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Erwachen der Engel
Susan warf einen letzten Blick in den Spiegel im Bad, um ihre Frisur zu kontrollieren und musste stocken. Überrascht besah sie sich von oben bis unten: Blonde, lockige Haare, die ihr nicht ganz bis zur Schulter reichten. Perfekte Augenbrauen, die ihre außergewöhnlich schönen, blauen Augen zur Geltung brachten. Eine süße Stupsnase und einen verführerisch süßen Mund, der, wie sie fand, unheimlich zum Küssen anregte. Zwei natürliche, wohlgeformte Brüste, eine schlanke Taille, ein knackiger Hintern und die glattesten Beine in ganz New York. Jedenfalls war sie davon überzeugt.
Oh Mann, seh' ich gut aus! Gar nicht schlecht, Baby!, dachte sie. Sie war extrem gut gelaunt, woran ihr Freund Nicolas sicherlich nicht unbeteiligt war. Die letzte Nacht war einfach unbeschreiblich gewesen.
Ja ja, die Bienchen und die... Ähm... Naja... Egal! Sie warf ihren Kopf hin und her um ihre Gedanken abzuschütteln. Du bist ein böses Mädchen! Konzentriere dich! Denk an deine Arbeit! Sie schaute auf die Uhr, bekam einen leichten Schock und nahm hastig ihr Namensschild, das sie sich auch sogleich an die Brust heftete:
In der Klinik zog sie sich erstmal in Ruhe ihre Arztklamotten an. Sie war etwas spät dran und musste sich so allein umziehen. Die Nachtschicht war bestimmt schon weg.
Jetzt wo sie ein wenig Zeit zum Nachdenken hatte, da überkam sie ein seltsames Gefühl. Irgendwas war anders als sonst. Sie konnte nicht erklären was, aber irgendetwas stimmte nicht. Sie sah sich um. Der Raum war derselbe. Hatte sie etwa irgend etwas vergessen? Geschockt tastete sie sich ab: Der Schlüssel? In der Hosentasche. Das Handy? Zuhause gelassen. Hier im Krankenhaus verboten. Aber sie hatte ja den Pieper. Sie tastete sich von oben bis unten ab, überprüfte alles, was sie vergessen haben könnte. Aber sie fand nichts, was anders als sonst wäre. Das komische Gefühl jedoch blieb.
Die Tür flog auf und eine ihrer Kolleginnen kam herein, in der Hand ein Klemmbrett mit einigen Formularen und Zetteln darauf: "Ah, hier steckst du! Guten Morgen erst einmal!"
Susan stand auf: "Ja, guten Morgen! Gibt's was Neues?" Ihre Kollegin nickte und blätterte auf ihrem Klemmbrett herum. "Ja, wir hatten eine Reanimierung bei dem Miller. Er hat seine tägliche Dosis nicht bekommen und erlitt einen Herzstillstand, heute Nacht um drei."
"Oh, wie konnte das passieren?"
"Nun, Tom hat es wohl einfach vergessen. Jetzt sitzt er da in der Kantine und ist am Boden zerstört. Im Moment ist der unzurechnungsfähig. Als er vorhin ankam und das mit Miller gehört hat, ist er fast zusammengebrochen."
"Braucht er..."
"Nein, David ist bei ihm!"
"Oh, okay. Aber der sollte sich wohl besser nach 'nem neuen Job umsehen, wenn der jetzt schon total fertig ist. Was macht der, wenn er seinen ersten Todesfall hat?"
Ihre Kollegin zuckte nur mit den Schultern: "Kannst es ihm ja mal vorschlagen! So, dann ist noch ein Neuer eingeliefert worden. Fioni sein Name. 'n Italiener. Hat 'ne Rückenfraktur. Am besten du schaust nachher mal vorbei! Alles Andere ist soweit alles ruhig verlaufen."
"Okay, danke!"
Susan nahm ihr das Klemmbrett aus der Hand und ging auf den Flur hinaus. Ihre Kollegin hatte nun Schichtende und konnte nach Hause.
Flüchtig überflog sie die Liste ganz oben auf dem Klemmbrett: An erster Stelle stand eine Kontrolle bei Tompson. Das ging schnell, nur eben die Werte überprüfen. Dann kam auch schon ihre erste Operation dieses Tages.
