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Everything in its right place
Sie musste grinsen. Bestimmt dachte sie, warum solche Trottel immer sie ansprachen. Dachte er wirklich, dass er Chancen bei ihr haben könnte?
Das dachte er eigentlich nicht. Als sie ihm auf der Straße entgegengekommen war, hatte es ihn einfach nur umgehauen.
Diese langen, gelockten, blonden Haare, die Sommersprossen, die langen Beine. Jetzt mal ehrlich: Solche Mädchen gab es viele, bei den wenigsten konnte er landen. Aber im Moment ging es ihm echt schlecht. Er fühlte sich einsam, schon seit Monaten.
Vieles andere lief auch nicht so blendend wie man es anderen erzählte. Und bevor dieser Tag wieder vorbeigehen würde, ohne irgendetwas verändert zu haben, spielte er jetzt einfach mal den Spontanen, der sie mit einem kurzen und leichten Stupsen an der Schulter aus ihrem Tagtraum, beim Weg wo auch immer hin, gerissen hatte. Überrascht hatte sie ihn angesehen. Sie hatte wohl vermutet, dass jemand Bekanntes vor ihr stehen würde. Bestimmt sah sie schon an den Klamotten, dass dies nicht sein konnte. Und als er dann auf ihren verdutzten Blick mit „Hallo! Hast Du Zeit? Wollen wir was trinken gehen?“ antwortete, kam eben dieses Grinsen auf ihr Gesicht, mit dem sie am liebsten einfach weitergegangen wäre, sich nach ein paar Schritten umgedreht hätte, um ihn mit einem „Tut mir leid, bin schon vergeben“ anzulügen und dann stehen zu lassen.
Sein Blick sagte ihr, dass er mit so einer Antwort rechnete. Schöne Augen hatte er. Sie waren es auch, warum sie länger stehen blieb, als sie es eigentlich wollte.
Und so hatte er noch Zeit, sie mit „Bitte sag nicht nein“ anzubetteln. „Wenn Du nichts Wichtiges vorhast, sag bitte nicht nein. Lass und einfach einen Kaffee da vorne trinken.“
Mit „da vorne“ meinte er das Café, in das sie eigentlich sowieso gerade wollte, um sich mit ihrem Referat für die Uni zu beschäftigen. Sähe bestimmt blöd aus, wenn sie nein säge und er dann sähe, wie sie allein ins Café gehe. Ließ sie sich eben einladen.
Wie ein kleiner Junge freute er sich, als sie dann zusagte. Und wie aufgeregt er war, total hektisch. Er fing an zu erzählen und wurde dabei immer schneller. Und was er ihr dabei alles verriet: Warum er hierhin gezogen war, was er studierte, wie toll er diesen Film gestern fand und wie herzhaft er lachen musste, obwohl der ja eigentlich für Kinder war. Und dass er in letzter Zeit nicht oft Gelegenheit zum Lachen hatte wegen Heimweh und Einsamkeit und so.
Als er ihr diese Gefühle beim Erzählen preisgab und sie sich selbst das erste Mal wirklich eingestand, wurde sein abgeschweifter und trauriger Blick plötzlich wieder fest und konzentriert, und er entschuldigte sich bei.
Wären seine Augen nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, stark und intelligent zu spielen, hätten sie wohl gemerkt, dass ihr Blick mit seinen Erzählungen immer mehr ins Schwärmen gefallen war und regelrecht butterweich gewirkt hatte, bevor er wieder den Mann mimte.
Auf die Frage von ihr, warum er das alles so offen und ehrlich erzählte, meinte er, dass er sie wohl eh nicht wieder sehen werde. Darauf wusste sie auf die Schnelle nichts zu sagen, und bevor es zum peinlichen Schweigen kam, setzte er ein Lächeln auf und sagte: „Dankeschön! Für Deine Zeit und dass Du zugehört hast.“
Mit einem Handwink orderte er den Kellner heran, stand auf und drückte ihm im Vorbeigehen einen Schein in die Hand, der locker für beide Bestellungen reichte. Das ging so schnell, das sie wirklich Mühe hatte, sich ihre Sachen zu schnappen und ihm hinterher zu eilen. Knapp draußen vor der Tür holte sie ihn ein.
„Ich möchte aber, dass wir uns wieder sehen.“
Noch zwei Jahre später fragte sie sich manchmal, ob diese großen, verwunderten und sprachlosen Augen auf diesen Satz von ihr nun echt gewesen waren oder nicht. Immer wen sie ihn danach fragte, versicherte er ihr, dass er niemals gedacht hätte, mit ihr zusammenzukommen. Sie hingegen war manchmal davon überzeugt, dass es eine eiskalte Masche von ihm gewesen war, um sie herumzukriegen. Er musste dann immer lachen, wenn er das hörte. Sie lachte mit, aber immer mit einem kleinen Hintergedanken.
Jedenfalls hielten sie es miteinander aus. Ein weiteres Jahr sollte vergehen, bis sie heirateten. Solange er noch zwei Semester vor sich hatte, jobbte sie, um ein bisschen Geld in die Kasse zu bringen. Nach seinem Abschluss wollten sie dann weg. In Köln gab es für beide gute Chancen, Arbeit zu finden. Und dann irgendwann, wenn beide schon eine Zeit lang fest im Job waren, das erste Kind.
So planten und träumten sie ihr Leben. Sieben Monate später war sie tot, gestorben durch einen simplen Verkehrsunfall. Er schaffte es durch den schweren Verlust nicht, sein Studium zu beenden.
Um sich aus dem quälenden Schmerz hinaus zu winden, zog er mit Rucksack nach Norwegen. Die Idee war ihm wie eine von vielen in den Kopf geschossen, und um sich von ihrem Tod Befreiung zu erhoffen, klammerte er sich an diesen Gedanken, in Norwegen zu anzufangen.
Zu Ende studieren tat er nie, stattdessen wurde er Angestellter bei einer größeren Firma.
Seine zweite Frau, die er mit 36 kennen lernte, heiratete er, um sich eine Gewissheit einreden zu können, dass sie die große Liebe war.
Hätte er die wahre damals auf der Straße nicht angesprochen, er hätte nie gemerkt, wie unglücklich so eine Lüge von einem sicheren Leben machen kann.