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Es ist vorbei, bye, bye Junimond
Es ist vorbei, bye, bye Junimond…
Es war noch früh am Abend, erst kurz nach acht Uhr, als ich auf der Party eintraf. Als ich ihn da stehen sah, am Ende des Raumes beim Buffet, musste ich unwillkürlich in meiner Bewegung inne halten. Für einen Augenblick steckte mir der Schrecken in den Gliedern, bis ich wieder beieinander war und mein Verstand mir beibringen wollte, dass ich keinen Grund zum Erschrecken haben muss. Mein Körper hatte bereits einen entspannteren Zustand angenommen, als Kai zu mir herüber schaute und mich sogleich begrüßte. Mir fiel seine leichte Verlegenheit auf - an einer Handbewegung, die mir für ihn untypisch und gekünstelt vorkam. Er hatte sich in seinem Äußeren etwas verändert, trug nun einen Pony und sein Haar länger, was ihn jünger aussehen ließ. Ich ging durch den Raum auf ihn zu und gab ihm die Hand.
"Wie geht es Dir, Lea?", fragte er. "Danke, gut. ", sagte ich kurz und förmlich. Wir standen einige Sekunden schweigend im Vierzig Grad Winkel zueinander gewandt. Ich trat von einem Bein auf das andere, strich mein Haar verlegen zurück und lächelte aufgesetzt.
Worüber soll ich schon mit ihm reden. Eigentlich müsste ich mich auf dem Absatz herum drehen und gehen. Doch ich will auch nicht unhöflich erscheinen, dachte ich. Als ich mich entschieden hatte, an das verlockende Buffet zu marschieren, griff er nach meinem Handgelenk. Ich muss zusammengezuckt sein. Kai gab sogleich meinen Arm wieder frei und sagte "Du, ich möchte mal mit dir reden. Ich glaube, es gibt einiges zwischen uns zu klären." Es war mir unangenehm, dass ihm eine Klärung am Herzen lag und ich fühlte mich wieder mal erstarrt. Nach einer kurzen Pause, in der ich meine Fassung halbwegs zurück gewonnen hatte, fragte ich ihn, was er denn mit mir klären wolle, ich könnte es mir gar nicht vorstellen, dass nach all den Monaten noch etwas zu klären sei.
Er war schließlich gegangen, hatte uns drei sitzen lassen wegen einer großen, schlanken Blondine, die ihn, den allseits geschätzten und beliebten IT-Abteilungsleiter einer großen Bank, umgarnt hat. Sie, karrierebewusste Single-Frau mit viel Zeit und freier Energie, die andere Gesprächsthemen als Kinderkrankheiten und Schreiphasen zu bieten hat. Sie, die ihm wahrscheinlich anbetend an den Lippen gehangen hat, bevor er sich – aufgrund seines, wie er es nannte, ach so schwachen Charakters – geschmeichelt von ihr einfangen ließ und nun – sich nicht mehr von ihr zu trennen vermochte.
Ich habe ihn konfrontiert mit den Tatsachen, auch wenn ich diese nicht selbst heraus gefunden hatte, sondern meine beste Freundin, die zufällig zur selben Zeit wie er im Einkaufszentrum bummelte. Sie traute ihren Augen nicht, erzählte sie mir, als sie Kai mit einer anderen Frau Arm in Arm in der Passage schlendern sah. Es wirkte sehr innig und intim, sagte sie.
Als er es endlich zugab, waren sie schon seit einem halben Jahr ein Paar. Das war unglaublich verletzend. Er hatte mich sechs Monate belogen und betrogen, den zuvorkommenden und freundlichen Ehemann gespielt, der Interesse vorgab und nur so spät von der Arbeit nach Hause kam, weil er Überstunden machen musste. Überstunden und Fortbildungen, Tagungen und Kongresse. All meine Vorstellungen brachen wie ein Kartenhaus zusammen. Ich hatte ihn in irgendwelchen langweiligen Meetings in luftleeren Räumen gesehen, in Konferenzsälen, in denen er als Vortragender am Pult stand oder an Tischen mit seinen Kollegen saß, um in ein neues Programm eingeführt zu werden. In nüchternen Hotelzimmern ohne Charme und Atmosphäre. Doch niemals mit einer Geliebten an der Seite! Niemals mit einer anderen Hand in Hand am Fluss entlang schlendern, sich gegenseitig Liebesworte zusäuseln und die Romantik begießen.