Eine Viertelstunde später betrat sie den Operationsraum. Vier Schwestern und ein assistierender Arzt warteten hier, allesamt in den vertrauten grünen Kitteln mit Kopf- und Mundschutz, und nicht zu vergessen, blass gelben Gummihandschuhen.
Der Patient, Dikinsen, war bereits unter Narkose und bereit, um aufgeschnitten zu werden. Er hatte einen Tumor am Magen, allerdings nichts wirklich Ernstes. Bei einer guten Ärztin wie Susan es eine war, bestand keinerlei Gefahr.
"Guten Morgen allerseits! Können wir anfangen?" Alle erwiderten ihre Begrüßung mit einem freundlichen Nicken. "Es kann losgehen, wir haben nur auf dich gewartet!"
"Oh, okay, dann mal los."
Sie trat an den OP-Tisch heran. Eine der Schwestern tupfte die Bauchdecke mit einem Desinfektionsmittel ab. Susan legte eine Hand auf den Bauch ihres Patienten und griff mit der anderen nach dem Skalpell. Doch genau in dem Moment, da sie den Bauch berührte ging der Alarm los: Pieeeeeeeeee...
Susan sah erschrocken hoch: "Was... Was ist denn jetzt?..."
"Herzstillstand! Wir müssen reanimieren!"
"A-aber... Aber das ist unmöglich! Wir haben doch noch gar nichts gemacht, wie kann er da einen Stillstand haben?"
Sie nahm ihre Hand weg und positionierte sich über dem Brustkorb um eine Herzmassage durchzuführen. Im selben Moment: ...ieeeeeeeeeep... Pieeeep... Pieeeep... Pieeeep...
"Er ist wieder da!" rief die Schwester, die seine Werte überwachte. "Herzfrequenz normal."
Susan sah nun ziemlich verwirrt drein: "Also... Das ist ja... Sind die Geräte in Ordnung?"
Sie schüttelte verständnislos den Kopf und nahm wieder das Messer in die Hand um sich wieder der eigentlichen Sache zu widmen.
Doch als sie den Körper berührte, begann das ganze Chaos von vorne. Ein ohrenbetäubender Alarm ging los und Susan zog erschrocken ihre Finger zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Nur dieses Mal hörte der Alarm nicht auf.
Panik stieg in ihr auf. "Was zum..." Sofort schmiss sie das Messer weg und überprüfte den Puls: Nichts. Die Geräte waren scheinbar in Ordnung. Sie begann mit der Herzmassage. Es tat sich nichts.
Bald herrschte ein reges Chaos im Operationssaal. Alle redeten verängstigt durcheinander und die Herzmassage brachte gar nichts. Auch das Wiederbeleben mit dem Defibrillator verlief erfolglos.
Fast schon drei Minuten, und er war immer noch ohne Puls. Noch einmal versuchte sich Susan an einer Herzmassage und als sie den Blick des assistierenden Arztes suchte und so aufblickte, erstarrte sie.
Da stand ein Mann mitten im Raum, ein Afroamerikaner. Sie hatte ihn noch nie gesehen, aber er gehörte hier definitiv nicht hin. Er stand da in seinem schwarzen Anzug mit seiner weißen Krawatte genau zwischen dem Arzt und einer der Krankenschwestern, die Susan assistierten. Er stand da nur reglos und starrte sie an, genau in die Augen blickte er ihr, das spürte sie. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Ihr war dieser Mann unheimlich. Von einer Sekunde auf die andere war er aufgetaucht und stand da nun und gaffte sie starr an, wie ein Toter, während ihr der Patient unter den Händen wegstarb.
Nein!, dachte sie. Nein, nicht mit mir! Bei ihr war noch nie ein Patient gestorben und sie war nicht erst seit kurzem Ärztin. Trotz ihrer jungen siebenundzwanzig Jahre war sie die beste Ärztin in diesem Krankenhaus. Selbst der Leiter der Einrichtung, der selber hier noch operierte, hatte sie gelobt, obwohl jeder sehr gut wusste, dass er außergewöhnlich kritisch war.
Aber wer war dieser verdammte Mann dort? Sie überkam ein Schwall von Verzweiflung, dann von Wut.
Sie blickte auf und sah dem Mann direkt in sein schwarzes Afroamerikanergesicht: "Verdammt, wer sind Sie? Was haben Sie hier im OP verloren?"
