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Es ist Winter, man bringt sich um

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09.08.2006
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Es ist Winter, man bringt sich um

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Seine Jacke war den tiefen Temperaturen nicht gewachsen und stellte gegen den umherwirbelnden Schnee und den scharfen Wind keinen adäquaten Schutz dar. So fror Johann Bienek erbärmlich, als er sich auf den blassbraunen Plattenbau zu bewegte. Bei besserem Wetter hatte er gesehen, dass die billige Farbe an vielen Stellen abgeplatzt war, dass an zwei Fenstern die Spuren vergangener Wohnungsbrände zu erkennen waren. Heute war er froh, die wuchtige Silhouette durch das nasse Weiß in der Luft erkennen zu können und arbeitete sich, mit seinem rechten Arm das Gesicht abschirmend, auf das sechsstöckige Gebäude zu.
Sein Beschluss hierher, in diese heruntergekommene Gegend, zu ziehen, war recht plötzlich gekommen. Die meisten seiner Freunde waren darüber wohl ziemlich erschüttert gewesen, hatten aber versucht, sich nichts anmerken zu lassen, da sie wussten, dass es um seine Finanzen nicht zum Besten bestellt war. Es schien ewig her zu sein, seit er seinen letzten Roman verkauft hatte. Danach nämlich hatte ihn das unerklärliche Schicksal so vieler Künstler ereilt: Die Gabe, mit der er eben noch seinen Lebensunterhalt verdient hatte, wurde plötzlich von ihm genommen. Wobei: Einen „Künstler“ hatte man ihn nicht unbedingt genannt, besonders nicht die Kritiker, für sie war er eher ein „drittklassiger Kitschromanschreiber“ gewesen. Ihn hatte das nie gestört, er wusste, dass seine Geschichten – und mochten sie noch so kitschig, klischeehaft und überdreht frohgemut gewesen sein – seine Leser glücklich gemacht hatten. Doch aus heiterem Himmel war es damit vorbei gewesen, er konnte nur noch irrwitzige Parodien seiner früheren Werke produzieren.
Er hatte den offenen Platz zwischen den verwahrlosten Plattenbauten mittlerweile halb überquert und seine Hose hatte sich vollgesogen, sodass sie klamm an seinen Beinen klebte. Mit der linken Hand hielt er einen Stoffbeutel, in dem er einige letzte Kleinodien transportierte, die er soeben noch aus seiner alten Wohnung geholt hatte. Gewissermaßen freute er sich sogar, seine neue Wohnung endlich beziehen zu können, denn mochte dies auch einen sozialen Abstieg bedeuten, fürs erste hieß es nur, diesem furchtbaren Wetter zu entgehen. Der Schneefall nahm ein wenig ab und Johann bemerkte, dass die Tür des Hauses von innen geöffnet wurde. Kurz darauf schoben sich zwei Gestalten hintereinander gehend durch den schmalen Ausgang. Immer noch konnte Johann nicht viele Einzelheiten ausmachen, doch schien ihm die sich bietende Szene in irgendeiner unbestimmbaren Weise bemerkenswert, sodass er, trotz der Kälte innehielt. Bei genauerem Hinsehen stellte er fest, dass die beiden Personen eine Bahre zwischen sich trugen und die Wölbung, die er auf dieser ausmachte, ließ ihn auf einen Menschen schließen. Weiter fiel der Schnee, nichts regte sich in der farblosen Umgebung außer einer einsamen Krähe, die sich gen Himmel aufmachte und den beiden, die sich mit der Trage entfernten. Johann fröstelte.
Als er seinen Weg fortsetzte, tat er dies noch schnelleren Schrittes, als schon zuvor, endlich erreichte er die Tür des Gebäudes. Seine geröteten Finger schlossen sich um den kalten Türgriff und es stellte eine Erleichterung für ihn dar, als ihm die verhältnismäßig warme Luft im Treppenhaus entgegenschlug. Mit einem vernehmbaren Klacken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und er presste die Hände gegeneinander, um sie zu wärmen. Erst nach einigen Sekunden bemerkte er, dass sich außer ihm noch der Hausmeister Schroer hier befand, der an einer Klingel herumzuwerkeln schien.
Ein wenig erschrocken begrüßte er ihn: „Ah, guten Tag Herr Schroer.“
Der Angesprochene wandte sich ihm nur halb zu und grunzte eine Begrüßung.
Schroer war, dass hatte Johann schon herausgefunden, ein stiller, harter Mann. Hart wie Beton, hart wie seine Welt aus Beton, dachte er unwillkürlich. Der Hausmeister hatte die fünfzig schon ein Weilchen hinter sich, sein Haar war grau aber voll und er trug einen Oberlippenbart. Stets ging ein schwacher Geruch nach billigem Fusel von ihm aus.
„Sagen Sie“, begann Johann zögernd, „ich habe aus der Entfernung eben zwei Leute mit einer Trage gesehen, die von hier kamen und…“
„Die junge Frau, die hier wohnte. Wölk war ihr Name. Hat sich umgebracht. Pulsadern aufgeschnitten. Ich entferne gerade ihr Namensschild von der Klingel. Wohnungen hier stehen nie lange leer.“
Darauf erwiderte Johann nichts. Er hatte Frau Wölk einmal kurz gesehen, als er sich die Wohnung angesehen hatte. Sie hatte einen recht ordentlichen Eindruck gemacht, ihm war nichts besonderes an ihr aufgefallen…
Aber so liefen die Dinge nun einmal, dass wusste er. Mit raschen Schritten machte er sich auf den Weg nach oben, seine Wohnung lag im vierten Stock. Sein Gehirn begann zu arbeiten, als seine Schuhe über den dunklen Boden stapften und als er vor seiner Tür anlangte, zog er seinen Notizblock und einen Bleistift aus seiner Jackentasche, er machte sich einige Notizen. Notizen für seinen neuen Roman, heute morgen war ihm die Idee dafür gekommen. Der Roman würde in seiner Schönheit alle vorangegangenen übertreffen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er klappte den Block zu und kramte die Schlüssel aus seiner Tasche hervor.
Den restlichen Tag verbrachte er damit, sich vorläufig einzurichten. Am späten Nachmittag nahm er eine dürftige Mahlzeit, die lediglich aus einer kleinen Portion Nudeln und Ketchup bestand zu sich. Danach stellte er seine Schreibmaschine vor sich auf den Tisch und begann zu tippen. Er tippte die ersten Sätze seines neuen Romans. Manchmal glitt sein Blick über die in winzige weiße Kristalle gehüllte Betonwüste draußen, auf der das goldenrötliche Licht der untergehenden Sonne sein seltsames Spiel trieb.


