Erwachen
Das beängstigende Gefühl in einem Traum zu leben – alles nur Illusion, eine Kreation des Willens, alles nur ein Gedanke, dieses Gefühl es zieht sich durch mein ganzes bisheriges Leben, wie eine Blutspur verursacht durch die inneren Schmerzen, die es initiiert hatte. Was wenn ich eines Tages aufwachte, alles wäre nur ein Traum gewesen, alle Erinnerungen nur Illusionen, ein Trugbild? Der Gedanke allein lehrte mich das Fürchten, auch wenn ich gestehen muss in manch unangenehmen Moment meines Lebens, und diese waren wahrlich zahlreich, mir gewünscht zu haben, einfach aufzuwachen aus diesem Traum, ohne mir aber über die wahre Tragweite dieses, aus einer Angst hinaus, nur gedachten Wunsches bewusst zu sein.
Im nachhinein kann ich mir ein müdes Grinsen nicht verkneifen, meine Vorstellung vom Aufwachen aus dem Traum des Lebens war kindlich, ja geprägt durch amerikanische Sci-Fi Filme, Opfer der vom Willen die Gedanken zu kontrollieren besessenen, fanatischen US-Imperialisten. Es war anders, vergleichbar mit dem Gefühl, wie es manch einen beim Gebrauch von weichen Drogen überkommt; sich selbst mit mehr Distanz betrachten, sich selbst aus der dritten Person sehen. Ja, es war ein die Welt aus einem neuen Blickwinkel sehen. Aber ich fange besser mit dem erzählen von vorne an:
Es war wieder einer dieser Lebensabschnitte, die sich qualvoll monoton gestalten, es war wie immer, ständig in Angst vor weltenweitem Terror und den imperialistischen Plänen des zionistischen Amerika, hoffte man nur dass diese durch ihre selbstlosen und weltverbesserischeren Taten die Welt nicht in Schutt und Asche vergehen lassen würden. Ein weiteres Problem, das mich in diesen Jahren beschäftigte, war die zunehmende Fixierung der Menschen auf alles Materielle, in solchen Zeiten, wo der rein materielle Besitz einen höheren Stellenwert hat, als das höchste, als der Besitz eines klaren Geistes. In solch tief dunklen Zeiten sehnt man sich nach einer Alternative, nach einem Ausweg, und so entschloss ich mich, nach mehreren Jahren endlich Gebrauch von dem Angebot meiner Großeltern zu machen und ein Wochenende in deren Ferienhütte inmitten eines auswärts gelegenen Waldes zu machen. Dort wollte ich mich selbst sammeln, mich neu ordnen um dann voller Vitalität und Tatendrang in den qualvollen und die Luft abschnürenden Alltag zurückzukehren.
Inmitten einer Lichtung lag die Hütte, stolz dem kalten Winter, der über das Land hineingebrochen war, entgegenstehend, gewillt Widerstand zu leisten, als letzte menschlich Bastion in dieser gar so unberührt anmutenden Landschaft. Es wurde warm um mein Herz als ich vor der Hütte stand und ich glaub ich schien zu wissen welch prägende Wirkung diese kommenden Tage auf mich haben würden...