Wie konnte er mir nur so etwas antun?
Alles, an das ich geglaubt habe, war ein Trugbild!
Gerade kam jemand mit Fingerfood vorbei. Ich nahm es dankbar entgegen und schob es in den Mund. Ziegenkäse mit Rosmarin und Honig im Blätterteig. Es schmeckte köstlich und ich ließ es mir auf der Zunge zergehen. „Was gibt es da noch zu klären?“, fragte ich ihn währenddessen unbeteiligt.
„Vieles.“, sagte er und blickte mich verstohlen an. Ich fühlte mich überrumpelt und wollte mich vorerst sammeln. „Lass mich vorher noch in Ruhe das herrliche Buffet genießen. Wir können anschließend reden“, sagte ich. „Okay, ich komme gegen halb neun wieder, in Ordnung?“ Ich nickte kurz und er zog ab um jemanden an der anderen Seite des Raumes zu begrüßen.
Der Tag, an dem er es gestand war ein Dienstag. Ein verregneter Novembertag, der meiner Stimmung Ausdruck verlieh. An einem Dienstag hatten wir uns kennengelernt. An einem Dienstag kam die Wahrheit ans Licht. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, die Gelegenheit ist gekommen. Es ist nach 21:00 Uhr, die Kinder schliefen bereits.
So konfrontierte ich ihn mit den unumstößlichen Fakten, die ihn als Ehebrecher auswiesen. Es verschlug ihm die Sprache und er saß mit offenem Mund am Küchentisch, starrte mich an und regte sich einige Sekunden lang nicht. „Am besten Du packst gleich Deinen Koffer und gehst.“, fügte ich scheinbar gleichgültig hinzu. Er schien nicht daran zu zweifeln, dass es mir damit ernst war und sank merklich in sich zusammen.
Beinahe hätte ich Mitleid mit ihm bekommen, derartig überzeugend gelang es ihm, eine Opferhaltung anzunehmen. Ein Opfer, das in etwas hinein geschlittert war und aus eigener Kraft nicht mehr heraus kam. Doch dieses Etwas war kein schlammiger, dunkler Sumpf, sondern ein attraktives weibliches Wesen! Das Mitleid wartete bereits auf der Türschwelle, doch ich schloss einfach die Tür, so dass es nicht nach außen springen konnte. Stattdessen ließ ich Schimpfsalven über ihn ergehen, die sich gewaschen hatten, bis er als Elend am Esstisch saß und wie ein kleiner Schuljunge weinte, während ich in überlegener Pose vor ihm stand und seinen Zusammenbruch bis in jede Faser meiner Seele genoss.
„Es tut mir alles so leid, Lea. Ich lasse euch nicht im Stich. Das musst Du mir glauben! Du kannst immer auf mich zählen. Ich habe das alles nicht gewollt“, stammelte er und ich sah ignorant auf ihn herab, um nicht die Rolle der Beichtmutter zu übernehmen, die ihm schlussendlich auch noch die Absolution zuspricht. „Es ist mir scheiß egal, ob es dir leid tut oder nicht! Scheiß egal. Du bist einfach ein Scheißkerl“ und dachte mir, wie gut, dass die Kinder schon schlafen, so oft habe ich noch niemals Scheiße gesagt…“ Wie kannst Du nur sagen, dass Du das nicht gewollt hast? Wenn Du es nicht gewollt hättest, dann hättest Du es gelassen! Hast Du nur ein einziges Mal an unsere Kinder gedacht?“, brüllte ich.
„Es…es war Magnetismus. Sie war einfach für mich da und Du hattest immer nur die Kinder im Blick. Endlich hat mir mal wieder jemand zugehört.“, stammelte er.
„Und wer hat mir zugehört?“, sagte ich tonlos.