1
Auf dem Boden lag ein Bierdeckel. Er war in der Mitte einmal geknickt, auf ihn lehnte sich ein Tischbein. Über dem dazugehörigen Tisch wiederum lag eine Decke, die in ihrer farblosen Geschmacklosigkeit durchaus bemerkenswert war, einfach aufgrund der Tatsache, dass nicht einmal die größte finanzielle Not in Verbindung mit einer außergewöhnlichen Gleichgültigkeit der Ästhetik gegenüber in der Lage zu sein schienen, ihre Anwesenheit in einer menschlichen Behausung zu rechtfertigen.
Johann saß einfach nur da, den Kopf in eine Hand gestützt, während die Finger der anderen den Henkel einer Kaffeetasse lose festhielten. Seine Augen glitten immer wieder müßig über das über den Tisch verteilte Manuskript seines entstehenden Werkes. In heller Freude. Bisher hatte er gute Fortschritte gemacht, man musste sogar sagen, dass ihm die Arbeit bislang beinahe erschreckend schnell von der Hand ging und auch die Resultate gaben Anlass zu vollständiger Zufriedenheit. Doch wieder begann sich ein Schatten über sein Gemüt zu legen, schon am gestrigen Tage hatte er feststellen müssen, dass seine Gedanken wieder in die alte Trägheit zurückverfielen.
Nun hob er den Kopf und blickte zum Fenster. Es machte gar nichts, dass es derartig dreckig war, denn auch das Licht draußen wirkte grau, irgendwie ausgewaschen und verbraucht. Aber selbst das war nicht wirklich schlimm, denn hätte die Sonne hell geschienen, es hätte nichts zu sehen gegeben außer gleichgültig weißem Schnee und bitter grauem Beton.
Jetzt hieß es, sich nicht unterkriegen zu lassen. Er hatte Grund zu der Annahme, dass seine Kreativität bald wieder zu ihm zurückkehren würde.
Zögernd nahm er einen Schluck aus der weißen Tasse, die in ihm Assoziationen an vergangene Krankenhausaufenthalte weckte. Es gab nichts schlimmeres, als schlechten Kaffee, es sei denn, er war kalt. Mit einer enormen Kraftanstrengung stand er auf, begab sich zum Fenster, lehnte sich aufs Fensterbrett und betrachtete die dünnen Eisblumen.
Ja, von den schönen Dingen verstand er tatsächlich etwas. Das war es wahrscheinlich, was ihn von all den stümperhaften Kitschautoren dort draußen unterschied. Dies und seine ehrliche Tiefgründigkeit, die ihn schon zu der einen oder anderen philosophischen Überlegung geführt hatte, vor allem über sein Schaffen. Durch bloße Grübeleien hatte er mittlerweile tiefe Einsichten gewonnen, er wusste eine Menge über Dinge wie Kreativität und Inspiration und er wusste eine Menge darüber, wie es sich mit diesem Dingen bei ihm verhielt.
Es stimmte, seine Geschichte machte wirklich gute Fortschritte. Andere Sachen hingegen… Seit etwas mehr als drei Wochen wohnte er schon nun hier und das immer noch größtenteils aus diversen Pappkartons. Auch hatte er es bislang versäumt, sich bei seinen alten Freunden und Bekannten zu melden und meldeten sich diese bei ihm, so wimmelte er sie mit der Begründung ab, er habe im Augenblick keine Zeit, würde sich aber später bei ihnen melden, was er jedoch nie ernstlich vorhatte.
Gedankenverloren betrat er seinen schmalen Flur und zog sich die zu dünne Jacke an, dann verließ er die Wohnung. Kaum aus der Tür getreten wäre er fast über Frau Breker gestolpert, die direkt dahinter gestanden haben musste. Frau Breker war eine alleinlebende alte Frau, deren schlohweißes Haar stets zu einem strengen Dutt gebunden war. Auf den ersten Blick mochte sie, aufgrund ihrer gebeugten Haltung und schmächtigen Erscheinung einen scheuen Eindruck machen, doch Johann wusste aus eigener Erfahrung, dass sie äußerst schwatzhaft war und über alle Vorgänge im Haus genau Bescheid wusste. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob sie heimlich an seiner Tür lausche.
Er wünschte ihr einen Guten Tag, sie erwiderte die Begrüßung mit einem Gebaren, das nicht nur erkennen ließ, dass sie sich ertappt fühlte, sondern dass sie über dies noch glaubte, dieses Gefühl erfolgreich zu verbergen. Sie beugte sich zu ihm vor und sah ihn mit ihren großen wässrigen Augen an.
„Sie habe ich ja auch schon eine Weile nicht mehr gesehen. Wollen sie wieder einen ihrer Spaziergänge unternehmen?“
Johann stutzte, als er dies bejahte, denn auch von seinen ziellosen Wanderungen durch die Nachbarschaft hatte er ihr nie erzählt.
Schnell fuhr sie daraufhin fort: „Ja, eine furchtbare Sache, das mit dem Herrn Hasim, finden Sie nicht auch? Der Mann hatte doch Familie, ich hätte das nie gedacht. Wissen Sie, die Hasims wohnen ja direkt unter mir, man bekommt da schon so einiges mit.“
Plötzlich hatte Johann es eilig weiterzukommen, er versuchte sie zu unterbrechen: „Ja, das glaube ich Ih…“
„Nie hätte ich das geglaubt! Mein Ernst hat ja immer gesagt…“
Frau Breker versperrte ihm den Weg, sehnsüchtig sah er über ihre Schulter die Treppe hinab, während sie die Weisheiten ihres Ernst zum Besten gab.
„Eine scheußliche Sache, so ein Selbstmord…“
Der Tonfall der Alten war zu einem unangenehmen Gekrächze geworden und ihr Gerede löste eine Übelkeit in ihm aus. Hastig schob er sich an ihr vorbei und murmelte ein „Auf Wiedersehen“, während er sich beeilte, die Treppen hinab zu kommen.
„Sich einfach so in die Badewanne zu legen, um sich dann eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen…“, krächzte es hinter Johann er.
Als er gerade an der Wohnungstür der Hasims im ersten Stock vorbeikam, kam ihm die zerzauste Gestalt Herrn Hackes entgegen. Johann kannte ihn nur aus den geringschätzigen Erzählungen Frau Brekers und gelegentlich vom Sehen, doch schon das äußere Hackes stieß ihn ab. Dazu kam noch die Art, wie sich der Kerl bewegte, es behagte Johann überhaupt nicht, zu wissen, dass Hacke direkt unter ihm wohnte. Hacke machte ihm Platz, damit er vorbeikäme, doch auch dies tat er auf seine eigene seltsame Weise: Gewiss der Flur war eng, doch dies rechtfertigte wohl nicht, wie er sich förmlich gegen die Wand presste. Beide murmelten eine Begrüßung, als Johann vorüberging.
Mit seinem lockigen, schulterlangen Haar machte Hacke auf Johann einen irgendwie griechischen Eindruck, sein Kinn war hervortretend und der Blick wirr und beunruhigend. Er schein wie verwachsen, mit der dunklen Jacke, die er stets trug.
Erst als Johann auch die ehemalige Wohnung von Frau Wölk passiert hatte, die schwere Haustür öffnete und die winterliche Kälte ihn in die Wangen biss, gestattete er sich aufzuatmen und während er hinaustrat in eine festgefrorene Außenwelt musste er sich eingestehen, dass all das hier nicht leicht werden würde.