Ich betrat die Hütte, unter mir knarrte der hölzerne Fußboden, beim Umherschweifen meiner Blicke durch den Raum verlor ich mich in alten Erinnerungen an gar schöne Stunden meiner Jugend, die ich hier Seite an Seite mit meinem Großvater, vor dem prasselnden Kaminfeuer, verbracht hatte. Doch jäh aus meinen Gedanken gerissen durch die sich wie ein Schleier um mich legende, klirrende Kälte, die durch die offene Tür drang, beschloss ich die Tür zu schließen und das Feuer im zu entzünden, im Bewusstsein, dass das noch mehr alte Erinnerungen erwecken würde. Im nachhinein bin ich mir nicht darüber im klaren, was die darauffolgenden Stunden passierte, ich verlor mich scheinbar in meinen Gedanken, in Nostalgie. Jedenfalls saß ich als ich aufwachte noch immer in dem alten Ledersessel, der neben dem, noch immer knisternden und Wärme spendenden, Karmin stand, welcher den Raum bereits mit angenehmer Wärme erfüllt hatte. Durch das Fenster sah ich, dass über Nacht erneut Schnee gefallen war, wie ein weißes Kleid hatte sich dieser auch über mein Auto gelegt. Es tat gut von innen, aus dem warmen Haus heraus, nach draußen in die eiskalte und unberührte Natur zu blicken. Trotz des kalten Schauers, der mir beim Gedanken daran über den Rücken lief, entschloss ich mich, später am Tage, eine Wanderung zu unternehmen. Ich hatte keine Ahnung wie spät es war, es war nebelig, keine Sonne zu sehen an der ich ungefähr die Uhrzeit hätte ausmachen können, keine Uhr an meinem Handgelenk. Ich hatte sie extra zu Hause gelassen, genau wie mein Mobiltelefon, um wenigstens in diesen Tagen die Zwänge der neuzeitlichen Welt hinter mir zu lassen. Ich weiß nicht mal warum ich überhaupt auf die Uhr gucken wollte, Zeit war gar irrelevant für mich in diesen Tagen, gab es doch weder Fernsehen noch jegliches andere potentiell Uhrzeit abhängige Unterhaltungsgerät. Es müsste Nachmittag sein, dachte ich mir, ausgehend von meinem gewöhnlichen Aufwachen nach acht Stunden Schlaf. Als ich mich nach der Vollendung einer Lektüre aufgerafft hatte, die warme und gemütliche Hütte zu verlassen um im Wald auf den Pfaden meiner Jugend zu wandern. Voller Blindheit übersah ich die Tatsache, dass jeglicher Weg verschneit war, ich bezog überhaupt nicht in Betracht, dass ich mich verlaufen könnte. Warum? Das frage ich mich immer noch. Schicksal? Vorbestimmung? Vielleicht wäre ich sonst gar nicht in den Wald gegangen. Ich werde es nie rausfinden. Als sie so über hereinbrach, ja über mich her fiel, mich hinterrücks überrumpelte, war es schon zu spät und ich musste feststellen, dass sie, die Dämmerung, mich auf dem falschen Fuße erwischt hatte. Ich realisierte plötzlich, dass ich überhaupt nicht wusste wo ich mich befand und, dass wenn ich nicht direkt den Weg fände, ein sicheres Wiederkehren in die warme Holzhütte schier unmöglich sei. Meinen Gedanken meine Spuren im Schnee zurückzuverfolgen verwarf ich schnell, als ich mich umdrehte und sag wie mir eine unberührt anmutende, weiße Fläche entgegenblickte. Hämisch schienen mich die mich umgebenden Bäume auszulachen, wissend um meines bevorstehenden Todes. Der starke Schneefall, ich verfluchte ihn. Verzweifelt dachte ich nach, was sollte ich tun, mir fiel nichts ein. In meiner grenzenlosen Verzweiflung legte ich mich in den Schnee, es schien als stelle sich mein Geist auf den Tod ein, ein Gefühl der Gleichgültigkeit, es gab nichts was mich in diesen Leben hielt, dieses Leben, das mir vorkam wie ein Traum. Ich dachte mir, wenn es einer wäre, dann wäre dies die Stelle an der man aufwacht, schweißgebadet, geschockt und doch froh. Überrascht von Intensität und Realitätsnähe. Aber ich wachte nicht auf... Irgendwann nach ungefähr zehn Minuten durchfuhr ein neuer Schub von Überlebenswillen meinen Geist und dann meinen Körper. Ich stand auf, zog mich aus, nur in Unterwäsche stand ich da, inmitten von Schnee, ich spürte keine Kälte, kein Schmerz. Es schien als trenne sich Geist von Materie, mein Ich glitt aus meinem Körper, ich betrachtete mich selbst mit Distanz, war nicht mehr Herr der Lage. Plötzlich begann mein Körper sich zu regen, die Arme wurden gen Himmel gestreckt. Er bildete die Man Rune. Meine Gedanken fixierten sich auf diese, ohne es zu wollen sprach ich.. , Nein ich flüsterte vor mich hin, in Trance, unbewusst... Ich weiß nicht wie lange ich dort stand, es schien als erlange ich höheres Wissen. Mein Geist trat weiter von mir, in höhere Sphären, vereinte sich mit Fremden. Ich hörte Stimmen, ich kannte sie nicht, sie sprachen zu mir...
