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Es ist kalt draußen
Es ist kalt draußen. Vor dem Fenster, durch das er blickt. Sichtbar ist die Kälte nicht. Trotzdem weiß er ganz genau: Es ist kalt draußen.
Hier drinnen ist alles erwärmt, alles in rötliches Licht getaucht. Ein Feuer in der Mitte des Raumes ist der Grund. Züngelnd und lodernd verlässt es doch nie den ihm zugewiesenen Raum. Dafür ist sie verantwortlich. Schon wieder kniet sie auf dem Boden. Schwitzt und keucht, doch er hilft ihr nicht. Es ist ihre Aufgabe.
Sie arbeitet immer noch, als er sich aus seinem Sessel erhebt. Ihr Rücken ist ihm noch zugewandt. Während das Feuer unter ihrer Aufsicht immer mehr Holz und Tränen verschlingt, nähert er sich ihr. Sie bemerkt ihn nicht und er beugt sich, ihr näher zu sein, vor. Ihr heißer Duft wird von ihm eingesogen, aber sie bemerkt ihn nicht. Sie arbeitet weiter, er dreht sich um. Sein Sessel nimmt ihn wieder auf. Durch das Fenster kann er auf das Meer sehen. Draußen muss es noch kalt sein, obwohl schon wieder Lichtstrahlen auf den Strand fallen.
Trotzdem weiß er ganz genau: Es ist kalt draußen.
Nun klärt alles auf. Er kann es sehen. Draußen wird alles in frühabendliches Licht getaucht. Eine ganze Weile verharrt er noch in seinem Sessel. Sie ist wieder an ihrem Platz in der Ecke. Nur kurz hat er zu ihr herübergesehen. Ihr Blick aber wechselt ständig zwischen ihm und dem Fenster hin und her. Das Licht des Feuers wird wieder intensiver, als das von draußen abebbt. Er steht auf, geht noch einmal einen Schritt auf das Feuer zu, macht dann kehrt und öffnet die Tür. Wärme entweicht, sie fröstelt auf ihrem Schemel. Aber nur kurz, denn die Tür ist schon wieder geschlossen. Er ist verschwunden, sein Platz auf dem Sessel ist leer. Durch sein Fenster kann sie noch einen Zipfel seines Blutroten Mantels erkennen. Auch der ist schon wieder verschwunden. Allein sieht sie nun, wie das Feuer hungert und gibt ihm wieder Nahrung. Kauert sich auf den Boden, beginnt von neuem.
Draußen steht er, sieht dem Meer zu, wie es sich zurückzieht. Er spürt keinen Wind, keine Kälte.
Trotzdem weiß er ganz genau: Es ist kalt draußen.
Er wandert die Küste entlang, Stunden verrinnen innerhalb weniger Schritte und die Küste ist schon in Dunkelheit getaucht, als er den Lichtern eines kleinen Dörfchens näher kommt. Er wendet sich ab, denn es ist kalt hier. Weitere Stunden vergehen und er sitzt wieder in seinem Sessel. Das Feuer ist noch nicht verloschen, obwohl sie nicht mehr hier ist. Sie wird wiederkommen. Das Feuer braucht Nahrung, er sitzt und wartet auf ihr Erscheinen. Noch immer ist sie nicht zurückgekommen. Das Feuer scheint sich selbst zu verschlingen, zerrt sich auf und er tut nichts. Wartet nur. Auf das Klopfen an der Tür, auf die verzweifelten Schreie, auf das Gebrüll der wütenden Meute, auf die Bitte nach Einlass und Schutz. So wird es wieder geschehen, wie in jedem Jahr. Das weiß er. Weil er genau weiß, es ist kalt draußen.
Schon hört er ein rasches Klopfen, ein Hämmern an der Tür. "Meister, lasst mich herein, es ist kalt hier draußen. Ich bitte euch, so lasst mich herein! Ich flehe euch an!" Er öffnet, gewährt und sie weiß, was sie ihm dafür schuldig ist.
Wieder werden ihre Tränen des Feuers gute Nahrung sein.