2
Anderer Tag, gleicher Spaziergang. Schreiben und gehen und frieren, etwas anderes kannte Johann nicht mehr. Wie viele Wochen sein Leben sich schon um diese Dinge drehte wusste er nicht mehr, aber die Gewohnheit übte eine erdrückende Gewalt aus seine Erinnerungen an andere Zeiten wirkten flach und unwirklich. Mittlerweile glaubte er schon sich auf dem weißen Schnee formierende schwarze Buchstaben erkennen zu können.
In heller Freude war größtenteils fertig, nur noch zwei Kapitel fehlten. Dennoch war er zu tiefst bedrückt, genau genommen konnte er sich nicht erinnern, je so deprimiert gewesen zu sein. Brutal trieb ihn der böige Wind mal in diese, mal in jene Richtung. Es schneite heute nicht einfach nur, nein, vielmehr hatte gefrorenes, kristallines Wasser die Luft ersetzt und schloss Johann ein, die Orientierung hatte er schon lange verloren. Wahrscheinlich lief er gerade mitten auf einer Straße, Autos konnten bei diesem Wetter sowieso nicht mehr fahren.
Stumm verfluchte Johann die immer noch zu dünne Jacke, als hätte er angenommen, diese würde sich schon darum kümmern, ihn in Zukunft besser vor der Witterung zu schützen. Irgendwie schaffte er es dann noch seinen vor Kälte starren Arm dazu zu benutzen, ein Taschentuch aus der Jackentasche zu ziehen, sich zu schnäuzen und das Tuch wieder einzustecken.
Es war Zeit, dass er nach Hause kam. Er blieb stehen und starrte in die sich stetig bewegende Wand aus frostigen Flocken, doch blieb seine Sicht auf gerade einmal ungefähr zwei Meter beschränkt. Etwas zwischen einem Seufzer und einem Wimmern entrang sich ihm. Er würde warten müssen, bis der Schneefall nachließ.
Die Arme weit von sich gestreckt, wie einer, der plötzlich erblindete, bewegte er sich zu einer Hauswand, lehnte sich gegen diese und begann zu warten. Er starrte in die bestmögliche Darstellung des abstrakten Begriffs vom „Nichts“.
Wenn er einmal in Ruhe darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass er es wohl so gewollt hatte. Freiwillig und aus eigenem Antrieb hatte er dieses Selbstexperiment gestartet, in der Hoffnung, seine Schreibblockade zu überwinden. Er hatte sein altes Leben, voll des Genusses und des Überflusses und allein den schönen Dingen geweiht, hinter sich gelassen, genau wie er auch all seinen alten Freunden den Rücken gekehrt hatte. An Erfolg hatte er nie ernstlich geglaubt, doch offenbar funktionierte es, innerhalb einiger Wochen hatte er einen Roman geschrieben, der seinen alten in nichts nachstand, sie sogar noch übertraf!
Und sie hatten ihn einen „drittklassigen Kitschromanschreiber“ genannt! Wenn dieses selbstgefällige Kritikerpack jetzt sehen könnte, zu was für erstaunlichen Ergebnissen er ganz allein mit seinem Verstand gelangt war… Dabei hatte er zuerst noch geglaubt, er habe seine Schaffenskraft erst an diesem Ort der Tristesse zurückerlangt, weil sich sein Blick für das Schöne, einzig von eben diesem umgeben, getrübt habe, er einfach keinen Kontrast mehr gehabt habe, doch so langsam kam er dahinter, dass es damit allein nicht getan war…
Als er erschrocken zusammenfuhr, wurde ihm erst danach langsam bewusst, warum. Hatte er da nicht eben etwas Schwarzes vorüber huschen sehen? Es war doch sehr unwahrscheinlich, dass bei diesem Wetter noch jemand unterwegs war. Einmal mehr bemühte er vergeblich seine Augen. Amüsiert fragte er sich, ob es nicht vielleicht so war, dass es gar nicht mehr schneite, sondern dass er tatsächlich plötzlich erblindet war.
Ja, seine Gedankenspiele, seine eigenwillige Philosophie hatten ihn zu bemerkenswerten Erkenntnissen geführt, doch wie immer hatte die Medaille auch eine Kehrseite. Die nicht erwünschten Auswirkungen, die Konsequenzen seines Handelns, besonders jene, die er am eigenen Leib erfuhr, wie seine heftigen Depressionen, hatten höchst unangenehme Ausmaße angenommen. Seit kurzem litt er auch unter Schlafstörungen, erst in dieser Nacht war er aus einem Alptraum hochgefahren, nur weil er von draußen ein schrilles, unangenehmes Geräusch, wahrscheinlich das kreischende Gejaule einer Katze, vernommen hatte. Auf einmal kam er sich ziemlich egoistisch vor, dafür dass er den Folgen für seine Person als erstes und mit solchem Selbstmitleid gedachte.
Er bemerkte, dass er buchstäblich festzufrieren drohte. Von einem Bein auf das andere zu treten half herzlich wenig, sodass er beschloss, er könne genau so gut gehend erfrieren und weiterging. Bereits nach wenigen Minuten spürte er von seinem Gesicht nichts mehr, außer einem bedrohlichem Kribbeln, doch trotzdem ging er unbeirrt weiter, zu seiner Linken die Hauswände.
„Herr Bienek, was für ein Zufall, Sie hier zu treffen!“, es war nicht allein der unangenehm kratzige Klang der Stimme, der Johann erneut zusammenfahren ließ. Eine kräftige Hand ergriff seinen Oberarm und entgegen seinem ersten Impuls fügte er sich, als er in eine schmale Seitengasse gezogen wurde. Die zu beiden Seiten hoch aufragenden Häuser hielten hier den größten Teil des Schnees fern, sodass Johann sich aufs Neue erschrak, nun die grauen beziehungsweise von Graffitis überzogenen Hauswände ringsum zu erblicken, statt des hellen weißen Einerleis.
Immer noch hielt Hacke seinen Arm umklammert. Sein Gesicht befand sich nun direkt vor dem Johanns und dieser verzog unwillkürlich das Gesicht, als er den fäulnisartigen Mundgeruch seines Gegenüber bemerkte. Auf dessen Gesicht hingegen war nur ein schwer zu deutender Ausdruck zu lesen, er entweder ein sadistisches Lächeln oder auch nur ein Anzeichen äußerster Anspannung sein konnte.
„Aber eigentlich“, fuhr Hacke fort, während er Johann langsam los ließ, „ist es gar kein Zufall. Ich habe gehofft, Sie zu treffen.“
Was auch immer Hackes Mienenspiel eben noch hatte ausdrücken sollen, nu war es einem beunruhigenden Grinsen gewichen.
„Ach… ja?“, war alles was Johann erwidern konnte.
„Ja… denn ich weiß, was Sie so treiben, seit Sie die Wohnung über mir bezogen haben.“
Etwas an Hackes Tonfall oder vielleicht auch an dem eben Gesagten machte Johann wütend, unwirsch antwortete er: „Was sagen Sie? Was ich treibe? Hören Sie, ich bin Schriftsteller und seit ich die Wohnung über ihnen bezogen habe, treibe ich überhaupt nicht viel mehr, als zu schreiben!“
Hacke lächelte mittlerweile auf eine Art und Weise, auf die kein gesunder Mensch lächeln konnte. „Ich merke doch, dass Sie lügen! Zwar weiß ich nicht, wie Sie’s angestellt haben, aber ich weiß, dass Sie das mit Wölk, Hasim und der alten Breker waren!“
Als Hackes abstoßendes Gesicht sich seinem noch ein wenig weiter näherte, versteinerte Johanns Miene. „Was reden Sie denn da, Mann? Was soll ich gewesen sein? Frau Wölk und Herr Hasim haben Selbstmord begangen und überhaupt“, er spürte, dass sein Zittern nun nicht mehr allein auf die Kälte zurückzuführen war, „was hat das mit Frau Breker zu tun?“
„Oh, aber natürlich, Sie wissen wieder von nichts!“, ein irrer Glanz lag nun in Hackes Augen, „Sie wissen nicht, dass die Alten heute Nacht mit einem Heidengekreische aus dem Fenster gesprungen ist!“
Die Katze, dachte Johann nur, ihm wurde übel.
„Tja, normalerweise hätt’ sie’s wohl überlebt bei der dicken Schneeschicht“, sein Gesicht wurde zu eine Fratze, „aber sie hatte ja das Glück, eine Laterne zu erwischen. Aber warum erzähle ich Ihnen das denn? Sie wissen’s doch besser als jeder Andere!“
Johann machte einen unsicheren Schritt rückwärts, dann sagte er mit zittriger Stimme: „Sie sind einfach nur paranoid! Diese Leute haben sich umgebracht! Ich kannte sie nicht mal wirklich!“
Hacke schien seine Worte gar nicht mehr wahrzunehmen, versonnen antwortete er: „Ja, ja, so machen Sie’s… arbeiten sich durch die einzelnen Etagen nach oben… Erdgeschoss Wölk… erster Stock Hasim… zweiter Breker… und der nächste bin ich, was?!“
Hacke versuchte Johann zu packen, dieser taumelte linkisch ein paar Schritte rückwärts. Dann sprang er schnell herum und floh zurück in das dichte Schneetreiben. Dann rannte er. Kurz hörte er hinter sich noch Hackes wahnsinniges Geschrei, bis es sich im Heulen des Windes verlor.
Nachdem er eine Weile panisch umhergerannt war, ließ der Schneefall endlich nach und er fand sich ganz in der Nähe seines zu Hauses wieder. Eilig stürmte er das Treppenhaus empor, in seine Wohnung und versperrte die Tür. Er warf seine Jacke achtlos zu Boden und sank schwer atmend auf einem Stuhl nieder.
Um sich zu beruhigen begann er zu tippen. Nach fünf Minuten ging er ins Bad um sich zu übergeben, danach machte er weiter. Noch zwei Kapitel. Auch die folgenden zwei Tage tat er nichts weiter, als gelegentlich zu schreiben. Er schlief nicht viel und wenn, dann hatte er Alpträume, an die er sich nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern konnte. Hacke behelligte ihn nicht mehr.
Der Roman machte gute Fortschritte.


