Erzengel Charly
Da steht er mitten in seinem Lächeln wie in einer Pfütze aus Licht – nicht unter Kokospalmen am Meer vor einem glühenden Abendhimmel – mitten unter lärmenden Baumaschinen in der brütenden Mittagshitze: das Gesicht der Sonne zugewandt. Sein ganzer Körper lächelt der Sonne zu – ist dafür gemacht, von ihr liebkost zu werden: Die Schultern rund und golden, das goldene Trapez des Oberkörpers verschwindet in einer Gott- sei- Dank kurzen Hose, die in ihrer Formlosigkeit dem Fass den Boden ausschlägt, und teilt sich dann in schöne, goldene Wellen, die in große, grobe Schuhe fließen. Den Kopf nach hinten geneigt, weil das Gesicht der Sonne zugewandt, entgehen ihm meine sorgfältigen Präparationen, die seine Aufmerksamkeit erwecken sollten. Sein Blick geht über mich hinweg, über meine coole Sonnenbrille, mein blond gestyltes Haar, mein braungebranntes durch zarte Perlen veredeltes Dekoltee, mein lässiges Kaugummikauen, mein Wippen und Wiegen mit den heißen Rhythmen, die durch die geöffneten Autofenster zu ihm dringen sollten. Und schon bin ich wieder vorbeigefahren an ihm, an dem ich mich täglich erfreue – täglich außer Samstag und Sonntag. Da schweigen die Maschinen, der Verkehr fließt ungehindert, abgesehen von einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Aber montags, montags steht er wieder da, wenn ich von der Schule nach Hause komme – und dienstags und jeden Tag außer –
Die Nachbarn hoffen, dass der Lärm bald ein Ende nimmt. Nicht mehr lange, munkeln sie, vielleicht noch vierzehn Tage. Und ich steigere meine Bemühungen. Den Kopf nach hinten geneigt, das Gesicht der Sonne zugewandt, entgehen sie ihm –
Dann blinke ich, fahre an den Rand, halte an. Er kommt ans heruntergelassene Autofenster. Ich drehe die Musik leiser, wende mich ihm kaugummikauend zu, schiebe die Sonnenbrille nach oben: „Wie lange werdet ihr noch hier sein?“ „Vierzehn Tage oder so - wieso, brauchst du was?“ Er ist hilfsbereit: Nach Feierabend für die Nachbarn Erde geführt mit dem kleinen Lader, mit dem Bagger Zufahrtsstraßen gegraben, asphaltiert….„Ich sehe dich gern an“, sage ich. „O“, lacht er, „da komm ich auf einen Kaffee vorbei, das müssen wir genauer besprechen“, ohne Zögern –
Und dann sitzt er in meiner Küche – breitbeinig und laut – mit einer lauten, lachenden, rauen Stimme, raucht – und erzählt von seinen Jobs, seinem Herzinfarkt, von seiner Frau und seinen Kindern. Ich hantiere mit der Kaffeemaschine, mit Zigaretten und Feuerzeug, mit Tassen und einer Milchflasche, „Zucker?“, um ihn nicht zu berühren. Sein Nacken ist verspannt, sehr verspannt. Ich kann massieren – Gott- sei- Dank! Ich hole den Kalender: „Mal sehen, wann ich noch einen Termin frei habe…“ „Morgen“, fällt er mir ins Wort. „Morgen, ja – morgen geht – so ein Zufall“, sage ich, schaue auf den leeren Kalender und räume ihn weg –
Ich bin nervös, so nervös – schreibe, um mich abzulenken, um abgelenkt zu wirken, dann, wenn er kommt; so, als ob ich nicht wirklich gewartet hätte– oder sollte ich vielleicht doch…… Jemand klopft ans Stubenfenster. Dann steht er in der Tür mitten in seinem Lächeln wie in einer Pfütze aus Licht: Hose, Hemd, Sakko, Kulturstrick – wie er die Krawatte nennt, die er sofort lockert. Er duftet nach Parfüm und setzt sich in den Schaukelstuhl mir schräg gegenüber. Ich tippe noch ein paar Worte, während er sich eine Zigarette anzündet. Der Rauch verschnörkelt weiß das Licht der Schreibtischlampe, steigt mir in die Nase – ich liebe diesen Geruch. Ich schaue auf, ihm ins Gesicht: „Wie wärs mit einer fröhlichen, unkomplizierten Liebschaft?“ – „Unkompliziert“, wiederholt er und wir gehen Hand in Hand in mein Zimmer, in mein Heiligtum. Musik, Räucherwerk – wir ziehen uns aus – rasch, weil scheu -. Er legt sich bäuchlings auf den Massagetisch. Ich gieße Öl über ihn. Und dann, dann lege ich meine Hände auf seine Schulterblätter. Ich bin erlöst – meine Hände gehen, gleiten, schweben, tasten, suchen, finden – Haut, Gold, Ihn. Er schweigt, hält still, lässt sich gefallen die Ekstase, die sich im Nachvollziehen des Schöpfungsaktes des göttlichen Meisterwerks entfesselt. Er dreht sich um. Sein Zauberstab lockt meine Hände, meine Lippen – . Er wirft die Netze seiner Zärtlichkeit – und fängt, fängt mich – in seiner Umarmung, in seinem Kuss –
Während ich von ihm gefangen bin, zapple ich noch innerlich – während er mein Zappeln hält, steht er auf - und lässt mich los: Und plötzlich steh ich still in meiner Mitte und sehe ihn: Erzengel Charly – noch nie von ihm gehört oder gelesen – Aber: Er steht vor mir: Der goldene Erzengel Charly mit seinem flammenden Schwert, an dem kein Weg vorbeiführt, um ins Paradies zu gelangen –