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Es war einer dieser gläsernen Septembertage
Es war einer dieser gläsernen Septembertage, die blank und strahlend sind und dennoch schon nach Herbst riechen.
Ich saß auf der Veranda einer Holzblockhütte, von der meine Freundin in allerhöchsten Tönen geschwärmt und die ich auf ihr Drängen hin doch noch gemietet hatte.
Idyllisch sollte sie sein, direkt am Wasser gelegen.
Ich würde jeden Abend beim Sonnenuntergang dem Quaken der Frösche zuhören können und der tiefe Friede würde sich von ganz allein über mich senken.
„Von ganz allein“, dachte ich grimmig.
Vielleicht verhinderte auch das Päckchen Briefe auf meinem Schoss ja eben diesen Frieden.
Seine Briefe, seine Liebesbriefe.
„Wem willst du was vormachen?“ fragte meine Sehnsucht mich überraschend zärtlich.
Ja, wem wollte ich was vormachen?
Die ganzen drei Tage schon, seit ich hier war, hatte er mein Denken und Fühlen auf eine hartnäckige Weise besetzt gehalten.
Gestattete keinem anderen Gedanken sich niederzulassen in meinem wirren Kopf, ließ meinen Körper schmerzen, wie auf dem Entzug von den Berührungen seiner Hände.
Er, der Mann in meinem Leben, mein Dozent, meine Liebe.
Er, der Mann einer anderen Frau, der Vater ihrer Kinder, der verheiratete Familienmensch.
Ich lernte ihn in einer Kneipe kennen.
Meine Freundin hatte mich mitgenommen und mich dem ganzen Grüppchen Studenten am Tisch vorgestellt.
Er sah gar nicht aus, wie einer, der unterrichtet, eher wie jemand, der ganz hinten im Hörsaal sitzt und kluge, bissige Bemerkungen an den Dozenten richtet.
Auch damals war er es, der redete, die ganze Gruppe mühelos unterhielt.
Witzig, schlagfertig und überaus scharmant.
Nach meiner Vorstellung hatte ich mich leise und unauffällig an den Rand der Tischbank gequetscht.
Mich bemüht, leiser zu atmen, in der Hoffnung, unsichtbar zu werden.
Und zugehört. Ihm zugehört.
Sein Gesicht, mit der kurzen, breiten Nase, den oftmals zornig oder verächtlich geblähten Flügeln und den vollen, am liebsten spöttisch verzogenen Lippen konnte man nun wirklich nicht als schön bezeichnen.
Und doch ging eine unbeschreibliche Faszination von ihm aus..
Er konnte alles mit Worten machen, Welten erschaffen und wieder zerstören, toten Dingen Leben einhauchen und einen die Farben schmecken lassen.
Ich war eine der letzten, die noch am Tisch saßen, wollte solange wie möglich seiner Stimme lauschen, wollte nicht, dass dieser Mann aus meinem Leben wieder verschwand.
Bereits vier Wochen später waren wir ein Liebespaar.
Schon damals kannte ich die Tatsache, dass er verheiratet war und seine Frau nicht verlassen würde.
Konnte mich aber dem lockenden, undurchdringlichen Blick aus seinen schräggeschnittenen, grünlichen Augen nicht entziehen.
Konnte meinem Körper, der sich so sehr nach seinen Berührungen sehnte, dass es weh tat, keinen Einhalt gebieten.
In der ersten Nacht, als wir, noch voll angezogen, auf meinem schmalen Bett lagen, fand ich heraus, dass er noch mehr konnte, noch mehr wusste.
Er wusste, wie man eine Frau anfasste. Ich glaube, es war das, was er am besten konnte.
Er bewegte seine Hände meine Schenkel hinauf und zog mir meine Hose aus, als sei sie eigens zu diesem Zweck erfunden worden. Zum Ausziehen.
Wie von selbst suchte sein Mund den meinen, er berührte meine Lippen und ich schmeckte seinen Atem.
Die Versuchung, mich in seinem männlichen Duft zu vergraben, war übermächtig.