3
Es war gegen fünf Uhr, die Sonne würde noch lange nicht aufgehen. Johann lag wach in seinem Bett, er schwitzte obwohl es nicht warm war, Schemen vergangener Alpträume umschwirrten ihn. Heute fühlte er sich ganz besonders schlecht, er hatte das Gefühl, sich eine Erkältung eingefangen zu haben. Es war ihm egal.
Irgendetwas stimmte nicht, seit gestern stimmte etwas nicht.
Hacke stand neben seinem Bett, einen Strick in der Hand. Er lächelte sadistisch. Johann wischte sich mit einer Hand über die geröteten Augen, dass Trugbild verschwand. Schon wieder so ein Wachtraum.
Plötzlich fuhr er erschrocken im Bett hoch. Hacke!
Unbeholfen kam er auf die Beine, nur um sich dann auf den Boden fallen zu lassen und sein Ohr gegen diesen zu pressen. Keine Geräusche von unten, seit gestern.
Schweiß rann Johann über die Stirn, er presste sein Ohr mit größerer Gewalt gegen den Boden, doch er hörte auch weiterhin nichts. Was sollte um fünf Uhr morgens auch zu hören sein? Doch die frühe Uhrzeit vermochte ihn nicht zu beruhigen, im Gegenteil, seine Furcht steigerte sich eher noch weiter, während er Stunde um Stunde, Minute für Minute, einfach nur dalag und horchte.
Es war schon gegen Mittag, die langen blassen Strahlen der Sonne leckten über den Staubigen Fußboden, als er händeringend aufstand. Obwohl er es hätte wissen müssen, obwohl er es gewusst hatte, versetzte ihm die erwiesene Folgerichtigkeit seiner eigenen widerlichen These Schock. Für unzählige Minuten konnte er nichts weiter tun, als schweratmend dazustehen. Schweiß rann über seine Stirn und hinter dieser spürte er ein heftiges schmerzhaftes Pochen.
Er wusste, dass Hacke tot war. Er lag jetzt tot in seiner Wohnung, vielleicht mit einer klaffenden Wunde, verblutet, vielleicht hing sein schlaffer Körper auch in seiner Badewanne, die Lungen voll Wasser oder er baumelte an einem Strick von der Decke. Johann war es gleich, darauf kam es nicht an, Tatsache war, dass Hacke tot war, dass der Boden unter seinen Füßen sich entsetzlich kalt anfühlte, was pure Einbildung oder die Folge daraus sein konnte, dass die Wohnung unter ihm seit gestern leer stand. Vielleicht war Schroer ja just in diesem Moment damit beschäftigt, das kleine Schild mit der Aufschrift „Hacke“ von dessen Klingel zu entfernen, Hasims und Brekers Schilder hatte er sicherlich schon entfernt. „Wohnungen hier stehen nie lange leer. Und es ist mir vollkommen egal, ob die Leute sich selbst das Licht ausknipsen, wenn Sie sich umbringen wollen ist’s mir auch egal“, waren das nicht seine Worte gewesen?
Johanns Hände zitterten immer stärker, nur mühsam konnte er sich ins Wohnzimmer schleppen. Draußen hatte es wieder zu schneien begonnen, müde warf er einen Blick hinaus. Nichts regte sich dort. Nein, natürlich war seine Kreativität ihn nicht an diesem traurigen Ort wiedergekehrt, weil er eine Distanz zu allem Schönen gebraucht hatte. Jetzt musste ihm diese Idee geradezu lächerlich erscheinen. Anfangs mochte er noch recht stark daran geglaubt haben, dann später immer weniger. Aber die wahre Antwort hatte er immer gekannt. Seine Schreibblockade war vielmehr das logische Ergebnis einer kosmischen Gleichung: Die Musen gewährten einem nicht mehr das Privileg, über Wunderbares und Herrliches zu schreiben, wenn das eigene Leben erfüllt war von solcherlei Dingen. So einfach war die Welt und beides zu fordern musste wohl einem jeden vermessen erscheinen.
Johann hatte diese Gesetzmäßigkeit erkannt und danach gehandelt. Wären ihm aber alle Konsequenzen seines Handelns von Beginn an bewusst gewesen, er hätte sich wohl nie zu solch teuflischem Treiben hinreißen lassen. Er erschauderte. Natürlich war ihm alles bewusst gewesen, die ganze Zeit über. Ganz genau hatte er gewusst, dass…
Ihm schwindelte und seine Beine wurden schwach, gerade noch schaffte er es, sich auf seinen harten Holzstuhl fallen zu lassen. Alles drehte sich. Noch ein halbes Kapitel.
Er begann zu tippen und in seinem gemarterten Schädel ertönte jedes Mal ein kakophonischer Widerhall, wenn einer seiner Finger hernieder fuhr. Es war das einzige Geräusch im Zimmer, es war das einzige Geräusch in der Welt, das dumpfe Klappern der Tasten und es fuhr hinaus in die weißen Weiten, aber es verlor sich nicht dort, denn immer weiter trug es der nun stumme Wind, weiter und weiter und…


