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Erwachen
Es erwachte.
Von einem Moment auf den anderen wurde es sich seiner selbst bewusst.
Es wusste mit dieser Erkenntnis nichts anzufangen, sie war einfach noch zu neu, zu fremd, zu bedrohlich.
Es bemerkte das Gelb um sich herum. Es gefiel ihm, mit dieser Farbe konnte es sich identifizieren. Vage erkannte es weitere seiner Art ganz in der Nähe. Das erschien ihm richtig, aber mit ihnen konnte es nichts anfangen, sie nahmen ihm nur den Saft weg.
Diese Nahrung, die von unten zuströmte, brauchte es um zu leben. Was bedeutete dieses Unten eigentlich? Ach, egal, nicht weiter interessant - bedeutsam doch nur, dass der Strom nicht versiegte. Es benötigte unbedingt diese Flüssigkeit.
Seine Farbe stimmte nicht. Es empfand sich als zu hell. Es funkelte weiß, mit einem leichten Hauch von grünem Schimmer. Das passte nicht.
Hoch über ihm fand es auch diese vertraute Gelb. Es fühlte sich umfangen von der Helligkeit. Es badete regelrecht in Wärme und dem Saft.
Es wuchs. Es wusste einfach, es gehörte hier hin. Die anderen seiner Art mochten ähnliches fühlen, es beachtete sie nicht. Einzig wichtig erschien ihm, dass es lebte.
Die Helle über ihm wanderte. Es begann, sich zu fürchten. Es konnte sich nicht vorstellen, diese Wärme zu verlieren, das wäre sein Tod. Es wusste instinktiv, dass sein Leben davon abhing.
Es fühlte sich gebunden an dieses Unten, das ihm Nahrung zuführte. Aber irgendwie empfand es diese Abhängigkeit als in Ordnung. Damit konnte es leben. Sein Instinkt sagte ihm, dass es im Sinne seiner Natur lag.
Das Licht über ihm verlor den Glanz und verschwand.
Bevor es vor Furcht erstarrte, bewegte sich das Unten. Die Ränder bogen sich nach oben, es fühlte sich einen Moment bedroht. Da erkannte es dieses dunkle Grün. Es spürte den Schutz. Dankbar sah es ihm entgegen, als er sich sanft um es und die anderen seiner Art schloss. Der Zustrom von Saft versiegte bis auf einen winzig kleinen Rest und es schlief ein.
Es spürte die Bewegung, es fühlte sich beengt. Das dauerte nicht lange, dann bog sich der dunkelgrüne Schutz zurück. Das Unten streckte sich, bog sich wieder gerade und es konnte merken, wie das Licht langsam wieder zum Vorschein kam. Mit dem Hellen kam die Wärme zurück.
Es erkannte, es hatte sich verändert. Der grüne Schimmer seiner Haut trat deutlicher hervor, das Weiße dunkelte nach und machte einem hauchzarten Gelb Platz. Es freute sich. Diese Farbe gefiel ihm, sie passte zu ihm. So wie es nun zu der Farbe rundherum passte.
Es badete im Gelb, in der Helle und in der Wärme. Es döste vor sich hin und genoss den Saft, der ihm zur Verfügung stand, wann immer es ihn brauchte.
Es schreckte auf. Ein bedrohlicher Schatten fiel über es. Groß, braun, fremd.
Es beobachtete, dass das Bedrohliche näher kam. Es wurde wieder gestreift von der Schwärze, die die Wärme stahl.
Die Drohung schwebte über ihm, senkte sich auf es herab. Es spürte das Gewicht der Drohung, fürchtete sich, bis es feststellte, die Furcht war schlimmer als die Bedrohung selbst.
Es beschloss, hinzunehmen, was eben geschehen mochte und es beruhigte sich. Das Gewicht des braunen Fremden drückte es nicht nieder, obwohl es damit rechnete. Feine Härchen die aus dem Fremden herauswuchsen, streiften an ihm vorbei. Diese Berührung empfand es als angenehm.
So plötzlich wie die Drohung aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Fast schon wartete es darauf, das Gewicht wieder zu spüren, um anschließend den Hauch einer Berührung zu erleben, den die Härchen des Braunen bescherte.