Ihr assistierender Kollege und die Schwester rechts neben ihm drehten sich um und sahen geradewegs an dem Mann vorbei. Dann tauschten sie einen verwirrten Blick aus und sahen wieder Susan an. Die Schwester sprach: "Sue, mit wem redest du?" Susan stockte. Sie starrte die Schwester ihr gegenüber mit offenem Mund an: "Ja... Da! Der Mann... Was hat der hier zu suchen?" Sie deutete zwischen ihr Gegenüber und den Arzt.
Alle fünf Blicke in diesem Raum folgten dem ihren. Alle starrten scheinbar in die Leere. Als sie dann alle Susan anstarrten konnte sie nur Verständnislosigkeit in ihren Augen sehen. Verständnislosigkeit und ein bisschen Sorge.
Susan blickte wieder zu dem Mann, der sie bis jetzt immer nur starr angesehen hatte. Mit fester und ernster Mine, scheinbar versteinert.
Seine schwarze Haut zog sich glatt über seine hohlen Wangenknochen. Seine Haare waren sehr kurz, stoppelig. Seine Augen schwarz oder zumindest sehr dunkelbraun.
Nun endlich bewegte er sich. Er ließ seinen Blick ganz langsam zu dem pulslosen Patienten wandern und dann ganz langsam wieder zu Susan. Langsam erhob er seine Hand und deutete auf die Tür. Ohne eine Reaktion Susans abzuwarten schritt er in langsamen und lautlosen Schritten hinaus.
Plötzlich nahm Susan wieder das nervenzerreißende Piepen war, das den Tod des Patienten ankündigte. Sie wurde fast wahnsinnig unter diesem Geräusch und den Blicken der anderen.
Sie riss sich den Mundschutz herunter und rannte Richtung Tür: "Ich... Ich muss hier raus!" Sie spürte die Blicke der anderen wie Nadelstiche im Nacken.
Das Letzte was sie wahrnahm, als sie durch die Tür eilte, war das unglaubliche Wiederkehren des Pulses des Patienten: Ein normales gleichmäßiges Piepen mit kurzen Unterbrechungen nach immer der gleichen Zeit. Ein Musterpuls. Aber es war ihr egal. Sie wollte einfach nur weg hier. An die frische Luft. Ihr wurde ganz übel.
Keine zwei Minuten später fand sie sich im Innenhof wieder, ohne zu wissen wie sie da eigentlich hingekommen war. Ihr gingen nur ständig die Bilder von diesem unheimlichen Mann durch den Kopf.
Sie rannte zur Mauer am Teich und stützte sich dagegen um ihren hochkommenden Tränen freien Lauf zu lassen. Schnell und heiß kullerten sie ihr die Wange herunter und landeten im Teich.
Lange stand sie da so, bis sie sich wieder gefangen hatte und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
Sie wollte gerade zurück ins Gebäude und drehte sich um, aber ihr stand ein Mann im Weg, genau vor ihr. Sie stieß einen erstickten Schrei aus, als sie den Mann erkannte: Es war genau derselbe schwarze Mann aus dem OP-Saal, der Mann mit seinem schwarzen Anzug und der weißen Krawatte, der sie wieder nur reglos in die Augen starrte.
"Wer sind Sie und was wollen Sie?", schrie sie ihn an.
Er berührte sie mit seinen ausgestreckten Fingerspitzen an der Stirn, ohne dass sie sich hätte wehren können, und ihr wurde plötzlich ganz warm und wohlig ums Herz und alle Sorgen fielen von ihr ab, bis auf eine.
Sie lehnte sich zurück gegen die kleine Mauer und sah ihn nun ganz ruhig an: "Wer bist du?"
Endlich öffnete er seinen Mund. Aus ihm sprach eine so warme Stimme, wie sie sich Susan nur hätte vorstellen können: "Mein Name ist Izaron und ich bin gekommen um dich abzuholen."
Susan starrte ihn nur an. Dann musste sie lächeln: "Was bist du? Der Tod oder so?"
"Nein, sicher nicht! Das Schicksal hat was ganz anderes mit dir vor."
"Pah! Das Schicksal... Was ist das schon? Ich glaube nur an das, was ich sehen und anfassen kann!"