4
Traumlos und schwer war der Schlaf gewesen, hatte ihn unter sich verschüttet wie eine Lawine einen einsamen Kletterer, der verzweifelt war, an diesen Hängen der Berge des Wahnsinns.
In seinem Kopf war ein unsägliches Getöse, sein Körper fühlte sich taub an. Mit größter Mühe richtete er sich halbwegs gerade auf und blickte auf das letzte Blatt in der Schreibmaschine. Der Roman war fertig. Johann schniefte, er erkältete sich. Nichts, was ihm gleichgültiger gewesen wäre. ENDE, schrieb er in großen Lettern unten auf die letzte Seite.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass der Schnee zu schmelzen begann. Gut möglich, dass dies eigentlich noch gar nicht zu erkennen war, doch es war keine Einbildung. Bestenfalls eine Vorahnung. Ein schwarzer Rabe schoss dicht am Fenster vorbei.
Johann schob den Stuhl zurück und verstaute die Schreibmaschine in einem Schrank, dass Manuskript ordnete er vorsichtig und legte es daneben. Dann schob er den Tisch zum Fenster. Noch einmal hielt er inne und ging seine nunmehr erwiesene Theorie im Kopf durch. Einem Mann der Wissenschaft mochte sie natürlich lächerlich, vielmehr als grober Unfug erscheinen. Doch das war nicht wichtig, nicht für einen wie Johann, der weiß, dass auch Wissenschaft nichts weiter ist, als der Aberglaube, dass eins und eins gleich zwei seien.
Fünf Minuten später stand auf dem Tisch vor dem Fenster der hölzerne Stuhl, auf dem Stuhl stand Johann. Schuld lastete schwer auf ihm und zerfraß ihn innerlich, so wie der Schnee draußen auf den hässlichen, harten Bauten lastete und seinerseits von der Sonne vertilgt wurde.
Er hatte gewusst, dass es nicht ausreichen würde, wenn er sich hierher zurückzog, wenn er einfach allen optischen und körperlichen Erquickungen entsagte. Dieses geringe Maß an Leiden konnte nicht ausreichen, um etwas wirklich Schönes auf Papier zu bannen. So hatte er es billigend in Kauf genommen, dass Andere für sein Werk starben, die ausstehende Schuld beglichen.
Doch dies war nicht der rechte Moment für Selbstvorwürfe. Was hatte er ihnen schon genommen? Höchstens ein paar Jahre eines erbärmlichen Daseins in diesen verachtenswerten, niederdrückenden Mauern. Nun waren sie alle Teil von etwas Größerem, alle kamen sie in dem Roman vor, Woelk, Hasim, Breker und Hacke!
Alle Schuldgefühle wichen von ihm, Tropfen von schmelzendem Schnee liefen die Fensterscheibe hinab. Er würde ihnen nichts schuldig bleiben.
Als er von dem Stuhl sprang und die Schlinge sich um seinen Hals schloss, gab es ein lautes Knacken, dass er nicht mehr hässlich finden konnte. Augenblicklich begann sein Blickfeld unscharf zu werden, die Dinge verschwammen, er röchelte, doch nach Luft gelüstete es ihn nicht mehr.
Auf der Fensterscheibe sah Johann die Eisblumen, das helle Licht der Sonne spielte auf ihnen eine vollkommene Symphonie der Farben. Er hatte einen Blick für das Schöne.
Dann war er tot, er war fertig: In heller Freude.