Was habe ich um ihn gekämpft. Es war nicht bei dem einen Disput in der Küche geblieben und so schnell ist er auch nicht ausgezogen. Er sollte leiden und ich als Gewinnerin hervorgehen, nachdem er den Seitensprung wieder verlassen hatte und reumütig zur alten Liebe zurückgekehrt ist. So soll es sein, dachte ich mir. Kampflos wollte ich ihn nicht ziehen lassen. Wie auch, nach 13 gemeinsamen Jahren. Doch es kam anders. Er wollte nicht bleiben. Er wollte ein neues Leben beginnen. In einer neuen Stadt und mit einer neuen Frau.
„Unsere Ehe war nicht schlecht… Warum hast Du das getan? Warum? Du hättest doch über alles mit mir reden können. Deine Wünsche, Deine Bedürfnisse, aber Du hast nie etwas gesagt. Immer nur den Zufriedenen gespielt! Wie sollen die Kinder damit klar kommen, hast Du Dir darüber mal Gedanken gemacht? Wann wirst Du ihnen Deine Neue vorstellen und wie? Darf ich vorstellen, das ist Veronika, meine Neue. Es war mir zu eintönig mit Lea und Euch. Ich brauchte Abwechslung, das werdet ihr sicherlich verstehen…so etwa?“, keifte ich mit zunehmendem Zynismus, nachdem ich des Schreiens müde geworden war.
„Und wer hat mir zugehört, hm?“, setzte ich hinterher. Er saß nur da und sagte nichts.
„Du warst nicht da, als Anna mit Lungenentzündung im Krankenhaus lag. Du warst nicht da, als Timon seine Aufführung in der Schule hatte, obwohl Du kommen wolltest und es ihm versprochen hattest. Du warst nicht da, als mein Vater gestorben ist und ich Dich gebraucht hätte - als Schulter zum Anlehnen. Nein, Du musstest arbeiten! Die Arbeit geht vor. Wir haben alle Angst um unseren Job, da muss man Überstunden machen!, hast Du gesagt. Doch mir war es immer scheiß egal gewesen, ob wir diesen Lebensstandard halten können oder nicht. Na und, dann verliert man halt einen Job. Na und, dann geht es halt anders weiter. Dir war es nicht egal. Du wolltest doch dieses Leben aufrecht erhalten, nicht ich!“, schrie ich noch immer voller Verzweiflung, als könnte ich es ungeschehen machen was passiert war und vielleicht passieren muss, wenn man sich, aufgrund des Bewegens in unterschiedlichen Welten auseinanderlebt und man sich irgendwann überhaupt nicht mehr begegnet.
Zwei ganze Wochen waren vergangen. Er kam immer seltener nach Hause, denn er schlief auswärts. Eines Tages teilte er mir mit, dass er gekommen sei, um seine Sachen abzuholen.
Dann war er weg. Er schlich sich nicht mehr spät nachts in unser Haus und legte sich auf dem Sofa schlafen. Die Kinder sahen mich stumm und fragend an, sahen mein verheultes Gesicht und versuchten unsichtbar zu sein. Ich musste mich geschlagen geben.
Er will diese Trennung. Er will ein neues Leben anfangen. Ich kann getrost die Waffen niederlegen. Alle Waffen, auch alle Register, die ich angefangen hatte zu ziehen. Der Kampf ist vorbei. Aus und vorbei! Er hat sich entschieden. Er will dieses neue Leben nicht mit mir, sondern mit der anderen führen.
Die Trennung lag Monate zurück. Vierzehntägig hatte er die Kinder zu den Wochenenden. Die Übergabe erfolgte nicht bei uns zu Hause, sondern bei meinen Eltern. Ich wollte und konnte ihn nicht sehen, so stark war meine Verletzung.
