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Erinnerungen
Erinnerungen
Gestresst eilte sie durch den vollen Supermarkt. Schnell noch die Einkäufe erledigen, bevor sie Lena abholen musste.
“Jenny?” Sie erkannte die Stimme sofort und wurde nervös.
Jenny, so hatte sie schon lange niemand mehr genannt. All die Erinnerungen kamen wieder hoch. Sie hatte immer gewusst, dass dieser Moment kommen würde, dass sie ihn eines Tages völlig unerwartet und zufällig treffen würde. Trotzdem war sie nicht darauf vorbereitet, sie hatte ihn sehen wollen, hatte sich nach ihm gesehnt, aber hatte es nie gewagt ihn zu suchen, warum wusste sie selbst nicht so genau. Am liebsten wäre sie plötzlich unsichtbar geworden. Stattdessen drehte sie sich langsam um und sah sich dem Mann gegenüber, nach dem sie sich so viele Jahre gesehnt hatte, mit dem sie in ihren Träumen glücklich war.
Sie lächelte unsicher. “Hallo Tom.”
“Jenny!”, rief er freudig. “Was machst du denn hier? Wie geht’s dir?”
“Ich wohne wieder hier. Das Heimweh hat mich nie ganz losgelassen, also bin ich vor ein paar Jahren zurück gekommen. Wir haben uns ja bestimmt 15 Jahre nicht gesehen! Wie geht’s dir denn? Was machst du?" Sie lachte nervös.
Er sah auf einmal etwas verlegen aus, als wüsste er nicht, was er antworten sollte. “Also ich hab‘ noch denselben Job. Hab’ ein Haus gekauft, in der Nähe wo ich früher gewohnt hab, weißt du? Nah am Strand.”
“Bist du verheiratet? Hast du Kinder?”
Er schüttelte den Kopf. “Eine Freundin, aber nix Ernstes. Und du?”
Während sie ihm erzählte, dass sie zwei kleine Töchter hatte und sich kürzlich von ihrem Mann getrennt hatte, musterte sie ihn. Er trug noch die gleichen T-Shirts mit albernen Sprüchen darauf wie mit 18. Die hatte sie noch nie gemocht. Jeans und Turnschuhe, die lässig ungeschnürt waren. “Nicht wie ein Mann seines Alters”, dachte sie unwillkürlich.
Sie selbst hatte eine dunkle Jeans, Lederstiefelletten und eine grüne Bluse an; nicht zu schick, aber durchaus vorzeigbar und meist angemessen.
Dass er ihr etwas erzählte, nahm sie kaum wahr. Ihre Gedanken rasten. “Das soll der Mann sein, nach dem ich solche Sehnsucht hatte? Deswegen setze ich meine Ehe aufs Spiel? Weil ich diese fixe Idee im Kopf habe, dass ich mit ihm glücklicher sein könnte? Das kann es nicht sein.” Er riss sie aus ihren Gedanken, genau in dem Moment, in dem sie ihren Entschluss fasste. “Wollen wir uns demnächst mal treffen? Wir könnten vielleicht ins Kino gehen, so wie damals...”
Verwirrt schaute sie ihn an. “Fragst du mich nach einem Date?” Er nickte stumm und lächelte hoffnungsvoll.
Es fiel ihr fast schwer nicht loszulachen. Aber stattdessen umarmte sie ihn kurz, lächelte und sagte: “Weißt du Tom, wir hatten eine schöne Zeit zusammen, aber das ist über 15 Jahre her. Ich hab mich verändert und es würde nichts bringen.”
Er sah niedergeschlagen aus, fast so traurig wie damals, als sie in die andere Stadt gezogen war und sie sich trennen mussten. Sie küsste ihn auf die Wange, verabschiedete sich schnell und ging. Den Einkaufswagen ließ sie einfach stehen.
Als sie im Auto saß, brach sie in Tränen aus.
Sie weinte um die verlorenen Jahre mit ihrem Mann, die sie zwar mit ihm verbracht, aber viel zu oft an Tom gedacht hatte. Sie weinte um ihre Ehe, die fast daran zerbrochen wäre, dass sie sich in den Kopf gesetzt hatte, mit ihrer Jugendliebe glücklicher sein zu können. Sie weinte um Tom, der so hilflos wirkte und sich, im Gegensatz zu ihr, überhaupt nicht verändert hatte seitdem sie beide 18 gewesen waren.
Und sie weinte um ihre Jugendliebe, die sie erst jetzt als das annehmen konnte, was davon übrig geblieben war, bittersüße Erinnerungen und nicht mehr.
Als sie sich beruhigt hatte, rief sie ihren Mann an. “Robert, bitte komm nach Hause, ich vermiss' dich.”