 

Hallo Blackwood,

Frustrierend, wenn die erste Kritik so lange auf sich warten lässt, frustrierender noch, wenn sie dann nicht allzu positiv ausfällt.
Naja, ich kann warten, dass dir meine Geschichte nicht sonderlich gefallen hat, finde ich da schon bedauerlicher.
Hier (und auch später) sprichst Du von Kälte und Schnee, und dass der Prot. friert - aber als Leser kann ich nicht mitfrieren.
Hast du zufällig auch eine Ahnung woran das liegen könnte?
Seine Jacke taugte also nichts gegen Kälte, Schnee und Wind. Punkt. Mehr sagt der Satz nicht aus.
Da gebe ich dir Recht, aber in wiefern ist das verwerflich? Es gehört gewissermaßen zur Geschichte, dass Johann friert, warum soll ich das nicht so schreiben?
Hehe, dieser Name wird einem hoch geschätzten Autoren hier, Henry Bieneck, bestimmt missfallen.
Henry Bieneck war mir nicht bekannt und der Link führt auch ins niergendwo... Aber mein Bienek schreibt sich ohne "c" also was solls? Dazu sei auch gesagt, dass ich die Namen meiner Personen zumeist irgendeiner Namensliste auf Wikipedia entnehme.
Deine Ideen, was die Vertiefung von Johanns Philosophie und die weitere Ausgestaltung seiner Mitmenschen betrifft, halte ich an sich für nicht schlecht. Umsetzen werde ich sie aber dennoch nicht. Man muss sich ja überlegen, was eine Kurzgeschichte im Wesentlichen aussagen will, was genau sie thematisiert. Würde ich mich auf deine Vorschläge einlassen, wäre ich bald bei dreißig Seiten und das war nicht meine Absicht. Die Geschichte sollte sich nämlich stark auf die eigentliche Handlung beschränken, das Hauptaugenmerk, was beschreibendes Beiwerk betrifft gedachte ich auf die umgebende Landschaft und die Wettererscheinungen zu legen.
Wenn dich die Geschichte aber nicht zu fesseln vermochte, muss ich wohl einsehen, dass ich mich hier auf die falschen Dingen konzentriert habe, der Inhalt also einigermaßen belanglos erscheint. Ist dem aber tatsächlich so, ist die Geschichte an sich einfach unzureichend und kaum zu retten. Schade.