Mein Name, kehlig und heiser von ihm geflüstert, klang zärtlicher als jede Liebeserklärung.
Seine Stimme, die flüsterte, bettelte und mir leise ins Ohr schmeichelte, war meine Droge, von der ich täglich eine größere Dosis brauchte.
Jetzt war ich hier. Vor ihm geflohen. Vor dem Wahnsinn geflüchtet. Um zur Ruhe zu kommen, um nachzudenken, um mein Leben zu ordnen.
Das schmeichelhafte Licht der beginnenden Dämmerung hatte bereits eingesetzt und über dem ruhigen Wasser hoben sich die zarten Nebel wie perlmutfarbene Schleier, als mich das knarrende Geräusch der alten Holztür aus meinen Gedanken aufschreckte.
Er...er war gekommen...hat mich aufgespürt, mich wie eine fliehende Beute gestellt.
Mein Herz wummerte bei seinem Anblick los und das Blut pulste mit rasender Geschwindigkeit durch meine Adern.
Seine Stimme war tief, aber ruhig, als er zu sprechen ansetzte. Gefährlich ruhig.
Er sprach langsam, wählte jedes seiner Worte mit Bedacht.
In meinem Kopf machte sich ein Brausen breit, und hinter den Schläfen begann es schmerzhaft zu klopfen.
Jeder Muskel in meinem Körper verkrampfte sich.
Meine Wangen begannen zu prickeln, und ich hatte das Gefühl, unter mir sacke der Boden weg.
Und dann, als mein Verstand endlich realisierte, was er da sagte, überrollte mich die Wut wie eine gewaltige Woge, machte meinen Bauch gefühllos und den Kopf gleichzeitig ganz leicht.
Er sei nur gekommen, um sich zu verabschieden.
Von mir...ich sei eine zu große Belastung für ihn geworden.
Dabei strich er sich mit dem Daumen über den Mundwinkel, und sein Lächeln war seidenweich.
Ach ja...bevor er es vergesse : er danke mir auch schön für die „Vorarbeit“, die ich für sein neues Buch geleistet hätte. Ich hätte ganz brauchbare Ideen geliefert.
Meine Gesichtszüge entgleisten ob dieser bodenlosen Unverschämtheit, während mein Verstand präziser als je zuvor funktionierte, eine bösartige, perfekte Maschinerie, die mich nicht zur Ruhe kommen ließ.
Es war keine „Vorarbeit“ für sein neues Buch...
Es war die Roh-Fassung meiner Diplom-Arbeit, die er unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mir gestohlen hatte.
Mein Körper weigerte sich noch immer hartnäckig seine normalen Funktionen wieder aufzunehmen, nur die Tränendrüsen, die sprangen mühelos an und lieferten ungewollt und ungefragt jede Menge heißer, wütender Sturzbäche, die meine Wangen hinabliefen.
Er muss meine Körpersprache falsch gedeutet haben, denn jetzt lächelte er sinnlich, beugte sich zu mir vor, küsste mir eine Träne weg und schnurrte genüsslich :“ Dann stimmt es also, kleine Mädchen sind tatsächlich aus Zucker gemacht“.
Das war der Moment als mein Körper ruckartig und bebend vor ungezügelter Energie zum Leben erwachte.
Mein Knie schnellte vor und platzierte den Schlag äußerst präzise, mitten in seinen Weichteilen.
Der mörderische Schmerz ließ sein Gesicht konzentriert aussehen, als er sich krümmte und vor mir auf die Knie fiel.
Wie in Zeitlupe kippte sein Körper seitlich weg.
Natürlich entschuldigte ich mich später für meinen für mich absolut untypischen und ungewohnten Wutausbruch, aber nie wieder im Leben hatte ich ein dermaßen befriedigendes Gefühl empfunden.
Ich blieb noch die vollen zwei Wochen, die ich gebucht hatte, in der Blockhütte.
Allein.
Er war weg, sobald er wieder stehen konnte und unsere Wege haben sich niemals im Leben wieder gekreuzt.