Die wärmende Helle wanderte wieder, es bemerkte, wie sich das Unten sanft bewegte, um es ins Licht zu heben. Es fühlte sich zufrieden.
Es lebte weiter offen in der Helle oder versteckt im Grün, bis es eines Tages die Veränderungen spürte. Sein grünlicher Schimmer verlor sich, das zarte Gelb wurde intensiver.
Voll Schrecken bemerkte es, dass das Gelb rundherum, mit dem es sich so freudig identifiziert hatte, verblasste.
Es streckte sich. Seine gelbe Farbe wurde immer dunkler.
Noch einmal schlief es ein im Schutz des Grüns, erwachte im Licht. Es war nicht mehr länger gelb, jetzt identifiziere es sich mit dem Braun, das seine Haut zierte. Es hatte sich immer weiter gestreckt, aus ihm wuchs ein langes dünnes Haar, ähnlich dem des braunen Fremden, das es vor ewigen Zeiten so sanft gestreift hatte.
Ihm gefiel sein Haar, das sich am Ende mittlerweile fächerartig ausbreitete. Es war neugierig, warum ihm wohl dieser Schmuck gewachsen sein mochte.
Einer von den Braunen flog vorbei. Es mochte die Berührung nicht mehr, empfand sie fast als Bedrohung. Instinktiv ahnte es, eine Berührung würde Veränderung bedeuten. Es mochte die Veränderungen nicht, wusste es doch nicht, wohin sie führen würden. Selbst den Luftzug, den das Braune mit seinen Flügeln verursachte, bereitete ihm Unbehagen. Es hatte Glück, das Braune wandte sich ab und suchte etwas, das weiter entfernt stand und in ihm mit der gelben Farbe eine vage Erinnerung zu wecken versuchte.
Es wurde immer schlimmer. Der Zustrom von Saft versiegte. In ihm keimte der Verdacht, die anderen seiner Art könnten dafür verantwortlich sein. Dieser Argwohn löste sich auf, als es merkte, die anderen kämpften mit denselben Schwierigkeiten. Auch sie fühlten sich trocken.
Dann kam der Wind. Es hatte auch diese Berührung immer als angenehm empfunden. Jetzt aber fürchtete es diese Berührung.
Das Angenehme war weg. Fordernd und besitzergreifend war diese Berührung, es mochte sie nicht. Sein schönes Härchen wurde ihm zum Verhängnis. Der Wind packte es an diesem Härchen und riss es mit sich.
Es erstarrte vor Furcht. Das Unten war weg. Es war schutzlos! Es war so hoch oben, es hatte Angst, sich an der Helle zu verbrennen.
Es erkannte, die Furcht war schlimmer als das, was mit ihm geschah. Es wurde wieder ruhiger und beobachtete.
Es sah die Wiese unter sich vorbeiziehen, sah Gelbes, das versuchte, in ihm eine Erinnerung zu wecken, sah andere seiner Art, die wie es selbst haltlos im Wind schwebten.
Es spürte, das war richtig und natürlich so. Es verlor seine Furcht ganz und fand Gefallen an diesem Schweben. Es sah die Braunen aus einer völlig neuen Perspektive. Von oben wirkten sie nicht mehr wie bedrohliche Schatten. Es wusste, nun hatten sie jedes Interesse an ihm verloren. Es mochte die sanfte Berührung der Braunen nicht mehr, es wollte nur frei sein und ewig weiter schweben.
Es fiel.
Der Wind hatte einen Moment nicht Acht gegeben und es losgelassen. Er fing es wieder, kurz bevor es im Meer der grünen Halme versank. Er hob es höher, immer höher und es freute sich an seinem Flug.
Der Wind ließ nach, es fiel endgültig.
Diesmal versank es zwischen den grünen Halmen, stürzte auf eines dieser federnden Hindernisse, rutschte ab, fiel weiter. Endlich endete sein Sturz.
Es lag auf braunem Boden, fühlte sich fremd, fühlte etwas Fremdes an sich, in sich.
Es wusste, es würde wieder Veränderungen geben. Es schlief ein, schutzlos der Kälte des Dunkel ausgeliefert und es träumte von hellem Gelb.
Es merkte nicht, wie seine Haut aufplatze, sich ein feiner Keim einen Weg hinaus bahnte und nach dem schützenden Dunkel der braunen Erde tastete.