Gruß,
Abdul

P.S.: So ich mich teilweise kritisch mit deinen Kritikpunkten auseindergesetzt habe, liegt das nicht daran, dass ich meine Geschichte unbedingt verteidigen will, sondern daran, dass ich erklären möchte warum manche Fehler vielleicht "absichtlich" gemacht wurden, warum mir manches was du bemänegltest beim Schreiben als gute Idee erschien.

 

Hi!

Du kannst deine Geschichte und deine Ansichten ruhig verteidigen. Kann beim Leser schließlich auch im Nachhinein zu einem Aha-Erlebnis führen.

Aber zur Geschichte. Der Handlungsaufbau vollzieht sich zu langsam. Du brauchst lange, um auf die Kerngeschichte zu kommen. Dabei sind auch zu viele Wiederholungen drin, bezogen auf das Wetter. Immer wieder kommst du ausdrücklich darauf zurück. Wenn dir dieser Punkt wichtig ist, lässt sich das auch subtiler verpacken (z.B. Johann kommt wieder ins Haus und muss sich erstmal die Schneemassen abklopfen oder so ähnlich).

Im weiteren Verlauf nimmt die Geschichte dann doch noch an Tempo auf und wird dann auch deutlich besser. Eine Andeutung von Johanns Erkenntnisse wäre nicht verkehrt (wie schon gesagt wurde), muss meiner Meinung nach aber nicht zwingend rein. (Aber dann vielleicht weniger Zeilen drauf verschwenden)

So ist es insgesamt eine gute Geschichte mit schwächerem Anfang und besserem Ende (das auch konsequent durchgezogen wurde).

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Nothlia,
Vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren. Du hast wohl damit recht, dass ich mich, was das Wetter betrifft oft und eintönig wiederhole, ein Bisschen mehr Kreativität hätte hier tatsächlich nicht geschadet. Sollte ich die Geschichte einmal überarbeiten, werde ich das beherzigen.

Der Handlungsaufbau vollzieht sich zu langsam. Du brauchst lange, um auf die Kerngeschichte zu kommen.
Eine alte Schwäche, ich komme schnell ins Schwafeln.
So ist es insgesamt eine gute Geschichte
Freut mich, das zu lesen.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,

ich sehe die Geschichte viel positiver, als meine beiden Vorredner. Das Thema ist interessant und wie ich finde passend umgesetzt. Jedenfalls passt das niederschmetternde Szenario (der trostlose Plattenbau, die Winterlandschaft) ausgezeichnet zum deppressiven Plot.
Einzig negativ ist mir begegnet, dass dem Leser sehr früh klar wird, dass der Prot. hinter den vermeindlichen Selbstmorden der Mitbewohner steckt und eine psichische Störung hat; sprich schizophren ist oder ähnliches.

Vielleicht wäre es besser, die Art, wie die Leute ums Leben kommen, anders - mehr reißerisch - zu gestalten. Auch könnte Hacke in der Nacht in der er stirbt mehr aufmerksamkeit erregen. Vielleicht kratzt er Blut überströmt an Johanns Zimmertür, oder so.
Aber wie du es selbst gelöst hast ist auf jedenfall eine gute Möglichkeit.

Auch die immer wieder kommende Beschreibung des Winters und der Kälte finde ich ausgezeichnet und auf mich hat sie gewirkt - passt einfach perfekt in das Bild der Tristess.

Die Geschichte kommt zwar nur langsam in Fahrt, das muss aber nicht zwingend etwa Negatives sein, hier halte ich es für angebracht. Auch, dass wir über den Inhalt des Romans, den Johann schreibt nichts erfahren stöhrt mich nicht.
Dein Stil oder deine Beschreibungen finde ich angenehm zu lesen. Unschöne Formulierungen sind mir nicht aufgefallen.

Übrigens passt der Titel 1A zur Grundstimmung. Hast da eine gute, treffende Wahl getroffen!

Fazit: Gute Geschichte, die mich auf jedenfall fesseln konnte.
8/10Punkten.

 

Hallo Anteron,
Es freut mich zu lesen, dass dir meine Geschichte zusagte. Die Bilder, die mir beim Schreiben im Kopf herumschwirrten, scheinen bei dir angekommen zu sein.

Einzig negativ ist mir begegnet, dass dem Leser sehr früh klar wird, dass der Prot. hinter den vermeindlichen Selbstmorden der Mitbewohner steckt und eine psichische Störung hat; sprich schizophren ist oder ähnliches.
Hm... Dass der Leser vom Ende nicht wirklich überrascht wird, war mir schon klar. Es entsprach aber gar nicht meiner Absicht, das Ganze so aussehen zu lassen, als habe Johann die Anderen selbst umgebracht, ich dachte da eher an etwas wie - um es einmal sehr stark vereinfacht auszudrücken - "Kreativitätsvampirismus", wie es auch Johanns Philosophie entspricht.
Andererseits, wenn du die Sache so auffasst, dass Johann ein schizophrener Mörder ist, soll mir das nur recht sein, wenn ich so darüber nachdenke, ist es auch nicht unplausibel. Und wer sagt, dass immer der Urheber einer Geschichte die oberste Deutungshoheit besitzt?
Wie haben es denn die Anderen verstanden?

 

Danke für die Rückmeldung Blackwood. Deine Vorschläge für den Anfang scheinen mir passend, etwas in dieser Art zu schreiben wäre vielleicht die bessere Lösung gewesen.

