Gesicht und der Pullover nass.
...
Ein Polizist, der mit anderen Polizisten ins Haus gekommen war, brachte ihr ein Glas Wasser.
Warum stell ich diese Zitate an den Anfang,

liebe Aida Selina -

zum einen meine ich, dass Du das süddeutsche Sprachelement ruhig häufiger verwenden darfst oder besser, solltest, und der Polizist Symbolträger des Wassers ist, denn es ist nicht nur gebräuchlich wegen der Körperhygiene, sondern weil Wasser DAS Symbol des Lebens schlechthin ist (ohne Wasser, kein Leben) nebst der symbolischen Reinwaschung, so lange es fließt, lebt es und alles was da kreucht und fleucht und wächst und gedeiht, doch wenn es steht, verfault, verdunstet oder versiegt es.
Da wird die Figur des Vaters im Gefängnis zur denkwürdigen Figur, dass er etwas mit dem frühen Tod (und in der Folge eine Großmutter als Mutterersatz erzwingt) haben könnte ...

Bissken Flusenlese

Ich auf einem Schemmel, denn …

... nahm die nach Rosen duftende Seife in die Hand und massierte meine kleinen Hände sanft und gründlich mit dem Schaum der Seife ein.
Wo soll der Schaum sonst herkommen?

So, mein Schatz, jetzt spülst du die Hände, bis der Schaum ganz weg ist[...]», sagte sie lächelnd.

Ein Gedanke quält mich. Bis heute weiss ich nicht, ob sie einen schnellen Tod hatte oder leiden musste, denn ich habe mich nie getraut, danach zu fragenKOMMA und jetzt gibt es niemanden mehr, der …
Warum das Komma?
Weil der Infinitivsatz m. E. ein „verschwiegener“ vollständiger Satz ist, denn das „danach“ steht stellvertretend für die Frage, „ob sie einen schnellen Tod hatte“, vor allem aber das "und" nicht den besagten Infinitiv ergänzt, sondern einen dritten Hauptsatz an den Absatz anfügt,

und weil ich gerade nicht parat hab, ob wir uns schon einmal begegnet sind, und schaden kann ein

herzlich willkommen hierorts!
auf keinen Fall.

Friedel

 

Hallo @Aida Selina ,

ich finde deine Geschichte interessant. Es wird mehr verschwiegen, als erzählt. Der Erzählton ist bedächtig, zuweilen fast steif und ich finde, das passt zu einer Erzählerin, die so etwas erlebt hat. Ich spüre da ein Bemühen, das Erlebte zu ordnen, einzuordnen, ohne allzuviel zu fühlen.
Die Anfangsszene ist so ausführlich beschrieben, dass es auf mich so wirkt, als habe die Erzählerin diese Szene immer weiter für sich ausgeschmückt. Möglicherweise ist sie sogar in der Beziehung eher unzuverlässig als Erzählerin. Jedenfalls ist es gut denkbar, dass sie kaum Erinnerungen aus der Zeit vor der Tat hat. Und es ist eben diese Erinnerung einer liebevollen Szene, die geblieben ist und der Erzählerin später dabei hilft zu überleben, das Bild der Mutter für sich zu bewahren.
Schön finde auch diesen Moment der "Unartigkeit" und die Reaktion der Mutter, auch wertvoll als Erinnerung und vielleicht auch als Schutz gegen die möglichen Schuldgefühle des Kindes. Da ist was sehr Ideales fast schon Kitschiges drin in dieser Szene und dann folgt der Tod der Mutter, der sich als Mord durch den Vater herausstellt.