"Nun, sehen und anfassen kannst du mich... Wenn du dich nur traust! Und ich bin eine Schöpfung des Schicksals... Genauso wie du!"
Susan sah ihn verständnislos an. Er fuhr fort:
"Das Schicksal setzt sich zusammen aus dem reinen Guten, dem absolut Neutralen und dem abgrundtief Bösen. Das Schicksal sind Gott, der Tod und der Eine selbst. Das Schicksal ist das Gleichgewicht."
Susan war sprachlos.
Erst nach einer weiteren Minute gegenseitigen starren Anblickens fand Susan wieder ihre Sprache zurück: "U-und wer bist du jetzt?"
"Ich bin Izaron, zehnter Weltenführer des Lichts."
Susan verdrehte die Augen: "Na toll, und was heißt das jetzt genau?"
"Ich helfe neu entdeckten Engeln den Weg zu finden. Du, Susan, bist ein Engel! Ich bin gekommen um dir den Weg in die Welt der Engel zu weisen."
"Ein Engel?... Also, nur damit ich Sie richtig verstehe, ich bin ein Engel und Sie wollen mich in eine andere Welt bringen?... He... Sie sind ja verrückt!"
Izaron starrte sie nur weiterhin an. Dann ganz plötzlich war er verschwunden. Dann auf einmal stand er neben ihr, dann zehn Meter vor ihr, dann plötzlich genau vor ihr.
Schließlich wechselte er seinen Standpunkt auf dem Platz im Innenhof so schnell, dass Susan ihn immer nur auf blitzen und wieder verschwinden sah. Und all das ohne sich zu bewegen. Egal, wo er stand, hatte er immer dieselbe Körperhaltung und starrte ihr immer genau in die Augen. Dann stand er plötzlich wieder ein paar Zentimeter vor ihr und rührte sich nicht.
"War das Beweis genug oder willst du noch mehr?"
Hast du dich noch gar nicht gefragt, warum deine Kollegen mich vorhin im OP-Saal nicht sehen konnten, du aber wohl?
Der letzte Satz war ihr wie ein Gedanke durch den Kopf geblitzt. Izaron hatte seine Lippen dazu nicht bewegt und der Gedanke war auch eindeutig nicht der ihre gewesen. Schon wieder zuckte ihr ein fremder Gedanke durch den Kopf:
Oder warum ich deine Gedanken lesen kann, beziehungsweise ich dir meine einpflanzen?
Sie starrte ihn auf ein Neues mit offenen Mund an:
"Geh aus meinem Kopf raus!"
"Glaubst du mir nun, dass ich ein Engel bin und den Auftrag habe dich abzuholen?"
"Was bleibt mir anderes übrig? Erklär' mir nur eins: Warum hat er vorhin einen Herzstillstand bekommen, als ich ihn berührt habe?"
"Das ist einfach. Normalerweise haben Engel ihre Fähigkeiten von Anfang an. Manchmal, aber eher selten, übersehen wir diese so genannten Anwärter. Manchmal kommt es dann vor, dass sie wiederum ihre Fähigkeiten übersehen. Das passiert wenn sie sich selbst nicht gut kennen.
Manchmal jedoch finden sie heraus, dass sie eine oder mehrere besondere Fähigkeiten haben. In den meisten Fällen werden sie dann zu den wenigen Menschen auf der Erde, die übernatürliche Kräfte besitzen. Das kann sowohl gut als auch schlecht sein.
Das geht dann solange, bis wir sie dann doch finden und zu Engeln machen. Finden wir sie aber nicht, dann sterben sie wie gewöhnliche Menschen. Finden wir sie erst dann, wenn sie zu alt für einen Engel sind, dann werden sie zu einem so genannten Wächter. Die Wächter bewahren die Magie hier auf der Erde.
Davon mal abgesehen, gibt es auch neugeborene Engelsanwärter, die so was wie Spätentwickler sind, wo wir zu deinem Fall kommen.
Wenn wir sie finden, dann können das Spätentwickler sein oder nicht, das spielt keine Rolle.
Wir sorgen dafür dass sie ihre Fähigkeiten umgehend erhalten. Nun müssen sie nur noch damit umgehen lernen... Aber egal. Du bist also einer dieser ungefundenen Spätentwickler. Und zwar hat die Umwandlung wahrscheinlich heute Nacht stattgefunden. Wir vermuten der Auslöser war der schönste Moment, den du seit langem hattest: Der Sex mit deinem Freund."