Als ich aufwachte, lag ich nackt am Boden, umherblickend sah ich zwischen den kahlen Bäumen der Sonne Glanz hindurchdringen; die Lichtstrahlen der weißen Sonne, ich konnte sie sehen, wie sie sich scheu wie ein Reh zwischen den Bäumen durchwanden. Der Schnee schien getaut, ich blickte nach vorn, nur wenige Meter von mir sag ich die Hütte, ich hatte sie wegen der Dunkelheit und des Nebels nicht sehen können. Irgendwie wusste ich, dass sie, die Hütte, an all dem, was passiert war, nicht unbeteiligt war. Ich schien die Welt mit anderen Augen wahrzunehmen. Trotz der harten Nacht, der Verwirrung, die mich ergriffen hatte, und den wirren Gedanken, die wild in mir schwirrten, huschte ein fröhliches Grinsen über mein Gesicht... Ich schritt in die Hütte, löschte die letzten Überreste der Glut, ich liebte es seit meiner Kindheit, dieses Zischeln, wenn Wasser auf noch heiße Kohle trifft. Nachdem ich meine wenigen Sachen gepackt hatte, ging ich nach draußen, ich ging ans Auto, und öffnete den Kofferraum und nahm den Benzinkanister, den ich vorsichtshalber immer dabei hatte, raus. Ich ging wieder in die Hütte, noch ein letztes mal hörte ich das Knarren der Dielen und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich verteilte das Benzin und entzündete es. Von etwas Entfernung beobachtete ich wie die Hütte von den Flammen verschlungen wurde, gleicher einer Maus, die von einer Schlange langsam in die Enge getrieben wird bevor sich deren riesiger Schlund öffnet und sie einfach verschlingt. So viele Erinnerungen auch mit der Hütte brannten, wusste ich doch, es war richtig was ich tat...
Ich fuhr zu meinen Großeltern, ich erzählte ihnen, ich sei eingeschlafen und als ich aufwachte, hätte die Hütte bereits in Flammen gestanden, nur mit Mühe wäre ich dem flammenden Inferno entkommen. Mein Großvater sah mir in die Augen, „Ich weiß doch...“ sagte er und ein Lächeln huschte über seinen Mund. Da war ich mir sicher, was ich getan hatte, war richtig gewesen. Auf der Rückfahrt nach Hause bemerkte ich wie hungrig ich war, und stellte fest, dass ich die ganze Zeit über in der Hütte nichts gegessen hatte. Zu Hause angekommnen ging ich in die Küche, das billige Mikrowellenessen, es duftete so lieblich, so echt wie noch nie, so real. Ich setzte mich zum Essen auf mein Sofa vor den Fernseher. Ich schaltete ihn an, Nachrichten, eine neue Welle des Terrors gegen Amerika als Reaktion auf den Angriff auf den Iran, Israelis und Palästinenser schlachten sich weiter nieder ... kein Grauen, kein Mitgefühl, stattdessen huscht ein Lächeln über mein Gesicht, ein Gedanke – Kali Yuga.
Im Gedenken an F. Hielscher, P. Shou und F. Nietzsche