Da war sie wieder die Szene. Sie tauchte unvermittelt aus der Versenkung vor meinem inneren Auge auf - unser Kennenlernen. Ich hatte mir in der Caféte an der Uni einen Kaffee geholt und lief durch den schmalen Gang, als ich plötzlich einen Schlag in meiner Flanke fühlte. Ich kam aus dem Gleichgewicht und sah mit an, wie mein Kaffee in hohem Bogen aus dem Becher floss, als besäße er die Kraft eines Wasserfalls, und sich als dunkle Pfütze auf dem Boden niederlegte. „Verzeihung“, sagte eine angenehm tiefe Stimme. Ich drehte mich um und stand einem attraktiven, dunkelhaarigen Mann mit weichen braunen Augen und einem verlegenen Lächeln gegenüber. „Ich habe mich in Gedanken umgedreht und Sie nicht bemerkt“, sagte er. „Schon in Ordnung, ich sollte sowieso nicht soviel Kaffee trinken“, sagte ich grinsend und nahm die Bedienung in den Blick, um ihr Bescheid zu sagen, dass hier ein Malheur passiert war, als er sagte: „Nein, lassen Sie mich das tun. Ich sage Bescheid und lade Sie zu einem neuen Kaffee ein oder wollen Sie lieber etwas anderes trinken?“ „Ich versuche es gerne noch einmal mit einem Kaffee“, sagte ich lächelnd und wir nahmen wenig später an einem runden Tisch Platz.
Noch andere Momente in unserem Leben, Augenblicke des kleinen Glücks, kamen nach langer Zeit wieder an die Oberfläche. Ich erinnere mich daran, wie er mit den Kindern auf der Couch saß und ihnen das Märchen Rotkäppchen und der Wolf erzählte. Sie hingen so gebannt an seinen Lippen, was ihn beflügelte. Er wurde immer lebendiger und ausdrucksstärker, so dass sogar ich es mit der Angst bekam vor der Absicht des bösen Wolfes.
„Ein verdammt guter Schauspieler wärst Du geworden. Du hast Deinen Beruf verfehlt.“, sagte ich damals grinsend.
Und einmal kam er zur Tür hinein, lächelte geheimnisvoll, nahm mich wortlos in den Arm, stellte den CD-Player an und tanzte mit mir durch die Küche, bevor er mir von seiner Gehaltserhöhung erzählte.
Eine weitere Szene kam mir in den Sinn. Er kuschelte sich morgens im Bett an mich heran und flüsterte mir ins Ohr „Du bist eine wundervolle Frau.“
Das klingt alles unendlich kitschig, aber wenn ich daran denke, spüre ich meine Traurigkeit aufsteigen. Sie legt sich in meine Kehle und ich fühle ihren engen Schmerz, der mir Tränen hochtreibt. Doch ich weiß sie rechzeitig zu bekämpfen. Nein, ich will nicht mehr an diese Momente denken. Nicht daran, was ich vermisse. Nicht daran, was ich verloren habe mit ihm.
Ich war gerade fertig mit Essen, als Kai auf mich zugesteuert kam.
"Ich weiß, dass ich mich wie ein Idiot benommen habe und es ist Dein gutes Recht, mich zu verachten. Du hast Dir sicherlich einen anderen Mann gewünscht. Einen, der Dir beisteht und Dich unterstützt. Und ich habe mir ein anderes Leben mit mehr Leichtigkeit und Zweisamkeit gewünscht. Aber ich habe es versäumt, mit Dir darüber zu reden. Ich habe mich in ein Liebesabenteuer gestürzt, weil ich dachte, dass sie meine große Liebe ist. Dabei war ich mit Euch glücklich gewesen. Doch das merkt man manchmal leider zu spät.", sagte er mit aufrichtiger Betroffenheit.
Meine Neugierde war nicht zu verbergen. Was war mit ihm geschehen? Wie kam er zu dieser Erkenntnis? Ich spürte mit einem Mal keine Spannung, keinen Widerstand mehr in mir. Ich fühlte mich eigenartig leicht und warm und lächelte ihn ein wenig scheu an. So als würden wir uns das erste Mal begegnen. .
Er wirkt so anders als bei der letzten Begegnung auf mich. Jeder hat doch die Möglichkeit, sich zu verändern, dachte ich. Und die meisten von uns idiotischen Menschen tun es durch schmerzhafte Erfahrungen, wenn sie es überhaupt tun.
Und so hörte ich mich nachdenklich sagen:
"Tja, ich habe wohl auch einiges bei Dir versäumt…". Auch er lächelte still und ich versuchte Gedanken zu finden, die zu meinen Gefühlen passten.