Was keinesfalls mein Fazit war.
Was ich dir keinesfalls unterstellen wollte.

 

Glück auf, Mann aus Arabien!

Eine klassische Idee, gepackt in ein relativ modernes Gewand. Leiden und darben muss man, um SCHÖNES erschaffen zu können. Das stimmt in der Tat. Leute mit satten Bäuchen mögen vielleicht schreiben können, doch ob Magie und Wahrhaftigkeit, ja Majestizität darinnen liegen, steht auf einem anderen Blatt Papier. So richtig klar wurde mir nicht, ob Johann die 4 anderen Hausbewohner tötete oder aber sie sich selbst töteten, da die Gram des Autoren psychisch allmählich aufs ganze Haus übergriff - spukähnlich. Letzteres würde mir besser gefallen. Aber du kennst mich ja...

Nein, eine wirklich lesenswerte Geschichte, welche auch eine gewisse Kälte ausstrahlt, die Farbe Grau, Wind. Wichtige Zutatan für einen beabsichtigten Pool der Düsternis. Bei einer Skala von 1 bis 10 (10 die beste "Zensur"), würde ich eine 8+ vergeben wollen.

Danke fürs Reinstellen der Geschichte, über die ich sicherlich immer wieder mal nachdenken kann in meinen ruhigen Stunden.

Gruß Karsten

 

Es erfreut mich zu lesen, dass dir die Geschichte gefiel, Leichnam. Die Idee hinter der Geschichte hast du auch richtig erfasst, was für mich insofern eine Erleichterung darstellt, als dass ich zunächst vermutete, dies könnte sich beim Großteil der Leser anders verhalten.
Die von mir gemeinte Erklärung für das Ableben der anderen Hausbewohner war auch die, welche du als zweite mögliche erkanntest und favorisiertest. Aber letztlich ist es ja eigentlich egal, was ich beim Schreiben "meinte", es kommt drauf an was dasteht und wenn ein Leser meint, die andere Auflösung sei plausibler oder ergebe sich für ihn eher aus dem Text kann ich schlecht sagen, er habe Unrecht...


Gruß,
Abdul

 

Hi Abdul,

Die Story fand ich teilweise langatmig, obwohl mir die Grundidee gefiel. ICh glaube, da könntest du aus der Umsetzung noch mehr herausholen.
Den Einstieg fand ich auch zu lange und spannend war es für mich ab da, wo klar wurde, dass sie sich wegen ihm umbringen. Bei den ganzen Absätzen davor gab es wenig, was mich neugierig machte.
Den Stil fand ich oft etwas umständlich. Mir hätten da kürzere Sätze besser gefallen- auch wenn Geschmackssache ist.
Die anderen Bewohner des Hauses blieben für mich auch seltsam grau und flach- so wie das Wetter ;) - das übrigens so lange schlecht war, dass ich schon dachte, der Winter dauert ewig.
Auf jeden Fall solltest du noch den Teil ausbauen, wo er seine Phillosophischen Theorien spinnt. Das er für ein perfektes Meisterwerk sein Leben opfert, ist ja ein starkes Motiv.
Ein Plus: die Überschrift - die hat mich zum Lesen angeregt.

Bei besserem Wetter hatte er gesehen, dass die billige Farbe an vielen Stellen abgeplatzt war, dass an zwei Fenstern die Spuren vergangener Wohnungsbrände zu erkennen waren. Heute war er
zu oft war
Die meisten seiner Freunde waren darüber wohl ziemlich erschüttert gewesen. Hatten aber versucht, sich nichts anmerken zu lassen, da sie wussten, dass es um seine Finanzen nicht zum Besten bestellt war.
besser 2 Sätze
Als er seinen Weg fortsetzte, tat er dies noch schnelleren Schrittes, als schon zuvor, endlich erreichte er die Tür des Gebäudes.
wirkt umständlich ... beschleunigte er seinen Schritt noch einmal, und erreichte ...

Die junge Frau, die hier wohnte. Wölk war ihr Name. Hat sich umgebracht.
das würde ich weglassen. Natürlich hat sie hier gewohnt, wenn sie der Hausmeister kennt.
Über dem dazugehörigen Tisch wiederum lag eine Decke, die in ihrer farblosen Geschmacklosigkeit durchaus bemerkenswert war, einfach aufgrund der Tatsache, dass nicht einmal die größte finanzielle Not in Verbindung mit einer außergewöhnlichen Gleichgültigkeit der Ästhetik gegenüber in der Lage zu sein schienen, ihre Anwesenheit in einer menschlichen Behausung zu rechtfertigen.
Ich mag diese Art von komplizierten Sätzen in einer Kurzgeschichte nicht. Mach besser 2 draus (auch wenns bei HAndke und Thomas Bernhard gut wirkt)
Sie wissen nicht, dass die Alten
Alte
Dann sprang er schnell herum und floh zurück in das dichte Schneetreiben. Dann rannte er.

L.G.
Bernhard

 

Hallo Bernhard und vielen Dank füs Lesen und Kritisieren. Der Anfang meiner Geschichte ist wohl tatsächlich überarbeitungswürdig, das wurde mir ja schon von mehreren Seiten bescheinigt. Es ist ein altes Problem von mir, dass ich mich beim Schreiben praktisch nicht kurz fassen "kann". Zumindest wenn mir selbst das Ergebnis hinterher noch einigermaßen zusagen soll, die Sätze beginnen einfach zu wuchern und länger zu werden, es entstehen unwichtige Einschübe und Ergänzungen, der Leser kriegt Dinge zu lesen, von denen er eigentlich gar nichts wissen wollte...
Das das oftmals langatmig wird liegt in der Natur der Sache. Aber ich gelobe Besserung oder zumindest den Versuch zur Besserung. :D


Gruß,
Abdul

 

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