Susan wurde knallrot: "Ihr... Ihr habt mich doch nicht etwa beobachtet?"
"Nein, keine Angst! Dein Schutzengel hat das Zimmer verlassen!" Er grinste.
"Mein Schutzengel?"
"Dein Schutzengel. Er war es auch, der entdeckte, dass du das Gen besitzt. Daraufhin hat er umgehend mich gerufen. Und den Rest kennst du selbst."
"Ja, du bist von einer Sekunde auf die andere mitten in der OP aufgetaucht und hast mich zu Tode erschreckt und dann auch noch lächerlich gemacht."
"Das habe ich nicht gewollt! Aber ich musste auch an den guten Jonathon Dikinsen denken, dessen Zeit eigentlich noch nicht abgelaufen ist!"
Wieder wurde Susan rot.
"Nun, deine Fähigkeit hat sich noch nicht richtig entwickelt. Statt einen Herzstillstand zu vermeiden oder einen Toten wieder zu beleben, indem ein Engel ihm die Hand auflegt und so seinen Puls nach den Vorstellungen des Engels steuert, hast du den Puls einfach ganz abgestellt.
Das ist nicht weiter schlimm. Es war ja nicht extra und selbst wenn hättest du trotzdem nichts dafür gekonnt, da du deine Fähigkeit einfach nicht unter Kontrolle hast. Und Hirnschäden hat er auch nicht davongetragen."
Susan stutzte: "E-er... Nicht?... A-aber er war insgesammt fast zehn Minuten ohne Sauerstoff. Er müsste schwer behindert sein."
"Ich habe dafür gesorgt, dass diese kleine Aktion keinerlei Auswirkungen auf ihn haben wird."
Susan atmete erleichtert auf.
"Und nun komm! Gib mir deine Hand!" Er streckte ihr die Hand entgegen.
Sie zögerte: "Du... Du kommst hier an und erwartest von mir, dass ich jetzt sofort alles aufgebe, um ein Engel zu werden, das läuft so nicht!"
"Aber wer spricht denn davon, das du sofort alles aufgibst? Erst einmal wirst du ein Schüler, das heißt du lernst deine Fähigkeiten auszuprägen und zu kontrollieren. Dann wird überlegt, für welche Aufgabe du geeignet bist: Schutzengel, Weltenführer, so wie ich, Erzengel, und so weiter...
Und in dieser Zeit kannst du weiter hier unten leben wie du es willst. Selbst wenn dein Leben hier unten total verplant ist, so gibt es immer noch eine Möglichkeit, wie du deine beider Leben ohne weitere Probleme gleichzeitig und ganz in Ruhe leben kannst, aber dazu später. Und dann kannst du dich irgendwann mal dazu entschließen einen anspruchsvolleren Beruf zu wählen, der mehr erfordert. Ein Seelenretter zum Beispiel. Dann müsstest du dein Privatleben auf der Erde allerdings aufgeben."
Susan versuchte angestrengt, alle Informationen gleichzeitig in sich aufzusaugen, ohne was zu vergessen.
"Und ich könnte wirklich ein Erzengel werden? Ein Erzengel ist doch der, der in den Kampf gegen die Hölle zieht, oder? Gibt es denn viele andere weibliche Erzengel? Das passt so gar nicht ins katholische Weltbild..."
"Es gibt keine weiblichen Erzengel, was aber einzig und allein daran liegt, dass es bisher noch keine gewollt hat. Theoretisch könntest du der erste weibliche Erzengel werden."
"Cool! Aber eigentlich will ich das auch nicht.
Ich habe so viele Fragen! Er, zum Beispiel”, sie deutete gen Himmel, “ich meine, wenn es Engel gibt, dann muss es doch auch... Hast du schon mit ihm gesprochen?"
"Später!"
"Okay... A-aber meine Eltern, das kannst du mir doch erzählen! Waren die auch...?"
"Nein! Das Engelsgen wird wahllos unter den Menschen verteilt und hat keine Bedeutung für Vererbungen und solche Dinge."
"Aha... Und... Und der Himmel? Wie sieht der aus?"
"Das wirst du sehen, Susan, das wirst du sehen!"