Was sagte ich denn da?! Das konnte doch nicht möglich sein. Was war mit meinem eiskalten und gleichgültigen Gefühl geschehen. Was mit der Wut m Bauch, die mir stets ein treuer Begleiter war in all der Zeit, in der ich ihn innerlich angeklagt habe.
Egozentriker! Kümmerst Dich nur um Dich und Deine kleine Welt! Du hast mich im Stich gelassen! Hast mich meiner Vorstellung beraubt und meiner Sicherheit, hast unsere Kinder verlassen, um mit einer anderen Frau neu zu beginnen. Du bist schuld, dass alles kaputt ist! Du bist der Täter. Ich bin das Opfer.
War es nicht so? Wieso bog sich der Balken so, auf dem ich eben noch gesessen hatte? Wieso warfen die Dinge fremde Schatten?
Was war mit der Enttäuschung in mir geschehen? Ich fühlte mich doch von ihm verraten! Wir wollten beide zwei Kinder. Er hatte sich in seine Arbeit verkrochen und ich habe mich allein um die Kinder gekümmert. Hatte meinen Job als Informatikerin an den Nagel gehängt und das Hausfrauendasein kultiviert, obwohl ich auch gerne gearbeitet hätte und nicht nur Kinder, Kinder, Kinder. Doch sie waren noch klein und brauchten mich. Ich hätte gerne eine halbe Stelle angenommen. Doch die gab es nicht. Nicht in meinem Beruf. Entweder ganz oder gar nicht, hieß es damals. Dann habe ich mich gegen den Beruf und für viel Zeit mit unseren Kindern entschieden.
Und Kai? Wurde Alleinverdiener und war nie da. Nie da. Nie!
Ich war ja schließlich die Leidtragende bei der ganzen Sache.
Ich war die Verliererin und er hatte wenigstens ein schlechtes Gewissen zu haben. Jawohl!
Und nun? Was ist geschehen? Was ist mit meinen Gefühlen passiert, wieso kann ich nicht mehr wütend auf ihn sein?
Die Wut kannte ich sehr gut in allen Farben, ich habe lange mit ihr gelebt. Sie war zu meiner Vertrauten geworden und hat mir wunderbar geholfen, Energie frei zu setzen. In Rage konnte ich alles tun: die ganze Wohnung umkrempeln, mich nach einem neuen Job umsehen, giftige Essays für ein Frauenmagazin schreiben.
Und nun?
Aus und vorbei. Die Wutblase war geplatzt und wich einem anderen Gefühl. Es schmeckte nach Honigkuchen und war weich wie eine Feder. Ich wollte sie hoch hinauf pusten, wie ich es als Kind gerne getan hatte. So hoch es ging pusten und ihr beim langsamen Fallen zusehen. Ich wollte mich sanft streicheln lassen von ihr.
Aber es machte auch Angst.
Was mache ich ohne meine Wut? Was fange ich mit diesem anderen Gefühl an, ich spüre, dass ich weich werde und zu fließen beginne. Vorsicht! Ich muss auf der Hut sein, denn es kann mich die Kontrolle kosten. Vielleicht verliere ich mich selbst dabei und werde mitgerissen wie von einem schnellen Fluss. Was ist, wenn ich dabei ertrinke. Oder ich passe mich einfach zu sehr an, wie es viele Frauen tun.
Ich will mich aber nicht anpassen! Nein, ich will unbequem sein und mich von meiner Wut bewegen lassen.
Als ich so neben Kai stand, mit dem Chaos in meinem Kopf, sagte mein Bauch einfach:
Alles quatsch! Hör auf zu grübeln! Genieße dein Leben und spring in den Fluss. Lass Dich mitreißen und tragen. Es wird schon alles gut!
Kurz darauf hörte ich mich sagen:
"Komm, lass uns tanzen!".
Als wir auf der Tanzfläche ankamen, ertönte unser Lied. Ja, das von früher!
Unser Rio Reiser!
Und wir haben uns mittragen lassen von seiner melancholischen Stimme und Gänsehaut bekommen. Genau wie früher. Ganz früher.
Getanzt haben wir, gesungen, gelacht und geweint.
„Es ist vorbei, bye bye Junimond, es ist vorbei, bye, bye, bye...“