«So, mein Schatz, jetzt spülst du die Hände, bis der Schaum ganz weg ist.», sagte sie lächelnd.
Der Punkt innerhalb der gesprochenen Rede müsste weg.
verstrubelte mein kurzes Haar und
verstrubbelte
Wenn ich jetzt an meine Mutter denke, stelle ich mir vor, wie ich ihre alt gewordenen Hände halte, die arthritisch verknorpelt und mit Altersflecken übersät sind. Wie ich für sie da bin, wie sie für mich da war, solange sie konnte. Vielleicht würde ich mit ihr spazieren gehen oder ihr im Haushalt helfen. Und wenn ich solche Gedanken habe, bedaure ich, dass wir die vielen kleinen und grossen Momente, die das Leben ausmachen, nicht haben teilen dürfen.
Schön, wie du das Thema mit den Händen hier noch einmal aufgreifst, ein weiteres Sehnsuchtsbild. Der Begriff "bedaure ich" ist extrem zurückgenommen für das was da wirklich in ihr vorgehen muss. Ich kenne eine junge Frau, die ähnliches erlebt hat und irgendwie finde ich diese Sprechweise da wieder. Fast, als wolle sie das Entsetzen in den Augen der Zuhörenden vermeiden. Vielleicht wäre es eine Idee, dem Ganzen einen Rahmen zu geben. Wem erzählt sie das, oder für wen schreibt sie das auf?
Viele Jahre später, als ich bereits erwachsen war, suchte er den Kontakt zu mir. Doch ich wollte nichts von ihm wissen. Ich hatte gelernt, ohne Eltern auszukommen.
Das ist die Begründung, die sie sich erzählt, die erträglich ist.
Ein Gedanke quält mich. Bis heute weiss ich nicht, ob sie einen schnellen Tod hatte oder leiden musste, denn ich habe mich nie getraut, danach zu fragen und jetzt gibt es niemanden mehr, der die Antwort darauf weiss. Also versuche ich, nicht daran zu denken, so wie ich dies bereits mein ganzes Leben gemacht habe.
Und das ist für mich das Thema deiner Geschichte. Der Wunsch etwas zu berichten, aber der Schmerz dahinter ist so groß, dass es sicherer ist, das Thema zu vermeiden. Der Wunsch, die Wahrheit zu wissen und die Angst davor, das bisschen Gleichgewicht, dass da ist, auch noch zu verlieren. Da bleibt eine Riesenleerstelle in diesem Leben und es könnte interessant sein, diese Erzählerin in ihrem Alltag zu sehen, wie sie um diese tiefe Verletzung "herumlebt".

So als Kürzestgeschichte ist das für mich erstmal rund.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Aida Selina!
So ist es mit der Erinnerung: entweder bleiben uns die besonders schlimmen, oder die besonders schönen Momente im Gedächtnis.
Deine Geschichte wirkt auf mich, als könne die Protagonistin kaum über ihr inneres Erleben sprechen, als halte sie sich an der Waschszene fest, weil ein tieferes Erforschen unmöglich ist. Diese liebevolle Erinnerung an die Mutter mag eine Kostbarkeit sein. Verständlich, aber mehr als diese Verstehen löst es bei mir nicht aus.
Wenn Verdrängen der wichtigste Abwehrmechanismus ist, warum bekommen wir dann dies als Geschichte mitgeteilt? Warum geht sie den Dingen nicht auf den Grund?
Sollen wir Leserinnen nicht erfahren, was mit dem Vater los ist?
Erzählt sie/er die Geschichte im Grunde nur sich selbst?
Oder bin ich einfach zu neugierig und will die Geschichte hinter der Miniatur kennen??
Kann sein, liebe Grüße,
Jutta

 

Hallo @Aida Selina ,


Ihr Schweizer ...

ist.», sagte
und spielen zusammen.», sagte sie

jeweils Punkt weg

Finde die Beschreibungen solide. Ist eine traurige Geschichte, die mir eher berichtend erzählt wird. So ganz funktioniert das für mich nicht. Es ist einfach so eine Schilderung. Sehr traurig natürlich, aber es fehlt mir was. Eine Stringenz, eine Handlung, eine Wendung vielleicht – alles, was dem mehr Pointiertheit verleihen würde. Das nur als kurze Rückmeldung.

Viele Grüße
Carlo

 

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